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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 120-134

10. Neue Quartals-Anzeige und Verlegerwechsel.


In diese Kleist fortwährend erregenden Wirren mengte sich nun die Sorge, die mit dem Verlagswechsel der Berliner Abendblätter, nach dem ersten Quartal ihres Bestehens, verbunden war. <121:>
Der Beifall und der wachsende Absatz, den die feste Haltung der Abendblätter anfänglich erzielte, verlor sich in dem Maße, als durch die Einwirkung der Staatskanzlei die Gesammttendenz der Artikel eine verwirrende Unbestimmtheit für das Publicum annahm. Friedrich von Raumer’s Mittheilung an Solger (oben S. 89) bezeugt uns zuerst, daß die Abendblätter im December anfingen, zurückzugehen. Diese Erscheinung konnte dem Verleger Hitzig nicht gleichgültig sein, da es ihm in erster Linie auf den Verdienst ankam. Wäre er ein Gesinnungs- oder Standesgenosse Kleist’s und seiner Freunde gewesen, so hätte die ganze Angelegenheit für ihn eine andere Bedeutung gehabt. Seiner Herkunft, seinen Anschauungen nach stand Hitzig den neuen preußischen Reformen innerlich verwandt gegenüber. Als Schriftsteller und geistige Capacität wurde er von den exclusiv vornehmen Mitgliedern der Kleistischen Gruppe nicht als voll angesehen und mußte sich begnügen, mit der minder vornehmeren Schaar der übrigen Berliner Litteraten mitzugehen. Höchstens Fouqué, der mit allen Leuten briefliche Freundschaftsergüsse empfindsamen Angedenkens wechselte, machte eine Ausnahme, die einem klugen Kopfe wie Hitzig kaum genügen konnte. Das Verhältniß zwischen Redacteur und Verleger der Abendblätter wurde sehr bald ein unbefriedigendes. Ein Bruch stand bevor, wenn Kleist keine besseren Garantien, als bisher, bieten konnte. In seinem Schreiben an Hardenberg vom 3. December 1810 betonte daher Kleist, daß eine erneuerte Ankündigung der Abendblätter für den Lauf des nächsten Quartals erscheinen müsse, und unter vorsichtiger Andeutung seines Entgegenkommens bat er, daß seine beigelegte kurze Ankündigung, die sich an der Spitze auf Hardenberg beziehen dürfe, die Genehmigung erhalte. Sie lautete: <122:>

Ankündigung.
Durch die Gnade Sr. Excellenz des H. Staatskanzlers Freiherrn von Hardenberg, werden die zur Erhebung und Belebung des Antheils an den vaterländischen Angelegenheiten unternommenen, und mit dem Beifall des Publicums auf unerwartete Weise beehrten
Berliner Abendblätter
von nun an officielle Mittheilungen, über alle bedeutenden, das Gemeinwohl und die öffentliche Sicherheit betreffenden Ereignisse in dem ganzen Umfange der Monarchie enthalten. Pränumerationen für das nächstfolgende Quartal müssen vor dem 1. Jan. 1811 in der Expedition der Abendblätter eingehen, indem nur diejenige Zahl von Exemplaren, auf welche sich die Bestellung beläuft, gedruckt werden wird.

Noch ist von einem Wechsel des Verlags nicht die Rede. Aber man kann dieser Ankündigung doch die Bedingungen für die Fortdauer des Verlages entnehmen. Erstens: officielle Berufung auf den Staatskanzler, anstatt der Kleist angeblich privatim eröffneten Aussichten – und Zweitens: Sicherung des Absatzes und der Höhe der Auflage von jetzt ab durch Pränumeration, anstatt des bisherigen freien buchhändlerischen Vertriebes der Abendblätter. Diese Ankündigung vermochte aber Kleist nicht durchzusetzen.
Alles was Kleist von der Staatskanzlei, in Verhandlungen mit Raumer, erlangen konnte, war die in den wesentlichen Punkten verwischte, in ihrer Erweiterung aber den bisherigen Charakter der Abendblätter verschiebende Form der Ankündigung, die lautete:

