Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 84-89
6. Umänderung des gesammten
Geistes der Berliner Abendblätter.
Nun erst wird die Nachgiebigkeit ganz verständlich, mit der Kleist den Streit um Kraus,
bei gleichzeitiger Wahrung seines politischen Standpunktes, in den Abendblättern sich
fortspinnen ließ. Wir durchschauen es, weshalb er im Vorwort zu Scheffners
Eingesandt, 22. November 1810, die ganze Reihe der Kraus-Artikel als ein
wissenschaftliches Gespräch bezeichnet, dem er freien Lauf lassen wolle.
Demgemäß befürwortet eine Anzahl weiterer Artikel die innere Politik der Regierung. Im
51. Abendblatte, vom 28. November 1810, wurde Hardenbergs Finanz-Edict in
einem Leitartikel, betitelt <85:> über den Geist der neueren preußischen
Gesetzgebung, der sich als ein Fragment aus einer noch ungedruckten größeren
Abhandlung darstellte und lh gezeichnet ist, mit officiösem Eifer
vertheidigt. Ob lh wirkliche Initialen eines Namens oder bloße Chiffre sind, ob
die größere Abhandlung, nach der ich in Journalen und Büchern damaliger
Zeit gesucht habe, thatsächlich erschienen ist oder nicht, weiß ich nicht zu sagen. Von
Kleist nur um ihn vor Verdacht zu schützen, bemerke ich es sind
die Sätze nicht geschrieben und ihr Inhalt nicht erdacht worden. Es wird ausgeführt,
daß der frühere Gebietsumfang des preußischen Staates, seine frühere extensive
Macht verloren sei. Die Wiederherstellung derselben brauche eigentlich auch nicht
erstrebt zu werden, wofern das Wichtigere und Reellere, seine intensive Macht,
sich vermehre. Als Beispiel dient nicht nur der Kampf der kleinen Republik Athen gegen das
zahllose Heer des Perserkönigs, sondern auch der unter damaligen
Verhältnissen gewiß schmerzliche und tactlose Hinweis darauf, daß
noch vor wenigen Jahrhunderten die furchtbare mit Stahl bedeckte Macht des deutschen
Kaisers an dem Heroismus eines Häufleins nackter Schweizer scheiterte. Also nicht
auf den Ersatz der verlorenen Quadratmeilen und Seelen komme es der Regierung an, sondern
auf die Eröffnung aller Wege, die zu einem allgemeinen Wohlstande führen können. Das
Edict vom 27. October nehme dieses Ziel ins Auge: Noch steht (so schließt der
Artikel) das Werk des erhabenen Gesetzgebers, der unter uns aufgetreten ist, nur
unvollkommen vor den Augen der Welt da; gleichwohl werden wir bereits auf das Fundament,
auf welchem es ruht, und auch vielleicht schon auf den Zusammenhang mehrerer Theile, im
Laufe dieser Blätter erläuternde Blicke werfen können. Der erhabene
Gesetzgeber ist der Freiherr vom Stein, als dessen Diadoche und Vollender
<86:> Hardenberg natürlich vom Leser erkannt werden soll. Man empfindet, wie der
officiöse Verfasser, nur in vergröberter Form, mit den Gedanken wirthschaftet, die in
Hardenbergs Denkschrift über die Reorganisation Preußens vom Jahre 1807
ausgesprochen sind: was auch beweist, daß der Artikel aus Hardenbergs Umgebung
stammte. Damals 1807 war die Meinung, daß die intensive Macht den alten
Umfang der Monarchie unzertrümmert wieder herstellen solle; jetzt wird die
extensive Macht als gleichgiltig und als keines Strebens werth behandelt. Der
Artikel mußte dem Kleistischen Freundeskreise als unpatriotisch, ja feig erscheinen. Und
war es auch: es sei denn, daß dies scheinbare Aufgeben der preußischen Größe nur ein
taktisches Manöver sein sollte, den Argwohn der Franzosen zu beschwichtigen.
