Reinhold
Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 40-51
3. Die Gründung der Berliner Abendblätter.
Wir würden Wesen und politische Bedeutung der zur christlich-deutschen Tischgesellschaft
zusammengefaßten Patriotengruppe nicht recht verstehen können, wenn uns das
journalistische Organ, das sie sich schuf, nicht Aufschluß gäbe. Aus diesen <41:>
Kreisen nämlich gingen die Berliner Abendblätter hervor, deren Redaction in die Hände
Heinrichs von Kleist gelegt wurde. In den Abendblättern und um die Abendblätter
spielten sich die Kämpfe ab, die Kleist und seine politisch entschiedenen Freunde um
ihrer Gesinnung willen zu bestehen hatten.
Die ersten Versuche zur Gründung des Blattes reichen in die Zeit
zurück, ehe Hardenberg die Kanzlerschaft des Staates übernahm. Man sah in
Regierungskreisen ein, daß die politische Neubildung Preußens, die erfolgen müsse,
nicht mehr allein das Werk der berufenen Staatsmänner, oder wie man damals sagte:
Geschäftsmänner, sein könne. Die Tagespresse und die politische Litteratur begann
bereits an der Lösung der Zeitfragen mitzuarbeiten. Ein Organ aber, in dem mit
Verständniß, Geist und Liebe die neuen Maßnahmen hätten mitgetheilt oder besprochen
werden können, fehlte der Hauptstadt wie den provinziellen Centren der Monarchie
gänzlich. Die Vossische und Spenersche Zeitung in Berlin, die Königsberger und die
Breslauer Zeitung waren ungeeignet für diesen Zweck. Sie hatten zwar für ihr
Königliches Privilegium titulo oneroso die Verpflichtung, Kundgebungen der
Regierung aufzunehmen. Indessen sämmtlich dem Banne der alten Aufklärung und
städtisch-liberalisirender Tendenz verfallen, leisteten sie nur ungern, was sie nicht von
sich abwenden konnten. In Berlin stand die Sache am schlimmsten. Der Vossischen Zeitung
zumal war, nach den Acten des Geheimen Staats-Archivs, ihre franzosenfreundliche Haltung
während der Unglücksjahre in den preußischen Ministerien unvergessen. Man erwog den
Gedanken, ein neues Regierungs- oder wenigstens regierungsfreundliches Blatt zu
begründen, und unter dem Ministerium Altenstein wäre kein Bedenken gewesen, Adam Müller
mit der Redaction zu betrauen.
Die Verhandlungen waren 1810 bereits so weit ge- <42:> diehen,
daß der journalistische Niederschlag derselben in auswärtige Zeitungen überging.
Zschokkes Miscellen, 1810 Nr. 46, brachten eine offiziöse Berliner
Mai-Correspondenz, des Inhalts, man verspreche sich viel in Berlin von einem neuen
Regierungsblatte, welches künftig unter der Redaction des als Schriftsteller rühmlich
bekannten Herrn Adam Müller erscheinen solle, und dessen Zweck wäre, auf die neuen
Verfügungen, Maßregeln und Gesetze der Regierung die Unterthanen des preußischen
Staates vorzubereiten, oder nach der Publication diese Verordnungen zu erläutern und ihre
Zweckmäßigkeit zu zeigen. Ausführliche Angaben über dieselben Dinge finden sich in der
Allgemeinen Zeitung 1810 Nr. 170. Kürzlich, 1899, ist auch das von Adam Müller dem
Könige überreichte Memoire, die Gründung des Preußischen Regierungsblattes betreffend,
von Rühl veröffentlicht worden. Dies und andere Schriftstücke fanden sich im Nachlasse
Stägemanns, durch dessen Hände die Verhandlungen mit Müller gingen. Zur
Ausführung kamen sie indessen damals nicht. Im auswärtigen Ministerium lagen die
Schwierigkeiten, die durch den Systemwechsel, bei Uebernahme der Staatskanzlerschaft durch
Hardenberg, erhöht wurden. Erst sehr viel später ist die Idee verwirklicht worden. Am 2.
