|
||
Uwe Jochum
Das Urheberrecht regeln Rainer Kuhlen, Professor für Informationswissenschaft an der Universität Konstanz, in der Süddeutschen Zeitung vom 7. Juli 2008: Die Zuständigkeit im Zusammenspiel von Verlagen, Bibliotheken und Wissenschaftlern, Lehrern, Studierenden, aber auch allen an Wissen interessierten Bürgern müssen neu verteilt werden. Benötigt wird eine neue soziale Konstruktion des Umgangs mit Wissen und Information. Wollte man beim Urheberrecht ansetzen, so wäre das gar nicht so schwer. Im Grunde würde schon eine einzige Regel helfen: Es darf nicht sein, daß Urheber die Rechte an den mit öffentlichen Mitteln erzeugten Werken exklusiv der kommerziellen Verwertung überlassen. Ist das einmal so geregelt, so wird sich die Informationswirtschaft, will sie weiter auf dem lukrativen wissenschaftlichen Informationsmärkten tätig bleiben, an die Entwicklung neuer Geschäfts- und Organisationsmodelle machen müssen, bei denen die freie Nutzung von Wissen die Regel ist. Kommentar: Man nehme den Autoren und ihren Verlagen die Urheber- und Verwertungsrechte und sinne dann auf neue Geschäfts- und Organisationsmodelle, die sich rechnen und für den Steuerzahler, der die Wissenschaft finanziert, billiger kommen sollen? Wie soll sich das rechnen, wenn es nichts mehr zu verrechnen gibt? Wie soll es billiger werden, wo doch jetzt schon einschlägige Studien zeigen, daß das Publizieren im Rahmen von »Open Access« gar keine Kostenreduktion des wissenschaftlichen Publizierens mit sich bringen? Und wenn das so ist, warum lassen wir es dann nicht so, wie es ist? Mit dem Urheber- und Verwertungsrecht, das die wissenschaftlichen Autoren nicht enteignet? Nun, dann hätten wir freilich keine »neue soziale Konstruktion im Umgang mit Wissen und Information«. Wir hätten mithin Verhältnisse, in denen keine sozialen Konstruktionen das Maß der Dinge wären, sondern Individuen mit Rechten das Maß der Gesellschaft. Der Ausschuß für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme (AWBI) der Deutschen Forschungsgemeinschaft im März 2008 Bei der Maßnahme zur Digitalisierung von Beständen der DFG-Sondersammelgebiete hat sich der AWBI dafür ausgesprochen, neben gemeinfreien Materialien verstärkt auch copyrigth[sic!]-gebundene Materialien zu digitalisieren. Kommentar: Da wüßte ich als Urheber gar zu gerne, ob das nach dem Kuhlen-Modell in Form einer »neuen sozialen Konstruktion des Umgangs mit Wissen und Information« erfolgen soll.
Globalwissenschaften Gudrun Gersmann, Professorin und Direktorin des Deutschen Historischen Instituts in Paris und Vorsitzende des DFG-Unterausschusses für elektronisches Publizieren, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18. Februar 2009 Zu guter Letzt begreifen wir die Open-Access-Politik unseres Instituts als einen wichtigen Beitrag zur Internationalisierung und Demokratisierung der Geisteswissenschaften: Nicht jeder Leser der ›Pariser historischen Studien‹ lebt in Paris und erfreut sich eines bequemen Zugangs zu einer der exzellenten Pariser Forschungsbibliotheken. Gerade frankophone Wissenschaftler aus armen Ländern mit chaotischer Bibliothekssituation und defizitärer Literaturversorgung wissen den freien Zugang zur Forschungsliteratur zu schätzen. Kommentar: Sollen wir allen Ernstes glauben, daß frankophone Wissenschaftler, die aus einem afrikanischen Land mit chaotischer Bibliothekssituation und defizitärer Literaturversorgung kommen, ausgerechnet in einem solchen Land die Ressourcen finden, um sich online mit der Welt in Verbindung zu setzen und dann auch gleich noch die an Frau Gersmanns Pariser Institut aufgelegte Online-Ausgaben von »Francia« zu lesen? DFG-Unterausschuß für elektronische Publikationen: DFG-Positionspapier: Elektronisches Publizieren (März 2005): Alles Elektronische ist heute schon im Prinzip weltweit allen Wissenschaftlern ohne Zeitverzug verfügbar. Damit sind ideale Voraussetzungen für die Wissensrezeption und -weiterentwicklung im internationalen Kontext geschaffen. Die Open Access-Bewegung versucht dies bekanntlich auch als Anspruch der Wissenschaftler an die Informationsversorgung einzuklagen. (S. 3) Kommentar: Die idealen Voraussetzungen für die »Wissensrezeption und -weiterentwicklung« wäre, daß man verstünde: Wissen kann nicht rezipiert und auch nicht weiterentwickelt werden. Wissen muß sich jeder, der wissen will, selber »aneignen«, indem er sich mit einem Problem auseinandersetzt, an dem er sich so lange abarbeitet, bis es als Problem verstanden ist. Man muß also mit dem Hegel der Phänomenologie behaupten (denn nur in dieser Behauptung behauptet sich das Subjekt), »daß die Wahrheit nicht eine ausgeprägte Münze ist, die fertig gegeben und so eingestrichen werden kann.« Die »idealen Voraussetzungen«, von denen der DFG-Unterausschuß hier also spricht, sind Voraussetzungen, die alles, was überhaupt ideal und damit ideen-gerecht sein könnte, glatt negieren. Was hier als Wissenschaft firmiert, ist deren genaues Ende, und wie man dieses Ende nennt, verrät uns der DFG-Unterausschuß mit wünschenswerter Deutlichkeit: Das Ende der Wissenschaft ist die »Bewegung«.
