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                   Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe 
                    (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 141-152 
                     
                    12. Die veränderte allgemeine 
                    Lage und drei neue politische Artikel in den Abendblättern. 
                     
                     
                     Plötzlich aber tauchen doch 
                    wieder drei politische Artikel an drei sich folgenden Tagen 
                    auf: am 17., 18. und 19. Januar 1811. Ihr Inhalt sind finanz-technische 
                    Vorschläge; allgemeine, zwischen Anerkennung und Tadel durchschlüpfende 
                    Betrachtungen über die neuen Gesetze; Aeußerungen über die 
                    Ständische Commission. Wir fragen: wie erklärt 
                    sich diese merkwürdige Erscheinung? 
                     Die Antwort gibt der Umschwung der politischen Lage 
                    <142:> von damals und die Berührung der ihn herbeiführenden 
                    Männer mit dem Kreise Heinrichs von Kleist. 
                     In den Provinzen und auf dem platten Lande war die 
                    Bewegung gegen die neuen Reformen so stark geworden, daß sie 
                    sich nicht mehr zurückdrängen ließ. Hardenberg mußte einlenken. 
                    Am 27. December 1810 richtete er an sämmtliche Regierungen 
                    einen von ihm selbst verfaßten Erlaß, in dem es hieß: obgleich 
                    durch die theils erlassenen, theils entworfenen Gesetze die 
                    Grundlagen fest ständen, auf welchen künftig die innere Verwaltung 
                    und Administration der Finanzen, besonders aber das Abgaben-System 
                    beruhen sollen, so erforderten doch die verschiedenen örtlichen 
                    Verhältnisse mehrere von hier aus nicht vollständig zu übersehende 
                    Modificationen. Deshalb sei beschlossen worden, tüchtige Männer 
                    aus den verschiedenen Ständen und Behörden zur Berathung spätestens 
                    zum 20. Januar 1811 nach Berlin zu berufen. Zu 
                    den Berufenen gehörte für die Mark der Geheimrath und Landschaftsdirector 
                    v. Goldbeck auf Blumberg, für Glatz-Münsterberg in Schlesien 
                    der Graf Larisch (oben S. 39). Ich nenne nur diese Namen, 
                    weil sie im Rahmen meiner Darstellung später wieder erscheinen 
                    werden. Im übrigen war auch der Adel aus den Provinzen, seiner 
                    gesellschaftlichen und politischen Pflichten wegen, in diesem 
                    Winter äußerst zahlreich nach Berlin gekommen. Eine Verbindung 
                    mit Heinrich von Kleist und seinen Freunden stellte sich auf 
                    ganz natürlichem Wege her. In der christlich-deutschen Tischgesellschaft 
                    traf man sich auch mit denen, die vorübergehend in Berlin 
                    sich aufhielten. Dabei gab es gar nichts zu verbergen. Die 
                    Staatskanzlei und alle Welt wußte das. Als nun der Censur 
                    für die Abendblätter wieder politische Artikel vorgelegt wurden, 
                    die gewissermaßen eine Erörterung der schwebenden Fragen einzuleiten 
                    schienen, muß die Regierung es für opportun gehalten haben, 
                    die eben <143:> erst büreaukratisch durchgedrückten 
                    Censurbestimmungen außer Kraft zu setzen. So dürfen uns die 
                    drei politischen Artikel der Abendblätter als Vorverhandlungen 
                    zu den Verhandlungen der Deputirten-Conferenz gelten. Nicht 
                    von einem Verfasser und in einem Sinne sind 
                    die drei Artikel geschrieben. Sie wollen mehr discutiren, 
                    als schon eine feste, regierungsfreundliche oder - feindliche 
                    Ansicht vertreten. 
                     Der erste Artikel erörtert die Fragen: Sind 
                    die Termine, in welchen jetzt die Zins- und Kapital-Zahlungen 
                    der Creditsysteme im preußischen Staat geschehen, für die 
                    jetzigen Zeiten noch passend? und können die Zins-Coupons 
                    nicht die Stelle des baaren Geldes ersetzen? Der Zusammenhang 
                    mit den damaligen finanz-politischen Veränderungen liegt klar. 
