Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 141-152
12. Die veränderte allgemeine
Lage und drei neue politische Artikel in den Abendblättern.
Plötzlich aber tauchen doch
wieder drei politische Artikel an drei sich folgenden Tagen
auf: am 17., 18. und 19. Januar 1811. Ihr Inhalt sind finanz-technische
Vorschläge; allgemeine, zwischen Anerkennung und Tadel durchschlüpfende
Betrachtungen über die neuen Gesetze; Aeußerungen über die
Ständische Commission. Wir fragen: wie erklärt
sich diese merkwürdige Erscheinung?
Die Antwort gibt der Umschwung der politischen Lage
<142:> von damals und die Berührung der ihn herbeiführenden
Männer mit dem Kreise Heinrichs von Kleist.
In den Provinzen und auf dem platten Lande war die
Bewegung gegen die neuen Reformen so stark geworden, daß sie
sich nicht mehr zurückdrängen ließ. Hardenberg mußte einlenken.
Am 27. December 1810 richtete er an sämmtliche Regierungen
einen von ihm selbst verfaßten Erlaß, in dem es hieß: obgleich
durch die theils erlassenen, theils entworfenen Gesetze die
Grundlagen fest ständen, auf welchen künftig die innere Verwaltung
und Administration der Finanzen, besonders aber das Abgaben-System
beruhen sollen, so erforderten doch die verschiedenen örtlichen
Verhältnisse mehrere von hier aus nicht vollständig zu übersehende
Modificationen. Deshalb sei beschlossen worden, tüchtige Männer
aus den verschiedenen Ständen und Behörden zur Berathung spätestens
zum 20. Januar 1811 nach Berlin zu berufen. Zu
den Berufenen gehörte für die Mark der Geheimrath und Landschaftsdirector
v. Goldbeck auf Blumberg, für Glatz-Münsterberg in Schlesien
der Graf Larisch (oben S. 39). Ich nenne nur diese Namen,
weil sie im Rahmen meiner Darstellung später wieder erscheinen
werden. Im übrigen war auch der Adel aus den Provinzen, seiner
gesellschaftlichen und politischen Pflichten wegen, in diesem
Winter äußerst zahlreich nach Berlin gekommen. Eine Verbindung
mit Heinrich von Kleist und seinen Freunden stellte sich auf
ganz natürlichem Wege her. In der christlich-deutschen Tischgesellschaft
traf man sich auch mit denen, die vorübergehend in Berlin
sich aufhielten. Dabei gab es gar nichts zu verbergen. Die
Staatskanzlei und alle Welt wußte das. Als nun der Censur
für die Abendblätter wieder politische Artikel vorgelegt wurden,
die gewissermaßen eine Erörterung der schwebenden Fragen einzuleiten
schienen, muß die Regierung es für opportun gehalten haben,
die eben <143:> erst büreaukratisch durchgedrückten
Censurbestimmungen außer Kraft zu setzen. So dürfen uns die
drei politischen Artikel der Abendblätter als Vorverhandlungen
zu den Verhandlungen der Deputirten-Conferenz gelten. Nicht
von einem Verfasser und in einem Sinne sind
die drei Artikel geschrieben. Sie wollen mehr discutiren,
als schon eine feste, regierungsfreundliche oder - feindliche
Ansicht vertreten.
Der erste Artikel erörtert die Fragen: Sind
die Termine, in welchen jetzt die Zins- und Kapital-Zahlungen
der Creditsysteme im preußischen Staat geschehen, für die
jetzigen Zeiten noch passend? und können die Zins-Coupons
nicht die Stelle des baaren Geldes ersetzen? Der Zusammenhang
mit den damaligen finanz-politischen Veränderungen liegt klar.
Nach dem Edict vom 27. October 1810 sollten die neu zu
gewinnenden Einkünfte mit dazu verwandt werden, um alle
laufenden Zinsen, vom 1. Januar 1811 an (mithin zuerst
am 1. Juli 1811), sowohl von den ausländischen, als inländischen
Staatsschulden, desgleichen von denen der Geld-Institute des
Staats, als namentlich von der Bank und der Seehandlung in
den ursprünglich bestimmten Terminen zu bezahlen. Die
Finanz-Section erließ gerade um die Wende des Jahres in der
Vossischen und Spenerschen Zeitung eine Reihe von Stägemann
allein oder von ihm und Oelssen gezeichneter Ausführungsbestimmungen.
