Eduard
v. Bülow (Hrsg.), Heinrich von Kleists Leben und Briefe.
Mit einem Anhange (Berlin: Besser 1848), V-XIV, 1-81, 274f.; darin: 41-45
Staatsdienst, Königsberg
Nach Tiecks Vorrede wäre er zuerst auf kurze Zeit wieder nach Paris
gegangen und hätte sich nur weil er seinen Freund Pfuel dort nicht mehr angetroffen, von
der Sehnsucht nach dem Vaterlande dahin zurückziehen lassen. In Paris hatte nach seiner
Flucht sein Freund gefürchtet, Kleist habe sich in die Seine gestürzt, und ihn bereits
unter den in der Morgue ausgestellten Leichnamen gesucht. <42:>
Auf dem Heimwege befiel Kleist in Mainz eine
tödtliche Krankheit, von welcher ihn Hofrath Wedekind erst nach sechs Monaten
wiederherstellte und blieb er inzwischen allen seinen Freunden entschwunden.
Er soll in dieser Zeit die Bekanntschaft der Günderode gemacht und
mit der Tochter eines Predigers bei Wiesbaden ein zartes Verhältniß gehabt haben. Aus
Wielands obigem Briefe geht hervor, daß er damals in Coblenz den seltsamen Einfall gehabt
hat, sich bei einem Tischlermeister zu verdingen, und es war mir diese Nachricht auch
bereits auf anderem Wege zugekommen.
Genesen, reiste Kleist endlich nach Potsdam weiter und erschien dort
eines Abends unvermuthet vor dem Bette seines Freundes Pfuel.
Sowie seine Ankunft in der Heimath verlautete,
eilte seine Schwester zu ihm, die all sein Unglück seiner poetischen Richtung zuschrieb,
und ihn fortan aufs ernstlichste davor zu bewahren suchte, daß er keine Verse
weiter mache. Sie vermittelte auch mit andern Freunden, daß er durch Massenbach dem
Minister Altenstein empfohlen ward, welcher ihm bei der Finanzverwaltung von Anspach eine
Anstellung in Aussicht stellte.
Im Jahre 1804 hielt sich Kleist eine Zeitlang in Berlin auf, und wurde
hier durch seinen Freund Brockes mit Varnhagen von Ense bekannt. So freundschaftlich er
auch mit diesem umging, verhehlte er ihm doch sorgfältig, daß er mit der Familie
Schroffenstein schon öffentlich als Dichter aufgetreten war.
In Varnhagens Stammbuch schrieb Kleist den
11. Aug. <43:> 1804: Jünglinge lieben in einander das höchste der
Menschheit, denn sie lieben in sich die ganze Ausbildung ihrer Naturen schon um zwei oder
drei glücklicher Anlagen willen, die sich eben entfernen. Wir aber wollen einander gut
bleiben.
Varnhagen sagt in seinen Denkwürdigkeiten von Kleist, daß er damals
noch nicht den Genius und die Kraft verrathen habe, die ihn später berühmt gemacht.
Den Wünschen der Seinigen nachgebend, widmete jetzt Kleist seine
ganze Zeit dem Studium der Kameralwissenschaft, um sich zu der genannten Anstellung
vorzubereiten und wurde in Folge dessen, wahrscheinlich im Winter 1804 bis 1805, als
Diätar nach Königsberg in Preußen geschickt.
Wie lange er sich hier in der That ernstlich dem Staatsdienste
gewidmet und der Poesie den Rücken zugewendet hat, weiß ich nicht gewiß, wenn auch der Brief 19 ein Beweis ist, daß er 1805 nichts
poetisch schaffte.
Viel über ein halbes Jahr dürfte es aber wohl nicht gedauert haben.
Kleist traf in Königsberg seinen in Ostpreußen angestellten Freund
von Pfuel wieder an, mit dem er sich schnell versöhnte, und empfing von ihm
wahrscheinlich hier die erste, von Tieck nach Potsdam verlegte Veranlassung zu seiner
Novelle Kohlhaas. Nachdem nemlich Kleist eines Tags Pfuel aufgefordert hatte, ebenfalls
eine Tragödie zu dichten, erzählte ihm dieser die Geschichte des Kohlhaas als einen dazu
wohl geeigneten Stoff.
In Königsberg schrieb Kleist auch seine andere meisterhafte Novelle:
Die Markise von O., zu der ihm eine <44:> Novelle der bekannten französischen
Schriftstellerin, Madame de Gomez, deren cent nouvelles nouvelles er
wahrscheinlich in Paris gelesen, die Veranlassung geliehen hatte.
Ich entdeckte diese Entlehnung des Stoffes bei meiner eigenen Lektüre
der Gomez; will aber hiemit keineswegs ausgesprochen haben, daß sie Kleists Verdienst an
dieser Dichtung schmälere.
Als Kleist im Jahr 1804 auf seiner Reise nach
Königsberg durch Frankfurt a. O. gekommen war, hatte er es eben sowohl wie seine
ehemalige Braut vermieden, einander zu sehen, und erst im Jahre 1806 kamen Beide wieder in
Königsberg zusammen, wohin die junge Dame, welche sich unterdeß verheirathet hatte, mit
ihrer Schwester und ihrem Gatten gezogen war.
Das erste Wiedersehen des Paares war ein äußerst peinliches,
inmitten einer großen Gesellschaft.
Nachdem sich Kleist eine lange Weile fern von seiner ehemaligen Braut
gehalten hatte, ging er auf ihre Schwester zu, die er wieder seine goldene Schwester
nannte und forderte sie zum Tanzen auf. Er sprach weich und herzlich mit ihr, schüttete,
unter vielen Selbstanklagen, sein ganzes Herz vor ihr aus und fragte sie, ob sie ihn
würden wiedersehen wollen? Die Schwester stellte ihn ihrem Schwager vor, der ihn selbst
zu ihnen zu kommen bat und so ward er bald ihr täglicher Gast, las ihnen seine kleinen
damals noch nicht gedruckten Erzählungen vor und hörte gern ihre Urtheile darüber an.
Die Kunst vorzulesen war ein Gegenstand, über den
Kleist viel nachgedacht hatte und oft sprach. Er fand es <45:> unverzeihlich,
daß man dafür so wenig thue und Jeder, der die Buchstaben kenne, sich einbilde, auch
lesen zu können, da es doch eben so viel Kunst erfordere, ein Gedicht zu lesen, als zu
singen, und er hegte daher den Gedanken, ob man nicht, wie bei der Musik, durch Zeichen
auch einem Gedichte den Vortrag andeuten könne? Er machte sogar selbst den Versuch,
schrieb einzelne Strophen eines Gedichtes auf, unter welche er die Zeichen setzte, die das
Heben, Tragen, Sinkenlassen der Stimme u. s. w. andeuteten, und ließ es also
von den Damen lesen.
Die beiden Schwestern fanden Kleist stiller und ernster als ehemals
geworden, obwohl ihm seine kindliche Hingebung geblieben und seine Phantasie glühender
als jemals war.
Brief 19] Brief 20?? An Rühle
v. Lilienstern, Königsberg, Anfang Dezember 1805
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