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Eduard v. Bülow (Hrsg.), Heinrich von Kleist’s Leben und Briefe. Mit einem Anhange (Berlin: Besser 1848), V-XIV, 1-81, 274f.; darin: 71-78

Selbstmord, Todesanzeige


Ueber die Katastrophe von Heinrich von Kleists Tode hatte man zu ihrer Zeit eben so wohl mit unziemlichem <72:> Enthusiasmus als mit gemeiner Entstellung der Thatsachen öffentlich gesprochen und da man bis in die neueste Zeit nicht müde geworden ist, den falschen diesfallsigen Gerüchten theilweise Glauben beizumessen, mag hier eine ausführliche Schilderung der tragischen Wahrheit ihren Platz finden. Ich habe dieselbe aus den mündlichen Mittheilungen der vertrautesten noch lebenden Freunde Kleists sowie der Angehörigen seiner Todesgenossin zusammengestellt, und sie stimmt auch vollkommen mit dem Zeugnisse überein, das Adam Müller im Dezember des Jahres 1811 in einem Wiener Blatte von dem Ende des unglücklichen Dichters abgelegt hat.
Derselbe wurde in den letzten Jahren seines Lebens in Berlin durch Adam Müller mit einer Frau bekannt, – ich werde sie hier, so wie Kleist immer that, mit ihrem zweiten Taufnamen Henriette nennen – die mit vielen glücklichen Gaben des Geistes und Herzens ausgeschmückt war und nur an dem Hauptfehler eines tiefen Mißtrauens zu sich selbst litt, einer Unbefriedigung mit ihrem eigenen Thun und Lassen, einem geheimen Widerstreiten mit den Verhältnissen dieser Erde, sowie sie selbige kennen gelernt hatte.
Unheilbare körperliche Krankheitszustände kündigten sich bei ihr an, und da ihr zerrissener Gemüthszustand sich schon längst mit dem Leben abgefunden hatte, so war ihr gerade zu der Zeit, als sie ihrem unglücklichen Freunde begegnete, das Räthsel gelöst. Wie sie selbst, über die Ansprüche des Lebens getäuscht, betrachtete er schon seit langer Zeit den Todesgedanken als eine bloße Würze des geschmacklosen Lebens und sah, nachdem alle Arbeiten seiner Thätigkeit <73:> fruchtlos untergegangen waren, gleichfalls das Ende seines Daseins und der Dinge, die ihn gereizt hatten, deutlich herannahen.
Von Leidenschaft war in ihrem Verhältnisse zu einander keine Rede, und konnte dies auch, nach dem Zeugnisse ihres Arztes, Joh. Benj. Erhard nicht wohl sein. Manche vertraute Briefe Kleists aus früherer Zeit sollen sogar den Beweis führen, daß er eher das Gegentheil als Zärtlichkeit für Henrietten gefühlt habe. Was sie zu einander führte und Kleist bald zu ihrem Hausfreunde machte, war die Sympathie in ihren trüben Stimmungen und ihre gemeinschaftliche Liebe zur Musik. Sie musizirten und sangen zusammen, vorzüglich alte Psalmen, und freuten sich gegenseitig an ihrem Talente.
Als es Kleist eines Tages schien, seine Freundin habe ganz besonders schön gesungen, sagte er zu ihr mit einem ihm wohl aus seiner Jugend überbliebenen Ausdrucke uniformirter Begeisterung: das ist zum Erschießen schön! Sie sah ihn in dem Augenblicke bedeutend an und erwiederte kein Wort; in einer einsamen Stunde kam sie aber auf diese ihm entschlüpfte Aeußerung zurück. Sie fragte ihn: ob er sich noch des ernsten Wortes erinnere, welches sie ihm schon früher einmal abgenommen habe, ihr im Fall sie ihn darum bitte, jeden, selbst den größten Freundschaftsdienst zu leisten? Seine ritterliche Antwort war: er sei dazu zu jeder Zeit bereit, und sie sagte ferner: Wohlan! so tödten Sie mich! Meine Leiden haben mich dahin geführt, daß ich das Leben nicht mehr zu ertragen vermag. Es ist freilich nicht wahrscheinlich, daß Sie dies thun, da es keine <74:> Männer mehr auf Erden gibt; – allein … Ich werde es thun, fiel ihr Kleist in das Wort, ich bin ein Mann, der sein Wort hält! –
