Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 77-84
5. Kleists Compromißverhandlungen
mit Friedrich von Raumer und der Staatskanzlei.
Als Friedrich von Raumer 1861
seine Lebenserinnerungen als Commentar seiner
Briefwechsel herausgab, war er achtzig Jahre alt. Niedergeschrieben
wird er sie nicht <78:> sehr viel früher haben. Sie
umspannen nicht den ganzen Raum seines Lebens, sondern reichen
etwa bis an Goethes Tod. Um die Zeit war Raumer
zwei Jahrzehnte Professor gewesen.
In die Professur trat er 1811 aus der preußischen
Regierungscarriere über, in die ihn Hardenberg gezogen hatte.
Als junger Regierungsrath an des Staatskanzlers Person attachirt,
durfte er 1810 und 1811 in Folge seiner Kenntniß und Brauchbarkeit
eine über seine kaum dreißig Jahre weit hinausgehende Rolle
spielen. Sein 1810 erschienenes System der Brittischen Besteuerung
mit Vorschlägen für Finanzreformen in Preußen läßt ihn als
einen durch Reflexion, nicht durch Erfahrung gewonnenen Anhänger
Adam Smith erscheinen. Er war für Hardenberg eine willkommene
Beute. In den Regierungsdienst berufen, handelte er ganz im
Sinne des Staatskanzlers. Aber nicht er, sondern Hardenberg
trug für das, was durch seinen jungen Rath geschah, die Verantwortung.
Der Unwille und Haß, der gegen Hardenberg um sich griff, ergoß
sich auch über Raumer, während das Verdienstliche seiner Thätigkeit
vor der Oeffentlichkeit verschwand. Hardenberg gab reichlich,
was ihm zu geben nicht schwer ward; er nahm aber dafür Alles,
was Raumer besaß, und ließ ihm nur das Odium. Eine äußerlich
glänzende und innerlich unselige Stellung für Raumer, die
erklärt, weshalb er die Regierungscarriere aufgab und 1811
eine Breslauer Geschichtsprofessur für sie eintauschte.
Die Verhandlungen mit Heinrich von Kleist, die die
Cabinets-Ordre nach sich zog, wurden von Hardenberg in Raumers
Hände gelegt. Dieser hatte verwandtschaftliche und freundschaftliche
Verbindung mit Herren der jetzigen Opposition, und war auch
aus diesem Grunde der geeignete Mittelsmann. Was er aber in
dieser Zeit durchzumachen hatte, ist gewiß <79:> für
ihn stets eine peinliche Erinnerung gewesen. Peinlich, weil
er amtlich und pflichtgemäß zu Maßnahmen mitwirken mußte,
die die Zugrundrichtung der Abendblätter und am letzten Ende
doch auch die Zugrundrichtung Kleists zur nothwendigen
Folge hatten. Peinlich, weil er die Freundschaft seiner Jugendgenossen
darüber verlieren mußte. Peinlich, weil er, vielleicht auch
gegen sein Gefühl, Hardenberg zu decken hatte und nicht durch
freie Aussprache sich von diesen drückenden Dingen losmachen
konnte. Und kaum waren 1861 seine Erinnerungen mit den traurigen
Briefen von und an Kleist erschienen, so traf ihn das Loos,
daß ihm zum sechzigjährigen Amtsjubiläum, 8. 12. 61.,
Rudolf Köpke seine Studie über die Schriften Kleists
zueignete: der wie Raumer für die Wiedergeburt des Vaterlandes
gestritten habe!
Raumer selbst nennt den Streit einen ihm noch in der
Erinnerung unangenehmen Streit. Sehr zu bemerken ist die Art,
wie Raumer bei der Darstellung desselben verfährt. Kleist,
den unglücklichen Kleist, sucht er jetzt möglichst zu schonen,
in viel höherem Grade, als es in seinen Briefen und amtlichen
Maßnahmen einst geschah. Adam Müller wird dafür um so schärfer
behandelt und als der Verführer seines Freundes Kleist hingestellt,
wofür man wiederum in den Briefen und in den wirklichen Vorgängen
keine Unterlage findet. Kaum daß Raumer für Müllers
bedeutendes Talent ein anerkennendes Wort übrig hat. Mischt
sich doch das Gefühl der späteren Entfremdung selbst in die
Schilderung seines studentischen Verkehrs mit ihm in Göttingen,
wo Müller z. B. ein Kartoffelfeld für eine Anlage von
Kienbäumen angesehen haben solle! Raumer hat Adam Müller aus
den Differenzen heraus, die der Abendblätter wegen entstanden,
tief gehaßt und dies Gefühl nie im späteren Leben überwinden
können. Ebenso heillos war sein Verhältniß zu Achim von Arnim
geworden. <80:>
Arnim und Raumer hatten in jugendlichem Wetteifer
glänzend neben einander die Klassen des Joachimsthalschen
Gymnasiums in Berlin durchgemacht. Beide gingen zum gleichen
Termin nach Halle, wo sie schwärmten und strebten in einem
eigens von ihnen gestifteten Studenten-Vereine. Dann studirten
sie wieder gemeinschaftlich in Göttingen. Ihre Jugendfreundschaft
war verflochten in einander. Noch in Berlin dauerte der Umgang
fort, der in natürlichem Laufe der Dinge Raumers Bekanntschaft
mit Heinrich von Kleist und anderen Freunden zur Folge hatte:
Raumer bezeichnet noch zu Anfang des Conflictes sein Verhältniß
zu Kleist als Freundschaft. Und was enthalten nun seine Erinnerungen
über Arnim?
