Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 157-165
14. Niedergang der Abendblätter
und Kleists letzte Kämpfe mit Hardenberg und Raumer.
Der Niedergang der Abendblätter
im zweiten Quartal war nicht mehr aufzuhalten gewesen. Der
Absatz deckte die Kosten der Herstellung nicht mehr. Da Kleist
officiöse Artikel, wie er versprochen, nicht zur Publication
bringen konnte, stand dem Verleger Kuhn das contractliche
Recht zu, von dem Unternehmen zurückzutreten. Das bedeutete
für Kleist den Verlust von 800 Thalern Redactionsgehalt
und 300 Thalern Schadenersatz. Seine bürgerliche Existenz
war damit vernichtet. Nachdem die Dinge einmal soweit gekommen
waren, gebot sein Vortheil, das Abendblatt sobald als möglich
aufzugeben. Seiner innersten Ueberzeugung nach trug die Staatskanzlei
die Schuld an seinem Unglück. Kleist ging jetzt auf Hardenberg
selber los.
Die Briefe, die von nun an zwischen den Partheien
gewechselt werden, haben einen von den früheren verschiedenen
Charakter. Die früheren waren Vorbereitungen auf persönliche
Zusammenkünfte, in denen die eigentliche Entscheidung der
Dinge <158:> lag. Jetzt aber, nach dem Abbruch directer
Verhandlungen, sind die Briefe allein die Unterhändler zwischen
Regierung und Redaction. Man kämpft, man sucht sich Zugeständnisse
zu entlocken, man will gewinnen. Den Staatskanzler allein
betrachtet Kleist als den, mit welchem er zu thun habe: die
sich einschiebende Affaire mit Raumer ist dem gegenüber von
untergeordneter Art. Kleists Vorgehen gegen Hardenberg
erscheint mir kaltblütig überlegt und mit consequenter Zähigkeit
durchgeführt. Dem Tone nach schreibt Kleist immer wie ein
Beamter an seinen höchsten Vorgesetzten (das steckte ihm vom
früheren Militär- und Civilverhältniß in den Gliedern), Hardenberg
dagegen wie ein geärgerter Vorgesetzter an einen unbequemen
Untergebenen, dem nicht recht beizukommen ist. Ein im Ausdruck
noch so vorsichtiger Angriff eines Untergebenen faßt schärfer
an, als schroffsprachige Zurückweisung von vorgesetzter Stelle.
In solchen Verhältnissen enthalten die gewechselten Schriftstücke
niemals das eigentliche Endergebniß: Niederlage oder Sieg
besteht vielmehr in dem, was an peinlichen und genugthuenden
Nachempfindungen im Einzelnen übrig bleibt. Wenige Männer
in vorgesetzter Stellung verfügen über die innere Kraft, trotz
peinlicher Rückerinnerung dem untergebenen Gegner in vollem
Maße gerecht zu werden. Hardenberg war zwar ein ritterlicher
Mann, für diese Größe der Gesinnung aber doch nicht groß genug.
Kleist machte für sich folgende Gedankenschlüsse.
Die in ihrer ursprünglichen Freiheit durch Verhandlungen und
amtliche Maßnahmen der Staatskanzlei beschränkten Abendblätter
haben ministerielle Artikel aufgenommen; also sind sie halb-ministeriell.
Sie haben als halb-ministeriell ihre Popularität
verloren, und die zum Ersatz dafür versprochenen officiösen
Beiträge sind ausgeblieben. Die Staatskanzlei hat früher für
zweckmäßige Führung des Abendblattes Geld ge-
<159:> boten; also mag sie jetzt wenigstens den von
ihr verschuldeten Verlust decken. Diese Gedanken formulirte
Kleist in seinem Briefe an Hardenberg vom 13. Februar
1811, und ließ durchblicken, daß ein Proceß um die in Streit
befindliche Summe, wegen der eidlichen Zeugenvernehmung, der
Staatskanzlei unbequem sein würde. Die von Hardenberg gezeichnete
Antwort, vom 18. Februar 1811, verwarf dagegen gänzlich
den Anspruch auf Entschädigung. Weitere Schriftstücke gingen
zwischen den Partheien hin und her. Natürlich ohne Förderung
der Angelegenheit. Jeder Theil verblieb auf seinem Standpunkt.