Januar 1819 erschien, unter Stägemanns Aufsicht, die erste Nummer der Allgemeinen
Preußischen Staats-Zeitung, aus der der heutige Reichs- und Preußische Staatsanzeiger
hervorgegangen ist.
Adam Müller und seine Freunde verfolgten jedoch den Plan einer ihren
Gesinnungen entsprechenden Zeitungsgründung auf eigne Hand weiter. Ihr Einfluß reichte
hoch hinauf. Er ging, auch nach dem Tode der Königin, durch die Hände der Frau von Berg
bis zum König selber. Man setzte schließlich das Unternehmen gegen alle persönlichen
Widerstände und gegen jedes Hinderniß bestehender Staatseinrichtungen durch. <43:>
Das größte Hinderniß lag bei der staatlich verordneten Censur.
Keine Regierung damals, ob noch von alteuropäischen, von
aufgeklärten, oder neufranzösischen Anschauungen erfüllt, wäre
ohne die Censur der Druckschriften fertig geworden. Napoleons erste Sorge, als er
Berlin besetzte, war, alles zu Druckende und Gedruckte unter verschärfte
Censur-Vorschriften zu stellen. Als mit dem 5. December 1808 die französische Militär-
und Civil-Autorität in Berlin endete, sah sich die Königliche zur Vollziehung des
mit Frankreich abgeschlossenen Friedens angeordnete Immediat-Kommission veranlaßt,
der Staatsregierung in Königsberg Vorschläge zu einer in der Hauptstadt zu errichtenden
Censurbehörde einzureichen. Unter Benutzung älterer Formen trat diese 1809 ins Leben.
Die Censur der Bücher erhielt der Bibliothekar Biester. Die periodisch in Berlin
erscheinenden Druckschriften wurden, nach scheinbar fester Norm, an zwei
Ministerien zur Censur vertheilt: die politischen Zeitungen gelangten an das Ministerium
für Auswärtige Angelegenheiten (Minister: Graf Goltz), die litterärischen, eigentlich
nichtpolitischen Blätter an das Ministerium des Innern (Minister: Graf Dohna). Im
auswärtigen Ministerium war unter dem Sectionschef Küster der Kriegsrath Himly, im
Ministerium des Innern unter dem Sectionschef Sack der Polizeipräsident Justus Gruner
amtlich bestellter Censor. Himly hatte die sogenannte politische, Gruner die polizeiliche
Censur. Im allgemeinen maßgebend für die Behandlung der Druckschriften blieben die im
Edict des Jahres 1788 ausgesprochenen Grundsätze: von denen jedoch Wilhelm von Humboldt,
der als Sectionschef für den öffentlichen Unterricht an der Bildung der Censurbehörde
mitbetheiligt war, in autoritativem Tone wünschte (Königsberg, 21. Juli 1809),
daß sie auf eine liberale Art angewendet werden mögen.
Welche Schwierigkeiten zwischen den zu Rathe gezogenen <44:>
Ressorts zu überwinden gewesen waren, drückt sich in der complicirten Gestaltung der
neuen Censurbehörde aus. Die Absicht war die beste: jedem Ressort sollte eine gebührende
Einwirkung auf die Presse erhalten bleiben. Aber bei der Ausführung stellten sich, was
die Dinge und die Personen anlangte, unvermeidbare Reibungen ein. Die politischen
Zeitungen waren nicht blos politisch, und die litterärischen Blätter griffen gar zu gern
auch auf das politische Gebiet hinüber. Die Verschiedenheit der die politische und die
polizeiliche Censur ausübenden Beamten machte sich noch schärfer geltend. Der
Polizeipräsident Gruner handhabte, als ein gebildeter, wohlwollender und gesellschaftlich
geachteter Mann, die Censur aus natürlichem Bedürfniß in dem von Humboldt empfohlenen
Sinne, gab aber, weil er auch Carriere machen wollte, höheren Winken willig nach. Himly
dagegen war ein Beamter allerengsten Gesichtskreises, bureaukratisch eifrig, überlastet
und allem neu sich Bildenden feind, der aber, in dem Gefühl seiner unentbehrlichen
Arbeitskraft und Geschäftskunde, den Vorgesetzten gegenüber seine Ansichten mit
Nachdruck vertrat. Die Censoren Gruner und Himly, und im weiteren Instanzenzuge Sack und
Küster, ja die Grafen Dohna und Goltz, geriethen daher in nicht endende Censurfehden. Die
Acten der beiden Ministerien legen Zeugniß dafür ab. Heillos wurde die Verwirrung, wenn
gelegentlich der Staatskanzler kraft seines Oberaufsichtsrechtes eingriff. Den Schaden
hatte der Censurpflichtige, die Censur wirkte unberechenbar.