Die im Finanz-Edict versprochene Gewerbefreiheit wurde am 2. November
durch ein Special-Edict eingeführt. Diese Maßregel vertheidigte jetzt derselbe lh
in dem 55. Abendblatte vom 3. December 1810. Sätze aus Adam Smith und ein paar
Gedanken der französischen Revolution leihen die Gründe her. Die historische
Entwickelung der Verhältnisse kümmert den Verfasser nicht. So würde noch heute jede
Zeitung, die die Gewerbefreiheit beweisen wollte, schreiben müssen. Die
mannigfachen Vortheile der Gewerbefreiheit könne man in Adam Smith, Kraus &c.
nachlesen. Es sei ein natürliches Menschenrecht, auf beliebige Art seinen Unterhalt zu
gewinnen. Dem Mißbrauch beuge man mit Polizei-Anordnungen vor. Doch verschwinde dies
Bedenken, denn: Mißbrauch ist nur ein Product der Beschränkung. Wer keinen Zwang
kennt, dem fällt es selten ein, von seiner Freiheit Gebrauch zu machen. Jünglinge, die
im elterlichen Hause am beschränktesten waren, überlassen sich nachher gewöhnlich den
gröbsten Ausschweifungen. In dieser Weise vertheidigt der Verfasser noch eine Seite
lang <87:> weiter, um mit dem Resultat zu schließen: Aus diesen Gründen ist
die in Preußen proclamirte Gewerbefreiheit ein sehr wesentlicher Schritt, um diesem
Staate, das was er verloren, zu ersetzen.
Das war aber auch Alles, was Kleist an politischen Artikeln zu bringen
vermochte. In auffälligem Gegensatze gegen früher sind die Abendblätter der nächsten
Wochen, bis in den December hinein, äußerlich unpolitisch. Die Typen werden größer,
der Inhalt kleiner. Die Nummern müssen gefüllt werden, aber der Stoff mangelt dem
Redacteur in der bisherigen Weise. An die Stelle rein politischer Leitartikel tritt von
Kleist eine Geographische Nachricht von der Insel Helgoland, ein Artikel
Ueber eine wesentliche Verbesserung der Klaviatur der Tastinstrumente, die
Paradoxe Von der Ueberlegung, die Hans Sachsische Legende Der Welt
Lauf, ein Bericht über englische Parlamentsverhältnisse, und durch vier Nummern
bis zum 15. December die wunderlich spielenden und anspielenden Ausführungen über
das Marionettentheater. Dazwischen Anekdoten und zwei Aufsätze Fouqués:
Das Grab der Väter und Ueber Schwärmerei.
Man sieht die Umänderung des Geistes der Abendblätter. Die
politische Opposition der Kleistischen Gruppe ist stumm gemacht. Gruners Censur thut
jetzt, unter Obacht Sacks, die von ihr erwartete Schuldigkeit. Ein Schlußwort Adam
Müllers in der Kraus-Fehde (am 24. November 1810) war freilich unvermeidlich; und
desgleichen konnte eine den Mißcredit der österreichischen Banken besprechende Miscelle
von ihm, weil sie preußische Dinge nicht anrührte, durchgelassen werden (am 7. December
1810). Sonst aber kommt Müller in den Abendblättern auf Monatsstrecke hin nicht mehr zu
Worte. Auch von den anderen Freunden Niemand. Der Zweck der Staatskanzlei war mit
scheinbar loyalen und zulässigen <88:> Mitteln erreicht. Der Officiosus hl
aber verspürte jetzt keine Lust mehr, dem Herrn von Kleist politische Artikel zu
schreiben.
