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Roland Reuß
Die Vorsitzende des Unterausschusses »Elektronische Publikationen« der Deutschen Forschungsgemeinschaft hat sich also zu Wort gemeldet mit einer Replik zu »con crema« (Originalversion / F A Z). Wir erinnern uns, es ist dieser Unterausschuß, der das Zögern der Wissenschaftler beim digitalen Umstieg für eine »Generationenfrage« hält, die Zögernden »konservative Fachvertreter« nennt und mit bedauerndem Unterton feststellt, daß die Hochschulleitungen, die doch »am ehesten einen gewissen (institutionellen) Druck ausüben könnten«, bislang »eher zurückhaltend« agieren. Machen wir also einmal »sichtbar«, was die Unterausschußvorsitzende, Gudrun Gersmann, zu meinem Artikel zu sagen hat. Zunächst dies, daß sie meint, es nicht nötig zu haben, auf »eine Polemik mit einer Gegenpolemik zu antworten«. Offenbar spürt sie den Wind des Fortschritts so sehr in den geblähten Segeln, daß sie sich in die staubigen Gefilde des Streites – und sind wir hier nicht tatsächlich auf solchem Terrain? – nicht zu bequemen braucht. Warum eigentlich? Was spricht gegen eine Polemik, wenn die Sache es gebietet? Wenn eine »kurze und nüchterne Bestandsaufnahme« reichte, um den Sachverhalt zu erhellen, hätte ich meinen Artikel kaum geschrieben – und sie wäre wohl kaum genötigt gewesen, eine so eigenartige Replik zu formulieren. Man hätte erwarten können, daß sie zumindest zwei Kernpunkte meines Räsonnements der Mühe einer Widerlegung Wert gefunden hätte: Ich kritisiere (a) den Versuch einer Abschaffung des Urheberrechts und (b) den Ansatz zur Zerschlagung einer freien deutschen Verlagsszene. Aber hierauf geht Gersmann erst garnicht ein. Statt dessen erhalten wir den Abriß eines routinierten Vortrags über die Vorzüge von Open Access, wie sie ihn auf die eine oder andere Art abgewandelt (mit oder ohne PowerPoint-Präsentation) wohl schon öfters gehalten hat. Ich halte fest: Gersmann sagt nichts über die Strategie der Erpressung (ich nenne es: Erpressung) mit der die Universität Zürich ihre Wissenschaftler zu Metöken einer Wissensverwaltung machen will, deren Relation potenziell einen rechtsfreien und hierarchisch gegliederten Raum schafft, der nur wenig von jenem differiert, den Lebensmitteldiscounter zu ihren Zuliefern etabliert haben. Und sie sagt auch nichts über die bundesrepublikanischen Tendenzen, diesem illegalen Tun nachahmend zu folgen. Es wäre schön, wenn die Ausschußvorsitzende der interessierten Öffentlichkeit einmal erklärte, warum – wenn, wie behauptet, das Open Access-Modell tatsächlich so erfolgreich ist und von den Wissenschaftlern so emphatisch begrüßt wird – warum es dann einer Rechtsbeugung bedarf, um es durchzusetzen. Enthusiasmus nach Vorschrift sieht einigermaßen komisch aus. Selbst dem uninformiertesten Laien muß doch auffallen, daß da etwas in der Argumentation nicht stimmt. Warum kann man es nicht dabei belassen – unter Verzicht auf jede Art institutioneller Repression –, daß Autoren sich aussuchen können, wo sie publizieren wollen? Das entspricht der Rechtslage, und wer eine andere will, mag seine Lobbyisten in den Bundestag schicken und versuchen, die Rechtslage zu ändern. Das wäre dann ansatzweise ein demokratischer Prozeß und nicht, was wir jetzt beobachten, der Versuch eines Verwaltungsputschs. Und vor allem sollten endlich einmal Zahlen auf den Tisch. Es wird immer wieder behauptet, die Wissenschaftler seien so happy, unter Open Access-Bedingungen zu publizieren, um, ja, o: ›sichtbar‹ zu werden. Das ist eine reine Behauptung ohne jede Unterfütterung durch Empirie, der ich locker meine Erfahrung im Umgang mit Kollegen entgegensetze. Niemand, der das Open Access-Modell in seinen Folgen für die wissenschaftliche Freiheit durchdacht hat, kann mit den vorgezeichneten Konsequenzen für seine Publikationsfreiheit auch nur ansatzweise sympathisieren – von den Personen abgesehen (quelle surprise), die im Rahmen von Open Access-Projekten Gelder von der DFG bekamen. Auch zu dem zweiten Punkt, der in Kauf genommenen Zerschlagung der deutschen Verlagsszene, sagt die Ausschußvorsitzende nichts Stichhaltiges. Statt dessen ein Blick nach England. Wir haben aber (gottseidank!) in diesem Sektor nicht eine so verzweiflungsvolle Verlagslandschaft wie in England, und die Statistiken liefert (gottseidank!) auch noch nicht ein Erster Beweger der »Bewegung«: »An dieser Stelle wird auch gerne die Legende bemüht, dass Open Access zwangsläufig den Bankrott der Verlage nach sich zieht. Dem sei allerdings entgegengehalten, dass eine Erhöhung der Zahl frei zugänglicher Publikationen zu einem signifikanten ›return on investment‹ führte, wie eine von John Houghton und anderen jüngst publizierte, umfassende Analyse zum Publikationsaufkommen Englands eindrucksvoll belegt.« Ich kenne nun nicht wenige deutsche Verleger, wie kommt es nur, daß mir keiner das bestätigen kann? Und wie kommt es nur, daß man mit Staatsgeldern einen solchen desaströsen Freilandversuch wie – um den inneren Widerspruch so scharf wie möglich zu benennen – technokratisch erzwungenes Open Access durchführt und propagiert, ohne sich ein genaues Bild von den Nebenwirkungen verschafft zu haben? Wenn die Überschrift der FAZ-Replik suggeriert, da habe jemand Angst vor Open Access, so kann ich versichern, Angst habe ich davor nicht (die betroffenen Verlage freilich schon, und ihnen gegenüber ist die Floskel zynisch). Ich habe Gründe. Ich will unter anderem, daß es nach wie vor möglich ist, eine zwanzigbändige Edition (analog und digital) eines Autors vorzulegen, mit den bestmöglichen Materialien, dem bestmöglichen Lektorat, dem bestmöglichen Vertrieb und dem bestmöglichen Kommunikationszusammenhang innerhalb und außerhalb der Universität. Ich will nicht, daß der allein gangbare Weg, dies zu erreichen: die Verlagssubskription, an einer Klausel scheitert, die die Verlage (oder die Autoren) dazu zwingt, Band 1 zum Abschuß für Open Access freizugeben, wenn Band 3 erscheint. Wer sollte dann eigentlich noch subskribieren? Und welcher Verlag wäre dann noch so dämlich, Vorinvestitionen zu tätigen? Und welche öffentliche Institution hätte auch nur die leiseste Phantasie (vom Wissen ganz zu schweigen), was an deren Stelle treten könnte? Ein (wie man so sagt) ›Geschäftsmodell‹, das unter den Bedingungen von Open Access sich bewähren könnte, gibt es nicht – und für die (Wissenschafts-)Verlage, die immer noch nicht begriffen haben, daß mit der Akzeptanz der Übergriffe von Wissenschaftsverwaltungen in die Publikationsfreiheit ihr Totenglöcklein geläutet hat, schreibe ich dies auch gerne hier noch einmal hin: Abtauchen geht nicht mehr. Wir sind an einem historischen Punkt angelangt, wo man öffentlich kämpfen muß oder man geht unter – für diesmal ziehen, eine historische Ausnahme, Autoren und Verleger an einem Strang.
Coda 1 Was ich betreibe, ist keine Kulturkritik. Es ist Kritik, das stimmt. Aber sie bezieht sich nicht auf Kultur, sondern auf die Barbarei eines Denkens, das nur noch in Statistiken rechnet und in wohlfeilen Wortmünzen sich artikuliert. Wie schwach muß eigentlich eine Position sein, die sich mit dem andauernden Aufruf von Phrasen wie »barrierefrei«, »moving wall«, »Open-peer-review-Verfahren«, »return on investment«, »weltweite ›Sichtbarkeit‹« und dergl. mehr wie mit fremdem Blut stärkt? Muß man mit diesen Transfusionen wirklich seinen Sprachkörper dopen, um Karriere zu machen? Wer in diesem technokratischen slang über geistige Gegenstände redet (und entscheiden will), hat von vorneherein ein Legitimationsproblem. Daß es in der Wissenschaftsbürokratie zum guten Ton gehört, in diesen Jargon zu fallen, hilft nicht, ja es verschärft das Problem nur: Die Leere der Parolen kann noch besser wahrgenommen werden.
