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Roland Reuß
Die Anhörung des Bundesjustizministeriums am 13. Juli zur möglichen Novellierung des Urheberrechts und zur Rolle von ›Open Access‹ zeitigt schon jetzt erstaunliche Früchte. Früh hatte sich in der Anhörung abgezeichnet, daß die verfassungs- und wirklichkeitsfremden Wünsche der ›Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen‹ und des Deutschen Bibliotheksverbands nach Einführung einer allgemeinen Wissenschaftsschranke keine Chance auf Verwirklichung haben werden. Diese Schranke hätte wissenschaftliche Autoren zentraler Rechte ihrer Urheberschaft beraubt. Nun konzentriert man sich auf das Vorführen eines Taschenspielertricks. Daß zu denjenigen, die ihre Verstaatlichungsphantasien wenn schon nicht in der wirklichen Welt, dann doch wenigstens in der virtuellen ›realisieren‹ wollen, auch CDU-Bildungspolitiker gehören, ist dabei ein Novum. Der Trick, den Michael Kretschmer und Tankred Schipanski mit Pressemitteilung der CDU/CSU-Fraktion vom 13. Juli der erstaunten Öffentlichkeit vorführen, heißt: unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht. Mit der Forderung nach ihm wollen sie den zunehmend erlahmenden ›Open Access‹-Zug wieder in Fahrt bringen und zugleich denen ein Schnippchen schlagen, die ihn vermeintlich behindern, den selbständigen Verlagen. Was ist mit »unabdingbarem Zweitveröffentlichungsrecht« gemeint? Die ›Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen‹ hatte in ihrer Stellungnahme zur Prüfbitte des Bundesjustizministeriums den Köder mit folgenden Worten ausgeworfen: »Als zwingende Regelung im Urhebervertragsrecht sollte wissenschaftlichen Autoren nach einer angemessenen Embargofrist ein unabdingbares und formatgleiches Zweitveröffentlichungsrecht für ihre Aufsätze und unselbständig erschienenen Werke eingeräumt werden. Dieses Zweitveröffentlichungsrecht, das für den Wissenschaftler keine Pflicht bedeutet, ist notwendig, um ihn in seiner Verhandlungsposition gegenüber großen wissenschaftlichen Verlagen zu stärken. Der Wissenschaftler erhält durch das Zweitveröffentlichungsrecht die Möglichkeit, selbst über den Grad der Sichtbarkeit seiner Forschungsergebnisse zu entscheiden. Er übt dabei in besonderer Weise das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit aus.« Was hier pathetisch im Sinne einer Ausweitung individueller Freiheitsspielräume der Wissenschaftler gefordert wird, schwächt in Wahrheit die Position des Autors beträchtlich. Denn wenn der Autor einem Verlag, der in seine Publikation investiert, kein zeitlich begrenztes ausschließliches Nutzungsrecht mehr anbieten kann, wird seine Souveränität nicht gestärkt, sondern beschnitten. Er verliert seine Vertragsfreiheit. Das Investionsrisiko des Verlags wird zu groß – und dem Autor wird dann in der Regel nur übrigbleiben, sein unlektoriertes und unbeworbenes ›Papier‹ im ach so überschaubaren Netz allein »sichtbar« zu machen. All das ist längst reflektiert und öffentlich breit diskutiert, aber die beiden Bildungs-Experten der CDU/CSU scheinen davon noch nichts gehört zu haben. Anstelle von fragwürdigen Interventionen in diesen heiklen Sektor von Individualrechten wäre es an der Zeit, daß die Bildungspolitiker aller Fraktionen und die Verantwortlichen in den Ländern ein wenig Selbstkritik an den Tag legten. Wenn die Wissenschaftsministerien aller Bundesländer in den letzten Jahren die Bibliotheksetats ohne öffentlich vernehmbaren Protest kontinuierlich reduzieren konnten, dann ist darin der vielleicht wichtigste Grund für die aktuelle Misere zu finden. Und es wäre ein Zeichen von Zivilcourage beim Führungspersonal der großen Bibliotheken gewesen, die Öffentlichkeit über den sich abzeichnenden Kollaps ihrer Anschaffungskraft zu informieren – auch auf die Gefahr hin, sich dabei im politischen Feld unbeliebt zu machen. Daß es im Bereich der Naturwissenschaften international agierende Monopolverlage mit mehr oder weniger erpresserischer Preisgestaltung gibt (Elsevier, Thompson, Wiley, Springer etc.), ist unbestritten. Die bekämpft man aber nicht mit Änderungen im nationalen Urheberrecht und auch nicht, indem man Autoren wider deren Willen zu ›Open Access‹-Publizieren drängt. Wie die Erfahrung zeigt, haben gerade die internationalen Großverlage schon längst selbst ›Open Access‹-Modelle adaptiert – ohne daß daraus eine Kostendämpfung resultierte. Im Gegenteil. Und das heißt: Mit der Forderung nach einem unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrecht werden genau die getroffen, die angeblich nicht gemeint waren: die kleineren und mittleren Verlage. Die Großen werden sich ins Fäustchen lachen und sich freuen, weitere Labels billig übernehmen zu können. Nach Abwägung von Nutzen und Schaden möglicher Interventionen bleibt zur Bekämpfung des Preismissbrauchs eigentlich nur der Weg des Kartellrechts. In diesem Punkt kann man den USA getrost folgen. In deren Wirtschaftsgeschichte gibt es genügend Beispiele dafür, wie Teilbereiche eines Unternehmens dem Wettbewerb unterworfen oder einer Stiftung übergeben werden können. In diese Richtung sollten sich Autoren, Wissenschaftsorganisationen und Verlage mit angemessener Preisgestaltung gemeinsam bewegen. Versuche, aus Ratlosigkeit oder Populismus die Vertragsfreiheit der wissenschaftlichen Autoren einzuschränken, lähmen die Eigenverantwortung der Betroffenen und sind mit Blick auf Förderung wissenschaftlichen Fortschritts kontraproduktiv. (Heidelberg, 21.7.2010)
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