Ankündigung.
Durch höhere Unterstützungen werden die zur Erhebung und Belebung des Antheils an den vaterländischen Angelegenheiten unternommenen und mit dem Beifall des Publicums auf unerwartete Weise beehrten
Berliner Abendblätter
in zwei Punkten, vom 1sten Januar 1811 an, folgende wesentliche Ausdehnung erhalten; nämlich: <123:>
1) Werden dieselben in wöchentlichen Darstellungen specielle Mittheilungen über alle, das Gemeinwohl und die öffentliche Sicherheit betreffende interessante Ereignisse, in dem ganzen Umfange der Monarchie, enthalten.
2) Wird das Bülletin der öffentlichen Blätter ausführlicher, als es bisher geschehen ist, einen Auszug der wichtigsten, neu angekommenen, officiellen Nachrichten des Auslandes communiciren, und in so fern, da das Blatt täglich erscheint und der Abgang der Posten zu seiner täglichen Versendung benutzt werden kann, eine Art von Vorläufer der Zeitungen werden.
Alles Uebrige bleibt, wie es ist. Die Veränderungen der vaterländischen Gesetzgebung, zuvörderst der nächste und würdigste Gegenstand der allgemeinen Theilnahme, werden, nach wie vor, mit unbefangenem patriotischen Geiste gewürdigt, die bedeutendsten Erscheinungen der Literatur angezeigt und das Theater, in einem periodisch wiederkehrenden Artikel, einer kurzen und gründlichen Kritik unterzogen werden. Das Ganze wird, wie bisher, zunächst von der Liebe für Vaterland und König, und, in weiterer Beziehung, vom Eifer für alles Gute in allen Ständen und Wirkungskreisen, durchdrungen sein. –
Redaktion der Berliner Abendblätter.