Was gemußt werden muß Petra Hätscher, Direktorin der Universitätsbibliothek Konstanz und Mitglied des DFG-Unterausschusses für elektronisches Publizieren, in der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 54 (2007), S. 216-223, hier S. 221 f.: Aus meiner Sicht sollten folgende Aktionsfelder durch die Bibliotheken weiterverfolgt werden: Innerhalb der Hochschulen muß die Diskussion um Open Access mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern intensiviert werden. […] Die Bibliotheken müssen mit ihren Hochschulleitungen – immer wieder – über Open Access reden, […] Die Bibliotheken müssen Beratungskompetenz für rechtliche Fragen des Open Access aufbauen. […] Es muss eine aktive und offensive Auseinandersetzung mit den Verlagen um deren Open-Access-Politik stattfinden. […] Die positiven Effekte von Open Access für den einzelnen Akteur im Wissenschaftsbetrieb müssen besser dargestellt und vermarktet werden. […] Kommentar: Der Übergang vom Sollen zum Müssen beschreibt den Übergang vom individuellen Standpunkt (»aus meiner Sicht«) zur Kollektivaktion der Bewegung, die, wie in solchen Papieren gerne formuliert wird, nicht als »ergebnisoffene« Aktion gedacht wird, sondern als fix und fertig; man muß nur noch das tun, was man hier zu tun befohlen wird. Dementsprechend geht es in einem solchen Umfeld dann auch gar nicht mehr um die Frage, ob das, was man da muß, richtig ist (aus guten Gründen nämlich), sondern nur noch darum, ob das, was man da muß, auch richtig dargestellt und vermarktet wird. Merke: Wenn Du zu einer Informationsveranstaltung über »Open Access« gehst, wohnst Du einer Werbeveranstaltung bei. Das alte Wort für Werbung lautet »Propaganda«. DFG-Unterausschuß für elektronisches Publizieren: Elektronisches Publizieren im wissenschaftlichen Alltag. Überlegungen zur Integration elektronischer Publikationsformen in die Geisteswissenschaften. (Juni 2006) Durch externe Anreize könnte die Bereitschaft zum elektronischen Publizieren auf Seiten vieler Geisteswissenschaftler verstärkt werden. Hochschulleitungen, die am ehesten einen gewissen (institutionellen) Druck ausüben könnten, sind bislang allerdings eher zurückhaltend bei der aktiven Propagierung elektronischer Publikationen. (S. 3) Kommentar: Das Wort »Propaganda« ist zu hart? Ist »Propagierung« weicher? Und ist die Propagierung von »Open Access« unter Benutzung eines »gewissen (institutionellen) Drucks« dann endlich eine so weiche Sache, daß sie glatt durchgeht? So scheint’s. Denn sonst hätte man an der Universität Zürich die Forscher nicht »verpflichten« können, eine vollständige Fassung aller ihrer publizierten wissenschaftlichen Arbeiten auf ZORA (dem »Zurich Open Repository and Archive«) zu hinterlegen. Hier ist also der »gewisse« institutionelle Druck längst in einen massiven überführt worden. So macht man das. Und so versucht man es auch hierzulande. DFG-Unterausschuß für elektronisches Publizieren: Elektronisches Publizieren im wissenschaftlichen Alltag. Überlegungen zur Integration elektronischer Publikationsformen in die Geisteswissenschaften. (Juni 2006) Wissenschaftler müssen auch weiterhin frei entscheiden können, wie und wo sie publizieren. ›Top-down‹-Verordnungen werden nur von begrenzter Reichweite sein. (S. 5) Kommentar: Wie verhält sich nun also das Druckszenario (siehe vorstehendes Zitat) zu diesem liberalen – Zugeständnis? Es verhält sich wie das Feigenblatt zur