VII. Heinrich
4.
oder
von dem Verhältniß des Komischen und Tragischen.
Novalis, dessen eigenthümliche,
aus innerster Seele gesprochene Urtheile über einzelne
Helden im Gebiet der Wissenschaft und Poesie, allenthalben
mit besondrer Ehrfurcht berücksichtigt werden müssen,
hat ein einziges Wort über den Shakespear und seine
historischen Stücke fallen lassen. Die Kunsturtheile
und alle Urtheile überhaupt, fallen in diesen Tagen
der Characterschwäche und Geistesohnmacht meistentheils,
so wie man von den Kartenspielen und Moden behauptet
hat, wie vom Himmel: sie sind da, sie circuliren,
werden geglaubt, und da die Selbstuntersuchung höchst
selten ist, so modificirt jeder das bereits gestempelte
Urtheil nach seinem individuellen Geschmack, läßt
aber das Wesentliche davon unverändert. Deshalb sind
freien unbefangnen Gemüthern Urtheile wie die des
Novalis ganz unschätzbar, weil sich mit ihnen streiten
läßt, weil sie herausfordern zu neuer Betrachtung,
weil sie den Freien selbst in seiner Freiheit stören,
und weil man im Streit mit einer fremden, gewaltigen
Eigenthümlichkeit dieser Art sich seiner eignen Individualität
erst recht bewußt wird. Novalis sagt: „Wenn man von
der Absichtlichkeit und Künstlichkeit der Shakespearschen
Werke spricht, so muß man nicht vergessen, daß die
Kunst zur Natur gehört, und gleichsam die sich selbst
beschauende, sich selbst nachahmende, sich selbst
bildende Natur ist. Die Kunst einer gut entwickelten
Natur ist freilich von der Künstelei des Verstandes,
des blos raisonnirenden Geistes sehr unterschieden.
Shakespear war kein Calculator, kein Gelehrter, er
war eine mächtige, buntkräftige Seele, deren Erfindungen
und Werke, wie Erzeugnisse der Natur, das Gepräge
des denkenden Geistes tragen, und in denen auch der
letzte scharfsinnige Beobachter noch neue Übereinstimmungen
mit dem unendlichen Gliederbau des Weltalls, Begegnungen
<69:> mit späteren Ideen, Verwandtschaften mit
den höhern Kräften und Sinnen der Menschheit finden
wird. Sie sind sinnbildlich und vieldeutig, einfach
und unerschöpflich, wie die Erzeugnisse der Natur,
und es dürfte nichts unpassenderes von ihnen gesagt
werden können, als daß sie Kunstwerke in jener eingeschränkten
mechanischen Bedeutung des Worts seien.“ – Dieses
erste Fragment ist offenbar gegen Göthe und einzelne
Äusserungen desselben über den Shakespear im Wilhelm
Meister gerichtet. Es ist dort viel von der Absichtlichkeit
Shakespears bei Gelegenheit der Zergliederung Hamlets
die Rede: seine Werke werden mit einer Uhr verglichen,
deren gläsernes Zifferblatt zugleich das ganze Räderwerk
und alle geheime Triebfedern der Bewegung wahrnehmen
läßt. Novalis empfindungsvolle Seele sträubte sich
gegen dieses Wort, wie gegen eine Entweihung des Dichters,
da man den schöpferischen Gang seiner Natur nach dem
Tempo und den Positionen eines ordinairen Tanzmeisters
zu würdigen unternommen, da man den dichtenden Shakespear
gewissermaßen gedacht hätte wie Lessingen, da er aus
den dramatischen Species seine Emilia Galotti zusammen
calculirte: Sie sind, sagt er, kein Kunstwerk im gemeinen,
mechanischen Sinne des Worts. Göthe dagegen, eben
so vortrefflich, behauptete, sie seien keine rohen
Naturerzeugnisse im gemeinen, dunklen und faulen Sinne
des Worts. Es giebt nemlich besonders in Deutschland
und England eine Fabel von s. g. Naturdichtern,
und es stellen sich von Zeit zu Zeit Creaturen dieser
Art ein, die als seltne Phänomene unter diesen Himmelsstrichen
wie wilde Thiere oder Menschen mit Fischschuppen sich
sehen lassen und angestaunt werden. Es befremdet mich
wirklich, daß der öconomische Speculationsgeist der
Menschen nicht darauf gefallen ist, statt der vielen
noch umherziehenden Tanzbären, lieber auf die beliebteren
Naturdichter einen Erwerb zu gründen, da es offenbar
viel leichter ist, einen Bauernjungen durch oftmals
vorgeklingelte Wielandische Verse zu einer Art von
Reim und Gesang, als einen Bären zum Tanzen zu bringen.
– Indeß gestehn wir uns, daß selbst Shakespear eine
lange Zeit hindurch als rohes Naturphänomen dieser
Art angestaunt worden: als Curiosität, als Spiel der
Natur, als Ausnahme von der Regel. Von einer solchen
Ansicht, die ihre eigne Rohheit verkündigt, indem
sie die tiefsinnigsten und vollendetsten Werke der
Kunst roh findet, ist man jetzt freilich zurückgekommen:
ich habe sogar wagen dürfen von ihm, von dieser s. g.