                    Nach dem Edict vom 27. October 1810 sollten die neu zu 
                    gewinnenden Einkünfte mit dazu verwandt werden, um alle 
                    laufenden Zinsen, vom 1. Januar 1811 an (mithin zuerst 
                    am 1. Juli 1811), sowohl von den ausländischen, als inländischen 
                    Staatsschulden, desgleichen von denen der Geld-Institute des 
                    Staats, als namentlich von der Bank und der Seehandlung in 
                    den ursprünglich bestimmten Terminen zu bezahlen. Die 
                    Finanz-Section erließ gerade um die Wende des Jahres in der 
                    Vossischen und Spenerschen Zeitung eine Reihe von Stägemann 
                    allein oder von ihm und Oelssen gezeichneter Ausführungsbestimmungen. 
                    Den in der Praxis fühlbaren Schwierigkeiten möchte nun der 
                    Autor des ersten Artikels der Abendblätter abhelfen. Da in 
                    Schlesien, in Pommern, in den Marken und in Ost- und Westpreußen 
                    die Zahlung der Pfandbriefs-Zinsen, ebenso die Realisirung 
                    der Pfandbriefe selbst, und alle übrigen Geldleistungen zu 
                    den gleichen Halbjahresterminen zu erfolgen hätten, so werde 
                    dem Verkehr in einem bei den gegenwärtigen Zeitläuften höchst 
                    bedenklichen Maße das klingende Courant entzogen. Man <144:> 
                    möge daher ungleiche Zahlungstermine für die einzelnen Provinzen 
                    einrichten und die Zinscoupons mehr umlauffähig machen, damit 
                    sie die Stelle des baaren Geldes vertreten. Bis dahin könnte 
                    man den Artikel eher als einen finanz-technischen, 
                    denn als einen finanz-politischen bezeichnen. Es wird 
                    auch versichert, daß die Bemerkungen schon im Jahre 1808 geschrieben 
                    worden seien. Erst am Schlusse verräth die noch schnell aufgeworfene 
                    Frage: 
                     
                    ob es überall nicht rathsam sein dürfte, das Creditsystem 
                    jetzt auf alle städtische und ländliche Grundstücke, wenigstens 
                    auf Grund und Boden, auszudehnen? 
                     
                    welche einer ernstlichen Untersuchung werth sei, die politische 
                    Gesinnung des Artikelschreibers. Der Accent ist auf das Wort 
                    städtisch zu legen. Der Autor neigt also den neuen 
                    (Adam Smithschen), das städtische Creditwesen mehr, 
                    als bisher im Agrarstaat Preußen geschah, begünstigenden Ideen 
                    zu. Wir stehen hier vor den ersten Anfängen öffentlicher Discussion 
                    über Dinge, die noch 1899 im Preußischen Abgeordnetenhause 
                    verhandelt worden sind. Die Unterzeichnung in den Abendblättern 
                    ist e: ich habe kein sicheres historisches 
                    Hilfsmittel in der Hand, die Anonymität der Chiffre aufzulösen. 
                     Anders steht es mit dem zweiten politischen Artikel. 
                    Es sei voraus an den schon früher laut gewordenen Widerspruch 
                    der ländlichen Grundbesitzer gegen die neuen Finanzgesetze 
                    erinnert. Das Staatsarchiv bewahrt eine große Zahl von Eingaben 
                    an den König und den Staatskanzler aus allen Theilen der Monarchie. 