Nichts als zwei Ausfälle gegen ihn. Zur Hallenser
Zeit bemerkt Raumer nur, Arnim habe sich vorzugsweise dort
mit Physik beschäftigt, dagegen seinen Eifer für Geschichte
verspottet: doch (fügt er bitter hinzu) bin ich meiner
Vorliebe getreuer geblieben, als er der seinigen. In
Göttingen erzählt er von sich eine kleine Liebelei, um dann
fortzufahren: Mehr Einfluß hatte auf Achim von Arnim
seine Zuneigung zur . Sie fand, daß seine
physischen und chemischen Studien einen zu unangenehmen Einfluß
auf seine Atmosphäre hatten. Deshalb warf er alle bisherigen
Beschäftigungen zur Seite, erneute seine Garderobe, versorgte
sich mit wohlriechenden Essenzen und schrieb Hollys
(sic!) Liebeleben. Nun, wir wissen heut aus
reichlich fließenden Quellen und merken dem Tone Raumers
an, daß so der Uebergang bei Arnim von einer Beschäftigung
zur andern nicht gewesen sein kann. Eine Zeitlang trieb Arnim
beides sogar neben einander. Das von Raumer angegebene Motiv
hat noch weniger Werth. Er deutet in etwas verfänglicher Weise
eine Zuneigung zu Frau Jeannette Dietrich an,
der Gattin des Göttinger Buchhändlers, in <81:> dessen
Verlage Hollins Liebeleben 1802 und Ariels
Offenbarungen 1804 erschienen. Kein anderer von den
Freunden, die als junge Leute bei dem Buchhändler Dietrich
auch verkehrten, hat das so darzustellen gewagt; und eigentlich
hätte auch Friedrich von Raumer es nicht thun dürfen, weil
er selbst ja seinen zahlreichen Briefwechsel mit Frauen
und Jungfrauen fast ganz gestrichen hat, da derselbe, wie
die Erfahrung lehre, fast immer mißverstanden, mißgedeutet
und beklatscht werde. Wie warm dagegen sprechen seines
Bruders, Carl von Raumers, Lebenserinnerungen von der
Freundschaft mit Arnim und wie fest sind sie sich bis zuletzt
gewesen. Der Grund der Entzweiung und nie ausgeglichenen Verstimmung
zwischen Friedrich von Raumer und Achim von Arnim liegt eben
in den politischen Kämpfen der Berliner Abendblätter.
Nun bietet Raumer in seinen Erinnerungen keine directen
Zeugnisse über die Vorgänge unmittelbar nach und infolge der
Cabinets-Ordre, die doch einst vorhanden waren. Ueber die
Cabinets-Ordre besaß er noch Notizen, ob er sie gleich nicht
am rechten Platze verwerthete (und dadurch selbst den Schein
hervorrief, als habe sie garnicht existirt). Indessen läßt
sich doch aus der Art, wie Raumer, Kleist und Hardenberg in
späteren Schriftstücken immer wieder auf die Dinge zurückkommen,
eine Vorstellung des Herganges gewinnen.
Kleist, von Sack oder Gruner halbamtlich über den
Erlaß der Cabinets-Ordre verständigt, begab sich sofort zur
Audienz bei Hardenberg. Es lag darin nichts Außerordentliches.
Hardenberg gewährte regelmäßig in der Woche Audienzen, zu
denen allen Leuten der Zutritt frei stand. Er zeigte sich,
nach Raumers eigener, nicht ohne Hinblick auf den Streit
mit Kleist geschriebenen Schilderung, im persönlichen Meinungsaustausch
denen gegenüber, die Gesuche vortrugen, meist liebenswürdiger
und gefälliger, als seine Räthe bei der amtlichen Erledigung
<82:> verfahren durften. In der Audienz kam Kleist gegenüber
die Gesammthaltung der Abendblätter zur Sprache. Von des Kanzlers
Seite fielen allgemeine, vorsichtige Andeutungen, die Gutes
zu versprechen schienen. Die Frage, ob den Abendblättern,
wenn sie nicht regierungsfeindlich blieben, ein officieller
Charakter beigelegt werden könne, muß gestreift worden sein.
Jedenfalls versprach Hardenberg staatliche Unterstützung,
wenn Kleist ein zweckmäßiges Blatt schriebe. Auf
Befehl des Staatskanzlers führte Raumer die Verhandlungen
mit Kleist mündlich und schriftlich weiter. Auf (wenigstens
bis jetzt) für uns verlorene Briefe nimmt Raumers Schreiben
an Kleist vom 12. December 1810 ausdrücklich Bezug.