Diese Fassung muß in Kleist’s Besprechungen mit Raumer um den 13. December 1810 vereinbart worden sein. Man fühlt den Unterschied zwischen der ersten und dieser zweiten Fassung. Die ursprüngliche Geschlossenheit des Programmes verläuft sich mehr in die Breite. Auf die alten Zeitungen wird vorbeugend Rücksicht genommen. Und blicken wir auf die thatsächliche Entwickelung der Abendblätter während ihres zweiten Quartals, von Neujahr bis Ostern 1811 voraus, so ist zu constatiren, daß die neu versprochenen „wöchentlichen Darstellungen“ überhaupt gar nie einsetzen; daß die Aufsätze über die Veränderungen der vaterländischen Gesetzgebung fast versiegen; und daß das bisher ja schon vorhandene Bulletin der öffentlichen Blätter aus anfänglich bescheidenem Umfange zu außerordentlicher Masse anschwillt. Theater und Litteratur <124:> finden auch fast keine Pflege mehr, wiewohl noch Heinrich von Kleist am 1. Januar 1811 dem früher schon gelegentlich für sein Blatt recensirenden Friedrich Schulz die förmliche Uebernahme des Theater-Artikels antrug.
Auf dieses Programm hin muß Hitzig die Weiterführung des Verlages abgelehnt haben. Denn unmittelbar darauf sehen wir Kleist nach anderer Seite hin in Verhandlungen eintreten. Es hat sich ein Briefchen Kleist’s vom 17. December 1810 erhalten, „lieber Hofrath“ überschrieben (bei Zolling S. CXXV). Der bisher nicht erkannte Adressat ist der Hofrath Römer, mit dessen litterarischer, nicht tief gehender Betriebsamkeit Kleist längere Zeit schon Verbindung hatte. Römer war gerade um diese Zeit Theilhaber der Societäts- Buchhandlung von C. Salfeld geworden (vergl. Voss. Zeitung vom 10. Januar 1811), in deren Verlage ein von Dr. Rockstroh redigirtes Journal für Kunst und Kunstwerke, Künsteleien und Mode erschien, das auch Kleist für seine Abendblätter benutzte. Aber nicht mit Römer und Salfeld allein verhandelte Kleist, sondern zu gleicher Zeit auch noch mit August Kuhn, dem Inhaber des Kunst- und Industrie-Comptoirs, in dessen Verlage der Freimüthige erschien. Römer hatte bereits seine Bedingungen gemacht, die Kleist befriedigten, und hatte sich, wie es scheint, geneigt erklärt, das Geschäftliche mit Hitzig zu ordnen. Wahrscheinlich hing Kleist bei Hitzig durch aufgenommene Vorschüsse, die nun beim Wechsel des Verlages und in Folge der verdrießlichen Auseinandersetzungen zurückzuzahlen waren. Das kleine Schriftstück verstattet keinen sichern Blick in die Dinge, aber ich glaube, daß Römer das Blatt loskaufen und förmlich in Besitz nehmen sollte. Kleist wäre dann nicht mehr Redacteur gewesen, hätte aber, ohne den Censurdruck unmittelbar zu fühlen, freier fortarbeiten können. Immer von dem großen Absatze, den das Blatt im Publicum finden <125:> werde, überzeugt, redete er Römer zu, bei dieser Unternehmung ein 20 oder 30 Thaler nicht anzusehen. Aber die Noth stand hinter ihm. Er bat sich, außer dem Stipulirten (dessen Höhe wir nicht kennen), sogleich 50 Thaler als Vorschuß aus, wofür er persönlich mit seiner Ehre haften wollte.
Ob diese Forderung vielleicht für Römer unannehmbar, oder aber Kuhn’s Anerbieten für Kleist günstiger war: wir wissen es nicht mit urkundlicher Sicherheit, da jedes Zeugniß darüber fehlt. Der neue Contract legte Kuhn die Verlagskosten und eine Verbindlichkeit von 800 Thalern jährlichen Honorars gegen Kleist auf, der seinerseits die Verpflichtung übernahm, den von den übrigen Tageszeitungen abweichenden Charakter der Abendblätter durch eigene und officielle Artikel zu erhalten. Mit diesem Einkommen hätte Kleist, wenn alles gut gegangen wäre, als Junggeselle wohl leben können, und seine Dichtungen hätten ihm doch auch einen guten Zuschuß bringen müssen. Der Contract mit Kuhn war auf Grund des mit den Behörden officiell vereinbarten Programms zu Stande gekommen, und demgemäß ließ Kuhn die Ankündigung in der 253. Nummer des Freimüthigen, vom 20. December 1810, und zwar an der Spitze des Blattes in recht sichtbaren Lettern abdrucken. Daran schloß Kuhn die Mittheilung an das Publicum, daß seine Buchhandlung nunmehr den Verlag, von Neujahr 1811 an, übernommen habe und die Abendblätter pünktlich werde weiter erscheinen lassen. Die Abendblätter würden nicht blos für den ganzen preußischen Staat, sondern auch für das Ausland von höchstem Interesse sein. Preis derselbe wie bisher: 18 Groschen Courant für das Vierteljahr. Wöchentlich zweimalige Versendung im selben Packete mit dem Freimüthigen nach Leipzig und Hamburg. Dieselbe Ankündigung Kleist’s und dieselbe Nachricht Kuhn’s <126:> brachte auch das 72. Abendblatt vom 22. December 1810\*\. Im Freimüthigen wie im Abendblatt ist die Kuhn’sche Nachschrift „den 17. December 1810“ datirt: ein Beweis dafür, daß Kleist in der That an dem nämlichen Tage, an welchem er dem Hofrath Römer brieflich die Vorschläge Kuhn’s meldete, noch mit diesem letzteren abgeschlossen hat.
Gegen Kleist erhoben sich jetzt zwei Gegner: der bisherige Verleger Hitzig und das Voß-Spenersche Zeitungspaar: Hitzig öffentlich, Voß-Spener im staatlichen Beschwerdewege. Die beiden Gegnerschaften aber vielleicht nicht ohne Fühlung mit einander.
Ich habe früher schon darauf hingewiesen, daß wir keine Kenntniß von den einzelnen Stufen haben, auf denen die Entfremdung zwischen Kleist und Hitzig vorwärtsging, und habe die Differenz aus der allgemeinen Verschiedenheit der beiden Charaktere zu erklären gesucht. In Hitzig’s schriftlichem Nachlasse (soweit er gegenwärtig in meine Hände gegeben ist) befindet sich heute kein einziges Blatt, das auf diese Vorgänge, ja auf die Abendblätter überhaupt, auch nur von ferne deutete. Und doch ist nicht denkbar, daß die Dinge keinen Niederschlag irgend welcher Art, schwarz auf weiß, hinterlassen haben sollten. Es müsssen also gerade diese Papiere früher vernichtet worden sein. Wir können uns daher nur an dasjenige halten, was beide Partheien öffentlich haben drucken lassen.