Der unglückliche Dichter beging also mit kalter Besonnenheit die That, aus der ihm doch nur der Wahnsinn hätte mit der Verpfändung seines Wortes eine Pflicht machen können, und es war natürlich, daß er, nachdem er seine Freundin erschossen hatte, nicht selbst weiter leben konnte.
So ohne Falsch und ohne Ziererei irgend einer Art Kleist sein ganzes Leben lang gewesen war, wird ihn der billige und edlere Beurtheiler gewiß frei von dem verdächtigen theatralischen Lichte sprechen, welches einerseits falsche Emphase, anderseits der Unverstand darauf haben werfen wollen.
Wie fest schon im Laufe dieses Sommers sein Entschluß, sich zu tödten stand, beweist der Brief 23., welchen Kleist am 11. August an Fouqué schrieb, wenn ich, nach persönlicher Ueberlieferung, die Stelle: „Inzwischen kommt es mir vor“ u. s. w. dahin erkläre, daß der wunderbare Mann unter anderen Freunden auch Fouqué zu bereden gesucht hatte, mit ihm gemeinsam und freiwillig die Welt zu verlassen. So sehr war der Schritt sein unentäußerliches Bedürfniß geworden und so sehr scheute er sich, ihn allein zu thun. Auch Fouqué lehnte, wie Andere, Kleists Vorschlag ab, und dieser zog sich von der Zeit an mit seiner getäuschten Erwartung von ihm zurück. Kleist hatte mit seiner Freundin zuerst beabsichtigt, sich in Kottbus zu tödten, von wannen ein dort lebender Freund ihres Hauses ihrem Gat- <75:> ten die Todesbotschaft hinterbringen sollte. Ein Zufall durchkreuzte indessen diesen Plan und so fuhren beide am Nachmittage des 20. Novembers 1811 von Berlin nach dem, an der Hochstraße eine Meile vor Potsdam, gegenüber dem letzten Chausseehause und dicht bei der Wansee gelegenen neuen Kruge, der damals nach dem Namen seines Wirths zum Stimming hieß.
Sie brachten hier den Abend und den andern Morgen in anscheinender Heiterkeit und Unbefangenheit, die dazwischen liegende Nacht wahrscheinlich Briefe schreibend zu und setzten ihr Vorhaben endlich um die vierte Nachmittagsstunde des 21. Novembers ins Werk. Die dazu von ihnen erwählte Stätte befindet sich etwa fünfhundert Schritte weit vom Gasthause an dem erhöhten mit Föhren bewachsenen sandigen Ufer der Wansee, die sich hier bis auf fünfzig Schritte zusammengezogen hat und von dem Hochwege überbrückt worden ist.
Die nähern Umstände ihrer letzten verhängnißvollen vier und zwanzig Stunden sind merkwürdig genug und ich theile darum im Anhange einen Abdruck des amtlichen Berichtes mit, welchen der Wirth über das Ereigniß eingereicht hat.
Ein Förster, dessen Wohnung in der Nähe, war einer der Ersten, welche auf die erfolgten zwei Schüsse an Ort und Stelle eilten, und fand, nach seiner mündlichen Aussage gegen mich, Henriettens Leiche in einer durch das Ausroden eines alten Baumes entstandenen Vertiefung, mit gefaltenen Händen ausgestreckt. Kleist hatte sie so sicher durch das Herz geschossen, daß kein Tropfen <76:> Blut danach geflossen war, und kniete selbst, todt, vor ihr mit durchschossenem Kopfe.
