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Roland Reuß G egenstand: Vorschläge der Fraktionen von SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Gesetzesnovelle des Urheberrechts mit Blick auf ›verwaiste‹ Werke (BT-Drucksachen 17/3991; 17/4661; 17/4695)
Vorbemerkung
Meine Ausführungen haben zwei Teile. Ich werde zunächst unmittelbar zur Thematik der ›verwaisten‹ Werke Stellung nehmen. Die Debatte um diese quantitativ, kulturell und auch ökonomisch marginale Werkgruppe ist mE aufgebauscht und aus ganz anderen Interessen als den vorgegebenen aufgekommen. In einem zweiten Schritt möchte ich einige Basisunterstellungen kritisieren, die sich in den vorliegenden Gesetzesentwürfen finden und die ich für manifest individualrechts- und im übrigen auch fortschrittsfeindlich halte. Ich meine damit insonderheit die unbelegte Annahme, daß die massenhafte Digitalisierung von Werkaltbeständen per se Wissen vermehre und daher auch Eingriffe in garantierte Individualrechte rechtfertige.
I.
Daß Bibliotheken, Rundfunkanstalten, ehrgeizige Prestigeprojekte wie die Europeana, ›die Wirtschaft‹, Institutionen überhaupt, ein Interesse daran haben, kostengünstig, am Liebsten umsonst an geistiges Eigentum heranzukommen, ist trivial und gehört sozusagen zur merkantilistischen Logik der desolaten europäischen – übrigens auch amerikanischen – Bildungspolitik. Es ist aber unrichtig zu behaupten, wie im vorliegenden Papier der SPD geschehen, die Autoren – sie treten in dem Papier bezeichnenderweise nur indirekt, über die »Vertreter der Rechteinhaber« (gemeint sind wohl die VG Wort und der Börsenverein?), auf – beklagten eine »große Rechtsunsicherheit beim Umgang mit vergriffenen[1] und verwaisten Werken«. Das ist reine Erfindung. Das existierende Urheberrecht ist klar und eindeutig und erzeugt für Autoren hier überhaupt keine Rechtsunsicherheit. Und auch für Bibliotheken usw. gibt es, genau betrachtet, keine Rechtsunsicherheit. Denn die Schutzfrist des Urheberrechts gilt, und sie gilt ohne Ausnahme. Daß es an allen Ecken und Enden zur Aufweichung derselben politische Vorstöße institutioneller Interessengruppen gibt, ist eine Tatsache; ob es langfristig klug ist, diesen Bestrebungen zu folgen, ist aber sehr die Frage; auf keinen Fall jedoch ist es Ausdruck empfundener ›Rechtsunsicherheit‹, sondern im Ansatz der Versuch, sich andernorts (etwa in den USA) schon praktizierte Rechtsbrüche für eigenes späteres Verfahren vorab legalisieren zu lassen.
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Das Urheberrecht überläßt es dem Autor zu entscheiden, ob und wie sein Werk publiziert wird. Niemand ist daran gehindert, ein eigenes vergriffenes Werk mit oder ohne Unterstützung der interessierten Großinstitutionen erneut auf digitalem Weg zu publizieren. Im Falle ›verwaister‹ Werke, deren Zahl in Relation zu den vergriffenen Werken verschwindend ist, kann allerdings so wenig wie bei diesen pauschal unterstellt werden, Autoren müßten per se happy darüber sein, einer digitalen Wiederauferstehung ihrer Werke (etwa des ominösen Lyrikbands eines vergessenen Barden) beizuwohnen. Dies anzunehmen, ist bestenfalls ein frommer Wunsch. Ihm fehlt aber die Rechtsbasis. Das Autorenrecht, von einer Neupublikation aus politischen, weltanschaulichen, religiösen oder Gründen gewandelter Kenntnis ausdrücklich Abstand zu nehmen, ist geschützt und, trotz seiner anscheinenden Negativität, ein essentieller positiver Bestandteil von Publikationsfreiheit. Analog ist für den Fall, daß der Rechteinhaber nicht ermittelt werden kann, nicht, sozusagen der Einfachheit halber, zu unterstellen, er stimme bereitwillig einer Publikation zu. Das durch Vorliegen eines Werkes formal angezeigte Persönlichkeitsrecht ist auch dann zu respektieren, wenn der Autor des Werkes nicht ohne weiteres ermittelt werden kann. Die pauschale Unterstellung eines digitalen Wiederauferstehungswunsches ist in jedem Fall unstatthaft. Die interessierten Institutionen, die diesen Übergriff in die ihnen nicht unterstehende Sphäre von Individualrechten mE nur wagen, um einen ersten Pflock in das viel lukrativere Terrain des Umgangs mit vergriffenen Werken einzuschlagen, müssen sich gedulden, bis die gesetzlich geregelte Schutzfrist abgelaufen ist.