Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 72-77
4. Opposition gegen das Finanzedict
vom 27. October 1810.
Die Fehde um Christian Jakob Kraus war gleichsam nur ein Vorgefecht gewesen, bei dem noch
keine Parthei ihre ganze Kraft entwickeln mochte. Der offene Kampf entbrannte erst um das
große Finanzedict Hardenbergs vom 27. October 1810. Zwei sich formell
gleichende Paare schärfster Kampfartikel markiren in den Abendblättern die neue
Frontaufstellung, in der die Berliner Patriotengruppe und die Staatskanzlei sich
gegenübertraten.
Dies die Geschicke Preußens für weite Zukunft neu bestimmende Edict
gab die Ideen an, die, verwirklicht, die Kraft besitzen würden, die Finanzen der
Monarchie emporzubringen und die Kriegsschuld zu tilgen. Die Urschrift, von der Hand
Hardenbergs, bewahrt das Geheime Staatsarchiv. Staunend steht man vor diesem
Actenstück, vor der unbegreiflichen Schaffenskraft eines Mannes, der zur selben Zeit von
tausend Tages-Geschäften in Anspruch genommen, ganze Spalten des Schriftstückes wie aus
einem Gusse niederschrieb: in dem jedes Wort, recht gewählt oder falsch gesetzt, Folgen
unberechenbarster Art nach sich ziehen mußte. Hardenberg war wahr- <73:> haftig des
Wortes mächtig: zu bemerken, wie seine leichte Eleganz die Concepte der fähigsten Räthe
zu bessern verstand, ist entzückend für sprachliches Empfinden. Sein Finanzedict ist ein
Meisterstück der Sprache. Sachlich stellte es Consumtions- und Luxus-Steuern,
Gewerbefreiheit und Domänenverkäufe in Aussicht. Eine Reform des Abgaben-Systems wurde
nach gleichen Grundsätzen für die ganze Monarchie angesagt. Bei der Grundsteuer
sollten alle Exemtionen wegfallen, die weder mit der natürlichen Gerechtigkeit,
noch mit dem Geist der Verwaltung in benachbarten Staaten länger vereinbar
wären. Es ließ den König feierlich erklären: Wir behalten Uns vor, der Nation
eine zweckmäßig eingerichtete Repräsentation sowohl in den Provinzen als für das Ganze
zu geben, deren Rath Wir gern benutzen und in der Wir nach Unsern landesväterlichen
Gesinnungen gern Unsern getreuen Unterthanen die Ueberzeugung fortwährend geben werden,
daß der Zustand des Staats und der Finanzen sich bessere, und daß die Opfer, welche zu
dem Zwecke gebracht werden, nicht vergeblich sind.
Man bemerkt, wie in den Text neufranzösische Ideen und Forderungen
der Smith-Krausschen Lehre hineingewirkt worden sind. Selbst ihre Schlagwörter
fehlen nicht. Den Zusammenhang mit Kraus 1807 über die Tilgung der Kriegsschuld
erstattetem Gutachten (in den Vermischten Schriften 2, 50) deckte denn auch sofort Achim
von Arnim am 31. October in seinem ersten Kraus-Artikel auf. Die Bekämpfung des Edictes
in den Abendblättern eröffnete wieder Adam Müller.
Am 15. November nämlich, im 40. Abendblatte, erschienen von ihm
nationalökonomische Fragmente über den Credit der General- und Specialhypotheken. Er
führt aus, der Staat müsse mehr Credit haben als der Privatmann. Die Staatskunst möge
daher die Stände und die Corporationen <74:> stärken, anstatt ihre Rechte mit
Flüchtigkeit bei Seite zu werfen, und dagegen die Privilegien und Rechte einzelner
Menschen mit höchster Gewissenhaftigkeit zu schonen. Schneidend verhöhnt er die
aufklärenden Freiheitsapostel aus der Schule des Adam Smith, die auf der einen Seite
durch kosmopolitische Aufklärung die geistigen Bedürfnisse der Nation steigere und auf
der anderen alle nationalen ethischen Werthe zerstöre, um dafür nichts als materielle
Güter darzubieten.
Und gleich darauf im 41. Abendblatte, vom 16. November 1810, ein Ps
gezeichneter Artikel Müllers Vom Nationalcredit. Er enthält die
stärksten Vorwürfe gegen Hardenberg als Gesetzgeber, der natürlich nicht genannt ist.
Die Gesetzgebung eines bedeutenden Staates könne niemals die Sache eines einzelnen guten
Kopfes sein, sondern sie gehe nur aus dem Conflict und der Berathung der bei der Existenz
dieses Staates am meisten interessirten Stände hervor. Den Credit eines Staates mache
nicht sein materieller Reichthum, sondern die Heilighaltung des edlen patriotischen
Geistes aus, mit dem er gestiftet worden sei. Respect von seinen Enkeln könne nur
verlangen, wer selbst Respect vor den Satzungen seiner Vorfahren hege. Den Schluß machen
die äußerst scharfen Sätze: Keine Verschlagenheit irgend eines noch so
genialischen Administrators kann ein Surrogat erfinden für den Credit, der durch Treue
gegen die Verfassung erworben und aufrecht erhalten ist. Ein Administrator kann Geld, aber
ewig keinen Nationalcredit machen.
Das war also die Antwort der Berliner Patriotengruppe auf
Hardenbergs Finanzedict, die erstaunlicher Weise Gruners Censur passirt hatte.
An eine Ausgleichung der Gegensätze war nicht zu denken. Der Opposition der Abendblätter
wollte der Staatskanzler unter allen Umständen Herr werden. Sie drang, wie er wußte, auf
stillen, sicheren Pfaden <75:> bis zum König durch. Sie mußte ihm an der
allerhöchsten Stelle Schwierigkeiten schaffen, die zu überwinden Kraft und Arbeit
kostete. Entschlossen machte er von Anfang an die Krone zur Theilnehmerin seiner Abwehr.