Den in der Praxis fühlbaren Schwierigkeiten möchte nun der
Autor des ersten Artikels der Abendblätter abhelfen. Da in
Schlesien, in Pommern, in den Marken und in Ost- und Westpreußen
die Zahlung der Pfandbriefs-Zinsen, ebenso die Realisirung
der Pfandbriefe selbst, und alle übrigen Geldleistungen zu
den gleichen Halbjahresterminen zu erfolgen hätten, so werde
dem Verkehr in einem bei den gegenwärtigen Zeitläuften höchst
bedenklichen Maße das klingende Courant entzogen. Man <144:>
möge daher ungleiche Zahlungstermine für die einzelnen Provinzen
einrichten und die Zinscoupons mehr umlauffähig machen, damit
sie die Stelle des baaren Geldes vertreten. Bis dahin könnte
man den Artikel eher als einen finanz-technischen,
denn als einen finanz-politischen bezeichnen. Es wird
auch versichert, daß die Bemerkungen schon im Jahre 1808 geschrieben
worden seien. Erst am Schlusse verräth die noch schnell aufgeworfene
Frage:
ob es überall nicht rathsam sein dürfte, das Creditsystem
jetzt auf alle städtische und ländliche Grundstücke, wenigstens
auf Grund und Boden, auszudehnen?
welche einer ernstlichen Untersuchung werth sei, die politische
Gesinnung des Artikelschreibers. Der Accent ist auf das Wort
städtisch zu legen. Der Autor neigt also den neuen
(Adam Smithschen), das städtische Creditwesen mehr,
als bisher im Agrarstaat Preußen geschah, begünstigenden Ideen
zu. Wir stehen hier vor den ersten Anfängen öffentlicher Discussion
über Dinge, die noch 1899 im Preußischen Abgeordnetenhause
verhandelt worden sind. Die Unterzeichnung in den Abendblättern
ist e: ich habe kein sicheres historisches
Hilfsmittel in der Hand, die Anonymität der Chiffre aufzulösen.
Anders steht es mit dem zweiten politischen Artikel.
Es sei voraus an den schon früher laut gewordenen Widerspruch
der ländlichen Grundbesitzer gegen die neuen Finanzgesetze
erinnert. Das Staatsarchiv bewahrt eine große Zahl von Eingaben
an den König und den Staatskanzler aus allen Theilen der Monarchie.
Der Ton, der in ihnen angeschlagen wird, überschreitet das
Glaubliche. Die Cabinets-Ordres, die Hardenberg dagegen extrahirte,
nahmen bei energisch zurückweisender Sprache doch auch gern
den Ton diplomatischer Vertröstung und besänftigenden Zugeständnisses
an. Hardenberg verfaßte die Texte so, daß sie gedruckt werden
konnten. Eine huldvolle Ant- <145:> wort war auf die
ehrfurchtsvolle aber eindringliche Vorstellung
der Stolpischen Stände aus des Königs Cabinet unter dem 28. December
1810 ergangen und bekannt geworden. Sie machte großes Aufsehen,
da sie dazu bestimmt zu sein schien, den kräftig widersprechenden
Adel in Verlegenheit zu setzen. Es kam darauf an, Etwas dagegen
zu thun. Dies geschah jetzt im zweiten politischen
Artikel der Abendblätter. Er muß unmittelbar nach dem 28. December
1810 verfaßt worden sein, also an drei Wochen in Kleists
Redactionsstube gelagert haben: denn vom Finanzedict des 27. Octobers
ist, als vor acht Wochen erlassen, die Rede. Unterzeichnet
mit der indifferenten Chiffre x y, kann der Aufsatz
doch von Niemand, als von Adam Müller, verfaßt worden sein.
Er fügt sich in eine Reihe mit dem (oben S. 113
besprochenen) Schreiben aus Berlin, im Abendblatt
vom 17. December 1810. Mit der allergrößten Schlauheit
hat Müller auch hier einem im Kerne oppositionellen Artikel
das harmlose Aussehen einer nicht-regierungsfeindlichen Aussprache
über einen öffentlichen Vorgang zu geben gewußt.
