Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 134-141
11. Die Vossische und Spenersche
Zeitung erzielen gegen Kleist ein gänzliches Verbot politischer
Artikel.
Die Vossische und Spenersche
Zeitung waren also in dieser Auseinandersetzung von der Kleist
feindlichen Seite befaßt worden. Zu gleicher Zeit hatten sie
eigne Schritte gegen Kleist ergriffen. Und das kam so.
Wie die allererste Ankündigung der Abendblätter im September 1810,
so übersandte Kleist jetzt auch im December die neue, von der Staatskanzlei genehmigte
Ankündigung der Vossischen und Spenerschen Zeitung zu bezahltem Abdruck in ihren
Anzeigetheilen: dieselbe natürlich, die im Freimüthigen (20. December) und in den
Abendblättern selber (22. December) Gruners Censur passirte. Jetzt aber stieß
sie auf den Widerspruch des politischen Censors Himly im Auswärtigen Ministerium.
Ohne von der Art ihres Zustandekommens oder von dem durch Gruner bereits zugelassenen
Abdruck zu wissen, merkte Himly doch, daß die Staatskanzlei dahinter stecke. War doch
auch Hardenbergs Empfehlung für Kleist am 18. December im Auswärtigen
Ministerium präsentirt worden. Himly, dem das gar nicht paßte, konnte es nur erwünscht
sein, wenn die Redactionen der Vossischen und Spenerschen Zeitung, scheinbar aus freier
Entschließung, mit einer Vorstellung gegen Kleists Ankündigung hervortraten. Daß
die Vorstellung gleich an Hardenberg, und nicht im richtigen Instanzenzuge erst an den
Censor Himly gerichtet wurde, ist ein Anzeichen dafür, daß dieser Weg den Redactionen
unter den Fuß gegeben worden war. <135:>
Die Beschwerdeschrift, vom 22. December 1810 datirt, beginnt:
Das seit drei Monaten täglich allhier erscheinende sogenannte Abendblatt, zu
welchem sich Herr Heinrich von Kleist als Redactör und Eigenthümer bekennt, liefert
täglich politische Nachrichten, zu deren Bekanntmachung die unterzeichneten beiden
hiesigen Zeitungs-Expeditionen durch ein titulo oneroso erlangtes Privilegium privative
berechtigt sind. Uebereinstimmend also mit Himlys Auffassung. Dem
vorauszusehenden Einwurfe, warum sie jetzt erst, und nicht schon früher, widersprochen
hätten, begegnen die Redactionen mit der schwellenden Wendung: daß sie das ganze
Unternehmen des Herrn von Kleist für eine bloß ephemere Erscheinung gehalten hätten,
die gleich einem Meteor bald genug in sich selbst erlöschen würde. Jetzt aber
seien sie durch eine von Herrn von Kleist selbst an sie gerichtete schriftliche Eröffnung
positiv benachrichtigt,
daß das Abendblatt nicht bloß fortdauere, sondern daß es, was den politischen
Theil betrifft, vom 1. Januar des bevorstehenden Jahres an sogar noch mehr Ausdehnung
als bisher erhalten
selbst von Ew. Hochfreyherrl. Exc. mit diplomatischen und politischen Beyträgen
bereichert werden soll.
Die genaue Wiedergabe der Originalschrift war, auch der Form nach, nöthig hier, weil sie
beweist, daß außer der Ankündigung den Redactionen ein (bisher nicht aufgetauchtes)
Anschreiben Kleists vorgelegen hat; die Worte und politischen sind erst
nachträglich und mit deutschen Buchstaben zugefügt worden. In seinem die Ankündigung
erläuternden Briefe an die Redactionen hatte sich also Kleist auf Hardenberg selbst
berufen. Das positive Recht und die Pflicht der Selbsterhaltung, fahren die beiden
Redactionen fort, gebiete ihnen, gegen die unbefugten Eingriffe des Herrn von Kleist in
die ihnen verliehene Gerechtsame bei Sr. Hochfreyherrlichen Excellenz <136:>
Schutz zu suchen, um durch die Usurpationen eines blos tolerirten Blattes nicht noch
wesentlicher beeinträchtigt zu werden. Also ein neues Eingeständniß, daß die
Abendblätter zogen! Und sich gnädiger Erhörung getröstend, ersterben
Sr. Hochfreyherrlichen Excellenz unterthänig gehorsame Spenersche und Vossische
Zeitungs-Expeditionen.
