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Eduard v. Bülow (Hrsg.), Heinrich von Kleist’s Leben und Briefe. Mit einem Anhange (Berlin: Besser 1848), V-XIV, 1-81, 274f.; darin: 67-71

Ursachen für den Selbstmord


„Wenn man diese wenigen Bekenntnisse aufmerksam liest, und damit die Empfindung vergleicht, die uns bei allen Werken des Verfassers mehr oder minder beherrscht, so fühlt man deutlich, daß das Gemüth des Dichters nicht mit sich einig, daß er weder in der Wirklichkeit noch Kunst das Glück und die Beruhigung finden konnte, die beim Schaffen unerläßlich, die, um die Beschwerden und Freuden des Lebens zu tragen, nicht zu entbehren sind. Diese tiefe Disharmonie, diese grellen Widersprüche, die das Leben zu zerstören drohen, schlafen wohl in den Gemüthern der meisten Menschen, ja man kann vielleicht sagen, der Mensch und sein Charakter gehen erst aus ihnen hervor, und um so mehr, wenn ihm die Natur irgend ein ausgezeichnetes Talent verliehen, ihm eine vorzügliche Stellung in der Gesellschaft angewiesen hat. Den gewöhnlichen Menschen drücken und ängsten diese Widersprüche seines Wesens nicht oder wenigstens nicht auf lange; die jugendliche Ungenügsamkeit beschwichtigt sich bald in irgend einem herkömmlichen Beruf, in den Gewohnheiten der Welt und alltäglicher Beschäftigung und Zerstreuung; dagegen hat die Jugendgeschichte solcher Menschen, die innerer Trieb und Enthusiasmus zu den Wissenschaften führt, vorzüglich aller Künstler und Dichter, darum etwas Ausgezeichnetes, und unter sich zugleich eine große Aehnlichkeit, weil alle mehr oder minder diesen Trübsinn, den die Widersprüche der gewöhnlichen Welt und die Unbekanntschaft des eigenen Innern erregen, niederzukämpfen und zu überwinden haben. Das Schicksal sorgt in der Regel dafür, daß ein edler Leichtsinn tröstend über diese Klippen der Wanderer leitet, oder daß sich die <68:> Krankheiten der Phantasie selber heilen, wohl auch, daß die hohe Erscheinung der Natur, oder Religion und Philosphie das Herz beruhigt und es dem Künstler vergönnt wird, ganz und mit voller Seele seiner Kunst zu leben, so daß er aus seinem Innern die Welt und ihre Erscheinungen begreift, und wieder das Leben und dessen Ereignisse sein Gemüth mit immer neuen Gestaltungen erfrischen. Oft aber läßt es das Schicksal zu, daß der Geist nie das Genügen findet, im Streben nach dem Bessern sich abmattet, zwischen Hochmuth und Verzweiflung an sich selbst, wechselnd ringt, und im kalten Verdruß und kränklicher Empfindlichkeit sich und andere nicht mehr versteht; dies sind die hypochondrischen ängstlichen Wesen, die durch Wissenschaft und Kunst verlockt, wie Tantalus an der Quelle des Lebens schmachten. Nur selten zeigt die Natur die grausame Laune, daß sich Talent, Neigung, Widerspruch und Charakter so mischen, und streitend verwirren, daß das irdische Dasein selbst sich zerstört. Und unter diesen Seltenern fordern Wenige so unser Mitleid, unsere Achtung und Theilnahme auf, wie Heinrich von Kleist. In einer höchst bewegten Zeit lebend, war es seinem starken Herzen unmöglich, nicht die Bedrängniß der Gegenwart ganz und voll zu fühlen; er war ganz Deutscher und liebte sein Vaterland Brandenburg noch inniger, als die übrigen verwandten Stämme. Seine Zeit aber verwandelte sich ihm gleichsam zum Gespenst, so daß er nicht ruhig das Unglück fest anschauen und mit klarem Auge nach der Zukunft sehen konnte, so sehr ihn diese Zeit bedrängte, wurde sie ihm durch brütende Trauer doch fast nur in einen ängstenden Traum verwan- <69:> delt. Die Poesie war diesem finstern Gemüthe nur auf Augenblicke ein Labsal, keine Heilung, der unglückliche Dichter konnte ihr nicht leben und sich in ihr beruhigen, die Gegenwart verdunkelte ihren Glanz, und sie war daher nicht fähig, ihm die äußere Welt mit milderem Schimmer zu erheitern. Vielleicht waren seine häufigen schweren Krankheiten vorzüglich Folgen seines zerrütteten Gemüths; man wird versucht anzunehmen, daß schon von früher Zeit eine dunkle Macht ihn geistig von innen heraus zerstört habe. Er konnte im Leben die Stelle nicht finden, die ihm zusagte, und die Phantasie vermochte ihm den Verlust der Wirklichkeit auf keine Weise zu ersetzen. Wenn er zuletzt auch wohl nicht an seinem Talent verzweifelte, so mußte es ihn doch betrüben und verstimmen, daß die Welt um ihn so wenige Kunde von seinen Arbeiten nahm. Denn auch darin ist dieser Dichter unglücklich zu nennen, daß in einer Zeit, in welcher sich nur wenig Ächtes in unserer Literatur zeigte, er fast unbemerkt blieb, indessen neben ihm Autoren berühmt wurden, weil sie dem krankhaften Bedürfniß der Zeit fröhnten, neben andern, von denen sich gar nicht angeben läßt, warum ihnen dieser Vorzug wurde.“