Wie urtheilen wir heute? Heinrich von Kleist machte
Billigkeitsgründe geltend, nicht Rechtsgründe. Sein
menschlich ihm nicht schadender Irrthum war, daß
im politischen Leben, was billig sei, auch recht sei. Der
umdrängte Politiker Hardenberg brauchte Billigkeitsgründen
kein Gehör zu geben. Er würde es gethan haben, wenn er für
Kleist und die Seinigen Sympathien politischer oder gesellschaftlicher
Art gehegt hätte, vielleicht auch noch, wenn die Gewährung
der Ansprüche Kleists den Gegnern nicht wie ein Eingeständniß
seiner Schuld erschienen wäre.
Es fügte sich für Kleist nicht günstig, daß Raumer
die Entschließung des Staatskanzlers von vornherein maßgebend
beeinflußte. Wer sich für Hardenbergs wasserhelle, diplomatisch
abgerundete und doch mit empfindbarer Wärme vorgetragene Actenprosa
ein Gefühl erworben hat, wird mit mir der Meinung sein, daß
die erste Antwort (18. 2. 1811) nicht von ihm selbst
verfaßt worden ist. Raumer hat vielmehr das Concept geschrieben.
Man braucht dazu nur Raumers Brief an Kleist vom 6. December
zu vergleichen, um die Identität der Autorschaft einzusehen.
Dadurch aber wurden sogleich Nebendinge, die nur für Raumer
wichtig waren, in eine ihnen an sich nicht gebührende Bedeutung
gerückt. Der Staatskanzler, heißt es <160:> in der Antwort,
habe Kleist nicht im Mindesten beschränkt in der Art, vor
dem Publicum aufzutreten, noch in den Mitteln das Blatt interessant
zu machen: eine Behauptung, die nicht Stich hält. Das frühere
Geldangebot, das zwar nicht bestritten wird, solle anders
in der Form gelautet haben: worauf ebenfalls nichts ankommt.
Kleist muß sofort erkannt haben, wessen Geist in dem
Schreiben umgehe. Nur unter dieser Voraussetzung wird es verständlich,
warum er scheinbar jetzt ohne Anlaß
von Hardenberg abläßt und, am 21. Februar 1811, auf Raumer
losfährt. Jede Zeile des Briefes drückt ihm seine Verachtung
aus. Er mißt ihm allein die Zugrundrichtung des Abendblattes
bei. Er habe doch, trotz aller Ableugnung, für die Vertheidigung
der Maßregeln des Staatskanzlers Geld angeboten. Er solle
Gelegenheit nehmen, Se. Excellenz von der Gerechtigkeit
seiner Entschädigungsforderung zu überzeugen. Sonst
werde die ganze Geschichte des Abendblattes im Auslande gedruckt
werden. Eine Abschrift schickte Kleist dem Staatskanzler ein,
mit dem Ansinnen, Raumers Meinung in der Sache des Abendblattes
nicht mehr zu Rathe zu ziehen. Dem Staatskanzler blieb nichts
übrig, als für seinen beleidigten Beamten einzustehen und
Kleist durchweg Unrecht zu geben. Dies neue Schriftstück,
vom 26. Februar 1811 datirt, hat Hardenberg selbst verfaßt.
Es unterscheidet sich in Ton und Sprache erheblich von dem
früheren. Es enthielt die Hardenberg entschlüpften Worte:
ich versprach Ihnen Unterstützung, wenn Sie ein zweckmäßiges
Blatt schrieben, ein autoritatives Zugeständniß, wie
es Kleist sich nicht besser wünschen konnte.
Empört war aber Kleist darüber, daß Raumer seine Auffassung
des Geldangebotes als einen großen Irrthum hinzustellen
fortfuhr. Nachdem dieser auch nochmals für oder wider
das Abendblatt mit Sr. Excellenz zu spechen rundweg
<161:> verweigert hatte, machte Kleist die Sache zu
einem Ehrenhandel. In immer schärfer lautenden Billets suchte
er aus Raumer ein Ja oder Nein herauszupressen, um im Falle
einer unbefriedigenden Antwort ihn um diejenige Satisfaction
zu bitten, die ein Mann von Ehre in solchen Fällen fordern
könne. Raumer aber sagte nicht Ja oder Nein, sondern berief
sich ausweichend auf seine Correspondenz, die die verlangte
Antwort schon enthalte: (26. Februar 1811:) Ich
will dieser Antwort weder etwas abnehmen noch zusetzen, sondern
ganz dafür officiell und außerofficiell sein und bleiben.