Dies Vorgehen gegen Kleist wird in den Motiven verständlicher, wenn
man beachtet hat, wie die Vossische Zeitung von den Abendblättern fortgesetzt in
Theaterangelegenheiten geärgert worden war (worüber unten S. 217). Ein beiden
Zeitungen gemeinsamer Beweggrund war wirklich ihre starke Inanspruchnahme Seitens der
Staatsbehörden gerade während der letzten Wochen auf Grund des tituli onerosi.
Die von ihnen abzudruckenden Edicte der Staatskanzlei und Verfügungen der übrigen
Ministerien folgten schnell und umfangreich auf einander. Dazu trat im Monat December, als
der Widerstand gegen die neuen Finanzgesetze erwachte, eine officiöse Reihe von zu ihrer
Vertheidigung geschriebenen Artikeln.
Diese letzteren erschienen, ein Gegengewicht gegen die Seitensprünge
der Abendblätter, immer am selben Tage in den alten Berliner Zeitungen: aber nicht in
diesen allein, sondern zugleich in Breslau in der Schlesischen pivilegirten Zeitung und in
Königsberg in der Königlich Preußischen Staats-, Krieges-, und Friedens-Zeitung. Für
so wichtig hielt die Staatskanzlei die Bekämpfung der Opposition in den Hauptcentren der
Monarchie. Alle diese Artikel sind mit ¤ gezeichnet. Sie sind ohne Ausnahme geschickt
geschrieben; nicht zu lang und nicht zu kurz; verständig und verständlich bis zum Aeußersten;
schlagwortartig übertitelt. Z. B. die Frage: Was verliert, was gewinnt jeder
durch die neuen Finanzeinrichtungen? wird in der Vossischen und in der Spenerschen
Zeitung (die ich fortan allein citire) am 6. December 1810 <137:> behandelt. Am
8. December 1810: Was darf man von einem Staatsmanne nicht
verlangen? mit dem Endergebniß: das Unmögliche möglich, das Geschehene
ungeschehen zu machen. Am 11. December: Wie muß man die neuen Gesetze
betrachten? Am 13. December: Was ist das Leichteste? mit der
Antwort: das Tadeln aller Maßnahmen der Regierung; und zweitens: Was
ist das Schwerste? mit der Antwort: das Bessermachen. Diese officiösen
Artikel hatte Kleist, wie ich denke, im Auge, als er am 13. December 1810 Raumer um
die Zuwendung seiner vortrefflichen Aufsätze, welche er bisher in die Zeitungen
habe einrücken lassen, an die Abendblätter ersuchte; weshalb ich annehme, daß
Raumer der Verfasser dieser officiösen Artikel gewesen ist. Wenn nun Kleist öffentlich
für sein Abendblatt höhere Unterstützungen oder vertraulich sogar
diplomatische und politische Beiträge durch Hardenberg in Aussicht stellen durfte, so
mußten die beiden alten Berliner Zeitungen stutzig werden und für ihren Vortheil
fürchten. Ihre gemeinsame Vorstellung ging am 22. December 1810 an Hardenberg ab,
wurde schon am 24. December im Auswärtigen Ministerium dem Geheimen Staatsrath
Küster präsentirt und gelangte nun zur dienstgemäßen Erledigung an Himly.