Hitzig hatte nicht verhindern können, daß Kleist in das 72. Abendblatt die neue Ankündigung und die Anzeige des Verlagswechsels einrückte. Ein paar Nummern, vom 22. December bis Neujahr 1811, wären also noch (mit Ausschluß der Sonn- und Weihnachtsfeiertage) von dem alten <127:> Verlage zu liefern gewesen. So dachten wenigstens Kleist und Kuhn. Hitzig aber ließ in Format und Typen der Abendblätter ein besonderes (und deswegen nicht miteinpaginirtes) Blatt „An das Publikum“ drucken, welches er als eine Beilage zum 72. Stück mitvertheilte. Es enthielt in scharfer, aber nicht persönlich werdender Sprache seinen Widerspruch und seine sofortige Lossage von den Abendblättern. „Mit dem heutigen 72sten Stücke (vom 22. December 1810) schließt versprochenermaßen das erste Abonnements-Quartal der Abendblätter“, beginnt Hitzig und verweist den Leser, wie zu seiner Rechtfertigung, auf die Anzeige vom 1. October 1810 hinter dem 1. Stücke der Abendblätter. Man schlage oben vor S. 49 das Facsimile nach. Die „Redaction“ (d. h. Kleist, nicht Hitzig) erklärt: „das Blatt erscheine täglich, mit Ausschluß des Sonntags; das Abonnement betrage vierteljährig, also für 72 Stück, achtzehn Groschen klingendes Courant, das einzelne Blatt dagegen koste 8 Pfennig.“ Was Kleist sagen wollte, ist klar: nämlich daß es vortheilhafter sei, auf das ganze Quartal zu abonniren, weil in dem Falle die Nummer nur 4 Pfennig (d. i. ungefähr 18 gute Groschen = 22½ Silbergroschen, durch 72), im Einzelkauf dagegen das Doppelte, nämlich 8 Pfennig, koste; auch sonst ist in den Abendblättern nur vom Vierteljahrs-Abonnement und von der Lieferung derselben in Monatsheften die Rede. Indem sich Hitzig also auf Kleist’s unbedachte 72 bezog, spielte er eine formelle Finesse, nicht ein sachliches Recht, gegen ihn aus. Kleist war wieder der „Reingelegte“ und seine „dumme deutsche Art“ brauchte für Spott nicht zu sorgen. „Es wird also in diesem Jahre (1810), wenigstens bei mir, kein Stück mehr davon erscheinen,“ fährt Hitzig fort, „und auch für das nächstfolgende hat das Kunst- und Industrie-Comtoir hierselbst den Verlag <128:> übernommen.“ Man bemerke die Sinnwidrigkeit des zweiten, mit „und“ angeknüpften Satzes; da muß zuerst etwas Anderes gestanden haben, das als unhaltbar aufgegeben wurde. Um so mehr, als dann folgt: „An jenes (das Kuhn’sche Comtoir) hat man sich also mit Bestellungen in Hinsicht der Fortsetzung zu wenden.“ Und nun schließt Hitzig mit der Erklärung: „Ich habe keinen Antheil mehr an der Expedition des Blattes, so wie ich ihn an dessen Redaction nie gehabt, was ich hiedurch ausdrücklich bemerke.“ Diese letzte, ganz unverlangte Erklärung ist für die Erkenntniß der bei dem Streite spielenden Motive von Wichtigkeit. Sie bestätigt, die Abendblätter waren suspect. Man compromittirte sich mit ihnen. Hitzig kam es darauf an, sie gänzlich von sich abzuschütteln. Diese Erklärung richtete sich in ganz andere Bureaux, als in die Redactionsstube Heinrich’s von Kleist.
Der neue Verleger und Kleist faßten nun Hitzig sofort an den beiden schwachen Stellen seiner Kundgebung. Er galt in Geschäfts- und Geldangelegenheiten als sehr genau auf seinen Vortheil bedacht; man äußerte sich zum Theil im Umgang und in Briefen recht drastisch über ihn. Es war sehr leicht, Hitzig’s Weigerung, die paar fehlenden Nummern zu liefern, auf seine Knauserei zu schieben. Im nächsten, 73. Abendblatt, vom 24. December, zeigte also Kuhn für seine Handlung an: „da der vorige Herr Verleger der Berliner Abendblätter nicht die Schuldigkeit gegen das Publicum beobachtet habe, die Blätter bis zum Schlusse des Jahres zu liefern, so habe das Kunst- und Industrie-Comptoir sich für verpflichtet gehalten, diese Schuld abzutragen.“ Und Kleist selbst zieh Hitzig in einer „Berichtigung“ öffentlich der Unwahrheit, indem er ihn auf die Abendblätter festzunageln suchte. Der Erklärung, daß Hitzig an der Redaction keinen Theil genommen, sehe er sich genöthigt zu widersprechen: „Sowohl die Ankündigung der <129:> Abendblätter Anfang Octobers, incl. der an den Linden und Straßenecken angeschlagenen Affichen, als auch mehrere, unter dem Strich befindliche, buchhändlerische Anzeigen, im Blatte selbst, rühren von seiner Hand her.“ Dies war richtig und von Hitzig’s Seite unbestreitbar. Es enthalten auch wirklich einzelne der buchhändlerischen Anzeigen, zu denen noch zwei besondere litterarische Beilagen mit der Ueberschrift „Interessante neue Schriften aus allen Fächern, welche bei I. E. Hitzig, hinter der katholischen Kirche Nr. 3, zu haben sind“ hinzutreten, ein Urtheil oder eine sachliche Empfehlung Hitzig’s. Im ganzen aber ist dessen Einwirkung auf die Redaction nicht erheblich gewesen.
Die beiden Erklärungen müssen Hitzig scharf gebissen haben. Er schien in Sachen der Redactions-Betheiligung nicht ganz correct, in Sachen der 72 Nummern mindestens kleinlich verfahren zu sein, während Kuhn’s Buchhandlung der seinigen gegenüber sich einen noblen Anstrich geben konnte. Die Geschichte hatte für ihn eine unerwartete Wendung genommen. Er verlor die Ruhe. Mit der Abfassung zweier Entgegnungen, beide vom 25. December datirt, verdarb er sich den ersten Weihnachtstag, und versandte sie in Berlin an die Vossische und die Spenersche Zeitung, nach Dresden an die Zeitung für die elegante Welt. In der letzteren erschienen sie aber erst in Nr. 2 vom 3. Januar 1811, wo sie lauteten:

Oeffentliche Danksagung.
An Herrn Heinrich von Kleist, betreffend
seine Berichtigung in Nro. 73 der Berliner Abendblätter.
Es geschah häufig im Laufe des ersten Abonnements- Quartals der Berliner Abendblätter, daß man, wenn man ihren Inhalt langweilig, oder boshaft, oder unverständlich fand, mich als Verleger darüber zur Rede setzte: warum ich nicht für anderen Stoff sorgte? – und so mir die Ehre erzeigte, mir einigen Einfluß bei der Redaktion derselben zuzuschreiben. <130:>
Diese unverdiente Ehre von mir abzulehnen, war der Zweck meiner Anzeige bei Nro. 72
„daß ich an der Redaktion nie Theil genommen“
und ich bin also Herrn von Kleist sehr verbunden, daß er mir vor dem Publikum unaufgefordert hat bezeugen wollen, daß nur die Buchhändlerischen Anzeigen des Blattes und in dem Blatte meinen, der übrige Inhalt desselben aber, der jene Beschwerden veranlaßt, seinen Antheil daran ausmachen.Berlin, den 25. Dezember 1810.
I. E. Hitzig, Buchhändler.

Und, in unmittelbarem Anschluß daran, die
Erklärung
über die Anzeige des Kunst- und Industrie-Comptoirs
in Nro. 73 der Berliner Abendblätter.
Bei dem höchstgeringen Interesse, welches das Publikum in den letzten Monaten des laufenden Vierteljahres an den Berliner Abendblättern zeigte, glaubte ich demselben eben kein sehr dankenswürdiges Geschenk zu machen, wenn ich ihm einige Stücke mehr, als ich versprochen, gäbe. (Ich hatte nämlich 72 Stücke versprochen, weil die Abonnenten den Bogen zu 1 Groschen erhalten sollten, 72 Viertelbogen aber 18 Bogen betragen; – die Extrablätter also sind ohnehin schon unentgeltliche Beilagen). – Der jetzige Verleger will sich, um der Schicklichkeit (?) willen, nach seinem eigenen Ausdrucke, dieß Verdienst erwerben und ich wünsche ihm von Herzen, daß man seine Großmuth erkennen, und daß es ihm gelingen möge, durch seine Liebe zum Schicklichen so zu glänzen, als durch seine Freimüthigkeit.Berlin, den 25. Dezember 1810.
I. E. Hitzig.