Das unglückliche Paar ist, nach seinem eigenen Verlangen, an derselben Stelle neben einander beerdigt worden, und, wenn eine Nachricht wahr ist, welche man mir in Berlin aus zuverlässiger Quelle mitgetheilt, wird das Verhängnißvolle ihres beiderseitigen Todes noch dadurch erhöht, daß vorgenannter Dr. Erhard, nach ihrem Tode, den Zustand ihres Körpers für normal erklärt hat, und daß danach also die Erklärung eines Chirurgen gegen Henrietten, welche eben darauf ihren Entschluß zu sterben begründet zu haben scheint: daß sie an einem unheilbaren Uebel leide, eine bloße Täuschung gewesen wäre.
Zur näheren Charakterisirung dieser wunderbaren Frau ist es mir erlaubt, im Anhange einige Gedanken mitzutheilen, welche sie kurz vor ihrem Tode für eine vertraute Freundin aufgeschrieben hat. Dieselben zeugen eben so wohl für die Ueberspannung ihres Innern, als ein mir vorliegender Brief ihres Freundes, des Kriegsrathes Pequilhen, worin er von ihr erzählt, daß ihre Lieblingsunterhaltung immer nur die Fortdauer nach dem Tode und die Glückseligkeit im Himmel betroffen habe.
Kleists Gemüthsstimmung unmittelbar vor seinem Tode bethätigt der ebenfalls im Anhange abgedruckte Brief, welchen er gemeinsam mit Henrietten an Frau von Müller nach Wien geschrieben hat.
Gleichzeitig mit seinem Tode soll sich für ihn auch die Aussicht auf Unterstützung von Seiten des Staats verwirk- <77:> licht haben, welche, früher eingetreten, sein Leben dennoch würde haben retten können.
An so dünnen Himmelsfäden hängen oft alle unsere menschlichen Geschicke!
Wenige Tage nach Kleists Tode (den 26. November) erschien in der Berliner (Vossischen) Zeitung folgende Anzeige:
„A. V. geb. K. und Heinrich von Kleist haben am 21. November gemeinschaftlich diese Welt verlassen, aus einem Verlangen nach einer bessern.
Beide hinterlassen Freunde und Freundinnen, und dazu gehören nicht blos diejenigen, welche so glücklich waren, mit ihnen zu leben, sondern die verwandten Geister aller Jahrhunderte, der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Daher halte ich für Pflicht, nach dem Wunsche und mit dem Beistande meines Freundes, des tiefbetrübten Gatten der Verewigten, einige Bruchstücke über die Katastrophe vorzulegen, welche ihrem Leben ein Ende machte, und das soll hoffentlch noch in diesem Jahre geschehen.
Das Publikum bitte ich, sein Urtheil bis dahin aufzuschieben, und nicht zwei Wesen lieblos zu verdammen, welche die Liebe und Reinheit selbst waren. Es ist von einer That die Rede, wie sie nicht alle Jahrhunderte gesehen haben, und von zwei Menschen, die nicht mit einem gewöhnlichen Maßstabe gemessen werden können. Ob es mir aber gelingen wird, der bloßen Neugierde derer zu genügen, die, gleich dem Chemiker, nur ohne seinen Beruf – nicht eher ruhen, bis der Diamant in gemeine Kohle und Gas verwandelt daliegt, daran zweifle ich selbst. Diesen rathe <78:> ich sehr, die angekündigte, für Freunde und Freundinnen in obigem Sinne bestimmte Schrift nicht zu lesen, wenn sie dieselbe auch zum Besten der wohlthätigen Anstalt, für welche der Betrag bestimmt ist, kaufen sollten.

Pequilhen als Vollstrecker
des letzten Willens
der beiden Verewigten.“

11. August] ? Bülow, S. 246, datiert den Brief auf: Berlin, 15. August 1811

Emendation
mitzutheilen] mitzutheile D

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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