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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 65-69

2. Lotterie und Bombenpost.


Kleist hatte sich in der Fehde um Kraus Reserve auferlegt und nicht mit eingegriffen. Sein künstlerisches Gefühl sträubte sich überhaupt dagegen, rein politische Artikel zu schreiben. Ihn verlangte stets nach einer allgemeinern Form für das, was er zu sagen hatte. Mit großem Geschick ist von ihm die Form des humoristischen Briefes angewendet worden.
Kleist nahm sich in seinen Abendblättern das staatliche Lotteriewesen vor. Stets hat platte Nüchternheit sich theoretisch am Lotteriespiel geärgert und nachgewiesen, daß es widersinnig sei, den Hang zum Spiel im Volke aber niemals beseitigen können. Kleist empfand zu tief des Volkes Regungen, um nicht mit überlegenem Humor zu entschuldigen, worüber selbstgerechte Tadler sich entrüsteten. Sein Epigramm im Phöbus 1808 vom Bauer, der, als er aus der Kirche kam, zu seinem Pfarrer sagte: <66:>
Ach, wie erwähltet ihr heut, Herr Pfarr, so erbauliche Lieder
Grade die Nummern, seht her, die ich ins Lotto gesetzt!
lachte den Klugmeiern und Bureaukraten in das hochbesorgte Angesicht. Allein die platte Nüchternheit blieb oben, und das Denkmal, das sie sich errichtete, war ein neues Lotterie-Edict, das unter Hardenberg’s Kanzlerschaft, im August 1810, publicirt wurde. Es beseitigte das bis dahin gültig gewesene Zahlen-Lotto wegen „seiner nachtheiligen Einwirkungen auf die Moralität der minder begüterten Klassen, die es bei den so sehr geringen Einsätzen, und indem es Veranlassung zu Traumdeuterei und anderm Aberglauben gebe, auf eine verderbliche Art zum Spiele reize“. Dafür sollte jetzt eine neue Lotterie, die sog. Quinenlotterie, eingeführt werden, der das Edict nachrühmte, sie biete nicht nur die Vorzüge der früheren Zahlenlotterie in höherem Grade, sondern „begünstige auch keinerlei Art von Aberglauben“. Saul Ascher rührte rasch in Zschokke’s Miscellen die empfehlende Feder und verrieth, daß der Urheber der Quinenlotterie – der Professor und Staatsrath Hoffmann sei, der nationalökonomische Gegner Müller’s! Ueber die technische Einrichtung verliere ich kein Wort; nöthig ist zum Verständniß des Folgenden nur, daß unter den öffentlich benannten Lotterie-Collecteurs sich eine Anzahl befanden, die, ihrem Namen nach zu urtheilen, Juden waren. Die neue Lotterie machte aber schmähliches Fiasko. Die Regierung sah ein, daß sie nicht dabei auf ihre Kosten komme, und bald meldete derselbe Saul Ascher, daß die Quinenlotterie wegen schlechter Erfolge fortan ganz unterbleiben werde.
Dies wirklich komische Mißgeschick ihres Gegners ließen sich die Abendblätter natürlich nicht entgehen. Sie brachten am 23. October 1810, in Nr. 20, die „Zuschrift eines Predigers an den Herausgeber der Berliner Abendblätter“, die „F… d. 15. Oct. 1810“ datirt und F… gezeichnet ist: <67:> alles fingirt, da Kleist selber der Verfasser war. „Der Erfinder der neuesten Quinen-Lotterie (heißt es im Eingang) hat die aufgeklärte Absicht gehabt, die aberwitzige Traumdeuterei, zu welcher, in der Zahlen-Lotterie, die Freiheit, die Nummern nach eigner Willkühr zu wählen, Veranlassung gab, durch bestimmte und feststehende Loose, die die Direction ausschreibt, niederzuschlagen.“ Ich unterstreiche das höhnisch gemeinte Wort „aufgeklärt“ und weise auf den oben mitgetheilten Wortlaut des Lotterie-Edictes hin. Aber mit Bedauern mache man jetzt die Erfahrung, daß der Aberglauben trotzdem auf eine unerwartete Weise wieder zum Vorschein komme: „Es ist wahr, die Leute träumen jetzt keine Nummern mehr; aber sie träumen die Namen des Collecteurs, bei denen man setzen kann. Die gleichgültigsten Veranlassungen nehmen sie, in einer Verkettung von Gedanken, zu welchen kein Mensch die Mittelglieder errathen würde, für geheimnißvolle Winke der Vorsehung an.“ Zum Beispiele: „Verwichenen Sonntag nannte ich den David, auf der Kanzel, einen gottgefälligen Mann, nicht den Collecteur dieses Orts, wie dieselben leicht denken können, sondern den israelitischen König, den bekannten Sänger der frommen Psalmen. Tags darauf ließ mir der Collecteur, durch einen Freund, für meine Predigt, scherzhafter Weise danken, indem alle Quinenloose, wie er mir versicherte, bei ihm vergriffen worden waren.