Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 70-72
3. Kleists erster Zusammenstoß
mit den Staatsbehörden.
Der erste Zusammenstoß mit den Staatsbehörden kam schneller, als Kleist ahnte, aber
nicht mit der Staatskanzlei, sondern gänzlich unerwartet mit dem Auswärtigen
Ministerium.
In allmählicher Erweiterung des ursprünglichen Programms stattete
Kleist jede Nummer der Abendblätter mit einem Ueberblick über die neuesten
Weltbegebenheiten aus. Die Wahl der Zeitungsnachrichten geschah nicht immer unter
politischem Gesichtspunkt, indessen es konnte doch der Fall sein. Weil die preußischen
Patrioten den spanisch-portugiesischen Kampf mit ihren Sympathien begleiteten, nahm Kleist
in das 30. Abendblatt, vom 3. November 1810, sehr gern eine Nachricht über
französische Verluste in Portugal auf, die er in den Schweizer Nachrichten vom
19. October fand. Laut Particularberichten aus Paris (heißt es bei Kleist)
soll das Armee-Corps des Generals Reynier, an den portugiesischen Grenzen, von einer
großen Uebermacht und mit ansehnlichem Verlust zurückgedrängt worden sein. Der Herzog
von Abrantes soll dieses Corps zu spät oder gar nicht unterstützt haben, worauf er in
Ungnade gefallen und zur Verantwortung gezogen sein soll. Die Nachricht stand im
krassesten Widerspruche zu der officiellen Berichterstattung im Moniteur, die blos von
Siegen in Spanien zu melden wußte; und um seine Notiz möglichst harmlos erscheinen zu
lassen, hatte Kleist unmittelbar an sie eine zweite Nachricht gerade entgegengesetzter
Tendenz angerückt, des Inhalts, daß der Moniteur vom 24. October zwei Briefe vom
Divisionsgeneral Drouet und vom General-Intendanten der potugiesischen Armee, Lambert,
über die glücklichen Fortschritte der französischen Armee in Portugal
enthalte. <71:>
Doch die Franzosen waren auch schlau und ließen sich so leicht nichts
vormachen. Sie merkten die Absicht. Sofort erhob der französische Gesandte beim Grafen
Goltz Beschwerde; dieser wies die Sache zu censuramtlicher Remedur an Küster, durch den
sie an den Censor Himly kam. Wie Himly, der unzuständig war, verfuhr, ist seinem Bericht
an Graf Goltz vom 5. November 1810 zu entnehmen: Ew. Hochgräflichen
Excellenz durch Herrn Geh. StaatsRath Küster erhaltenem Befehle, einen anstößigen
Artikel der Abendblätter betreffend, habe ich, da dieselben täglich erscheinen,
einstweilen am sichersten zu genügen gesucht, indem ich dem Präsidenten Gruner davon
unmittelbar sofort Kenntniß gegeben, und um gänzliche Supprimirung aller politischen
Artikel von itzt an ersucht habe. Die helle Genugthuung darüber, an Gruner seinen
Unmuth ausgelassen zu haben, drückt sich weiter in dem amtlichen Schriftstück aus. Himly
stellt dem Minister ehrerbietigst anheim, ob er deshalb noch eine besondere officielle
Verfügung an Gruner erlassen wolle.
Unverzüglich erhielt Kleist, wahrscheinlich durch Gruner, Wind von
der Sache. Ehe noch eine ministerielle Action eingeleitet wurde und durch die Instanzen
laufen konnte, rückte Kleist, um schlimmen Folgen vorzubeugen, schon in das allernächste
31. Abendblatt vom 5. November der 4. November war ein Sonntag,
an dem kein Blatt erschien die Erklärung ein: ein französischer Courier,
der vergangenen Donnerstag (1. November) in Berlin angekommen, solle, dem Vernehmen
nach, dem Gerücht, als ob die französischen Waffen in Portugal Nachtheile erlitten
hätten, widersprochen, und im Gegentheil von Siegesnachrichten erzählt haben, die bei
seinem Abgang aus Paris in dieser Stadt angekommen wären. In Gruners
Polizei-Acten, auf dem Geheimen Staatsarchiv, ist auch der Name des französischen
Couriers aufbewahrt: es war <72:> der Cabinets-Courier Garlet, der in eiliger
Mission von Paris kam und sofort dahin zurückging.
Schien nun auch der Zwischenfall für Kleist äußerlich mit der
freiwilligen Berichtigung abgethan, so mußte er doch von jetzt ab sehr auf seiner Hut
sein. Im auswärtigen Ministerium sah man sein Blatt mit scheelen Augen an. Es blieb ein
übler Vermerk in den Acten zurück, der jeden Augenblick hervorgelangt und gegen Kleist
ausgenutzt werden konnte.
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