Wahrheit darunter. DFG-Positionspapier »Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme. Schwerpunkte der Förderung bis 2015«. In: Bibliotheksdienst 40 (2006), S. 994-1002. Ziel ist die Implementierung einer integrierten digitalen Umgebung für die wissenschaftliche Informationsversorgung aller Disziplinen und Fächer in Deutschland bis 2015. (S. 8) Kommentar: Hoppla, hier ist das Feigenblatt davongeflogen, und die nackte Wahrheit kommt zum Vorschein. Natürlich, wird uns der DFG-Unterausschuß sagen, ist die »integrierte digitale Umgebung für alle Disziplinen und Fächer« ja nur ein Angebot, das man nicht »top-down« irgendwem aufhalsen wolle. Natürlich, dem wird jeder Einsichtige zustimmen. Absolut, ganz klar. So wird es sein. Hören Sie auch dieses nicht zu lokalisierende Lachen? Petra Hätscher, Direktorin der Universitätsbibliothek Konstanz und Mitglied des DFG-Unterausschusses für elektronisches Publizieren, »GOLD or GREEN, die G(retchen)-Frage?« in Bibliotheken gestalten Zukunft. Hrsg. von Evelinde Hutzler. Göttingen: Universitätsverlag, 2008, S.29-38: Der Preis für einen Artikel ist bei BMC [BioMed Central] in den Jahren seit der Gründung von anfangs ca. 500 Euro auf mittlerweile, abhängig von der Zeitschrift, durchschnittlich ca. 1.150 Euro pro Artikel gestiegen. Dies ist mit ein Grund für den Rückgang der Mitgliederzahlen in Deutschland, einige Universitäten haben aufgrund der Preissteigerungen ihre Mitgliedschaft gekündigt. Die Begründung lautet — mündlich artikuliert -– in der Regel, daß die Verlage, die Open Access Zeitschriften publizieren, sich mittelfristig wie die konventionellen Verlage verhalten und in erster Linie an der Steigerung des Umsatzes und der Rendite interessiert sind und weniger an der Philosophie des Open Access, das Ganze sich damit also zu einem kommerziellen Geschäftsfeld entwickelt. Diese Beobachtung ist richtig, war jedoch von Anfang an abzusehen. Auch die Produktion von »Open Access« Zeitschriften muss kostendeckend erfolgen, und sie muss auch Gewinn abwerfen, wenn der Verlag langfristig überleben will. Dennoch besteht ein gravierender Unterschied zur Finanzierung von klassischen Zeitschriftenabonnements: Bei der Abonnementfinanzierung wird mehrfach gezahlt, nämlich mit jedem Abonnement, das dann nur für einen sehr eingeschränkten Nutzerkreis zur Verfügung steht. Bei der »author pays« Variante wird einmal gezahlt, danach steht die Publikation weltweit im freien Zugriff zur Verfügung. (S. 34) Kommentar: Wie bitte? Es war von Anfang an abzusehen, daß die Betreiber von »Open Access«-Zeitschriften – auch denen, die wie PLoS nicht von kommerziellen Verlagen betrieben werden – sich wie normale kommerzielle Verlage verhalten würden? Daß also auch hier alles teurer würde? Daß man mit Lockangeboten von 500 Euro pro Artikel anfängt und inzwischen bei 1800 und mehr Euro pro Artikel angelangt ist? Und dennoch haben die Bibliotheken über Jahre hinweg diese absehbar teurer werdende Struktur aktiv unterstützt, indem sie den in »Open Access«-Zeitschriften publizierenden Wissenschaftlern die Publikationsgebühren ganz oder teilweise bezahlt haben? Sie haben also sehenden Auges für etwas geworben und bezahlt, von dem sie wußten, daß es mindestens ebenso teuer und wohl sogar teurer werden würde als Publikationen in Zeitschriften aus Papier? Sie taten es, weil sie pro Bibliothek nicht mehr ein Abonnement einer teurern Fachzeitschrift finanzieren