Und dersebe Mann, der zuerst zu Invectiven gegen seine sich vertheidigenden Gegner gegriffen hatte, erklärte diesen in einer Nachschrift, daß er über die Invectiven, die sie gegen ihn ausstoßen würden, erhaben sei. Diese „Nachschrift“, wieder unmittelbar hinter den beiden Entgegnungen abgedruckt, lautet:

N. S. Nachdem durch vorstehende Erklärungen Alles Faktische berichtiget worden, bemerke ich endlich, daß ich fernere Invektiven, weder Herrn Heinrich von Kleist, noch seines Freundes, Herrn August Kuhn, aus leicht erklärlichen Gründen, keiner Antwort würdigen werde.
Berlin, den 25. Dezember 1810.I. E. Hitzig. <131:>

Hitzig’s Feder hatte gar kein Glück mehr. Sich selbst zu bescheinigen, daß alles Factische berichtigt sei! Kleist und Kuhn, weil in geschäftlicher Verbindung, nun auch als „Freunde“ auszugeben! Und zuletzt der böse journalistische Fehler, aus einer Discussion, die er doch selbst hervorgerufen hatte, einseitig den Austritt zu erklären! Die drei Schriftstücke, in ihrer sich überstürzenden Reihenfolge, gewähren den Anblick unberathener Kopflosigkeit.
Aber ehe noch die Zeitung für die elegante Welt, in den ersten Tagen des Januar 1811, in Kleist’s Hände gelangen konnte, brachten schon die Vossische und die Spenersche Zeitung gleichmäßig am 29. December 1810 eine Gegenerklärung Hitzig’s, auch wie jene vom 25. December datirt: Aber die „Danksagung“ an Kleist und die „Nachschrift“ nicht, sondern nur die Erklärung gegen Kuhn, und dazu noch in abgeänderter Gestalt. Hier heißt sie nämlich:

Erklärung über die Anzeige des Kunst- und Industrie-Comptoirs hieselbst in Nr. 73 der Berliner Abendblätter.
Herr Kuhn, jetziger Verleger der Berliner Abendblätter, hat sich erlaubt, in dem oben angegebenen Stück zu behaupten:
er trage eine Schuld für mich ab, indem er fünf Stücke mehr, als die in meinem Verlage erschienenen 72, liefern wolle.
Da nun kein rechtlicher Mann sich gefallen lassen kann, wenn ein anderer sich rühmt, seine Schulden zu bezahlen, so bemerke ich: daß, vom Anfange der Abendblätter an, nur die Rede war, den Bogen davon für den möglichst wohlfeilen Preis von 1 Gr. zu geben, daß ich diese Bedingung erfüllt, indem ich für 18 Gr. 72 Viertelbogen oder 18 Bogen und dazu noch mehrere Extrablätter unentgeldlich geliefert, und daß ich endlich bei dem Interesse, welches das Publikum in den letzten Monaten an den Abendblättern zeigte, voraussetzen mußte, daß es einige Blätter mehr, als ich ihm zugesagt, eben für kein sehr dankenswürdiges Geschenk erkennen würde!
Gegen die angebliche Berichtigung der Redaktion in dem nämlichen Stücke, 73, habe ich mich anderweitig erklärt.
Berlin, den 25. Dez. 1810.I. E. Hitzig, Buchhändler.

<132:> Die gleiche Tendenz der beiden Fassungen ist klar. Sie unterscheiden sich so, daß die in die Elegante Zeitung gelieferte die Gegner durch Ironie, die der Berliner Zeitungen aber durch Beweisführung schlagen will. Man fragt sich verwundert: Hat Hitzig am ersten Weihnachtstag auch noch dieses vierte Schriftstück, ein schon fertiges umgestaltend, abgefaßt? hat er die Erklärung wegen seiner Betheiligung an den Abendblättern, die für Berlin viel wichtiger war, freiwillig fortgelassen? Ich glaube Beides nicht. Vielmehr müssen die Vossische und die Spenersche Zeitung, die in diesen Tagen gerade gemeinsame Schritte gegen die Concurrenz Kleist’s und seiner Abendblätter bei den Staatsbehörden eingeleitet hatten, aus Gründen der Opportunität für den Abdruck der gesammten drei Schriftstücke nicht zu haben gewesen sein. Geschehen aber mußte Etwas. Hitzig gestaltete daher in der reichlichen Zwischenzeit bis zum 29. December die Antwort an den neuen Verleger um. Daß sie, obwohl vom 25. December datirt, doch erst später so zurecht gemacht wurde, beweist meines Erachtens der auf die Erklärung gegen Kleist hinweisende Schlußsatz. Denn wirklich am 25. December geschrieben, hätte es in natürlicher Sprache heißen müssen: „Gegen die angebliche Berichtigung der Redaktion … erkläre ich mich anderweitig“ – und nicht: „habe ich mich anderweitig erklärt.“
Sofort rückten die Abendblätter, am 31. December, mit einer Duplik heraus. Die wuchtige und drückende Sprache Heinrich’s von Kleist vernehmen wir:

Duplik
(auf Herrn Hitzig’s Replik im letzten Stück
der Berliner Zeitungen).
Wenn Hr. Buchhändler I. E. Hitzig doch, der Wahrheit zu Ehren, gestehen wollte, daß er Unrecht hatte, die Lieferung der Abendblätter bei dem 72sten Stück abzubrechen: die unterzeichnete Buchhandlung fordert ja die Kosten der für ihn bis zum 1sten Jan. 1811 nachgelieferten Blätter <133:> nicht zurück. Der Vierteljahrgang, den er versprach, besteht nicht aus 12 Wochen, woraus er 12×6=72 Blätter herausrechnet, sondern aus 13 Wochen und 1 Tag, welches 79, oder wenigstens, nach Abzug der beiden Stücke für die Weihnachtsfeiertage, 77 Blätter beträgt. Würde er, wenn der Verlag der Abendblätter bei ihm geblieben wäre, das Abonnement für den nächstfolgenden Vierteljahrgang, statt am 1sten Januar, wie es sich gehört, am 24sten December eingezogen und denselben den 16ten März (wiederum 8 Tage zu früh) geschlossen haben? Erklärungen, wie die von ihm im letzten Stück der Berliner Zeitungen erlassene, geben Stoff zu Randglossen, und kosten ja eben das Geld, um dessen Ersparniß es ihm, bei jener Maasregel, zu thun war. – Uebrigens besagen ja auch seine Quittungen über das Abonnements-Geld deutlich genug: daß er das erste Quartal (nicht 72 Blätter) bezahlt erhalten habe.

Der moralische Sieg neigte sich damit unzweifelhaft auf Kleist’s Seite. Kleist hatte den Gegner mit Geringschätzung behandelt, ohne Winkelzüge. Ich glaube nicht fehl zu greifen, wenn ich die allerletzte, das letzte Abendblatt von 1810 schließende, und darum tz gezeichnete Miscelle als mit auf Hitzig gemünzt deute. Es heißt da:

Falstaff bemerkt, in der Schenke von Eastcheap, daß er nicht bloß selbst witzig, sondern auch Schuld sei, daß andere Leute (auf seine Kosten) witzig wären. Mancher Gimpel, den ich hier nicht nennen mag, stellt diesen Satz auf den Kopf. Denn er ist nicht bloß selbst albern, sondern auch Schuld daran, daß andere Leute (seinem Gesicht und seinen Reden gegenüber) albern werden.

Das Spiel mit dem Worte „witzig“ soll doch wohl auf den ähnlichen Klang des Hitzig’schen Namens hinlenken. Gewiß nicht ohne Absicht steht auch das doppelsinnige Wort „Kosten“ da. Das „Gesicht“ würde auf die significante Form der Nase sticheln. Denn sieht man sich in Shakespeare’s „Heinrich dem Vierten“ nach den Unterlagen für die ganze Miscelle um, so findet man, daß Kleist zwei Scenen: die wo Falstaff in Eastcheap Bardolph wegen seines Gesichtes, d. h. wegen der Nase in sinem Gesichte, hänselt (I, 3, 3), und diejenige wo Falstaff auf der Straße in London zu seinem Pagen den <134:> witzigen Ausspruch thut (II, 1, 2), gedächtnißmäßig in Eins zusammengezogen hat. Auf Hitzig’s dreifache Erklärung in der Eleganten Zeitung, die erst nach dieser Auseinandersetzung in Berlin bekannt wurde, ist von Kleist nicht erwidert worden.

\*\ Hier hat aber Kleist, außer ein paar belanglosen Aenderungen, für das „höchste“ Interesse, das Staat und Ausland an seinem Blatte nach Kuhn haben würden, bescheiden nur ein „bedeutendes“ Interesse eingesetzt.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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