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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 190-192

7. Der Sohn durchs Ungefähr.


Nach Iffland dem Schauspieler kam sogleich Iffland der Director an die Reihe. Der 4. October 1810 brachte die erste Novität des Winterspielplans, die zweiactige Posse: Der Sohn durchs Ungefähr. Der Titel ist dem Kotzebue’schen Einacter „Der Vater von ungefähr“ nachgebildet. Ein Gimpel von Liebhaber wird durch einen klügeren Liebhaber, der sich beim Schwiegervater, bei der Braut, sogar beim <191:> rechten Vater für den rechten Sohn auszugeben versteht, bei Seite geschoben. Es enthält diese Posse weiter nichts, als die Wiederholung der Späße des unglaublich trivialen komischen Singspieles „Herr Rochus Pumpernickel“, in dem der reiche Gutsbesitzer Rochus Pumpernickel als Heirathscandidat in lauter lächerliche Verlegenheiten fallen muß, um seine Braut an Herrn von Littau zu verlieren; oder des Kotzebue’schen Pachter Feldkümmel, der, durch Eßsucht und Dummheit ausgezeichnet, sich gleichfalls mit negativem Erfolge um ein Stadtdämchen bemüht; oder des Vetters Kuckuck von Friedrich, der auch, trotz seiner weiten Reise von Nürnberg nach Berlin, um sein Cousinchen Braut von einem schlaueren Berliner geprellt wird. Pumpernickel, Kuckuck und Feldkümmel kamen schon mit erschrecklicher Häufigkeit auf die Berliner Bühne: und nun noch „Der Sohn durchs Ungefähr“ dazu, als die vierte dieser Trivialitäten! Die Vossische Zeitung vom 6. October 1810 begrüßte auch dieses Stück, während das 5. Abendblatt, vom 5. October, die Verurtheilung aussprach: „C’est un rien würden die Franzosen von dieser Posse sagen; und wir glauben sogar, daß man dem Stückchen nicht zu viel thäte, wenn man die fremde Redensart wörtlich übersetzte und (freilich etwas härter) von ihm sagte: Es ist ein Nichts.“ Der Direction wird mit scheinbar nicht unverbindlichen Worten gesagt, das Publicum bleibe für „Kleinigkeiten der Art“ ihr „für jetzt noch immer“ Dank schuldig, „da wir nur eine Bühne haben“: was eigentlich bedeutet, solche Stücke gehörten auf ein anderes, ein Vaudeville-Theater, nicht auf die Nationalbühne. Und wieder ein sehr zweideutiges Lob war es, daß „diese kleine Wenigkeit“ mit mehr Präcision und ineinander greifender gegeben worden sei, als manch vorzügliches Lust- oder Trauerspiel auf der Berliner Bühne. Das ging alles auf Iffland, den Director. Aber an- <192:> griffslustig attaquirt der Kritiker auch die Vossische Zeitungskritik: „Die nähere Beschreibung des Stücks (heißt es höhnisch): was Alles darin vorkommt, wann der erste Act aufhört und wann der zweite anfängt, wird wahrscheinlich in den nächsten Blättern unserer Zeitungen zu lesen seyn.“ Wir haben hier die ersten Ansätze der sich immer schärfer zuspitzenden Polemik zwischen Kleist’s Abendblättern und der Vossischen Zeitung. Wer der anonyme Kritiker des Abendblattes, der ++ zeichnet und nach dem Stil nicht Kleist ist, gewesen sei, bleibe vorerst dahingestellt: vielleicht, daß nachher sich eine Vermuthung wagen läßt.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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