Eduard
v. Bülow (Hrsg.), Heinrich von Kleists Leben und Briefe.
Mit einem Anhange (Berlin: Besser 1848), V-XIV, 1-81, 274f.; darin: 37-41
Zweite Reise nach Paris
Wenn ich nun alle diese Umstände, seinen auf Selbstgefühl
gegründeten, aber von seinem Schicksal gewaltsam niedergedrückten Stolz, die
Exzentrität der ganzen Laufbahn, worin er sich, seitdem er aus der militärischen
Carriere ausgetreten, hin und her bewegt hat, seine fürchterliche Ueberspannung, sein
fruchtloses Streben nach einem unerreichbaren Zauberbild von Vollkommenheit in seinem
bereits zur fixen Idee gewordenen Guiskard, mit seiner zerrütteten geschwächten
Gesundheit und mit den Mißverhältnissen, worin er mit seiner Familie zu stehen scheint,
zu- <38:> sammen combinire, so erschrecke ich vor den Gedanken, die sich mir
aufdrängen und fühle mich beinahe genöthigt zu glauben, es sei sein guter Genius, der
ihm den Einfall, sich in Coblenz zu einem Tischler zu verdingen, eingegeben. Gewiß ist,
in meinen Augen wenigstens, daß das Projekt, welches Ihnen Ihre so edelmüthig
theilnehmende Zuneigung zu diesem liebenswürdigen Unglücklichen eingegeben, ihn in einem
Büreau, bei Ihrem Freunde M. unterzubringen, allein schon aus der Ursache von
unbeliebigem Erfolg sein würde, weil diese Art von Beschäftigung und Abhängigkeit ihm
in kurzer Zeit ganz unerträglich fallen würde u. s. w.
Dieser merkwürdige Brief C. M. Wielands bezeugt zu seiner Ehre, mit welchem
kritischen Scharfblicke er vor den meisten selbst bedeutenderen Zeitgenossen das hohe
Talent des Dichters noch in seinem Keime zu würdigen verstand. Die Vermuthung, daß
Kleist mit seiner Familie in Mißverhältnissen gelebt, ist eine irrige, da dieß wohl nur
vorübergehend mit einem einzelnen Mitgliede derselben gewesen sein konnte.
Von Weimar begab sich Kleist im Jahr 1804 nach Dresden, um an seinem liebsten
Trauerspiele, Robert Guiskard, weiter zu dichten, dessen Bruchstücke Wieland so sehr
entzückt, und das er in seinem Unmuthe bereits zweimal vernichtet hatte. Hier traf er
auch mit seinem Freunde von Pfuel zusammen, und soll ihm Kleist eines Abends, als Pfuel
Zweifel an seinem komischen Talent geäußert, die drei ersten Scenen des schon in der
Schweiz begonnenen Lustspiels: der zerbrochene Krug, diktirt haben.
Kleist war zu dieser Zeit ein Hausfreund der
Familie <39:> von Schlieben, in welcher eine Tochter mit seinem Freunde Lohse
verlobt war, dessen Gattin sie in der Folge wurde. Als sie nun in ihrem Brautstande eine
lange Zeit keine Briefe von Lohse erhalten hatte und darüber ganz tiefsinnig geworden,
sagte sie eines Tags zu Kleist, der neben ihr auf dem Sofa saß und auf der Guitarre
klimperte: Wenn der Zustand noch lange anhält, so werde ich verrückt. Sie haben Recht,
versetzte Kleist: es ist das Beste, was Sie thun können, und wenn Sie Ihren Verstand je
wiederfinden, nehme ich eine Pistole und schieße Sie und mich todt. Ich kann Ihnen schon
den Gefallen thun. Diese Worte machten einen so tiefen Eindruck auf das Mädchen, daß Sie
danach ihre Besinnung wieder fand, und von ihrer Melancholie genas.
Gegen ein anderes Mitglied dieser Familie sagte er einmal von sich
aus: In mir ist nichts beständig, als die Unbeständigkeit.