Wie Kleist und seine Freunde bei Begründung der Abendblätter sich
hindurchwanden, wissen wir im Einzelnen nicht. Ueber die Vorverhandlungen besitzen wir bis
jetzt kein einziges geschriebenes oder gedrucktes Wort. Der Hergang aber bei einer anderen
Concessionsbewerbung wird dafür lehrreich sein.
Kleist hatte, wohl ohne es zu wissen, einen Concurrenten <45:>
an dem gewesenen Regiments-Quartiermeister Curths bei dem vormaligen Regiment vacant Prinz
Heinrich. Diesem wissenschaftlich gebildeten und litterarisch thätigen Manne steht die
sonderbare Bedeutung zu, daß er auf seine Art Schillers Geschichte des Abfalls der
Niederlande fortgesetzt hat. 1810, im Mai, kam er für Berlin um die Concession einer
neuen politischen Zeitung strengpatriotischer Haltung ein. Er that den Schritt nicht ohne
hohe Protection. Der König ließ sich von den Ministern des Auswärtigen und des Innern
Bericht erstatten. Während Graf Dohna sich für die Bewilligung aussprach, weil die
Vossische Zeitung zur Franzosenzeit eine unpatriotische Haltung eingenommen habe,
erklärte sich Graf Goltz, auf Himlys Gutachten gestützt, im entgegengesetzten
Sinne. Die Staatsregierung habe, seitdem zuerst die Vossische Zeitung und dann unter
König Friedrich II., des vermehrten Lesebedürfnisses wegen, die Haude-Spenersche
Zeitung privilegirt worden sei, nie mehr ein neues Privileg ertheilt; die beiden Zeitungen
seien zugleich titulo oneroso Staatsanzeigen. Curths, abschläglich beschieden,
kam aber wieder. Er überreichte dem König den vierten Theil des Abfalls der Niederlande.
Der König wünschte in einer Cabinets-Ordre an Graf Dohna (22. Juni 1810): daß
Curths bei einer schon vorhandenen oder noch zu errichtenden litterarischen Anstalt in
Berlin angestellt oder ihm die Redaction eines officiellen Blattes, wovon mehrmals schon
die Rede gewesen sei, übertragen werde. Wieder dasselbe Spiel zwischen den
Ressorts; wieder abschlägiger Bescheid. Sack macht dem auswärtigen Departement den
Vorwurf, daß es seine Weigerung auf ein gar nicht vorhandenes Widerspruchsrecht der
beiden privilegirten Berliner Zeitungen gründe. Himly geräth in Wuth über diesen
unangemessenen Ausdruck. In einem Gutachten an Küster (8. October 1811) faßt
er nochmals seine <46:> Meinung zusammen und erklärt: Sieht man aber auch
darauf, ob dem Ansuchenden wahrscheinlich ein reeller Gefallen mit der Bewilligung
geschehe oder nicht, so scheint mir das letztere fast gewiß. Die
unter bedeutender Protection begonnenen Abendblätter dienen u. a. zum
Beispiele; und wenn auch dem Herrn Curths ein geschickterer und beharrlicherer Versuch
zuzutrauen ist, so wird das Resultat vielleicht um etwas besser, dennoch aber immer noch
nicht genügend für die Subsistenz des Mannes ausfallen. Himly drang mit seiner
Gegenvorstellung durch. Ein rücksichtsloser Bureaukrat erwies sich stärker als alle
Protection und selbst als das Wohlwollen des Königs.
