Eduard
v. Bülow (Hrsg.), Heinrich von Kleists Leben und Briefe.
Mit einem Anhange (Berlin: Besser 1848), V-XIV, 1-81, 274f.; darin: 45-49
In französischer Gefangenschaft
Das Verhältniß, in welchem Kleist bei der Kammer angestellt,
mißfiel ihm, nach seinen Aeußerungen gegen die Damen, in hohem Grade, und er fand es
unerträglich, sich Männern, die er übersah, untergeordnet zu sehen. Er war damals
überhaupt mit sich und der ganzen Welt unzufrieden und es entsprach nichts seinen
Erwartungen.
Es war sein innigster, bis zur Verzehrung heißester Wunsch, der Welt
mit allen Kräften zu nützen, und auch von ihr anerkannt zu werden: er sollte aber, so
lange er lebte, nicht den mindesten Erfolg von seinen Anstrengungen sehen.
Seine Verstimmung über sein Schicksal steigerte sich gegen das Ende
des Jahres 1806 bis zum heftigsten Schmerz und daneben mußte seine glühende Liebe für
sein Vaterland dasselbe in die tiefste Schmach versinken sehen! Er war
jetzt <46:> öfters völlig außer sich, hatte keinen andern Gedanken mehr als
diesen, und sah alle Schrecken, die noch kommen sollten, mit Gewißheit voraus. Auch war
seine Gesundheit schon sehr angegriffen, er hatte häufig Fieber und lag oft ganze Tage
lang, wie er freilich sagte, mehr aus Unlust als aus Unwohlsein, zu Bett, oder ließ sich
doch, in sein Zimmer verschlossen, vor keinem Menschen sehen.
Von allen Bekannten und Gesellschaften zurückgezogen, gab er endlich
selbst seine Stelle beim Departement auf. Er schrieb aus dieser Seelenstimmung den zweiten
der beiden schönen Briefe 19 und 20. von Herrn von Rühle, welche gegen die
früheren Briefe an seine Braut beweisen, wie reif mittlerweise seine Ausdrucksweise
geworden war.
Es hatte diese jüngste Königsberger Einsamkeit seine Seele wahrhaft
erhoben, und mit neuen Kräften zu der Kunst zurückgeführt; nur gegen die Kritik war er
zu allen Zeiten seines Lebens sehr empfindlich, wie ernstlich er auch, in dem erwähnten
Briefe, dazu aufzufordern scheint.
Er schrieb nunmehr in Königsberg den zerbrochenen
Krug zu Ende, begann die Penthesilea und bearbeitete den Amphitryo des Moliere, dessen
Manuscript er an seinen Freund Rühle nach Berlin sendete, um vielleicht durch eine solche
zerstreuende Arbeit die Heiterkeit seines Lebens wieder zu finden.
Im Jahre 1807 wanderte Kleist, gerade zu der Zeit,
als nach der Schlacht von Eylau die Parteigänger in Preußen auftauchten, mit Pfuel und
zwei anderen Offizieren zu Fuße nach Berlin.
Herr von Pfuel trennte sich von seinen Begleitern kurz
vor <47:> der Stadt, um nach Nenndorf zu Fouques zu gehen. Die drei
Andern wurden am Thor angehalten und Kleist, da er ohne Paß war, und nur seinen Abschied
als Leutnant in der Tasche hatte, als vermeinter Schillscher Offizier ohne Weiteres
gefangen genommen und nach Fort de Joux in Frankreich abgeführt.
Es ist gewiß nicht unmöglich, daß dieser Verdacht der wahre Grund
eines solchen Verfahrens gegen ihn gewesen sei; doch bleibt immer so viel Unaufgelöstes
in der Sache, daß auch die Vermuthung nicht ganz abzuweisen sein mag, man habe ihn mit
Pfuel verwechselt, und für ihn bestraft, dessen Abgang von Königsberg verrathen worden
war, und den die Franzosen ohne Zweifel recht wohl als bedeutenden Vaterlandsfreund
kannten und fürchteten.
Nach einer anderen Meinung machte es ihn zumeist verdächtig, daß er
so leicht verlegen ward, stotterte, erröthete, ein Kindergesicht hatte, und französisch
eigentlich fließender als deutsch sprach.