Von Dresden aus unternahm Kleist noch in diesem
Sommer mit Pfuel, dessen fester ausgezeichneter Charakter auf sein Leben wie auf den
Fortschritt seiner Bildung einen bedeutenden Einfluß gehabt zu haben scheint, eine
abermalige Reise nach der Schweiz. Den Entschluß dazu scheint er ebenso unversehens
gefaßt zu haben, wie er beinahe immer in seinem Leben zu handeln pflegte, denn er hatte
noch wenige Tage vor seiner Abreise die Absicht, zu seinen Schwestern auf das Land zu
ziehen. Erst den Tag vorher erschien er plötzlich mit der Erklärung in der eben
erwähnten Familie von Schlieben: er gehe mit Pfuel nach der <40:> Schweiz und
nach Mailand, zu dem alleinigen Zwecke, seinen Freund Lohse dort zu besuchen.
Beide Freunde gingen meist zu Fuß, und lebten in Bern und Thun, an
welchen Orten zu Zeiten der Ruhe an Robert Guiskard gearbeitet ward. Sie kamen nach
Mailand, wo Kleist unbegreiflicherweise Lohse gar nicht besuchte und begaben sich endlich
durch das Waadtland, über Genf und Lyon nach Paris.
Schon auf dem Wege dahin soll, nach L. Tiecks Nachrichten, die
krankhafte Seelenstimmung des Dichters noch schärfer und drohender als früher
hervorgetreten sein und sich in Paris bis zu dem Grade gesteigert haben, daß sich die
beiden Freunde ganz entzweiten.
Ein Streit über Sein und Nichtsein führte die
Katastrophe herbei. Kleist rannte im Zorne hinweg, blieb lange aus und fand, als er
endlich heimkehrte, ein Billet von Pfuel vor, aus dem hervorging, daß er unterdeß
ausgezogen war, und ihn in der Wohnung allein gelassen hatte.
In seiner darüber entstandenen Verzweiflung an sich und der Welt,
verbrannte Kleist alle seine Papiere, und vernichtete die Tragödie zum drittenmale,
welche er mit so besonderer Vorliebe ausgearbeitet hatte. Es ist möglich, daß darunter
auch die beiden Dramen: Peter der Einsiedler und Leopold von Oestreich waren, die er jetzt
in Paris, in Shakespearschem Style geschrieben haben soll, und von denen mir Herr von
Rühle, aus der Erinnerung, einen Theil des Plans erzählte. Tieck sagt dagegen nur:
Kleist habe 1804 in Dresden eine Tragödie über
den Fall Leopolds von Oest- <41:> reich schreiben wollen, aber nicht
geschrieben. Einige Hefte: Fragmente mit allerlei Betrachtungen und Gedanken,
welche Frau von Müller eine Zeitlang von seiner Hand besaß, sind wohl später verloren
gegangen.
Also zerstört, verließ der Dichter Paris ohne
Paß und begab sich zu Fuße auf den Weg nach Boulogne sur mer. Als er eine
Strecke weit gegangen war, begegnete er einem Haufen Conscribirter, und gab sich vergebene
Mühe, für einen derselben als gemeiner Soldat einzutreten.
Zu seinem Glücke traf er noch kurz vor Boulogne mit einem ihm
bekannten Chirurgien-Major zusammen, auf dessen verwunderte Frage, was er da zu thun habe?
er ihm erzählte, er laufe ohne Paß herum. Der Franzose schilderte ihm mit Entsetzen,
welche Lebensgefahr er untergehe, indem in Boulogne noch unlängst unter ähnlichen
Verhältnissen ein preußischer Edelmann als vermeinter russischer Spion erschossen worden
sei, und nahm ihn unter seinem Schutze, als seinen Bedienten, mit nach der Stadt.
Von hier aus bat Kleist den Gesandten Luchesini
sogleich um einen Paß, den er nach vier Tagen, unmittelbar nach Potsdam ausgestellt,
erhielt, und sah er sich also genöthigt, nach dem Vaterlande heimzukehren.
1804] recte 1803
1804] recte 1803
Emendation
C.] F. D
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