wollten, statt dessen die vielen einen Aufsätze, die ihre vielen einen Wissenschafler per »Open Access« publizieren wollten? Und sie meinten, das sei insgesamt billiger als das eine Abonnement einer Fachzeitschrift mit vielen Aufsätzen an einer Bibliothek? Und warum ist dann die Universität Yale aus dieser Finanzierung ausgestiegen? Und ebenso, wie man hört, die Universität Tübingen? Und warum zahlt die UB Würzburg seit 2008 ihren Wissenschaftler nur noch die Hälfte der Gebühren für eine BMC-Publikation, während sie vorher also eine Vollfinanzierung spendiert hatte? Man tat es nicht, weil man sauber gerechnet hatte. Man tat es nicht, weil man wußte, daß es billiger werden würde. Man tat es, weil man es wollte, und zwar koste es, was es wolle. Solche Dinge »artikuliert« man freilich nur in kleinem Kreis, und zwar »mündlich«. DFG-Unterausschuß für elektronische Publikationen: DFG-Positionspapier: Elektronisches Publizieren (März 2005): Elektronische Publikationen können – teilweise zumindest – relativ preisgünstig erstellt und damit auch außerhalb der schon bestehenden Verlagsstrukturen produziert werden. (S. 3) Kommentar: Elektronische Publikationen können – teilweise zumindest, also teilweise eben nicht – relativ preisgünstig (ein Mercedes ist relativ preisgünstig, wenn man ihn mit einem Rolls Royce vergleicht, aber er ist relativ teuer im Vergleich zu einem Fiat Uno) und damit auch außerhalb der schon bestehenden Verlagsstrukturen – nämlich innerhalb der Universitäten von steuerfinanziertem Personal – produziert werden.
Geschwindigkeit ist alles DFG-Unterausschuß für elektronische Publikationen: DFG-Positionspapier: Elektronisches Publizieren (März 2005): Alles Elektronische ist heute schon im Prinzip weltweit allen Wissenschaftlern ohne Zeitverzug verfügbar. Damit sind ideale Voraussetzungen für die Wissensrezeption und -weiterentwicklung im internationalen Kontext geschaffen. Die Open Access-Bewegung versucht dies bekanntlich auch als Anspruch der Wissenschaftler an die Informationsversorgung einzuklagen. (S. 3) Kommentar: Dieser Text ist zu schön, um nicht noch einmal auf ihn zurückzukommen: Wissenschaft, die ihre Ergebnisse »ohne Zeitverzug« bereitstellt, ist der ideale Nährboden für »Wissensrezeption und -weiterentwicklung«. Und das ist es, was die »Open Access«-Bewegung einklagt: den Ohne-Zeitverzug und die Sofort-Rezeption. Das scheint eine Wissenschaft zu sein, die sich im Grunde von selbst versteht, denn das ohne Zeitverzug Mitgeteilte und Sofortrezipierte könnte nach Lage der Dinge nur das sein, was die zeitverzugslose Mitteilung im Grunde gar nicht lohnt: als Sofortverstandenes war es nichts, was sich allererst zu verstehen gelohnt hätte. Und umgekehrt: Was sich zu verstehen lohnt, ist nichts, was man mir ohne Zeitverzug zustellen und mit dem Ungedanken andienen muß, ich könne es auch sofort verstehen. Man kann es auch so sagen: Wissenschaft, die diesem Geschwindigkeitsmodell gehorcht, ist die mediale Umsetzung des Gerüchts, dessen Güte sich danach bemißt, ob es sich wie ein Lauffeuer verbreitet oder nicht. Mithin: eine solche Wissenschaft ist nicht das, was das Abendland (großes Wort, natürlich, aber es gab einmal solche Größen, bevor DFG-Unterausschüsse sich an ihre verwaltungstechnische Eliminierung machten) – ist nicht das, was das Abendland einmal Wissenschaft nannte. Es ist das, was man einmal das »Fürwahrhalten« und »Meinen« nannte.