Nachdem Kleist ein halbes Jahr in dem Gefängnisse des bekannten Toussaint
Louverture in Joux gesessen hatte, brachte man ihn nach Chalons sur Marne,
wo er in seiner Einsamkeit viel gedichtet haben soll. Er schrieb aus seiner französischen
Gefangenschaft an eine edle, geistreiche Verwandte
Folgendes:
Was soll jetzt aus meiner Sache werden, da, wie ich höre, auch
X. Berlin verlassen wird, nachdem A. es längst verlassen hat? Sie sehen, daß fast alle
Bemühungen für mich gänzlich überflüssig sind. Von Tag zu Tag habe ich immer noch,
dem Versprechen gemäß, das Ihnen der <48:> General Clarke gegeben hat, auf
eine Ordre zu meiner Befreiung gewartet; doch statt dessen sind ganz andere Verfügungen
unsertwegen angekommen. Welch ein unbegreifliches Mißverständniß muß in dieser Sache
obwalten! Wenn sich Niemand für mich interessirte, weder Sie noch X. noch A. so bliebe
mir noch ein Ausweg übrig. Doch so werde ich mich wohl mit dem Gedanken bekannt machen
müssen, bis ans Ende des Krieges in dieser Gefangenschaft auszuhalten. Und wie lange kann
dieser Krieg noch dauern, dieser unglückliche Krieg, den vielleicht gar nicht einmal ein
Friede beendigt? Was sind dieß für Zeiten? Sie haben mich immer in der
Zurückgezogenheit meiner Lebensart für isolirt von der Welt gehalten und doch ist
vielleicht niemand inniger damit verbunden, als ich. Wie trostlos ist die Aussicht, die
sich uns eröffnet! Zerstreuung und nicht mehr Bewußtsein ist der Zustand, der uns
wohlthut. Wo ist der Platz, den man jetzt in der Welt einzunehmen sich bestreben könnte,
im Augenblicke, wo Alles seinen Platz in verwirrten Bewegungen verwechselt? Kann man auch
nur den Gedanken wagen, glücklich zu sein, wenn Alles im Elend darniederliegt? Ich
arbeite, wie Sie wohl denken können; jedoch ohne Lust und Liebe zur Sache. Wenn ich die
Zeitungen gelesen habe, und jetzt, mit einem Herzen voll Kummer, die Feder wieder
ergreife, so frage ich mich wie Hamlet den Schauspieler, was mir Hekuba sei? Ernst,
schreiben Sie mir, ist nach K. zurückgegangen. Es freut mich, weil es das Einzige war,
was ihm in dieser Lage übrig blieb. Doch unersetzlich ist es, daß wir uns nicht, er und
B. in Dresden haben sprechen können. Der Augenblick war so gemacht, <49:> uns
in der schönsten Begeisterung zu umarmen. Wenn wir noch zwei Menschenalter lebten, kommt
es nicht so wieder. Hier in Chalons lebe ich wieder so einsam wie in K. Kaum merke ich,
daß ich in einem fremden Lande bin und oft ist es wie ein Traum, hundert Meilen gereist
zu sein, ohne meine Lage verändert zu haben. Es ist hier Niemand, dem ich mich
anschließen möchte: unter den Franzosen nicht, weil mich ein natürlicher Widerwille
schon von ihnen entfernt, der noch durch die Behandlung, die wir jetzt erfahren, vermehrt
wird, und unter den Deutschen auch nicht. Und doch sehnt sich mein Herz so nach
Mittheilung. Letzthin saß ich auf einer Bank, auf einer öffentlichen, aber wenig
besuchten Promenade, und es fing schon an finster zu werden, als mich Jemand, den ich
nicht kannte, mit einer Stimme anredete, als ob sie Pfuel aus der Brust genommen wäre.
Ich kann Ihnen die Wehmuth nicht beschreiben, die mich in diesem Augenblick ergriff. Und
sein Gespräch war auch ganz so tief und innig, wie ich es nur einzig auf der Welt an ihm
kennen gelernt habe. Es war mir, als ob er bei mir säße, wie in jenem Sommer vor drei
Jahren, wo wir in jeder Unterredung immer wieder auf den Tod als auf den ewigen Refrain
des Lebens zurückkamen. Ach! es ist ein ermüdender Zustand, dieses Leben, recht, wie Sie
sagten, eine Fatigue. Erfahrungen rings, daß man eine Ewigkeit brauchte, um sie zu
würdigen, und, kaum wahrgenommen, schon wieder von andern verdrängt, die ebenso
unbegriffen verschwinden.
Verwandte] Marie v. Kleist
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