                    Der Ton, der in ihnen angeschlagen wird, überschreitet das 
                    Glaubliche. Die Cabinets-Ordres, die Hardenberg dagegen extrahirte, 
                    nahmen bei energisch zurückweisender Sprache doch auch gern 
                    den Ton diplomatischer Vertröstung und besänftigenden Zugeständnisses 
                    an. Hardenberg verfaßte die Texte so, daß sie gedruckt werden 
                    konnten. Eine huldvolle Ant- <145:> wort war auf die 
                    ehrfurchtsvolle aber eindringliche Vorstellung 
                    der Stolpischen Stände aus des Königs Cabinet unter dem 28. December 
                    1810 ergangen und bekannt geworden. Sie machte großes Aufsehen, 
                    da sie dazu bestimmt zu sein schien, den kräftig widersprechenden 
                    Adel in Verlegenheit zu setzen. Es kam darauf an, Etwas dagegen 
                    zu thun. Dies geschah jetzt im zweiten politischen 
                    Artikel der Abendblätter. Er muß unmittelbar nach dem 28. December 
                    1810 verfaßt worden sein, also an drei Wochen in Kleists 
                    Redactionsstube gelagert haben: denn vom Finanzedict des 27. Octobers 
                    ist, als vor acht Wochen erlassen, die Rede. Unterzeichnet 
                    mit der indifferenten Chiffre x y, kann der Aufsatz 
                    doch von Niemand, als von Adam Müller, verfaßt worden sein. 
                    Er fügt sich in eine Reihe mit dem (oben S. 113 
                    besprochenen) Schreiben aus Berlin, im Abendblatt 
                    vom 17. December 1810. Mit der allergrößten Schlauheit 
                    hat Müller auch hier einem im Kerne oppositionellen Artikel 
                    das harmlose Aussehen einer nicht-regierungsfeindlichen Aussprache 
                    über einen öffentlichen Vorgang zu geben gewußt. 
                     Wieder wendet Müller die Briefform an. Er gewinnt 
                    dadurch den Vortheil, Ansichten, zu denen er sich, der Censur 
                    wegen, nicht bekennen darf, seinen fingirten Correspondenten, 
                    als ob er sie nicht theile, in den Mund zu legen. Die erwähnte 
                    Cabinets-Ordre gab keine weitere Auskunft über den Inhalt 
                    der Vorstellung, der sie galt. Es bildete sich daher leicht 
                    die Meinung, als ob sich die Stolpische Vorstellung für die 
                    Finanzgesetze, oder wenigstens nicht gegen sie, ausgesprochen 
                    habe. Die Gegner Hardenbergs aber wußten das besser. 
                    Adam Müller thut nun in seinem Artikel so, als recapitulire 
                    er blos aus guter Quelle stammende Wissenschaft seines Correspondenten, 
                    wonach der besagte Kreis in der Vorstellung über die indirecte 
                    Form der Besteuerung geklagt habe; die <146:> Last der 
                    damit verbundenen Controllen lege er auseinander, und bringe 
                    am Schluß auf unerwartete Weise den Gedanken zur Sprache, 
                    lieber die ganze Quote der Contribution, die auf seinen Theil 
                    falle, baar innerhalb des Raums von sechs Monaten entrichten 
                    zu wollen. Adam Müller läßt seinen Correspondenten auch der 
                    Ueberzeugung sein, daß die directe Besteuerung  
                    ohne die Form der Verfassung, wie geschehen sei, anzurühren  
                    zur Tilgung der Nationalschuld ausführbar und zweckmäßig, 
                    mithin die neue Finanzgesetzgebung nicht nöthig gewesen wäre. 
                     Ich habe auf dem Staats-Archiv die Vorstellung der 
                    Stände des Stolpischen Kreises, vom 18. December 1810, 
                    eingesehen. Sie wendet nichts gegen die Luxussteuer ein, außer 
                    daß jedem Gutsbesitzer ein anständiger Wagen frei stehen müsse. 
                    Gleichfalls nichts gegen die Gewerbesteuer, nur möge der Umfang 
                    des einzelnen Gewerbes nicht zu eng begrenzt werden. Dagegen 
                    führt sie gegen die Consumtionssteuer die Kosten ihrer Erhebung, 
                    das nicht geeignete Beamtenpersonal, die Recherchen und Haussuchungen, 
                    die von abhängigen Dorfleuten gegen ihren Herrn geübte Controlle, 
                    Defraudationen und Meineid an. Der Blasenzins für Branntwein 
                    werde auf Viehzucht, Düngererzeugung und Landwirthschaft schädlichen 
                    Einfluß haben. Die Bemessung der Grundsteuer müsse nicht nur 
                    nach der Fläche, sondern auch nach der Qualität des Bodens 
                    sich richten: denn sie, in Hinterpommern, hätten zwar große 
                    Güter, aber wenig nutzbares Eigenthum und feindseliges Klima. 