Schon zwei Tage nach Erscheinen des Artikels der Abendblätter erließ der König die
folgende, von Hardenberg selbst verfaßte, Cabinets-Ordre an Gruners vorgesetzten
Chef (die ich hier zum ersten Male aus den Acten des Königlichen Geheimen Staats-Archivs
producire):
Mein lieber Geheimer StaatsRath Sack. Ich finde den Aufsatz: vom National-Credit in
dem Berliner Abendblatt vom 16ten d. M. gar sehr am unrechten Orte. Er enthält, wie
es mir scheint, einen Ausfall gegen das neue Finanz Edict; es ist vom Heilighalten alter
Einrichtungen und vormaliger Zusicherungen die Rede, und dieses wird als die Basis des
National-Credits nach dem Beispiele Englands aufgestellt. Außerdem spricht man in den
ersten Zeilen nicht undeutlich den Wunsch nach einer allgemeinen Versammlung von Ständen
aus, der in erhitzten Köpfen vorherrschend sein soll und der auf jeden Fall einer großen
Modification bedarf. Absichtlich oder aus gegenseitiger Ueberzeugung, im Effect einerlei,
kann jetzt nichts Nachtheiligeres geschehen, als wenn man Mißtrauen gegen die getroffenen
großen Maasregeln der Regierung in den Gemüthern der Menge erweckt, und dies geschieht
durch dergleichen hingeworfene ganz unreife Aufsätze in einem Blatte, welches so
allgemein vom Publicum gelesen wird. Es ist daher von der äußersten Wichtigkeit,
dergleichen Blätter der strengsten Censur zu unterwerfen, und da dem Censor des
Abendblattes eine diesfällige richtige Beurtheilung zu mangeln scheint; so will Ich, daß
Ihr selbst Euch diesem Geschäft unterziehet und diesen Auftrag auf alle für das große
<76:> Publikum bestimmte Flugschriften ausdehnt, weil Ich dann nur sicher sein kann,
daß kein unreifes Urtheil über die neuen so vielfältig geprüften und von Mir
sanctionirten Einrichtungen stattfinden werde. Wer sich zu gegründeten Ausstellungen
berufen fühlt, kann mir selbige in einem bescheidenen Tone, wie die Gesetze es
vorschreiben, vortragen, und Meine Prüfung und Entscheidung erwarten. Ich bin Euer
wohlgeneigter König
Potsdam, den 18ten November
1810.
Friedrich Wilhelm.
Was an der Cabinets-Ordre auffallen muß, ist die ungewöhnliche Ausführlichkeit, mit der
der Abendblatt-Artikel widerlegt wird. Der König befiehlt sonst, er begründet nicht. Nur
die noch nicht bezähmte Erregung Hardenbergs konnte dem König dies Schriftstück
zur Vollziehung unterbreiten.
Die Wirkung der Cabinets-Ordre auf die Berliner Abendblätter blieb
nicht aus. Denn schon zwei Tage später, gleichfalls in zwei sich folgenden Nummern, 44
und 45, erschienen die regierungsseitigen Entgegnungen auf Adam Müllers Artikel,
und zwar in formell genauer Anlehnung an deren Wortlaut. Ein paar Proben mögen dies
Verhältniß anschaulich machen. Aus dem ersten Artikel, den Fragmenten:
A. M.
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a m.
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15. November
1810:
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20. November
1810:
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Wenn doch diese aufklärenden Freiheitsapostel aus der Schule
Adam Smiths, diese Philosophen vom reinen Ertrage merken möchten, wie sie ihr eignes Werk
zerstören &c.
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Wenn doch diese verfinsternden Apostel der Knechtschaft und
des Feudalismus aus der Schule Burkes, diese Philosophen von keinem Ertrage, merken
möchten, wie vergeblich sie gegen den besseren Zeitgeist ankämpfen &c. <77:>
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Aus dem Artikel über den Nationalcredit:
Ps
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Anonymus
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16. November
1810:
|
21. November
1810:
|
Laßt uns voraussetzen, daß die Gesetzgebung eines
bedeutenden Staates niemals die Sache des einzelnen guten Kopfes seyn könne, sondern
&c.
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Laßt uns voraussetzen: daß die organische Gesetzgebung
eines bedeutenden Staates, wenn sie eine wahre Gesetzgebung d. h. consequent in allen
ihren Theilen sein soll, nur die Sache eines einzigen Kopfes sein könne &c.
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Es ist nach den Umständen selbstverständlich, daß
a m
und der Anonymus dieselbe Person sind.\*\
Diese Art gegensätzlicher Meinungsvertretung, bei der die ideelle
Forderung einer die Partheien fördernden oder gar überzeugenden Discussion brutal
aufgegeben wird, ist für jede Zeitung ein Ausnahmezustand. Und war es auch für
Kleists Abendblätter. Was sollte das Publicum davon denken. Wir müssen fragen,
welche Personen, Einflüsse, Erwägungen Das zu Wege brachten? Die Antwort geben, soweit
Papier das Leben ersetzen kann, die Briefe und die sie begleitenden Erinnerungen
Friedrichs von Raumer, zu denen aber berichtigend und ergänzend andere Zeugnisse
hinzuzutreten haben.
\*\ Ich bemerke, daß in den Abendblättern
a w steht. Die griechischen Typen sind aber im Original so
wenig markant, daß w und m
sich kaum unterscheiden. Ich halte a m
für beabsichtigt und richtig, so daß auch in der Signatur am,
zu A. M., die gegensätzliche Bestimmung der beiden Artikel zum Ausdruck käme.
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