Sehr bemerkenswerth ist das amtliche Eingeständniß, daß die
Berliner Abendblätter unter bedeutender Protection begonnen wurden. Wie
widerwillig und verärgert aber kommt die Aeußerung heraus! Gegen die Abendblätter war
Himlys Widerstand offenbar umsonst gewesen. Ich denke mir sogar, daß Hardenberg
selbst, aus kluger Berechnung, die amtlichen Widerstände ausgehoben haben könne. Im
August und September 1810, wo die Concession betrieben wurde, war sein ganzes Reformwerk
noch in der Schwebe. Er brauchte, wenn er damit hervorträte, Federn, die es in der Presse
vertheidigen würden. Vielleicht konnte das neue Blatt sogar eine Stütze für ihn werden,
hatte sich doch Adam Müller ihm gegenüber im Allgemeinen bereit erklärt, die Politik
des Kanzlers, wie er sie sich dachte wenigstens, publicistisch zu vertreten. Darüber sind
sichere Zeugnisse vorhanden; deswegen ließ Hardenberg ihm ein Wartegeld von 1200 Thalern
jährlich auszahlen, mit diplomatisch vorsichtigen Vertröstungen auf Verwendung im
preußischen Staatsdienste. Wenn sich Hardenberg einen Saul Ascher einfing: warum hätte
er nicht versuchen sollen, die viel, viel wichtigere Kraft Adam Müllers sich
dienstbar zu <47:> machen. Dann aber durfte er es nicht von vornherein mit
denjenigen Kreisen verderben, denen Adam Müller angehörte.
Kurz: Kleist und seine Freunde drangen durch; aber es war ihnen von
der Staatsregierung auch nur gerade Soviel gewährt worden, als nothdürftig gewährt
werden mußte. Ein politisches Blatt durfte nicht ausdrücklich angekündigt
werden. Die Anzeige, die die Vossische Zeitung Ende September 1810, trotz ihres
Privilegiums anstandslos, veröffentlichte, besagte nur, daß unter dem Titel
Berliner Abendblätter sich mit dem 1. October in Berlin ein Blatt etabliren
werde, welches das Publicum, insofern dergleichen überhaupt ausführbar sei, auf eine
vernünftige Art unterhalten wolle: Rücksichten, die zu weitläufig sind,
auseinander zu legen, mißrathen uns eine Anzeige umständlicherer Art. Dem Schluß
des Jahrgangs wird ein weitläuftiger Plan des Werks angehängt werden, wo man alsdann
zugleich im Stande sein wird, zu beurtheilen, in wie fern demselben ein Genüge geschehen
ist. Man schiebt also in einem gewundenen Compromißstile, der dem Anschein nach von
Kleist herrührt, alle nicht entschiedenen Punkte vorläufig auf weitere Zeit hinaus. Noch
ungeklärte, fast wie abgezwungene Verhältnisse scheinen durch und lassen Verwickelungen
ahnen. Es unterzeichnet noch collectiv Die Redaction; erst drei Wochen nach
dem Erscheinen der Abendblätter tritt Heinrich von Kleist, mit Nennung seines Namens, als
der allein verantwortliche Herausgeber vor. Den Verlag übernahm der sehr
geschäftsgewandte Buchhändler Eduard Hitzig, der ohne freilich an der Gesinnung des
Blattes innerlich sich betheiligt zu fühlen, was auch nicht verlangt wurde, den zu
erhoffenden Gewinn sich nicht entgehen lassen mochte.
Kleist und seine Freunde waren der Meinung, daß unter den obwaltenden
Verhältnissen möglichst unauffällig und un- <48:> aufdringlich vorgegangen werden
müsse. Arnim lud schon am 3. September 1810 die Brüder Grimm zur Mitarbeit ein:
Kleist ist der beste Kerl, er giebt jetzt ein Abendblatt im Hitzigschen
Verlage heraus; es soll sich vorläufig gar nicht auf Belehrung oder Dichtungen einlassen,
sondern mit allerlei Amüsantem die Leser ins Garn locken; lächerliche Briefe und
dergleichen sind ein besonderer Fund. Die Berliner Freunde wollten also nicht, wie
die großen officiellen französischen und die ihnen nachgeäfften Rheinbunds-Blätter,
auf die obersten Schichten wirken; sie wollten sich auch nicht, wie die alten Berliner
Blätter, blos an ein eng-städtisches Mittelpublicum wenden; sondern das
Volk, im romantischen Sinne, schwebte ihnen vor als diejenige Macht, die sie
zum Kampfe gegen das moderne Unheil aufrufen und organisiren müßten. Dem
Volke wollten sie tagtäglich die geistige Speise, die es brauche, zuführen.
