Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 153-157
13. Vergeblicher Versuch, die
Abendblätter Kleists durch Müllers Staatsanzeigen
zu ersetzen.
Davon, daß der Opposition der
Grundbesitzer und Adeligen Kleists Abendblätter wieder
verschlossen werden sollten, muß man rechtzeitig unterrichtet
gewesen sein. Sofort entstand ein Plan zur Gegenwirkung gegen
diese Absicht. Adam Müller trat damit hervor. Am 26. Januar
1811 reichte er dem Staatskanzler eine Ankündigung der von
ihm im Verein mit politischen Freunden herauszugebenden Staatsanzeigen
zur Genehmigung ein. Der Titel war von ihm, glaub ich, nach
den Staatsanzeigen seines 1809 verstorbenen Göttingischen
Lehrers August Ludwig von Schlözer gewählt worden. Diese,
den Bedürfnissen ihrer Zeit entsprechend, hatten einen universal-historischen
Einfluß ausgeübt und europäische Reformgedanken in die Wirthschaft
der deutschen Kleinstaaten eingebürgert, während der einer
würdigen Freiheit ergebene Carl Friedrich von Moser den Ausschweifungen
der herrschenden Schule sich gründlich und erfolgreich widersetzte.
Auf diesem immerhin nothwendigen Umwege war durch Schlözers
Staatsanzeigen doch eine tiefere und kräftigere Würdigung
des Vaterländischen für die Zukunft vorbereitet worden. Adam
Müller wollte jetzt in seinen Staatsanzeigen die
vaterländische Aufgabe angreifen und zu lösen suchen. Den
Plan trug er gewiß schon lange in sich. Vaterländisch
hieß jetzt bei ihm preußisch; denn Westphälisch
und Rheinbündisch galt ihm und seinen Freunden als antinational.
Die letzten Erfahrungen auf dem Gebiete der preußischen Staatsumformung
gaben dem Schriftstücke, das Müller Hardenberg einreichte,
die Bestimmung des Zieles und die Farbe des Wortes. Es lautete:
<154:>
Ankündigung.
Die großen Gegenstände der innern Staatsadministration und
Gesetzgebung, welche in diesem Augenblick, zumal in Preußen,
jeden Freund des Vaterlandes und der bürgerlichen Ordnung
beschäftigen, verdienen, besonders von ihrer rechtlichen
Seite, eine fortlaufende öffentliche Erörterung. Die Zeiten
haben sich geändert, und erleuchtete Regierungen provociren
selbst die freimüthige und bescheidene Untersuchung der Grundsätze,
welche ehemals ein Arcanum der wenigen zur wirklichen Herrschaft
berufenen waren. Wenn alte und ganz neue Zustände verflochten
werden sollen, so wird auch billig keine Stimme verschmäht
werden, die aus einem klaren Herzen kommt und die sich in
die wirklich bestehende Ordnung fügt.
Unter dem Beistande wahrer, der Rechte des Landes
Kundigen werden zu jenen erheblichen Zwecken erscheinen:
Staatsanzeigen
herausgegeben
von
Adam Müller.
Ihrer Ansicht und ihres reinen Willens gewiß werden der Herausgeber
und seine Freunde zur Beruhigung und Vereinigung der Gemüther
aus allen Kräften wirken. Die auswärtigen Angelegenheiten
sind unbedingt ausgeschlossen.
Ueber die künftige Haltung dieser Staatsanzeigen konnte Hardenberg
nach dem Wortlaute und den Männern, die sich zusammenthaten,
keinen Augenblick im Unklaren sein. Der Hinweis darauf, daß
die rechtliche Seite jetzt ein Augenmerk verdiene, ließ durchblicken,
daß Rechte in Preußen verletzt worden seien. Wessen Rechte?
und von wem? verstand sich von selbst. Dennoch hatte Hardenberg
wohl kein Mittel in Händen, das Erscheinen der Staatsanzeigen
von vornherein zu verbieten. Wenn auch nicht mit der drängenden
Schnelligkeit, mit der er eigenhändig Sack den Freimüthigen
Gedanken über die Verordnung vom 27. October von
Friedrich Buchholz, da er gegen den Inhalt derselben
nichts zu erinnern habe, das Imprimatur zu ertheilen
befahl (24. November 1810), so gestattete er doch nach
einiger Zeit, am 4. Februar 1811, die <155:> Herausgabe
der Staatsanzeigen. Am 7. Februar bereits stand Adam
Müllers Ankündigung in Kleists Abendblättern zu
lesen.
Die von den nun bald zusammentretenden Deputirten
behandelten Gegenstände boten für die Staatsanzeigen Stoff
die Fülle. Am 4. April überreichte Müller seinem Censor
Gruner einen vom Geheimrath von Goldbeck abgefaßten Aufsatz.