Welches war der Ausgang des Ehrenhandels? Betrachten
wir, was Friedrich von Raumer, erklärend, nachher seinem
Billet vom 26. Februar 1811 zusetzte. Er sagt: Nachdem
ich mein Billet vom 26. Februar an Kleist abgesandt hatte,
schickte ich ihm einen Freund, Herrn Geheimrath Pistor, auf
die Stube. Wäre er hier fest bei seiner Behauptung geblieben,
hätte sich das amtliche Geschäft allerdings in eine Ehrensache
über wahr oder unwahr verwandelt. Er ließ sich indeß gefallen,
daß Pistor eine Abschrift meines Briefes vom 13. December
nahm, fing an zu weinen, klagte, er sei zu allem inducirt
worden, und schrieb mir folgendes Billet:
es folgt aber nicht bei Raumer das richtige Billet, sondern
es reiht sich nun unrichtig der Abdruck eines Billets
vom 4. April 1811 an.
Raumers Erinnerung irrt nämlich, wenn sie das
ganz andre Dinge betreffende Billet aus dem April mit
der Erledigung des Ehrenhandels in unmittelbare Verbindung
bringt; es thut höchstens dar, daß über einen
Monat später der Streit beigelegt war. Die Art
der Beilegung aber kann nicht diejenige sein, die Raumers
im eigenen Interesse einseitige Darstellung vorträgt.
Welchen Anlaß könnte Raumer gehabt haben, nach dem Billet
vom 26. Februar noch Pistor <162:> abzuschicken?
Raumer mußte doch zunächst abwarten, was Kleist jetzt thun
würde. Seine Bemerkungen über das Weinen und Klagen Kleists
(wobei er doch nicht zugegen gewesen wäre!) sind zum mindesten
unerfreulich, befremdend aber der Versuch, die Verdächtigung
Adam Müllers, auf den er durch den Ausdruck inducirt
deutet, Kleist selbst in die Schuhe zu schieben, als ob dieser
seinen Freund preisgegeben hätte.
Kleist hat, nach meiner Vorstellung von der zähen
Consequenz seines Charakters, Raumer auf die zweideutige
oder unbefriedigende Antwort des 26. Februars hin
gefordert. Dann hat sich allerdings als Unpartheiischer der
Geheime Postrath Pistor (bei dem, in der Mauerstraße 34
wo Arnim und Brentano wohnten, Kleist wie zu Hause war) bemüht,
einen Vergleich zwischen den Partheien zu Stande zu bringen.
Pistor stand Kleist viel näher als Friedrich von Raumer. Das
Duell unterblieb. Natürlich werden sich die Gegner auf einer
mittleren Linie vereinigt haben: die noch nicht unerkennbar
geworden ist. Kleist nahm die Herausforderung zurück, empfing
aber von Raumer die zuerst (oben S. 160) verweigerte
Zusage, daß er beim Staatskanzler die Entschädigungssache
des Abendblattes mündlich vorbringen werde, in einer Weise,
bei der irgend Etwas für Kleist herauskommen solle. Dies steht
alles in Kleists Schreiben an Hardenberg vom 10. März
1811, das wir als den von den Partheien genehmigten officiellen
Abschluß der Vergleichsverhandlungen zu betrachten haben,
mit klaren Worten zu lesen. Der mündliche Vortrag Raumers
bei Hardenberg fand wirklich und beglaubigt statt. Woraufhin
Hardenberg Kleist eröffnete (11. März 1811): daß nach
dieser genügenden Aufkärung der Sache ihm von keiner Seite
eine weitere Entschuldigung oder Rechtfertigung nöthig erscheine.
Ich nehme außerdem noch von Hardenbergs Constatirung,
daß die früheren Mißverständnisse weder durch <163:>
Schuld eines Dritten, noch durch vorsätzlichen Irrthum
entstanden und herbeigeführt worden seien, deswegen
Notiz, weil Raumers nachträgliche Beschuldigung gegen
Adam Müller dadurch entkräftet wird. Kleist faßte den Bescheid
als ein Zurückweichen der Regierungsseite auf und sprach das
auch im weiteren Verfolg der Entschädigungssache aus. Eine
Demüthigung lag für ihn nicht in dem Ausgang des Ehrenhandels,
und ebensowenig offenbarte sich damals Etwas wie eine traurige
oder verdüsterte Stimmung seines Gemüthes.