Alle reden mit DFG-Unterausschuß für elektronische Publikationen: DFG-Positionspapier: Elektronisches Publizieren: Innovative Ansatzpunkte ergeben sich vor allem aus einer Neugestaltung und Verschiebung der Grenzen zwischen traditionellem Publizieren und informeller Kommunikation. […] Sie [die informelle Kommunikation] ist heute im WWW durch E-Mail, discussion groups, videoconferencing und virtuelle Kommunikationsnetzwerke asynchron, ortsungebunden und weltweit zugänglich. Diese neue Form direkter Kommunikation hat in ihrem Informationsgehalt eine hohe Aktualität und Relevanz für die Forschung und beschleunigt die Innovationsrate der Wissenschaft. (S. 4) Kommentar: Es gab einmal eine Wissenschaft, die unterschied zwischen dem, was sie der Öffentlichkeit anvertrauen konnte (durchdachte Ergebnisse; Gedanken, die man als wahr betrachtete), und dem, was unreif der Ausarbeitung harrte und womit man die Öffentlichkeit also doch besser noch verschonte. Hier haben wir nun das Gegenteil einer solchen verantwortlichen Wissenschaft, die auch darin Verantwortung trug, daß sie ihre Mitmenschen nicht mit Halbgarem zu belästigen versuchte: Wir haben die Wissenschaft als informelles »Kommunikationsnetzwerk«, in dem alle mit allen über alles plaudern. Und das soll Wissenschaft sein? Und wenn es »weltweit zugänglich« ist, dürfen auch alle Weltbürger mitmachen? Und endlich einmal alle Wissenschaftler auch alles fragen? Sozusagen in einem weltweiten Anfall von Totalpädagogik via Internet? Und das soll eine hohe Aktualität und Relevanz für die Forschung haben und deren Innovationsrate beschleunigen? Übrigens: Die wissenschaftliche Quelle, auf die man sich hier als Beleg bezieht (Michael Nentwich: How online communication may affect knowledge production. Some preliminary hypotheses. In: Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 10, Juni 2001) formuliert durchaus keine gesicherten Ergebnisse, sondern (may affect) Hypothesen, die man mögen kann oder auch nicht. Es sind Hypothesen mit einer Fülle von Fragezeichen, die der Autor selber setzt, der dann auch noch so anständig ist, seinen Beitrag wie folgt zu schließen: »It is certainly too early to try even a preliminary assessment of the issues listed in this paper. Some of our hypotheses may prove too far-reaching, others might have been overlooked.« Das muß man nicht mehr weiter kommentieren. Man muß nur festhalten, daß der DFG-Unterausschuß aus Nentwichs Hypothesen unter der Hand Fakten gezaubert hat.
Die skeptische Generation DFG-Unterausschuß für elektronische Publikationen: DFG-Positionspapier: Elektronisches Publizieren (März 2005): Die Akzeptanz von elektronischen Publikationen ist aber vielfach noch immer eine Generationenfrage. In der älteren Generation überwiegt eine Skepsis gegenüber dieser Publikationsform – nicht zuletzt in Hinsicht auf die dauerhafte Verfügbarkeit elektronischer Publikationen. […] Nach wie vor herrscht vielfach Skepsis vor dem Publizieren in einer ›technizistischen Umgebung‹, besteht die Angst vor Plagiaten oder der potentiellen Verortung in einem ›unseriösen‹, unter Umständen sogar karriereschädigenden Kontext: Hier existiert zweifellos ein erhöhter Informations- und Beratungsbedarf. (S. 5) Kommentar: Daß wir es hier mit einer Generationenfrage zu tun haben, kann nur meinen, wer Sachfragen mit Personenfragen verwechselt und also gerne auch mal ein argumentum ad hominem lostritt, wenn er anders der Sache nicht Herr wird. Wer die Sachfrage als Sachfrage sieht, wird dagegen feststellen müssen: Die Skeptiker aller Generationen haben recht, denn das Problem der dauerhaften Verfügbarkeit elektronischer Publikationen ist tatsächlich nicht gelöst. Und es spricht vieles dafür, daß es unlösbar ist. Hiermit sollte der erhöhte Informations- und Beratungsbedarf bequem gedeckt sein. Wer es lieber vom DFG-Unterausschuß hört: Die Erfahrung lehrt, daß viele Nutzer der Frage nach einer dauerhaften Verfügbarkeit elektronischer Publikationen unverändert skeptisch gegenüberstehen. Im Rahmen des DFG-Förderprogramms sind bisher erst wenige Projekte zu Teilaspekten dieser Problematik beantragt worden, und eine Lösung dieses für das Medium