Montag Abend den 1. October 1810 erschien die erste Nummer der
Berliner Abendblätter: die alten Berliner Zeitungen wurden Morgens ausgegeben. Von
da ab folgte allabendlich, mit Ausschluß der Sonn- und Feiertage, eine neue Nummer: die
alten Berliner Zeitungen kamen nur dreimal in der Woche heraus. Jede Nummer einen
Viertelbogen von vier Seiten stark, das Format ein handliches Octav wie das des
Beobachters an der Spree; der Preis so gering wie möglich. Man wollte es durch das Format
und durch die fortlaufende Paginirung der Seiten möglich machen, daß ein Quartalsgang zu
einem Buche zusammengefaßt werden könnte, das als solches einen Fortbestand in den
Familien hätte.
Die Verlagsbuchhandlung des Herrn Wilhelm Spemann macht sich ein
Vergnügen daraus, mit den ausgezeichneten Mitteln ihrer Technik eine Reproduction der
ersten Nummer dem Leser vorzuführen:
<es folgt: Faksimile erstes Blatt der Abendblätter>
<49:> Gleich das erste Abendblatt erregte ungeheures Aufsehen in Berlin. Eine so
tiefernste, feierlich-religiöse Sprache, wie sie Heinrich von Kleist in dem einleitenden
Gebet des Zoroaster redete, war im aufgeklärten Berlin ganz unerhört. Der
Rationalismus hatte längst religiöse und göttliche Dinge aus der öffentlichen
Discussion verbannt. Eigentlich hätte die Ueberschrift Gebet an Gott lauten
müssen, aber das wäre für das Publicum auf einmal zuviel gewesen. Kleist griff zu dem
einzigen Mittel, das ihm blieb, die Wahrheit romantisch zu umhüllen. Er nannte sein
Gebet ein Gebet des Zoroaster und thut, als sei es eine Uebersetzung, die
geliefert werde.
Das nun folgende Fragment eines Schreibens aus Paris
gehört zu den blos amüsanten Zugaben, mit denen man den Leser ins Garn locken wollte.
Paris war damals actuell, wie heute etwa Prätoria oder Peking; daher vernahm
man gern etwas Neues. Und je äußerlich correcter die Form, auch gegen Napoleon, den man
haßte, gewahrt wurde, desto weniger lockte man das gefährliche Interesse der
französischen Aufpasser an. Das Schreiben kann echte Grundlage haben, es kann aber auch
ganz fingirt und in Berlin verfaßt sein: jedenfalls trägt es den Charakter des
Kleistischen Stiles, den Kleist wie sich später an ungezählten Beispielen zeigen
wird Allem aufzudrücken pflegte, das, gedruckt oder geschrieben, ihm zur Aufnahme
in sein Blatt geeignet schien.
Den Beschluß machten Tagesbegebenheiten, redactionelle Mittheilungen
oder sonstige Notizen, bei denen, wollte der knapp gewordene Raum nicht zulangen, kühn zu
kleinen, ja zu den allerkleinsten Typen gegriffen wurde. Niemals eine Annonce. Immer nur
Inhalt, vom ersten bis zum letzten Worte jeder Nummer.