[2] Die ›Menge‹ an ›kulturellem Erbe‹, das darum einer bildungshungrigen Öffentlichkeit vorenthalten bleibt, ist zu verschmerzen. Das Recht von EU-Kommissaren und politischen Kommissionen und Interessengruppen als digitale Befreiungshelden in die Geschichte einzugehen; das Recht von Bibliotheken, billig an Gedrucktes heranzukommen; das taktische Verlangen, Piratenparteien noch zwei drei Prozentpunkte an Wählerstimmen abzujagen, all das ist gegenüber den Rechten produzierender Autoren (seien diese auch anonym oder gestorben) eindeutig untergeordnet – und wer das anders sieht, sollte sich dann auch dazu aufraffen, die Fortschritte in der juristischen Sicherung individueller Produktion und die Fortschritte dieser individuellen Produktion selbst, die wir in den letzten zweihundert Jahren gemacht haben, für obsolet zu erklären. Es sind nicht nur die Unterstellungen der vorliegenden Papiere, die sie mir als inakzeptabel erscheinen lassen. Auch die mögliche Praxis jagt mir ein Schaudern über den Rücken. Ich meine damit nicht nur jene komplizierte Recherche, die es benötigt, die Absenz von Rechteinhabern tatsächlich festzustellen. Schlimmer finde ich – obschon dies die vorliegenden Papiere wie den Stein der Waisen präsentieren –, daß der VG Wort Rechte übertragen werden sollen, die sie kraft Organisationsform gar nicht haben kann. Die VG Wort vertritt Rechteinhaber, die mit ihr einen Wahrnehmungsvertrag geschlossen haben. Ihr können nicht einfach Rechte überschrieben werden, für die überhaupt kein solcher Vertrag vorliegt. Das gilt aus rechtssystematischen Gründen genauso für den Fall, daß ein Autor, aus welchen Motiven auch immer, absichtlich keinen Kontrakt mit der VG Wort geschlossen hat, wie für den hier interessierenden Fall, daß er das nicht konnte – weil die VG Wort zum Zeitpunkt seiner Werkproduktion noch gar nicht existierte. Hier zum Zwecke einer ohnedies im Blick auf Aufwand-/Nutzenfragen unsinnigen Praxis so etwas wie eine stillschweigende Übertragung zu simulieren, stellt einen gravierenden Eingriff in Individualrechte dar, der nicht etwa, wie vorgegeben, Rechtssicherheit herstellt, sondern, durch die Inkonsistenz im Rechtssystem, die er allererst schafft, im Gegenteil manifest Rechtsunsicherheit produziert. Wenn hier nicht entschieden Widerstand geleistet wird, werden uns die interessierten Kreise bald schon bei den vergriffenen Werken mit ähnlich waghalsigen Konstruktionen kommen.
II.
Das Papier der SPD spricht in seiner Problembeschreibung davon, die »Digitalisierung und die damit verbundene öffentliche Zugänglichmachung von Kulturgütern, insbesondere des schriftlichen Kulturerbes« seien »von enormer Bedeutung und eine wichtige kulturpolitische Aufgabe«. Dieser Satz ist historisch uninformiert. Denn jede intervenierende Technik, die mit dem Anspruch auf ein Monopol auftrat – die Atomtechnik, die Gentechnik, usw. – hat mindestens ebensosehr Probleme der Einhegung produziert, also die kulturelle Frage einer Ökologie des Schützenswerten aufgeworfen. In solchen Situationen stellt sich eben auch – und das könnte man heute nach all den Erfahrungen des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts schon wissen – die politische Aufgabe, der potentiell allesunterjochenden Gewalt der technischen Neuerung Schranken zu setzen. Nun kann man nur schwer, eigentlich nur mit Absicht, übersehen, daß die Durchsetzung der Rechte von Autoren das bei weitem größte Problem darstellt, das durch die Digitalisierung entstanden ist. Sie waren und sind aggrediert durch GoogleBooks; die intendierten Übergriffe der großen Forschungseinrichtungen; das der Geldnot sich verdankende, rabiate Verhalten der Bibliotheken in den USA, aber zunehmend auch hier; durch werbefinanzierte Tausch-Server in Weißrußland, auf den Kaiman Inseln oder wo auch immer. Da die in Wissenschaft und Kunst produzierende Kreativität das primär zu Schützende, übrigens auch im Sinne der wirtschaftlichen Entwicklung primär zu Schützende ist, wirkt es wie Hohn, wenn so gut wie alle Gesetzesvorstöße, die für den neuen Korb der Urheberrechtsnovelle vorgetragen werden, sich nicht etwa dieser Problematik annehmen, sondern auf eine weitere Schwächung der Rechtsposition von Autoren hinauslaufen. Es ist eine eigentümlich schräge politische Logik, auf technische Veränderungen, die es unendlich erleichtern, Individuen der Rechte (nicht nur der Verwertung!) an ihren Produkten und damit einer zentralen Motivation von Produktion zu berauben, durch Gesetzesvorlagen zu reagieren, die das Individuum weiter entrechten. Wer politisch tatsächlich will, daß neues kulturelles Wissen entstehen kann, muß umgekehrt dafür sorgen, daß produktiv Schaffende die Rechte, die