elementaren Problems ist noch nicht in Sicht. (S. 11) Und weiter: Für Online-Publikationen (insbesondere für institutionelle oder fachspezifische Archive) sind u.a. Fragen der Versionskontrolle und Integrität der Daten bisher nur unzureichend gelöst. (S. 11) Soll in der verhüllten Verwaltungs- und Entscheidersprache natürlich heißen: Sie sind gar nicht gelöst. Wir übersetzen das daher wie folgt: Viele Nutzer (und nicht nur Angehörige der skeptischen älteren Generation) sind skeptisch, und sie haben auch jeden Grund dazu, denn eine Lösung für die elementaren Probleme der Datenintegrität und langfristigen Speicherung ist nicht in Sicht. DFG-Unterausschuß für elektronisches Publizieren: Elektronisches Publizieren im wissenschaftlichen Alltag. Überlegungen zur Integration elektronischer Publikationsformen in die Geisteswissenschaften. (Juni 2006) Ein häufig zu beobachtendes Verhalten im Umgang mit den neuen Medien besteht in einer passiv-abwartenden Haltung, der zufolge Wissenschaftler sich solange nicht aktiv an E-Publikationen beteiligen, wie noch keine festen Spielregeln für deren Akzeptanz etabliert sind. Auf diese Weise begeben sich besonders Geisteswissenschaftler der Möglichkeit, diese Spielregeln aktiv mitzugestalten und auf die spezifischen Bedürfnisse ihrer Fächer hin auszurichten. (S. 3) Kommentar: Nur wer mitmacht, kann die Zukunft mitgestalten, auch wenn die Zukunft, die da mitgestaltet werden soll, gar nicht diejenige Zukunft ist, die er eigentlich als Zukunft will. Macht er aber mit, kann er sich hinterher wenigstens sagen, er sei dabei gewesen, und bei Bewegungen ist bekanntlich Dabeisein alles. Also, bitt’ schön, nur nicht passiv auf dem wissenschaftlichen Hosenboden sitzenbleiben, als Geisteswissenschaftler gar noch in skeptischer Denkerpose, sondern aufgestanden, eingereiht und an der Front des Fortschritts marschiert! »Charakteristisch für die geisteswissenschaftliche Forschung sind bis heute Leistungen und Erkenntnisse herausragender Individuen.« (ebd., S. 3) Klar doch, aber noch schöner wäre es, wenn diese Individuen sich endlich herbeiließen und dem DFG-Unterausschuß bei der Mitgestaltung der digitalen Publikationsspielregeln zur Hand gingen. Sonst meint der DFG-Unterausschuß am Ende gar, die Geisteswissenschaftler nähmen ihn nicht wirklich ernst. Und sei es auch nur, weil man sich fragen muß, wodurch die in diesem Ausschuß tätigen Personen eigentlich herausragen. DFG-Unterausschuß für elektronisches Publizieren: Elektronisches Publizieren im wissenschaftlichen Alltag. Überlegungen zur Integration elektronischer Publikationsformen in die Geisteswissenschaften. (Juni 2006) Durchführung von »Werbeaktionen« durch Einbindung von Fachgesellschaften und Einzelwissenschaftlern, die als Multiplikatoren dienen könnten […]. (S. 5) Dazu gehört das DFG-Positionspapier »Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme« (Bibliotheksdienst 40 (2006), S. 994-1002): Auflage eines »Cream-of-Science«-Projekts in Deutschland zur Gewinnung von herausragenden Forscherpersönlichkeiten als Vorreiter für Open-Access-Publikationen (S. 999) Kommentar: Die Skeptiker, die aus guten Gründen nicht wollen, was sie aber nach Meinung der Mitglieder des DFG-Unterausschusses wollen sollten, sollen also für die Bewegung dadurch gewonnen werden, daß andere, nämlich die »herausragenden Forscherpersönlichkeiten« ihres Faches, ihnen voranmarschieren. Was der DFG-Unterausschuß nicht verstanden hat und mit Sicherheit auch nicht verstehen wird, weil er es nicht verstehen will, ist die – nun, wollen wir es »Tatsache« nennen? – ist die Tatsache, daß diejenigen geisteswissenschaftlichen Forscherpersönlichkeiten, die der »Open Access«-Bewegung voranschreiten werden, mit Sicherheit nicht die herausragenden Forscherpersönlichkeiten sind, sondern höchstens die in die Bewegung hineinragenden, die von der DFG Geld abholen wollen. Nun, Propaganda darf sich gerne einmal lohnen; und Geld schmiert nahezu alles. Bis auf die Persönlichkeiten, die Individuen und Subjekte sind und bleiben wollen. Das ist eine Frage der Integrität. (21.2.2009)
|
GoogleBooks |
|
Copyright by Institut für
Textkritik, Heidelberg ©1994-2010 |
||