Wieder wendet Müller die Briefform an. Er gewinnt
dadurch den Vortheil, Ansichten, zu denen er sich, der Censur
wegen, nicht bekennen darf, seinen fingirten Correspondenten,
als ob er sie nicht theile, in den Mund zu legen. Die erwähnte
Cabinets-Ordre gab keine weitere Auskunft über den Inhalt
der Vorstellung, der sie galt. Es bildete sich daher leicht
die Meinung, als ob sich die Stolpische Vorstellung für die
Finanzgesetze, oder wenigstens nicht gegen sie, ausgesprochen
habe. Die Gegner Hardenbergs aber wußten das besser.
Adam Müller thut nun in seinem Artikel so, als recapitulire
er blos aus guter Quelle stammende Wissenschaft seines Correspondenten,
wonach der besagte Kreis in der Vorstellung über die indirecte
Form der Besteuerung geklagt habe; die <146:> Last der
damit verbundenen Controllen lege er auseinander, und bringe
am Schluß auf unerwartete Weise den Gedanken zur Sprache,
lieber die ganze Quote der Contribution, die auf seinen Theil
falle, baar innerhalb des Raums von sechs Monaten entrichten
zu wollen. Adam Müller läßt seinen Correspondenten auch der
Ueberzeugung sein, daß die directe Besteuerung
ohne die Form der Verfassung, wie geschehen sei, anzurühren
zur Tilgung der Nationalschuld ausführbar und zweckmäßig,
mithin die neue Finanzgesetzgebung nicht nöthig gewesen wäre.
Ich habe auf dem Staats-Archiv die Vorstellung der
Stände des Stolpischen Kreises, vom 18. December 1810,
eingesehen. Sie wendet nichts gegen die Luxussteuer ein, außer
daß jedem Gutsbesitzer ein anständiger Wagen frei stehen müsse.
Gleichfalls nichts gegen die Gewerbesteuer, nur möge der Umfang
des einzelnen Gewerbes nicht zu eng begrenzt werden. Dagegen
führt sie gegen die Consumtionssteuer die Kosten ihrer Erhebung,
das nicht geeignete Beamtenpersonal, die Recherchen und Haussuchungen,
die von abhängigen Dorfleuten gegen ihren Herrn geübte Controlle,
Defraudationen und Meineid an. Der Blasenzins für Branntwein
werde auf Viehzucht, Düngererzeugung und Landwirthschaft schädlichen
Einfluß haben. Die Bemessung der Grundsteuer müsse nicht nur
nach der Fläche, sondern auch nach der Qualität des Bodens
sich richten: denn sie, in Hinterpommern, hätten zwar große
Güter, aber wenig nutzbares Eigenthum und feindseliges Klima.
Nicht so scharf, wie bei Müller, kommt in der Eingabe der
Gedanke der baaren Zahlung der Contributionsquote heraus:
Müllers Gewährsmann, wohl einer der in Berlin anwesenden
Mitunterzeichner der Stolpischen Eingabe, mag hier mehr nach
seinem eigenen Geschmack berichtet haben. Durchgängig sind
die Ausführungen sehr <147:> sachlich und ruhig gehalten:
Stände hoffen demnach, Majestät werden abhelfen, wenigstens
mildern\*\.