Daß es im Regierungslager von Anfang an auf die Ausschaltung des
Müllerschen Einflusses aus den Abendblättern abgesehen war, verrathen abgerissene
Stellen des Briefwechsels, den Raumer damals mit seinem Freunde Solger in Frankfurt
a. O. führte. Zu diesem scharfsinnigen und trotz noch junger Jahre schon nach vielen
Richtungen vorgedrungenen Gelehrten, der philologische und ästhetische und politische
Dinge neben einander und mit Erfolg betrieb, muß sich Raumer im November 1810, als die
Oppositionsartikel der Abendblätter die Staatskanzlei ärgerten, sehr scharf gegen Adam
Müller und dessen Elemente der Staatskunst ausgesprochen haben. Damals fingen die
Elemente erst an ein weiteres Publicum zu ergreifen, und Recensionen kamen in
den öffentlichen Journalen heraus. Raumer scheint nun Solger eine bekämpfende Kritik des
Werkes angetragen oder eine gemeinschaftliche Besprechung vorgeschlagen zu haben, die dann
schon den Weg in die Oeffentlichkeit gefunden hätte. Darauf antwortete Solger den 2.
December 1810 (nach Solgers nachgelassenen Schriften und Briefwechsel, herausg. von
Tieck und Raumer 1826. 1, 205): Ich habe das neue Werk von A. Müller gelesen
und auch schon angefangen meine Glossen zu machen. In kurzem schicke ich Ihnen einen
Aufsatz darüber. Dieses neue Auftreten des Mannes fordert auf, diesem rhetorischen und
wahrhaft sophistischen Geschwätze einen Damm entgegenzustellen. Es ist ein rechter
moderner Sophist, und seine Schreibart gehört recht zur c o l a
c e i a im attischen Sinne. Ich halte mich dabei hauptsächlich an seine
philosophischen Ingredienzien, thun Sie dasselbe in Hinsicht der praktischen. Schon diese
untreue Vermischung beider Arten, die ich überall in ihm finde, ist recht in der Art der
d h m o c o p w t. Man <89:> empfindet: wie es in den
Wald hineinschallte, so hallt es nun zurück. Sehr zu bemerken finde ich, daß Raumer
diese Worte Solgers, jedoch gekürzt und vorn abgeändert, so daß für den
gutgläubigen Leser die Elemente der Staatskunst ganz verschwinden, den Actenstücken
über seinen Streit mit Kleist (in den Lebenserinnerungen 1, 227) wie zur Hilfe und
Bestätigung vorangestellt hat. Man erhält fast den Eindruck, als fühle sich Raumer
allein nicht stark genug. Ueber Kleist selber dachte jedoch der ästhetisch feingeartete
Solger anders, als der politisch, und auch schon persönlich mit ihm gespannte Rath der
Staatskanzlei. Mitte December muß Raumer wieder auf die Abendblätter, ihren Rückgang
und Heinrich von Kleist zurückgekommen sein. Worauf Solger am 31. December 1810:
Die Abendblätter gehen also zurück? Ich muß Ihnen sagen, daß ich Kleist sehr
lieb gewonnen habe, seitdem ich seine Erzählungen und Käthchen von Heilbronn gelesen
habe. Besonders in dem letzten steckt ein großer Fonds von poetischem Geist. Manches
darin kann ich geradezu vortrefflich nennen. Ich bin gewiß nicht zu freigebig mit solchen
Urtheilen, aber ich muß ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wie ehrenvoll für
Solger. Aber auch wie bedauerlich, daß man aus Solgers Schlußworten nicht umhin
kann herauszulesen, an anderer Stelle lasse man Kleist nicht volle Gerechtigkeit
widerfahren. Diese Antwort Solgers hat Raumer nicht in seine Lebenserinnerungen
eingesetzt.
Offiziöse Federn beeilten sich, auswärts die Abendblätter in
Mißcredit zu bringen. Den Nordischen Miscellen (Extrabl. Nr. 49) ging eine
Correspondenz vom 6. December zu, die zuerst bedeutende Theilnahme an den
Abendblättern verliere sich, da sie mit dem Ende des Jahres nicht mehr erscheinen
würden. Dasselbe berichtete, am 7. December, Saul Ascher in Zschokkes
Miscellen Nr. 104. So rasch und leicht wurde die Staatskanzlei denn doch nicht mit
Kleist fertig.
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