“ Man bemerke die Bespöttelung der jüdischen Geschäftsbetheiligung an der Quinenlotterie, weil sie für die Herausbildung immer schärferer Gegensätze wichtig ist. Die fingirte Zuschrift des Predigers schließt: „Ich bitte Sie, mein Herr, diesen Vorfall zur Kenntniß des Publicums zu bringen, und durch Ihr Blatt, wenn es möglich ist, den Entwurf einer anderweitigen Lotterie zu veranlassen, die den Aberglauben auf eine bestimmtere und so unbedingte Weise, als es der Wunsch aller Freunde der Menschheit ist, <68:> ausschließe.“ Beißende Ironie gegen Hoffmann, und gegen die neue Gesetzmacherei, die von den wirklichen Bedürfnissen des Volkes und des Staates keine Ahnung habe.
Auch den mit komischem Ernste behandelten „Entwurf einer Bombenpost“ benutzte Kleist, um die wirthschaftliche Nothlage zur Sprache zu bringen. Damals war von dem Münchener Akademiker Sömmerring der elektrische Telegraph erfunden worden, von dem man sich geradezu Wunderdinge versprach. Kleist, Arnim und andere Freunde verstanden zu viel von naturwissenschaftlichen Dingen, als daß sie nicht auch die Grenzen der neuen Erfindung gesehen hätten. Darum regte Kleist, in Nr. 19 vom 12. October 1810, die Einrichtung einer Bombenpost an, die nicht blos kurze, lakonische Mittheilungen wie der Telegraph, sondern auch Briefe, Berichte, Beilagen und Packete in hohlen Bomben vorwärtsschösse. Dies schien wie ein amüsanter Spaß für die Leser, die politischen Spitzen kamen aber erst in einem neuen Schreiben, das an jenes anknüpfte, zum Vorschein. Auf die telegraphisch zu beantwortende Frage: „wie geht’s dir?“ laute die Antwort leider nicht: „recht gut!“ – sondern nur: „so so! oder mittelmäßig! oder die Wahrheit zu sagen, schlecht; oder gestern Nacht, da ich verreist war, hat mich meine Frau hintergangen; oder: ich bin in Processen verwickelt, von denen ich kein Ende absehe; oder: ich habe Bankerot gemacht, Haus und Hof verlassen und bin im Begriff in die weite Welt zu gehen.“ Sehr geschickt und unverfänglich wird auf die ökonomische Bedrängniß des Einzelnen, auf die schwierige Lage der Gutshöfe und die Langsamkeit der Rechtspflege angespielt. Da nun von je hundert Briefen neunundneunzig Anzeigen von der besagten Art enthielten, die immer noch früh genug ankämen, so könne sowohl die elektrische Donnerwetterpost als auch die Bomben- und Granatenpost vorläufig noch auf sich <69:> beruhen. Was noth thue, sei vielmehr: eine Post zu Wege zu bringen, die, gleichviel ob sie mit Ochsen gezogen oder von eines Fußboten Rücken getragen würde, „auf die Frage: wie geht’s dir? von allen Orten mit der Antwort zurückkäme: je nun! oder: nicht eben übel! oder: so wahr ich lebe, gut! oder: mein Haus habe ich wieder aufgebaut; oder: die Pfandbriefe stehen wieder al pari; oder: meine beiden Töchter habe ich kürzlich verheirathet; oder: morgen werden wir, unter dem Donner der Kanonen, ein Nationalfest feiern – und was dergleichen Antworten mehr sind.“ Das waren aber die Wünsche der Grundbesitzenden und der Kriegs-Parthei. Und wenn Kleist dem fingirten Briefschreiber gegenüber zum Schlusse ablehnend erklärt: „daß wir uns mit der Einrichtung seiner Ochsenpost oder seines moralischen und publicistischen Eldorados\*\ nicht befassen können“ – eine Wendung, in der das wir und das nicht zu betonen ist – so war damit gemeint, die Regierung solle durch ihre Gesetzgebung die angedeuteten Mißstände abstellen. Es war dieser Wunsch eine Art von Mißtrauen, das man in Hardenberg’s von Tag zu Tag erwartete Reformen setzte, ehe sie noch erschienen.
Lotterie- und Bombenpost-Artikel hat man bereits in Kleist’s Schriften aufgenommen, wo sie aber die Rubrik „Gemeinnütziges“ auszufüllen haben, als ob Kleist allen Ernstes mit diesen Vorschlägen hätte die Welt beglücken wollen. Nein, sie hatten politische Tendenz, die man in der Staatskanzlei sehr wohl merkte; und sie vermehrten das Unbehagen, das durch die Krausfehde hervorgerufen worden war. Ein Conflict, wenn er eintrat, konnte leicht für Kleist üble Folgen haben.

\*\ Hier soviel wie: staatlichen Eldorados.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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