Coda 2 Es ist nichts törichter, als das Argument, Open Access allein verschaffe freien Zugang zum Wissen für alle. Das kann man nicht nur keinem Afrikaner erzählen (die eine Seite der Medaille); man bekommt außerdem den völlig unangemessenen Eindruck vermittelt, alle öffentlichen Bibliotheken seien geschlossene Anstalten, in die niemand hereingelassen werde (die andere Seite). Meiner Erfahrung entspricht dieses apokalyptische Bild nicht. Man glaubt es kaum: Ich kann problemlos Bücher und Zeitschriften ausleihen, im Lesesaal mich in eine Schrift vertiefen, usw. Zu monieren ist allenfalls, daß ich für Reproduktionen, die ich von Zeit zu Zeit für wissenschaftliche Studien (!) brauche, horrende Summen zahlen darf (man studiere nur einmal die Gebührenordnung des Landes Baden-Württemberg), aber diese Inkonsistenz in der Politik der Bibliotheken paßt genau ins Bild (not so open access). Inkonsistent ist auch, daß die Bibliothekare nicht begriffen haben, daß sie im Augenblick eifrig daran sind, den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen. Wird der Tendenz nicht gesteuert (ihr Einsatz für eine Erhöhung des Buchetats wäre ein erster Schritt), kann man sie, nachdem sie die Originale erst eifrig digitalisiert und anschließend ›entsorgt‹ haben (buchstäblich auf den Müll), für die ›Altlasten‹ durch Archivare ersetzen. Um den laufenden Betrieb kümmern sich dann die server und eine Handvoll Informatiker. Auch das ein ›Geschäftsmodell‹.
Coda 3 Wenn es so ist (was ich einmal gutwillig annehme), daß einer der Gründe, für Open Access einzutreten und es zu fördern, die hohen Abonnementspreise (für Zeitschriften) einiger weniger multinationaler Konzerne sind, dann muß man diese eben gezielt ins Visier nehmen. »Im Wald, da sind die Räuber« – aber wer kommt deshalb gleich auf den Gedanken, den ganzen Wald brandzuroden? Wenn man gleichwohl genau dazu Anstalten macht, drängt sich der Verdacht auf, daß es nicht um Bekämpfung von beklagenswerten Auswüchsen, sondern um Kontrolle und Gleichmacherei geht.
Coda 4 Man hört von Imitatoren des Vorsitzenden des Bundes der Steuerzahler von Zeit zu Zeit die Parole, die Wissenschaftler seien ja vom Staat bezahlt und hätten deshalb umsonst zu liefern – nix da mit Urheberrecht. Lessing hat sich bereits im 18. Jahrhundert ausführlicher mit dieser populistischen Sichtweise auseinandergesetzt (»Leben und leben lassen«). Es ist müßig, das zu repetieren. Ich kann hier die Daten nur noch auf den neuesten Stand bringen: Niemand von den ernsthaft an meiner Universität Lehrenden und Forschenden hat einen Achtstundentag, zwölf bis vierzehn Stunden sind nicht selten. Und wer die Situation an den geisteswissenschaftlichen Instituten der Universität kennt, kann wissen, daß bereits die Lehre das normale Pensum an Arbeitszeit auffrißt. Forschen kann man buchstäblich nur in der ›Freizeit‹. Was aber ein Forscher in seiner freien Zeit schreibt, darauf hat kein Staat der Welt einen Anspruch. Und das ist noch ein sehr defensiver Standpunkt. In Deutschland ist die Gesetzgebung so weise, daß sie die kreativ arbeitenden Urheber unter ihren genauen Schutz stellt. Begriffen (wenngleich von manchen offenbar verdrängt) ist, daß Interventionen in die Produktion und Publikationsform geistiger Gegenstände dem Staatsinteresse prinzipiell zuwiderlaufen. Und daß hohe Eigenmotivation der zentrale Angelpunkt wissenschaftlichen Forschens und ergo zu fördern ist. Es ist an der Zeit, diesen Begriff wieder zur Geltung zu bringen und der Öffentlichkeit zu vermitteln. (Heidelberg, 19.2.2009)
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