Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 52-55
Zweites Capitel.
Politik.
Im Einverständniß mit Heinrich von Kleist begann Adam Müller
die Erörterung der politischen Fragen; und sogleich platzten
auch die Anschauungen der Abendblätter und die Absichten der
Staatskanzlei unversöhnlich aufeinander.
Die Abendblätter gingen durchaus auf dem Wege vorwärts,
der in dem Phöbus vorgezeichnet und in den Elementen
der Staatskunst eingehalten worden war. Für die Elemente
traten Adam Müllers Berliner Freunde mit voller Ueberzeugung
ein. Arnim empfahl das neue Werk, das umfassender sei, als
die meisten anderen Bücher der Art, seinem Freunde Görres
(8, 104) zur Lectüre. Kleist schrieb (an Fouqué), dies Buch
sei eins von denen, welche die Störrigkeit der Zeit langsam,
wie eine Wurzel den Felsen, sprengen könnten, par explosion.
So legte bald Leopold von Gerlach und sein Kreis für Hallers
Restauration der Staatswissenschaften Zeugniß ab. Wenn in
Adam Müllers Wesen und in seinem Stile Manches gelegen
hat, das Fernerstehende mit Unbehagen erfüllte: Kleist und
Arnim und Müller sind sich fest und treu geblieben in den
Kämpfen, die sie Schulter an Schulter durchzufechten hatten.
In Berlin, wo jetzt das Herz der preußischen Politik
<53:> schlug, nahmen alle politischen Erörterungen naturgemäß
eine preußische Formulirung an. Die Freunde von den Abendblättern
stellten die Fragen so: Welche geistige Macht soll in Preußen
nach dem nationalen Zusammenbruche zur Herrschaft kommen,
die principielle Anerkennung der Revolution oder die principielle
Gegnerschaft gegen dieselbe? der Bruch mit der alteuropäischen
Verfassung der Staaten, oder die Staatsanschauung Edmund Burkes?
die Reform der wirthschaftlichen Zustände Preußens in der
durch Adam Smith Werk vom Nationalreichthum vorgeschriebenen
Richtung, oder die wesentliche Erhaltung Preußens als eines
Agriculturstaates? Im Phöbus hatte Müller immer von Neuem
ermahnt: Lest den Burke!, gegen den Eggers, Villers,
Buchholz, und wie sie alle heißen, gar nichts wären: gegen
den selbst das größte, das herrlichste Handbuch der
Staatswirthschaft, der Adam Smith zurücktreten müßte.
Da Müllers Gruppe für den historisch gewordenen
Staat Friedrichs des Großen kämpfte, den sie organisch
weiter bilden wollten, so waren sie im Princip nicht gegen
den Freiherrn von Stein, mochten sie im Tageskampfe auch einzelnen
seiner Maßnahmen widerstrebt haben. In Hardenbergs Kanzlerschaft
aber verspürten sie immer bestimmter die Wirksamkeit des entgegengesetzten
Princips, dem sie principiellen Widerstand leisten müßten,
unbeschadet der Achtung, die ihm als dem ersten Diener des
Königs zukäme, und unbeschadet ihrer Zustimmung zu einzelnen
praktischen Einrichtungen desselben. Als königstreue Männer
waren sie überzeugt, auch in die Opposition gegen Hardenberg
eintretend das Heil der Krone zu befördern. Wie Bismarck,
nach seinen Gedanken und Erinnerungen, 1848 das preußische
Königthum, Trotz dem König, in echt Markwitzischer Junkertreue
retten wollte.
Nach der Ansicht der Berliner Patrioten wurde den
Adam Smithschen Ideen ein zu breiter Eingang in die
innere Ver- <54:> waltung Preußens verstattet. Eine
rechte Cult- und Verbreitungsstätte des Smithschen Systems
war im Anfang des Jahrhunderts Königsberg in Preußen gewesen,
wo Christian Jakob Kraus es vom Lehrstuhl der Universität
herab einem vollen Auditorium junger Studenten und gereifter,
zum Theil schon beamteter Männer verkündete: Kraus, der Freund
Kants und seiner Tafelrunde, der Freund des alten Kriegsraths
Scheffner, welcher in wundersamer Verquickung den mystisch-kosmopolitschen
Bestrebungen Hamanns und Herders einst zugestimmt
hatte. Kraus, wie beschränkt auch und unproductiv in eigener
Erfindung, beruhte doch mit seiner Thätigkeit auf einer großen,
Achtung heischenden geistigen Tradition, und daraus erwuchs
sein gewaltiger Einfluß auf die zur Führung des preußischen
Staates berufenen Männer: um so mehr, als die Hofhaltung in
Königsberg den Adel und das höhere Beamtenthum in den unmittelbaren
Bann seiner Lehre führte. Kleist selbst, und unabhängig von
ihm Arnim hatten persönlich diese Erfahrung gemacht. Aber
während sie sich diesem Einflusse wieder entzogen, verbanden
sich die echten Anhänger von Kraus oder Adam Smith mit dem
ihnen innerlich verwandten System Hardenbergs, der seine
Anschauungen von Hannover und England mitgebracht hatte. Diese
so vorbereiteten Staatsmänner nahmen thatsächlich die Neubildung
der preußischen Monarchie in ihre Hände. Sie übertrugen jetzt
auch an der Universität Berlin die Vorlesungen über Politik
und Nationalökonomie einem unverdächtigen Krausianer, dem
Staatsrath Hoffmann, der eben noch Kraus Nachfolger
in Königsberg gewesen war. Selbst der wegen seiner den preußischen
Staat beschimpfenden Feuerbrände gehaßte, von
Hardenberg in seine Kanzlei wieder aufgenommene Kriegsrath
von Cölln beklagte es (im Frühjahr 1811), daß die Finanz-Section
in Berlin ganz und gar aus Schülern von Adam Smith und <55:>
Kraus gebildet sei, die in der Idee nach England sich versetzten
und die wirklichen Verhältnisse des preußischen Staates außer
Acht ließen. Niebuhrs unauslöschlicher Haß gegen Hardenberg
war in letzter Linie doch grundsätzlicher Natur. Niebuhr hing
damals durch seine wissenschaftliche und persönliche Freundschaft
mit Savigny, wovon dessen Lebensnachrichten so vielfach zeugen,
auch mit Arnim, Kleist und ihren Gesinnungsgenossen zusammen.
Die altpreußischen Patrioten wollten sich nicht das Smithsche
System aufzwingen lassen. In den Elementen hatte sich Adam
Müller schon deutlich genug gegen die deutsche Nachbeterei
des Adam Smith und gegen seine Bearbeiter ausgesprochen.
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