Er wolle, fährt Müller im Artikel der Abendblätter
fort, seinem Correspondenten zu Liebe einmal in die Meinung
einer directen Besteuerung des Landes zur Abtragung der Nationalschuld
eingehen. Aber hätten die Stände damals schon, als die allgemeine
Stimmung auf nichts gestützt sich gegen jede Art
einer directen Contribution aussprach, auch die Kraft gehabt,
eine directe Besteuerung durchzudrücken? Vielleicht habe erst
das Vorgehen der Regierung die Stände zu ihrem jetzigen Willen
genöthigt. Vielleicht sei gar die Erweckung dieses Willens
die Absicht und der Zweck der Regierung gewesen: wie Boerhaave
von einem seiner Kräfte lange Jahre nicht mehr mächtigen Holländer
erzähle, er habe bei plötzlich einbrechender Feuersgefahr
die Thüre seines Zimmers eingesprengt. Zwar verwahrt sich
Adam Müller, daß er der Regierung bei so viel preiswürdigen
und gesegneten Schritten nichts als eine Absicht dieser secondairen
Art unterlegen wolle, obgleich er ihr doch gerne die
sie von der indirecten zur directen Besteuerung zurückführende
Brücke bauen möchte. Er schließt mit der Anmahnung, zur Regierung
Vertrauen zu fassen und das Urtheil vor der Vollendung des
Reformwerkes einstweilen gefangen zu nehmen: genau so, wie
er taktisch in dem früheren Schreiben aus Berlin
verfahren war. <148:>
Der letzte Artikel, der über Ständische Commission,
ist der actuellste von den dreien. Hardenbergs
ursprünglich auf den 20. Januar berufene Deputirten-Conferenz
war damals das Ereigniß, um welches sich jedes politische
Gespräch drehte. Die entschiedenen Reformfreunde sahen darin
die ersten Ansätze zur Entwickelung der von Hardenberg im
Edict vom 27. October 1810 der Nation verheißenen zweckmäßig
eingerichteten Repräsentation, die sie sich nach dem
Vorbilde des englischen Parlaments gestaltet dachten. Die
Männer altpreußischer Gesinnung bekämpften überhaupt den Gedanken
einer National-Repräsentation neuester Art, da sie nur die
Macht der Krone zu verringern geeignet sei. Deshalb bestritten,
consequenter Weise, die Vertreter der Kurmark in ihrer Eingabe
vom 7. Januar 1811, zwischen deren Unterzeichnern der
Name Friedrichs von der Marwitz für Lebus steht, dem
Staatskanzler die ministerielle Befugniß, die Stimmung und
Wünsche der Kurmark durch andere öffentliche Organe zu vernehmen,
als durch die alten kurmärkischen Landstände, die schleunigst
zu versammeln seien.
In diese Tagesfrage also geht der dritte politische
Artikel der Abendblätter ein. Unterzeichnet ist er L. B.
Das bedeutet Ludolph Beckedorff, Kleists, Arnims,
Müllers Freund. Beckedorff hatte unter dem 8. December
1810 dem Staatskanzler ein Promemoria überreicht, das den
Plan entwickelte, wie der preußische Adel wieder zu beleben
sei, ein Problem, das in der damaligen Litteratur aus den
verschiedensten Gesichtspunkten behandelt wurde. Die Tendenz
des Promemorias war eine solche, daß Hardenberg es natürlich
spurlos zu den Acten schrieb: 3. Januar 1811.
So ist auch Beckedorffs Abendblatt-Artikel über
Ständische Commission, trotz aller Milde und Vorsicht
des Ausdrucks, im Grunde wieder ein Oppositionsartikel gegen
die herrschende <149:> Richtung. Beckedorff lobt zwar
die ergangene Ernennung einer Commission zur gutachtlichen
Berathung als eine der weisesten Maßregeln, welche die
Regierung habe ergreifen können, aber eigentlich doch
nur zu dem Zwecke, um desto bestimmter der von seinen politischen
Freunden befürchteten, von deren Gegnern herbeigesehnten Ausbildung
einer vollständigen National-Repräsentation zu widersprechen:
Es werden dadurch die thörichten Erwartungen Derjenigen
vollständig zu Schanden, welche sich nichts Geringeres versprochen
haben, als eine allgemeine ständische Versammlung mit gesetzgebender
Gewalt, einen großen Reichstag gleichsam, wohl gar ein
Parlament mit Ober- und Unterhause und mit allem Zubehör von
Opposition, Stimmenmehrheit und möglichen Ministerial-Veränderungen.