Raumer war, wie es scheint, mit bestimmt lautenden
Instructionen versehen worden: einerseits den nicht vertrauenswerthen
Abendblättern einen officiellen Charakter nicht zuzugestehen;
andrerseits beliebiges Geld für Vertheidigung der Maßregeln
des Staatskanzlers anzubieten. Dieselben Eröffnungen hinsichtlich
des Geldes machte auch Gruner Heinrich von Kleist. Man sieht,
daß in dieser Bearbeitung Kleists System lag. Kleist
wies aber jede pecuniäre Zuwendung, als Pension oder welcher
Art immer, standhaft zurück: Raumer gegenüber mündlich in
der Weise, die die Empfindlichkeit desselben scharf gereizt
habe, Gruner gegenüber schriftlich in einem bisher noch nicht
wieder aufgetauchten Briefe vom 8. December 1810.
Ueber Bedeutung und Tragweite des Geldangebots haben
später zwischen Kleist und Raumer, nicht auch mit Gruner,
erregte Auseinandersetzungen Statt gefunden. Kleists
sichre Behauptung suchte die andere Seite zwar nicht wegzuleugnen,
aber doch bis zur Wesenlosigkeit abzuschwächen. Jedenfalls
gab Raumer (12. 12. 1810) schriftlich zu, gesagt zu haben:
daß Se. Excellenz, sobald der Charakter der Abendblätter
sich als tüchtig bewähre, für dasselbe, wie für alles Nützliche
im <83:> Staate wohl gern etwas thun würde; und
Hardenberg selber räumte (18. 2. 1811) ein, zu Kleist
geäußert zu haben: daß der Staat verdienstvolle Schriftsteller,
wenn es seine Kräfte erlauben, gern unterstützen würde.
Danach scheint mir der Streit, welche Seite formell im Rechte
sein möge, heute für unsere Auffassung ziemlich belanglos
zu sein. Eine mündliche Verhandlung und ihre schriftliche
Fixirung sind zwei verschiedene Dinge, aus denen nichts Entscheidendes
gefolgert werden kann. Aber wie das wirkliche Leben nun einmal
beschaffen ist: man darf es keiner Regierung verdenken, wenn
sie mit Mitteln, die gewöhnlich verfangen, eine ihr unbequeme
Zeitung sich verpflichtet oder zu einer leiseren Tonart nöthigt.
Was für Folgen könnte Gruners, Raumers, Hardenbergs
Angebot praktisch denn gehabt haben, als materielle Unterstützung
aus staatlichen Fonds? Günstig schien, daß Kleist arm war.
Aber Kleist war ein Ehrenmann, auch in seiner Armuth.
Wäre er den Absichten der Staatskanzlei zugänglich gewesen,
er hätte sich wahrlich, geachtet oder verachtet von Hardenberg,
seinen Lohn bestimmen können. Sachlich also besteht Kleists
Behauptung durchaus zu Recht.
Dagegen mußte sich Kleist, um die Existenz seines
Blattes zu retten, nothgedrungen auf ein Arrangement einlassen.
Das sehr werthvolle Zugeständniß, das Raumer Kleist entwand,
war: daß die Staatskanzlei selbst in den Abendblättern die
Gegner bekämpfen und ihre eigenen Maßnahmen vertheidigend
dem Publicum empfehlen könne. Ohne seine Gesinnung principiell
zu verleugnen, that Kleist der Staatskanzlei doch den Willen,
worauf er sich in späteren Verwickelungen berief. Er glaubte
in seinem Blatte redactionelle Unpartheilichkeit üben zu dürfen.
Zu dem von ihm angekündigten Zwecke seiner Zeitung, die Nationalsache
in ihrem ganzen Umfange zu befördern, konnte allerdings eine
Discussion von entgegengesetzten <84:> Standpunkten
aus beitragen. Immerhin waren die Dinge damals noch im Flusse,
nicht fest und geschlossen, wie sie heute unserem historischen
Rückblicke sich darstellen. Leuten von Kleists königstreuer
Gesinnung galt die Regierung doch immer als die höchste, von
des Königs Vertrauen getragene Einrichtung des Staates. Nach
dem jetzt getroffenen Abkommen druckte Kleist ohne Bedenken
die beiden staatsofficiösen, Adam Müllers Fragmente
und Artikel vom Nationalcredit neutralisirenden Entgegnungen
(oben S. 76) ab: in den Nummern vom 20. und 21. November
1810\*\. Es ist nach
den Umständen sehr wahrscheinlich, daß Raumer, der auch sonst
in der Tagespresse für die Reformen des Staatskanzlers wirkte,
der Verfasser der beiden Entgegnungen war. Wie er selbst von
jetzt ab seine officielle Mitarbeit weiter an den Abendblättern
in Aussicht stellte.
\*\ Den Ausdruck
neutralisiren braucht zuerst von diesen Dingen
von Ompteda, über dessen Mitarbeit an den Abendblättern weiterhin
die Rede ist. Ich las das Wort wieder, ebenso von Lothar Bucher
gebraucht, in Moritz Busch drittem Bande.
Emendation
Armuth] Arm-muth
D
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