                    Nicht so scharf, wie bei Müller, kommt in der Eingabe der 
                    Gedanke der baaren Zahlung der Contributionsquote heraus: 
                    Müllers Gewährsmann, wohl einer der in Berlin anwesenden 
                    Mitunterzeichner der Stolpischen Eingabe, mag hier mehr nach 
                    seinem eigenen Geschmack berichtet haben. Durchgängig sind 
                    die Ausführungen sehr <147:> sachlich und ruhig gehalten: 
                    Stände hoffen demnach, Majestät werden abhelfen, wenigstens 
                    mildern\*\. 
                     Er wolle, fährt Müller im Artikel der Abendblätter 
                    fort, seinem Correspondenten zu Liebe einmal in die Meinung 
                    einer directen Besteuerung des Landes zur Abtragung der Nationalschuld 
                    eingehen. Aber hätten die Stände damals schon, als die allgemeine 
                    Stimmung auf nichts gestützt sich gegen jede Art 
                    einer directen Contribution aussprach, auch die Kraft gehabt, 
                    eine directe Besteuerung durchzudrücken? Vielleicht habe erst 
                    das Vorgehen der Regierung die Stände zu ihrem jetzigen Willen 
                    genöthigt. Vielleicht sei gar die Erweckung dieses Willens 
                    die Absicht und der Zweck der Regierung gewesen: wie Boerhaave 
                    von einem seiner Kräfte lange Jahre nicht mehr mächtigen Holländer 
                    erzähle, er habe bei plötzlich einbrechender Feuersgefahr 
                    die Thüre seines Zimmers eingesprengt. Zwar verwahrt sich 
                    Adam Müller, daß er der Regierung bei so viel preiswürdigen 
                    und gesegneten Schritten nichts als eine Absicht dieser secondairen 
                    Art unterlegen wolle, obgleich er ihr doch gerne die 
                    sie von der indirecten zur directen Besteuerung zurückführende 
                    Brücke bauen möchte. Er schließt mit der Anmahnung, zur Regierung 
                    Vertrauen zu fassen und das Urtheil vor der Vollendung des 
                    Reformwerkes einstweilen gefangen zu nehmen: genau so, wie 
                    er taktisch in dem früheren Schreiben aus Berlin 
                    verfahren war. <148:> 
                     Der letzte Artikel, der über Ständische Commission, 
                    ist der actuellste von den dreien. Hardenbergs 
                    ursprünglich auf den 20. Januar berufene Deputirten-Conferenz 
                    war damals das Ereigniß, um welches sich jedes politische 
                    Gespräch drehte. Die entschiedenen Reformfreunde sahen darin 
                    die ersten Ansätze zur Entwickelung der von Hardenberg im 
                    Edict vom 27. October 1810 der Nation verheißenen zweckmäßig 
                    eingerichteten Repräsentation, die sie sich nach dem 
                    Vorbilde des englischen Parlaments gestaltet dachten. Die 
                    Männer altpreußischer Gesinnung bekämpften überhaupt den Gedanken 
                    einer National-Repräsentation neuester Art, da sie nur die 
                    Macht der Krone zu verringern geeignet sei. Deshalb bestritten, 
                    consequenter Weise, die Vertreter der Kurmark in ihrer Eingabe 
                    vom 7. Januar 1811, zwischen deren Unterzeichnern der 
                    Name Friedrichs von der Marwitz für Lebus steht, dem 
                    Staatskanzler die ministerielle Befugniß, die Stimmung und 
                    Wünsche der Kurmark durch andere öffentliche Organe zu vernehmen, 
                    als durch die alten kurmärkischen Landstände, die schleunigst 
                    zu versammeln seien. 