Und eine eigene, nach der Sprache wohl von Kleist verfaßte
Redactions-Anmerkung verschärfte noch dieses Urtheil, indem
eine derartige Einrichtung geradezu für ein Unding
erklärt wurde: Denn eine ächte ständische Verfassung,
eine solche, als hoffentlich das Resultat der neuen Einrichtungen
sein wird, überträgt die Gesetzgebung dem Souverän, als dem
allgegenwärtigen Mittelpunkte des ganzen Staates, den Ständen
dagegen, als den gebornen und erwählten Repräsentanten der
Staatskräfte, das Geschäft, die Wünsche und Bedürfnisse der
Nation, ihr Interesse und ihr Verlangen dem Gesetzgeber immer
gegenwärtig zu erhalten. Nicht mehr, führt Beckedorff
seinen Gedanken weiter, aus dem Kampfe der verschiedenen Stände
unter einander und gegen den Oberherrn, sondern aus einem
ruhigen, besonnenen Gespräche des Staates mit und über sich
selbst müsse der Staat jetzt wachsen. Das Resultat dieses
Gespräches sei die öffentliche Meinung: welche daher
ein weiser Staatsmann keineswegs leiten oder beherrschen zu
wollen unternehme, sondern mit welcher er sich möglichst zu
vereinbaren und zu verständigen bemüht sei. Man em-
<150:> pfindet, wie diese Anschauungen nur aus dem Glauben
an die unumschränkte Macht des Königthums entstehen konnten,
und liest zwischen den Zeilen den Vorwurf gegen Hardenberg,
daß er eine so verstandene öffentliche Meinung nicht aufkommen
lasse.
Wieder war es die feine Witterung des Oberstlieutenants
von Ompteda, die sofort merkte, worauf die Artikel hinaus
wollten. Er war mit Kleist bereits auseinder gekommen. Aber
auch unabhängig von dieser Discordanz, schrieb er seinem Bruder
(24. 1. 1811), würden die Berliner Abendblätter
schlimmer und schlimmer; they have an alacrity in sinking:
Doch haben sie einige neuerliche Aufloderungen exhibirt,
die ich Dir des Gegenstandes halber mittheile.
Dies war nun aber auch das allerletzte politische
Wort, das den Berliner Abendblättern verstattet wurde. Sie
hatten sich im staatskanzlerischen Sinne wieder nicht bewährt.
Von nun an herrscht in ihnen ein absolutes, nie mehr unterbrochenes
politisches Schweigen. Kleist erlag dem Zwange. Die mir bekannt
gewordenen Acten enthalten über das, was sich zwischen Regierung
und Redaction abgespielt haben muß, auch nicht die geringste
Andeutung. Den sich zu Ungunsten Kleists fortspinnenden
bureaukratischen Reibereien innerhalb der Censurbehörden lege
ich zwar nur secundären Werth bei. Allein zeitlich traf es
doch zusammen, daß in Folge eines Himly aufgetragenen Gutachtens
über eine anderweitige Vertheilung der zu censirenden Schriften
unter die drei bestehenden Censurbehörden (30. 12. 1810)
Küster am 26. Januar 1811 amtlich Sack eröffnete, er
könne aus Rücksichten seines Ressorts den Wunsch nicht bergen,
daß die Abendblätter für ihren nichtpolizeilichen Inhalt zur
Censur des Bibliothekars Biester kommen möchten. Ersichtlich
hatte sich also der politische Censor Himly wieder über die
seiner Censur entzogenen drei Artikel der Abendblätter (17.,
18., 19. Januar) geärgert. Das zwischen <151:>
Küster und Sack erzielte neue Abkommen, welches noch am 26. Januar
durch Cirkularerlaß allen Buchdruckern und Buchhändlern Berlins
kundgegeben wurde, bestimmte, daß sämmtliche Druckschriften
zunächst zur allgemeinen Censur Biesters zu bringen
seien, von dem die Vertheilung der periodischen Schriften
an die geeignete, politische oder polizeiliche, Censur auszugehen
habe. Biester, dem die Buchcensur verblieb, erhielt dadurch
factisch die Stellung eines Generalcensors, wenngleich dieser
Titel ihm, auf Küsters Einspruch hin, nicht beigelegt
wurde. Da in den Abendblättern aber Politisches nicht mehr
erschien, hatte Biester keine Veranlassung, sie der Censur
Gruners zu entziehen, den nach seiner Berufung in die
Staatskanzlei seit Anfang Februar 1811 der neue Polizeipräsident
von Schlechtendahl ersetzte. Diese Dinge liefen, wie gesagt,
nebenher. Ausschlaggebend für die Behandlung der Abendblätter
war zuletzt doch nur die allgemeine Gestaltung der politischen
Lage. Die von Hardenberg in die Commission berufenen Männer
zeigten nicht die erhoffte Willfährigkeit gegen die Staatskanzlei.