Inzwischen durchliefen die Gruner eingereichten Vorschläge
Kleists und Hardenbergs Verwendung für denselben die gleichen Instanzen des
Auswärtigen Ministeriums. Es fanden Besprechungen zwischen dem Grafen Goltz, Küster und
Himly Statt. Mit welchem Resultate, erfahren wir aus einem großen Gutachten, das Himly
seinem Departements-Chef am 23./24. December 1810, zur Mittheilung an Hardenberg,
erstattete. Er erwähnt Eingangs die beiden (oben S. 70 und 107 behandelten)
Maßnahmen seines Ressorts gegen die Abendblätter. Die Frage aber, ob dem Herrn von
Kleist Mittheilungen von <138:> Seiten des Ministeriums der Auswärtigen
Angelegenheiten gemacht werden können? verneint er gänzlich. Sowohl
eigentlich politische Artikel, wie solche die innere Angelegenheiten
beträfen, wobei Beziehungen und Unterhandlungen mit dem Auslande stattfänden
wiederräth er ihm zu liefern. Principiell fordert er für die Abendblätter, falls sie
politische Artikel bringen dürften, dann auch die politische Censur, d. h. diejenige
des Auswärtigen Ministeriums: Gruners Censur wären sie dann entzogen gewesen.
Gegen die Zuwendung von Artikeln aber spreche das privilegirte Recht der beiden alten
Zeitungen und die aus dem wohlverstandenen Interesse des Staates fließende
Nothwendigkeit, den Debit derselben nicht zu schwächen, damit den Veröffentlichungen der
Regierung ein weiter Leserkreis nicht fehle, und dem Staate die neue Einnahme aus dem
einen Thaler jährlich betragenden Stempel für jedes Exemplar der politischen Zeitungen
nicht verkürzt werde. Alle gemischten Blätter aber, auch die Abendblätter, hätten
keinen Stempel zu tragen. Von Wichtigkeit ist der Passus am Schlusse des Gutachtens. Es
heißt da: Ob der Staat gutfinde, ein wirklich officielles Blatt selbst zu
gründen; ob er es mit den alten Instituten verknüpfen wolle oder nicht; sind freilich
Fragen von weiterem Umfange als die hier vorgelegte
Wäre es in der That Plan
der Regierung, ein officielles oder Regierungsblatt in einem völlig neuen Institute zu
gründen; so wäre nicht nur erforderlich, das Interesse der alten Institute mit
dem neuen auszugleichen, sondern auch das Interesse des Staates selbst, da derselbe
sich a) seinen Staatsanzeiger in ungestörtem soliden Gange erhalten muß,
und b) eine Stempelabgabe von zwei bedeutend debitirten Zeitungen ziehen
will. Noch also war die Gründung eines Staatsanzeigers nicht von der Tagesordnung
verschwunden, und Himly hatte den Auftrag, sich auch darüber gutachtlich zu äußern.
<139:> Er entledigte sich seines Auftrages, fast wie wenn er zum Anwalt der
Vossischen und der Spenerschen Zeitung bestellt gewesen wäre.
Aber Himly drang durch, nach Ueberzeugung des Kleistischen Kreises
heimlich von Raumer unterstützt, so daß Hardenberg in die Lage kam, Kleist dasjenige
wieder zu versagen, was er ihm persönlich und amtlich zugesagt hatte. Zu
rechter Genugthuung durfte denn auch Himly nach einer, mit Zustimmung
Sr. Excellenz des Herrn Staatskanzlers ihm ertheilten Anweisung, unter dem
29. December 1810, dem Polizeipräsidenten Gruner eröffnen, erstens:
daß den Abendblättern nur gestattet sein solle, von eigentlich politischen
Artikeln solche aufzunehmen, die in den hiesigen Zeitungen mitgetheilt seien,
d. h. nur solche, die vorher die politische Censur Himlys passirt hatten, eine
Eröffnung also, die indirect besagte, daß Gruners bisherige Censur der
entsprechenden Artikel der Abendblätter unzureichend gewesen sei. Und zweitens, in
praktischer Folge davon:
daß die Redaktion der Abendblätter in ihrem veränderten Plan in Hinsicht dieser
politischen Artikel nur anzeigen könne: daß sie auch einen Auszug der
wichtigsten Neuigkeiten des Auslandes in derselben Art, wie bisher, zu liefern bemüht
sein werde.