                     In diese Tagesfrage also geht der dritte politische 
                    Artikel der Abendblätter ein. Unterzeichnet ist er L. B. 
                    Das bedeutet Ludolph Beckedorff, Kleists, Arnims, 
                    Müllers Freund. Beckedorff hatte unter dem 8. December 
                    1810 dem Staatskanzler ein Promemoria überreicht, das den 
                    Plan entwickelte, wie der preußische Adel wieder zu beleben 
                    sei, ein Problem, das in der damaligen Litteratur aus den 
                    verschiedensten Gesichtspunkten behandelt wurde. Die Tendenz 
                    des Promemorias war eine solche, daß Hardenberg es natürlich 
                    spurlos zu den Acten schrieb: 3. Januar 1811. 
                     So ist auch Beckedorffs Abendblatt-Artikel über 
                    Ständische Commission, trotz aller Milde und Vorsicht 
                    des Ausdrucks, im Grunde wieder ein Oppositionsartikel gegen 
                    die herrschende <149:> Richtung. Beckedorff lobt zwar 
                    die ergangene Ernennung einer Commission zur gutachtlichen 
                    Berathung als eine der weisesten Maßregeln, welche die 
                    Regierung habe ergreifen können, aber eigentlich doch 
                    nur zu dem Zwecke, um desto bestimmter der von seinen politischen 
                    Freunden befürchteten, von deren Gegnern herbeigesehnten Ausbildung 
                    einer vollständigen National-Repräsentation zu widersprechen: 
                    Es werden dadurch die thörichten Erwartungen Derjenigen 
                    vollständig zu Schanden, welche sich nichts Geringeres versprochen 
                    haben, als eine allgemeine ständische Versammlung mit gesetzgebender 
                    Gewalt, einen großen Reichstag gleichsam, wohl gar ein 
                    Parlament mit Ober- und Unterhause und mit allem Zubehör von 
                    Opposition, Stimmenmehrheit und möglichen Ministerial-Veränderungen. 
                    Und eine eigene, nach der Sprache wohl von Kleist verfaßte 
                    Redactions-Anmerkung verschärfte noch dieses Urtheil, indem 
                    eine derartige Einrichtung geradezu für ein Unding 
                    erklärt wurde: Denn eine ächte ständische Verfassung, 
                    eine solche, als hoffentlich das Resultat der neuen Einrichtungen 
                    sein wird, überträgt die Gesetzgebung dem Souverän, als dem 
                    allgegenwärtigen Mittelpunkte des ganzen Staates, den Ständen 
                    dagegen, als den gebornen und erwählten Repräsentanten der 
                    Staatskräfte, das Geschäft, die Wünsche und Bedürfnisse der 
                    Nation, ihr Interesse und ihr Verlangen dem Gesetzgeber immer 
                    gegenwärtig zu erhalten. Nicht mehr, führt Beckedorff 
                    seinen Gedanken weiter, aus dem Kampfe der verschiedenen Stände 
                    unter einander und gegen den Oberherrn, sondern aus einem 
                    ruhigen, besonnenen Gespräche des Staates mit und über sich 
                    selbst müsse der Staat jetzt wachsen. Das Resultat dieses 
                    Gespräches sei die öffentliche Meinung: welche daher 
                    ein weiser Staatsmann keineswegs leiten oder beherrschen zu 
                    wollen unternehme, sondern mit welcher er sich möglichst zu 
                    vereinbaren und zu verständigen bemüht sei. Man em- 
                    <150:> pfindet, wie diese Anschauungen nur aus dem Glauben 
                    an die unumschränkte Macht des Königthums entstehen konnten, 
                    und liest zwischen den Zeilen den Vorwurf gegen Hardenberg, 
                    daß er eine so verstandene öffentliche Meinung nicht aufkommen 
                    lasse. 