„Sein plötzlicher freiwilliger Tod erschütterte alle seine Freunde, sowie alle diejenigen, die sein großes Talent und seinen edlen Charakter achteten, indessen aus dem gemeinen Haufen Manche schadenfroh Märchen glaubten und höhnend verbreiteten, weil der Unverstand nur allzugern das Hohe des Menschen beschmutzt und in jedem Einzelnen das zu bekämpfen wähnt, was ihn in manchen dunkeln Stunden ängstigt. Einige mehr wohlwollende als vorsichtige, zu <70:> partheiische Freunde wollten diese seltsame erschreckende That mit Lobpreisungen verherrlichen und schadeten dadurch dem Abgeschiedenen, den sie zu erheben suchten. Eine That wie diese, steigt, wenn wir sie vernehmen, mit einem heiligen Erschrecken in unsere Seele; ein tiefes Mitleid läßt lange kein Urtheil zu, ebenso wenig ein bewunderndes, wie ein schnöde verhöhnendes. Was man aber so häufig erzählt hat, um diese tragische Begebenheit zu einer romantischen Novelle umzugestalten, ist völlig ungegründet. Keine Leidenschaft der Liebe, kein Drang der Verhältnisse, keine Verzweiflung des Herzens trieben ihn in sein freiwillig erwähltes Grab. Seit vielen Jahren hatte sich ein kalter Lebensüberdruß in seiner Seele festgesetzt; er hatte sein Vaterland, ja Deutschland und mit diesen höchsten Gütern sich selber aufgegeben. Eine Frau, die an einem schrecklichen unheilbaren Uebel krankte, das einen schmerzhaften Tod unvermeidlich herbeiführen mußte, läßt sich in trüber Stunde ein Wort, ja einen Schwur von ihm geben, ihr einen Dienst zu leisten, sobald sie ihn fordern würde. Er verspricht dies der Freundin und sie begehrt den Tod von ihm, da jeder Arzt, seiner Pflicht, getreu ihr Leben so lange als möglich fristet. Dies Versprechen und das Halten des Wortes ist ohne Zweifel Krankheit des Gemüthes, und eine Reise, ein wichtiges Geschäft hätten den Unglücklichen gewiß, vielleicht sogar ein Freund, dem er sich vertraute, über diese schreckliche Minute hinübergeführt. Und wenn es den Abgeschiedenen vergönnt ist, von den hiesigen Dingen noch zu wissen, mit welcher Wehmuth und Reue muß sein Geist sich herabgesehnt haben, als seine Freunde und Brüder, für König und Vater- <71:> land, im edelsten Streit der neuern Tage, auf der Ebene von Lützen standen, für die Sache siegend, der sein irdisches Herz fast zu ungestüm geschlagen hatte. Daß er in diesem Kriege nicht mit siegen oder in ihm fallen konnte, ist für ihn Strafe genug für sein Vergehen gewesen, wenn es nach den Begriffen der Meisten ein solches ist, auf das Leben zu früh zu verzichten.
Kurz vor seinem Tode hat er alle seine Papiere vernichtet. Ein langer Aufsatz, der die Geschichte seines Innern enthielt, soll vorzüglich interessant gewesen sein. Vielleicht besitzt einer seiner vertrauteren Freunde noch eine Abschrift und macht in Zukunft einiges davon bekannt. Er war gewissenhaft ängstlich in seinen Arbeiten, sie rückten nicht schnell vor, er änderte oft und arbeitete wieder um. Er selbst war am schwersten zu befriedigen.“
„Der Herausgeber erwarb seine Bekanntschaft im Sommer 1808 in Dresden. Er hatte damals eben sein Schauspiel Käthchen von Heilbronn vollendet.“
„Heinrich von Kleist war von mittlerer Größe und ziemlich starken Gliedern, er schien ernst und schweigsam, keine Spur von vordringender Eitelkeit, aber viele Merkmale eines würdigen Stolzes in seinem Betragen. Er schien mir mit den Bildern des Torquato Tasso Aehnlichkeit zu haben; auch hatte er mit diesem die etwas schwere Zunge gemein.“


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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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