Jetzt aber machte Gruner im Verein mit Hardenberg, oder Hardenberg
im Verein mit Gruner denn nach der die höhere
politische Censur regelnden Cabinets-Ordre waren zweifelhafte
Fälle zur Entscheidung des Staatskanzlers selbst zu bringen
durch dilatorische Behandlung der Dinge das Erscheinen der
Staatsanzeigen unmöglich. Die Staatskanzlei rührte sich nicht.
Am 5. April bittet Müller um Antwort und stellt Gruner
zugleich einen Artikel vom Grafen Larisch in Aussicht. Keine
Entscheidung. Am 10. April urgirt Müller: Ew. Hochwohlgeboren
können unmöglich Anstand nehmen, der freien Erörterung eines
Gegenstandes, über den sich die Regierung noch nicht ausgesprochen
hat, nämlich der Idee einer National-Repräsentation, das schon
gestern Mittags versprochene Imprimatur zu ertheilen, ebensowenig,
als es vor einem Jahre dem Herrn von Raumer untersagt worden
ist, mit ganz andrer Dreistigkeit über die Einkommensteuer
seine Meinung zu sagen. Man bemerke den Hieb gegen Raumer,
der noch als Rath in der Staatskanzlei arbeitete. Wiederum
keine Entscheidung. Nach Hardenbergs Eingangsjournal
(14. 4. 1811) reichte Müller nunmehr während der
nächsten Tage dem Staatskanzler selbst zu seinem bereits übergebenen
Anschlag der gegenwärtigen Gutsrevenüen einen ihm für die
Staatsanzeigen eingesandten Gegenanschlag ein. Keine Entscheidung.
Am 18. April bittet Müller von Gruner alles Manuscript
zurück: Da es zwar für den Herrn von <156:> Cölln,
aber nicht für mich eine Censur in diesem Lande giebt, und
da ich heute, nach den von Ew. Hochwohlgeboren mir wiederholten
und sich auf die Rückkehr des Herrn Staatskanzlers Excellenz
von Tempelberg beziehenden Versprechungen, von Herrn von Raumer
den Bescheid erhalte, daß Se. Excellenz nicht Zeit hätten
Sich mit meinen Angelegenheiten zu beschäftigen, so bleibt
mir nichts übrig, als mein und sehr verehrungswürdiger Männer
Eigenthum zurückzufordern. Man bemerke den neuen Ausfall
gegen Cölln, dem seine eben erschienenen Marterialien
für die preußische staatwirthschaftliche Gesetzgebung,
nach den Acten vom 6. April 1811, den mündlichen
Dank des Staatskanzlers eingetragen hatten. Auch jetzt
noch keine Entscheidung. Da fordert nun Müller am 19. April
energisch von Gruner seine Manuscripte, da ich (wie
er sagt) nicht bloß mir selbst, sondern den Herren von Marwitz
und Goldbeck deshalb verantwortlich bin. Müller mußte
in Folge dessen die Staatsanzeigen aufgeben, und da er einseitig
von seinem Contracte mit dem Verleger zurücktrat, machte er
einen bedeutenden Geldverlust: gerade wie es Heinrich von
Kleist mit seinen Abendblättern erging. Eine Anstellung im
preußischen Staatsdienste, die man Müller sehr schlau immer
in Aussicht ließ, verlor sich in die Unmöglichkeit.
Adam Müllers Staatsanzeigen traten erst nach
den Freiheitskriegen, 1816, und nun natürlich als Deutsche
Staatsanzeigen, zu Leipzig ins Leben. Wie sie einst Kleists
Berliner Abendblätter ablösen sollten, so setzten sie jetzt
den von demselben Staatskanzler verbotenen Rheinischen
Merkur Joseph Görres fort. Neben Müller schrieben
in die Deutschen Staatsanzeigen Wilhelm von Schütz (=Lacrimas),
preußischer Landrath und bald Ritterschaftsdirector, Professor
Krug in Leipzig, der Gatte von Kleists einstiger Braut
Wilhelmine von Zenge, und Hofrath Ludolph Beckedorff, <157:>
der das in den Abendblättern angerührte Thema über die Ständische
Commission jetzt in sich folgenden Aufsätzen, die repräsentative
Verfassung betreffend, wieder aufnahm.
Ich habe die Zeugnisse über die Erdrückung der Staatsanzeigen
Müllers 1811 in voller Urkundlichkeit sprechen lassen.
Sie gestatten und zwingen, der Theorie und Praxis des Hardenbergschen
Systems bis auf den Grund zu sehen. Welche tiefe Erbitterung
mußte königstreue Patrioten, wie Larisch, Goldbeck u. a.
ergreifen! Die Erdrückung der Staatsanzeigen hat eine verzweifelte
Aehnlichkeit mit der Zugrundrichtung der Abendblätter.
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