                     Wieder war es die feine Witterung des Oberstlieutenants 
                    von Ompteda, die sofort merkte, worauf die Artikel hinaus 
                    wollten. Er war mit Kleist bereits auseinder gekommen. Aber 
                    auch unabhängig von dieser Discordanz, schrieb er seinem Bruder 
                    (24. 1. 1811), würden die Berliner Abendblätter 
                    schlimmer und schlimmer; they have an alacrity in sinking: 
                    Doch haben sie einige neuerliche Aufloderungen exhibirt, 
                    die ich Dir des Gegenstandes halber mittheile. 
                     Dies war nun aber auch das allerletzte politische 
                    Wort, das den Berliner Abendblättern verstattet wurde. Sie 
                    hatten sich im staatskanzlerischen Sinne wieder nicht bewährt. 
                    Von nun an herrscht in ihnen ein absolutes, nie mehr unterbrochenes 
                    politisches Schweigen. Kleist erlag dem Zwange. Die mir bekannt 
                    gewordenen Acten enthalten über das, was sich zwischen Regierung 
                    und Redaction abgespielt haben muß, auch nicht die geringste 
                    Andeutung. Den sich zu Ungunsten Kleists fortspinnenden 
                    bureaukratischen Reibereien innerhalb der Censurbehörden lege 
                    ich zwar nur secundären Werth bei. Allein zeitlich traf es 
                    doch zusammen, daß in Folge eines Himly aufgetragenen Gutachtens 
                    über eine anderweitige Vertheilung der zu censirenden Schriften 
                    unter die drei bestehenden Censurbehörden (30. 12. 1810) 
                    Küster am 26. Januar 1811 amtlich Sack eröffnete, er 
                    könne aus Rücksichten seines Ressorts den Wunsch nicht bergen, 
                    daß die Abendblätter für ihren nichtpolizeilichen Inhalt zur 
                    Censur des Bibliothekars Biester kommen möchten. Ersichtlich 
                    hatte sich also der politische Censor Himly wieder über die 
                    seiner Censur entzogenen drei Artikel der Abendblätter (17., 
                    18., 19. Januar) geärgert. Das zwischen <151:> 
                    Küster und Sack erzielte neue Abkommen, welches noch am 26. Januar 
                    durch Cirkularerlaß allen Buchdruckern und Buchhändlern Berlins 
                    kundgegeben wurde, bestimmte, daß sämmtliche Druckschriften 
                    zunächst zur allgemeinen Censur Biesters zu bringen 
                    seien, von dem die Vertheilung der periodischen Schriften 
                    an die geeignete, politische oder polizeiliche, Censur auszugehen 
                    habe. Biester, dem die Buchcensur verblieb, erhielt dadurch 
                    factisch die Stellung eines Generalcensors, wenngleich dieser 
                    Titel ihm, auf Küsters Einspruch hin, nicht beigelegt 
                    wurde. Da in den Abendblättern aber Politisches nicht mehr 
                    erschien, hatte Biester keine Veranlassung, sie der Censur 
                    Gruners zu entziehen, den nach seiner Berufung in die 
                    Staatskanzlei seit Anfang Februar 1811 der neue Polizeipräsident 
                    von Schlechtendahl ersetzte. Diese Dinge liefen, wie gesagt, 
                    nebenher. Ausschlaggebend für die Behandlung der Abendblätter 
                    war zuletzt doch nur die allgemeine Gestaltung der politischen 
                    Lage. Die von Hardenberg in die Commission berufenen Männer 
                    zeigten nicht die erhoffte Willfährigkeit gegen die Staatskanzlei. 
                    Die Unzufriedenheit der oppositionellen Kreise wuchs immer 
                    bedrohlicher. Die Abendblätter wurden ihnen, nach dem kurzen 
                    Versuche, von nun an gänzlich und für immer geschlossen. Erreicht 
                    war, was die Staatskanzlei von den ersten Frictionen an wollte. 