Die Unzufriedenheit der oppositionellen Kreise wuchs immer
bedrohlicher. Die Abendblätter wurden ihnen, nach dem kurzen
Versuche, von nun an gänzlich und für immer geschlossen. Erreicht
war, was die Staatskanzlei von den ersten Frictionen an wollte.
Und um den Preßäußerungen der Opposition auch in aller Form
Rechtens beizukommen, ließ sich der Staatskanzler durch Königliche
Cabinets-Ordre vom 25. Februar 1811 seine schon bis dahin
ausgeübten Oberrechte über die Censur formell noch in dem
Umfange feststellen, daß alle in Berlin und in der gesammten
Monarchie erscheinenden Schriften und Aufsätze, welche die
Staatsverfassung und Verwaltung beträfen, oder darauf Bezug
hätten, unter Hardenbergs Oberleitung durch den Staatsrath
Gruner censirt werden sollten. Dies war gerade zu der Zeit,
wo nach vielen Schwierig- <152:> keiten die Commission,
am 23. Februar 1811, endlich eröffnet werden konnte.
Kraft dieser Ordre wurden, in Verfügungen der Staatskanzlei
vom 8. bis 11. März 1811, alle politischen und gemischten
Artikel, sogar die Vossische und Spenersche Zeitung, der höheren
Censur Gruners unterstellt, so daß Himly, tief
gekränkt, seinen Abschied einreichte. Kleist muß daher im
März 1811 wieder Gruner zum Censor gehabt haben. Ich glaube,
daß Gruner in diesen Dingen mehr der Schiebende, als der Geschobene
war, Himly hegte einen grenzenlosen Groll gegen ihn. Aber
auch den bisherigen Freunden, vor allen Kleist, brachte Gruners
Eintritt in die Staatskanzlei nicht den Vortheil, auf welchen
von ihnen vielleicht gerechnet worden war. Es scheint fast,
daß man ihm Dinge zuschrieb, die man ihm nicht oder anders
zugetraut hätte. Nur so erklärt sich, was Arnim 1814 über
ihn zu seinem Freunde Görres äußerte. Gruner, damals Generalgouverneur
des Mittelrheins, hatte sich schnell Görres Neigung
und Vertrauen erworben, der zum schweren Mißbehagen der Regierung
in Berlin seinen Rheinischen Merkur herausgab, bis auch er
von Hardenberg unterdrückt wurde. Arnim, ohne Gruner das Menschlich-Liebenswürdige
seines Wesens abzusprechen, warnte doch Görres vor zu rückhaltlosem
Zutrauen zu den eigentlichen, Carriere machenden Beamten,
denen am Ende doch der Herr Minister über Gott und den Kaiser
gehe, und fügte illustrirend hinzu: Nach Hardenbergs
Wunsche brachte Gruner den verstorbenen Heinrich Kleist auf
sehr curiose Art um sein Abendblatt, das er mit recht viel
Nutzen in Berlin herausgab. Es wirkten dabei gewiß die
Erfahrungen ein, die Arnim selbst als Mitarbeiter der Abendblätter
mit Gruners Censur gemacht hatte, und wir werden diese
Stimmung als die seiner Zeit im Kleistischen Kreise herrschende
betrachten dürfen.
\*\ Aus den Acten
des Geh. Staatsarchivs theile ich noch folgendes kleine persönliche
Nachspiel mit. Am 12. Januar 1811 meldete dem Staatskanzler
der Gutsbesitzer von Kösteritz auf Labehn bei Stolp in Hinterpommern,
daß der Inhalt der Vorstellung auf seinen Gedanken und Ansichten
beruhe. Er wolle verkaufen und bitte um Anstellung im Staatsdienste.
9. März 1811 dankt Hardenberg, legt Kösteritz ein weiteres
Wirken für die neuen Gesetze ans Herz und stellt ihm ein Amt
bei passender Gelegenheit in Aussicht.
Die Cabinets-Ordre auf die Vorstellung des Stolpischen
Kreises fand ich gedruckt z. B. in der Cottaschen
Allgemeinen Zeitung 1811 Nr. 16.
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