ihnen zustehen, auch durchsetzen können – und in diesem Punkt sind alle drei Novellierungsvorschläge aus meiner Sicht nur unzureichend zu nennen. Natürlich ist es leichter, sich der neu etablierten Digitalmacht der Bibliotheken (ihre Formel: Scanner plus billige, mit DFG-Mitteln finanzierte scannerbedienende Hilfskraft[3]) zu fügen und die (nur scheinbar) kostendämpfende Maßnahme als Befreiung des kulturellen Erbes zu verkaufen. Die Autoren mögen immerhin die Klügeren sein – die sogenannten user sind »die Mehreren«. Aber dieser Populismus führt in die Irre. Das Programm einer Konzentration auf die Ausbeutung vergangener Kulturprodukte bei gleichzeitig enthemmter Schrankenphantasie in Sachen Urheberrechte hemmt selbst die Produktion neuen Wissens. Dieses bedarf zu seiner Entwicklung eines verstärkten, nicht geschwächten politischen Beistands auf nationaler, mehr aber noch auf internationaler Ebene. Das wie eine Heilsbotschaft immer wieder wiederholte Credo: alles müsse allen möglichst schnell und kostenlos zur Verfügung gestellt werden, dann steige die Bildungskurve automatisch, wird nicht dadurch empirisch valider, daß man es noch ein weiteres Mal repetiert. Bildung ist nicht einfach eine Funktion kostenlos verfügbarer Informationsmenge. Sie ist zudem kein Selbstzweck, sondern soll vor allem ermöglichen, daß wahrhaft neues, nicht nur Retro-Wissen entsteht. Es kann deshalb nicht sinnvoll sein, Datenhalden zu produzieren, deren Erstellung in die Rechte schöpferisch tätiger Individuen eingreift. Es gilt nach wie vor im Sinne des Allgemeinwohls die Einsicht Hegels aus Paragraph 69 der »Rechtsphilosophie«: »Die bloß negative, aber allgemeinste Beförderung der Wissenschaften und Künste ist, diejenigen, die darin arbeiten, gegen Diebstahl zu sichern und ihnen den Schutz ihres Eigentums angedeihen zu lassen; wie die allererste und wichtigste Beförderung des Handels und der Industrie war, sie gegen die Räuberei auf den Landstraßen sicherzustellen.« Den Begehrlichkeiten von Institutionen und usern nachzukommen, ist demgegenüber von deutlich untergeordneter Bedeutung. Die Erwägung neuer Schrankenbestimmungen paktiert blind mit dem utilitaristischen Zeitgeist, hat die mögliche Zukunft neuen kulturellen Wissens mehr oder weniger resigniert bereits abgeschrieben und verliert den übergeordneten Gesichtspunkt des Urheberrechts aus dem Auge: den vernünftigen Kompromiß zwischen der Schutzbedürftigkeit (und der Schutznotwendigkeit) des kreativ tätigen Subjekts und den Ansprüchen der Allgemeinheit, an dessen Hervorbringungen partizipieren zu können.
Fußnoten [1] Verräterischerweise werden diese gleich hier im gleichen Atemzug mit den ›verwaisten‹ Werken genannt. Dasselbe semantische Verfahren der Überblendung begegnet auch in der sogenannten Lösung des angeblichen Problems: »Einführung einer Regelung, welche die Nutzung verwaister und vergriffener Werke auf eine gesicherte gesetzliche Grundlage stellt« (Drucksache des Deutschen Bundestags 17/3991, p.1) [2] Würde eine tatsächlich offene und faire Diskussion geführt, könnte man sich wahrscheinlich rasch darauf einigen, daß die hiesige Schutzfrist von siebzig Jahren zu lang ist – die Erweiterung derselben auch auf Musikinterpreten(!), wie jüngst beschlossen, erscheint mir unsinnig. Hätte man nicht den Eindruck, daß die Gegenseite gleich gar keine Schutzfrist will (statt dessen mit Vorliebe so schön unsympathische Worte wie ›Embargo‹ verwendet) und jeden Kompromiß im Hinblick auf einen kürzeren Zeitraum nur als Etappe im Hinblick auf die endgültige Abschaffung des Urheberrechts verstünde, vieles wäre einfacher – und man könnte sich endlich auf die wirklich notwendige Durchsetzung der Autorenrechte konzentrieren. Hier ist durch technokratische Allmachtsphantasien viel Vertrauen verspielt worden. [3] Eine schon klassisch zu nennende Fehlzuweisung von Geldern. Statt die Bibliotheksetats mit mehr regulärem Geld zur Anschaffung von Büchern und anderen Medien zu versehen, investiert man in eine schlecht funktionierende und zudem, wegen der ungeklärten Frage der Langzeitarchivierung, nicht zukunftssichere digitale Infrastruktur. Man hofft so, einigermaßen blind, der Geldnot entkommen zu können, die man durch eben diese falsche Grundsatzentscheidung mitproduziert hat. Text als pdf: lokal / auf der Seite des Deutschen Bundestags Alle Papiere, die dem Rechtsausschuß vorgelegt wurden: Seite des Bundestags (15.9.2011)
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