Einen ganz neuen Artikel bildeten vom Beginn der Abendblätter die
Polizei-Rapporte, die der Polizei-Präsident Justus Gruner selber lieferte. Kleist
bemerkte über sie <50:> in einem Extrablatte zum ersten Berliner
Abendblatt: Durch den Königl. Präsidenten der Polizei, Herrn Gruner,
der jedes Unternehmen gemeinnütziger Art mit so vieler Güte und Bereitwilligkeit
unterstützt, sind wir (!) in den Stand gesetzt, in solchen Extrablättern, als hier das
Erste erscheint, über Alles was innerhalb der Stadt, und deren Gebiet, in polizeilicher
Hinsicht, Merkwürdiges und Interessantes vorfällt, ungesäumten, ausführlichen und
glaubwürdigen Bericht abzustatten: dergestalt, daß die Reihe dieser, dem Hauptblatt
beigefügten Blätter, deren Inhalt wir auch mit statistischen Nachrichten aus den
Provinzen zu bereichern hoffen dürfen, eine fortlaufende Chronik, nicht nur der Stadt
Berlin, sondern des gesammten Königreichs Preußen, bilden werden. Gruner, wiewohl
ein auf Carriere bedachter Beamter, hielt doch freundschaftlichen und gesellschaftlichen
Verkehr mit Kleist und seinen Freunden und saß öfters vergnügt mit an der Tafel der
christlich-deutschen Tischgesellschaft (an Görres 8, 415). Welcher ungemeine Vortheil
für Kleist, daß Gruner, der der polizeiliche Censor der Abendblätter war, zugleichen
diesen officielle Berichte zuwandte!
Im Wesentlichen ist die Einrichtung des ersten Abendblattes für die
späteren Nummern beibehalten worden, nur daß die Polizei-Rapporte doch nicht in
Extra-Blättern, sondern als ständiger Artikel am Schlusse jeder Nummer erschienen. Jedes
einzelne Abendblatt enthielt einen durch größere Lettern ausgezeichneten Artikel, der
grundsätzlich die Anschauungen der Partheigruppe zur Geltung zu bringen suchte. Man zog
allmählich alle bedeutenden Fragen des geistigen und staatlichen Lebens in den Kreis der
Betrachtung: die Gründung und den Ausbau der Universität, die Erscheinungen auf der
Bühne, in der bildenden Kunst, in der Litteratur, die politischen Maßregeln der
Regierung zur Neugestaltung der öffentlichen Ver- <51:> hältnisse. Ein
Geist durchdrang die sich folgenden Artikel. Religion, Königthum, Vaterland wurden als
die heiligen Güter, ohne die kein Heil möglich sei, der preußischen Nation wieder vor
das Auge gestellt. Die Vossische und die Spenersche Zeitung waren wie im Spiele
überflügelt. Jedermann las die Abendblätter, selbst der König. Der Andrang des
Publicums zur Ausgabe, Hinter der Katholischen Kirche 3, war so außerordentlich,
daß schon nach acht Tagen ein größeres Local in der Jägerstraße No. 25 beschafft
werden mußte. Kleist gibt mit ungemeinem Glück Berlinische Abendblätter heraus
und hat schon viel Geld verdient, schrieb Adam Müller um Mitte October an ihren
gemeinsamen Freund Rühle. Arnim bezeugte ebenfalls (an Görres 8, 415), daß Kleist sein
Blatt mit recht viel Nutzen in Berlin herausgegeben habe. Und selbst Hardenberg ließ um
Mitte November den König in einer Cabinets-Ordre (unten S. 75) aussprechen, daß
das Abendblatt allgemein vom Publicum gelesen werde.
Der Absatz der Berliner Abendblätter aber beschränkte sich nicht auf
Berlin allein. Sie drangen aber freilich nur in Monatslagen, auch nach Königsberg und
Breslau durch. Ja sie überschritten die preußischen Grenzen und gelangten nach Hamburg,
Kassel, Dresden, Wien. Ich entnehme diese Thatsachen aus dem Widerhall, den sie dort
überall bei Personen oder in der Tagespresse hervorriefen. Von der Wirkung der
Abendblätter auf die Presse wird noch oft die Rede sein. Auch die französische
Aufmerksamkeit befaßte sich bald sehr genau mit ihnen. In der Staatskanzlei beobachtete
man den anschwellenden Einfluß der Abendblätter, von denen sich bald zeigen mußte, ob
er für oder gegen die neuen Reformen sich einsetzen würde. Von der politischen Haltung
Kleists und seiner Freunde hing das Wohl oder Wehe der Berliner Abendblätter ab.
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