Im Gegentheil: ihn stärkte das Gefühl, sich seinen
viel mächtigeren Gegnern gegenüber moralisch behauptet zu
haben. Seine zuversichtliche Stimmung lesen wir aus seinen
an Fouqué gerichteten Zeilen heraus, die von jedem Zwangsstil
öffentlicher Eingaben frei sind. Da ergeht er sich ungenirt
gegen den ganzen Tisch von Räthen und Schreibern, die mit
erbärmlicher diplomatischer List alle ihm persönlich und durch
die dritte Hand gegebenen Versprechungen abläugneten, weil
sie nicht schriftlich mit Wachs und Petschaft abgefaßt seien:
(doch) bin ich, mit meiner dummen deutschen Art, bereits
eben so weit gekommen, als nur ein Punier hätte kommen können;
denn ich besitze eine Erklärung, ganz wie ich sie wünsche,
über die Wahrhaftigkeit meiner Behauptung von den Händen des
Staatskanzlers selbst; er ist überzeugt, daß er die
Sache doch ins Reine bringen werde; er fühlte sich also, wenigstens
moralisch, nicht unterlegen. Die Abendblätter führte er, um
sein öffentlich gegebenes Versprechen zu erfüllen, mit dem
ganzen Aufgebot seiner zähen Energie bis an das Ende des Quartals,
unterstützt von wenigen Getreuen, die bei ihm ausharrten,
unter ihnen Achim von Arnim. Mit Kuhn muß er sich vereinigt
haben: als eins der Mittel, mit denen er bezahlte, bezeichne
ich die Lieferung der Novelle Die Verlobung (in
St. Domingo) in Kuhns Freimüthigen 1811, wo <164:>
sie durch die Nummern vom 25. März bis zum 5. April
sich hindurchschiebt, mit dem sichtlichen Zwecke, die Leser
des ersten Quartals mit sanfter Gewalt in das zweite hinüberzugeleiten.
Als am 30. März 1811 das letzte der Berliner
Abendblätter erschien, wandte es sich nicht in üblicher Weise
mit dankenden Abschiedsworten an die geneigten Leser. Noch
lange nicht gebeugtes Widerstandsgefühl meldete sich vielmehr
von neuem in einer kurzen Schlußanzeige an:
Anzeige.
Gründe, die hier nicht angegeben werden können, bestimmen
mich, das Abendblatt mit dieser Nummer zu schließen. Dem Publiko
wird eine vergleichende Uebersicht dessen, was diese Erscheinung
leistete, mit dem, was sie sich befugt glaubte, zu versprechen,
sammt einer historischen Construktion der etwanigen Differenz,
an einem anderen Orte vorgelegt werden.
H. v. K.
Wer Preßzustände kennt, weiß, daß gerade die wirksamsten Kundgebungen,
scheinbar an eine unbegrenzte Oeffentlichkeit sich wendend
und von Tausenden gelesen, doch nur ganz wenige und bestimmte
Personen, von denen sie verstanden werden, ins Auge fassen.
So war auch Kleists Schluß-Anzeige nur auf Wenige, die
sie verstehen würden, berechnet und eingerichtet. Zu den Wenigen
gehörte Friedrich von Raumer, dem Kleist mit der Veröffentlichung
seines Materials im Auslande gedroht hatte. Die Staatskanzlei
mußte, nach diesem frisch abgegebenen Allarmschusse, von neuem
wieder auf der Wacht sein. Aber in besserer Erwägung unterließ
Kleist den öffentlichen Angriff. Ein Kleist durfte sich nicht
mit Anderen, die in gleicher Lage so verfahren wären, in Eine
Linie stellen. Ja, als er ein Halbjahr später aus eigenem
Entschlusse den Kampf abbrach, <165:> hat er mit seinen
Papieren auch das über seine Abendblätter Angesammelte und
etwa Aufgezeichnete vernichtet.
Das Hardenbergische System ist, politisch gefragt
und politisch geantwortet, in dem großen Kampfe siegreich
gewesen. Was bedeutet daneben das zerbrochene Geschick eines
Einzelnen, selbst eines Kleist! Das Hardenbergische System
war, wie das Napoleonische, weit entfernt von Preßfreiheit.
Ein hauptstädtisches Organ, in dem die märkisch-preußische
Opposition, nach der Erdrückung der Abendblätter, noch hätte
reden dürfen, gab es nun nicht mehr. In der Oeffentlichkeit,
soweit sie wenigstens durch Zeitungen repräsentirt werden
kann, war dem Reformwerk der Jahre 1810 und 1811 glatte Bahn
geschaffen.
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