Diese beiden Sätze standen in offenem Widerspruch zu der schon seit mehr als acht Tagen
mit Gruners Genehmigung veröffentlichten Ankündigung und zu dem, was Kleist
officiell von Raumer und dem Staatskanzler selbst zugesichert worden war. Eine Cooperation
von Kleist entgegenwirkenden Einflüssen hatte dies Resultat hervorgebracht. Die
Zeitungsredactionen der Vossischen und Spenerschen werden selbst nicht wenig über den
günstigen Bescheid erstaunt gewesen sein, den ihnen Himly auf ihr Gesuch mündlich zu
eröffnen hatte. <140:>
Himly verlangte nun von Kleist, daß er seine Ankündigung abändere.
Da dieser sich weigerte, so trug Himly die Abänderung selber in die Censurvorlage ein,
und mit der folgenden Variante gegen den oben S. 123 mitgetheilten Text
Außerdem wird in dem Bulletin der öffentlichen Blätter in derselben Art, als es
bisher geschehen, ein Auszug der wichtigsten Nachrichten des Auslandes mitgetheilt
werden
wurde Kleists Ankündigung der Abendblätter in der Spenerschen Zeitung vom
1. Januar, und in der Vossischen Zeitung vom 3. Januar 1811 abgedruckt. Sachlich
für Nichteingeweihte vielleicht ziemlich bedeutungslos, für eine rechtzeitige Bestellung
der Abendblätter natürlich aber viel zu spät. Kleist war jetzt im Unmuth über die
Vorgänge nahe daran, die Redaction der Abendblätter förmlich an August Kuhn abzutreten.
Doch wieder hoffte er, daß die Schwierigkeiten mit der Censur sich legen würden. Diese
in ihm wechselnden Stimmungen sprach er am 1. Januar 1811 seinem Freunde Friedrich
Schulz brieflich aus.
Die Schwierigkeiten mit der Censur legten sich aber nicht, sondern
drückten immer härter. Keiner von Kleists Freunden konnte helfen. Der arme
Kerl, schrieb Arnim auf Neujahr 1811 an Wilhelm Grimm nach Cassel, hat seine
bittre Noth mit der Censur, der wegen einiger dem hiesigen Ministerio anstößiger
Aufsätze beinahe gar nichts mehr abdrucken darf. Hättest Du wohl gedacht, daß der
Raumer, zu dem ich Dich, wenn ich nicht irre, einmal (1809) führte, einmal den Staat
durch den Staatskanzler beherrschen würde? Gruner mußte den neuen
Censuranordnungen Hardenbergs gehorchen; jede Abweichung würde eine Anzeige des ihm
aufpassenden Himly und eine Rüge zur Folge gehabt haben. Zudem wollte er sich seine
bevorstehende Beförderung aus dem undankbaren Polizeiamte, das ihm fast täglich, nach
Ausweis <141:> der Acten, von seinen vorgesetzten Dienststellen bis zum Königlichen
Cabinet hinauf persönlich nicht verdiente Mahnungen, Mißbilligungen, Verweise zuzog,
nicht gefährden; er wurde auch unter dem 5. Februar 1811 als Staatsrath in
Hardenbergs Kanzlei berufen und gewann sehr bald in Censurangelegenheiten einen
Einfluß, durch den er seinen bisherigen Quälern, namentlich Himly und Küster, reichlich
heimzahlen konnte. Die Berliner Abendblätter hielt Gruner vom 1. Januar 1811 ab
gänzlich unpolitisch. Die polizeilichen Tages-Mittheilungen und Bülletins der
öffentlichen Blätter, die bisher als Anhängsel behandelt waren, drängen sich jetzt
anschwellend an die Spitze der einzelnen Stücke; und nur noch mit einer Anekdote,
Erzählung und Betrachtung, meist von sich selbst, seltener von seinen Freunden, sucht
Kleist Anfangs noch jedem Stücke Etwas zu geben, das im Sinne seiner Weltanschauung Werth
und Wirkung habe. Aus den Ministerien und der Staatskanzlei ging kein einziger Artikel
ein. Die Versprechungen, die man Kleist gemacht hatte, sind nicht gehalten worden.
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