                    Und um den Preßäußerungen der Opposition auch in aller Form 
                    Rechtens beizukommen, ließ sich der Staatskanzler durch Königliche 
                    Cabinets-Ordre vom 25. Februar 1811 seine schon bis dahin 
                    ausgeübten Oberrechte über die Censur formell noch in dem 
                    Umfange feststellen, daß alle in Berlin und in der gesammten 
                    Monarchie erscheinenden Schriften und Aufsätze, welche die 
                    Staatsverfassung und Verwaltung beträfen, oder darauf Bezug 
                    hätten, unter Hardenbergs Oberleitung durch den Staatsrath 
                    Gruner censirt werden sollten. Dies war gerade zu der Zeit, 
                    wo nach vielen Schwierig- <152:> keiten die Commission, 
                    am 23. Februar 1811, endlich eröffnet werden konnte. 
                    Kraft dieser Ordre wurden, in Verfügungen der Staatskanzlei 
                    vom 8. bis 11. März 1811, alle politischen und gemischten 
                    Artikel, sogar die Vossische und Spenersche Zeitung, der höheren 
                    Censur Gruners unterstellt, so daß Himly, tief 
                    gekränkt, seinen Abschied einreichte. Kleist muß daher im 
                    März 1811 wieder Gruner zum Censor gehabt haben. Ich glaube, 
                    daß Gruner in diesen Dingen mehr der Schiebende, als der Geschobene 
                    war, Himly hegte einen grenzenlosen Groll gegen ihn. Aber 
                    auch den bisherigen Freunden, vor allen Kleist, brachte Gruners 
                    Eintritt in die Staatskanzlei nicht den Vortheil, auf welchen 
                    von ihnen vielleicht gerechnet worden war. Es scheint fast, 
                    daß man ihm Dinge zuschrieb, die man ihm nicht oder anders 
                    zugetraut hätte. Nur so erklärt sich, was Arnim 1814 über 
                    ihn zu seinem Freunde Görres äußerte. Gruner, damals Generalgouverneur 
                    des Mittelrheins, hatte sich schnell Görres Neigung 
                    und Vertrauen erworben, der zum schweren Mißbehagen der Regierung 
                    in Berlin seinen Rheinischen Merkur herausgab, bis auch er 
                    von Hardenberg unterdrückt wurde. Arnim, ohne Gruner das Menschlich-Liebenswürdige 
                    seines Wesens abzusprechen, warnte doch Görres vor zu rückhaltlosem 
                    Zutrauen zu den eigentlichen, Carriere machenden Beamten, 
                    denen am Ende doch der Herr Minister über Gott und den Kaiser 
                    gehe, und fügte illustrirend hinzu: Nach Hardenbergs 
                    Wunsche brachte Gruner den verstorbenen Heinrich Kleist auf 
                    sehr curiose Art um sein Abendblatt, das er mit recht viel 
                    Nutzen in Berlin herausgab. Es wirkten dabei gewiß die 
                    Erfahrungen ein, die Arnim selbst als Mitarbeiter der Abendblätter 
                    mit Gruners Censur gemacht hatte, und wir werden diese 
                    Stimmung als die seiner Zeit im Kleistischen Kreise herrschende 
                    betrachten dürfen. 
                     
                    \*\ Aus den Acten 
                    des Geh. Staatsarchivs theile ich noch folgendes kleine persönliche 
                    Nachspiel mit. Am 12. Januar 1811 meldete dem Staatskanzler 
                    der Gutsbesitzer von Kösteritz auf Labehn bei Stolp in Hinterpommern, 
                    daß der Inhalt der Vorstellung auf seinen Gedanken und Ansichten 
                    beruhe. Er wolle verkaufen und bitte um Anstellung im Staatsdienste. 
                    9. März 1811 dankt Hardenberg, legt Kösteritz ein weiteres 
                    Wirken für die neuen Gesetze ans Herz und stellt ihm ein Amt 
                    bei passender Gelegenheit in Aussicht. 
                     Die Cabinets-Ordre auf die Vorstellung des Stolpischen 
                    Kreises fand ich gedruckt z. B. in der Cottaschen 
                    Allgemeinen Zeitung 1811 Nr. 16. 
                     
                    
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