Ausnahme aller Regel einzig und allein, direct alles
was etwa Regel der dramatischen Poesie zu heißen verdient,
abzuleiten. Aber es findet sich noch in den bessern,
einsichtsvolleren die Vorstellung von einer großen
Kluft zwischen der Kunst und Natur im ausserordentlichen
Dichter; immer zeigen sich noch Vorstellungen von
einer mechanischen Beobachtung der Regeln oder der
s. g. Theorie in der Kunst. Dem, der den Regeln
unterworfen ist, wird in keiner Kunst etwas gelingen:
der Dichter soll lebendiges Gesetz, milder Beherrscher
der Regeln sein. Der dramatische Dichter hat es ausser
den sichtbaren Personen in seinem Drama, noch mit
sehr vielen unsichtbaren zu thun, mit Ideen, Allegorien,
Principien und so auch mit Kunstregeln. Alle diese
unsichtbaren Personen haben auch eine Stimme, der
leise, sinnvolle Zuschauer wird sie hier und dort
erkennen und vernehmen. Keine einzelne <70:>
von ihnen darf aber despotisch das Werk beherrschen:
der Dichter läßt die nahe liegende Allegorie hineinspielen
in das Werk, er läßt die Idee, z. B. der Freiheit,
sich eine Parthei bilden, wie in den Mördern des Julius
Cäsar, er läßt der Regel, z.B. daß die Einheit der
Zeit und des Raumes gelten solle, mit andern Worten,
daß die Handlung auf den möglichst kleinen Ort, in
die möglichst kleine Zeit eingeschränkt, aber nicht
eingedrängt sein solle, ihr Recht – sobald aber jene
Allegorie, jene Idee, jene einzelne Regel, sobald
irgend etwas Einzelnes das ganze Werk erfüllt und
beherrscht, so wird der Dichter und Zuschauer von
einem dieser unsichtbaren Helden unterjocht: die Poesie,
das Interesse, alles hört auf dramatisch zu sein,
und wird eben so gut monologisch, als wenn wir von
einem der sichtbaren Helden des Stücks bezaubert hinweg
giengen. So schwebt der Dichter über seiner kleinen
Welt, so schwebt der Naturgeist über seiner großen.
Darum sträubte sich die große Welt gegen Alexandern,
Julius Cäsarn und Tamerlan, und gegen jede allzustrenge
Gesetzgebung, weil sie gewohnt ist, daß der Naturgeist
dramatisch operirt, und weil er in diesen von ihm
allzubegünstigten Helden monologisch zu werden schien.
Die Natur hat mit der Kunst ein und dasselbe Gesetz:
ich kann es nur andeuten, aber es ist ewig wahr, die
Natur, die Geschichte, sind, wo sie erscheinen allenthalben
künstlerisch im Verfahren: nirgends monologisch, immer
dramatisch. Demnach ist nur von überschwenglicher
Höhe der Kunst die Rede gewesen, man hat nur etwas
unaussprechlich ausserordentliches gefühlt, wenn man
den Shakespear der Natur allein, hat aneignen wollen,
so lange, bis in Göthe ein Künstler so groß
geworden, daß er dem Meister und Künstler Shakespear
in die Augen sehen können. Dem Göthe ist es erlaubt,
von der Kunst Shakespears, dem frommen Novalis,
der mit dem Worte Natur ganz andres und höheres meinte
als die Zeitgenossen, ist es vergönnt von der Natur
im Shakespear zu reden; uns ist erlaubt zu erklären,
daß beide, nur verschieden in ihrem Standpunct gegen
die Zeitgenossen das Große, Ächte und des Shakespears
Würdige gewollt und gesagt haben. –
Novalis
urtheilt folgendes über die historischen Dramen: „In
Shakespears historischen Stücken ist durchgehends
Kampf der Poesie mit der Unpoesie. Das Gemeine erscheint
witzig und ausgelassen, wann das Große steif und traurig
erscheint. Das niedrige Leben wird durchgehends dem
höheren entgegen gestellt, oft tragisch, oft parodisch,
oft des Kontrasts wegen.“ So erschien dem unvergeßlichen
Novalis das große Drama vom Untergange der Ritterzeit,
da er es vom Standpuncte seiner Zeit aus betrachtete:
das gemeine und große, das niedrige und höhere Leben
erschienen getrennt. Die beiden Theile von Heinrich
dem Vierten, an die wir heute gekommen sind, bestätigen
die Wahrheit jenes Urtheils: das Königshaus und die
Schenke zum wilden Schweinskopf in Eastcheap, die
Welt Heinrich IV. und die Welt Falstaffs sind
offenbar zwei verschiedene Welten. Zwischen diesen
beiden Welten schwankend, und dann im folgenden Drama,
in König Heinrich V., sie beide in ein schönes
Ganze vereinigend, schwebt eine Natur von seltner
Vortrefflichkeit, von ungewöhnlichem <71:> Umfang
und Reichthum, der Liebling Shakespears, wenn er je
einen gehabt, der Kronprinz, Sohn Heinrich IV.,
nachheriger König Heinrich V. Es frägt sich,
ist der Streit dieser beiden Welten, wie er sich am
schönsten in dem Gemüth desselben Prinz von Wales
repräsentirt, wirklich, wie Novalis sagt, Kampf zwischen
der Poesie und der Unpoesie, erscheint
das Große wirklich steif und unpoetisch.
Hier hat Novalis offenbar die Klage über seine
Zeit, den Zweck seiner Werke etwas voreilig
auf Shakespear übertragen. –
Als
Heinrich IV. König Richard den II. vom Throne herab
in Wahnsinn und Grab stürzte, da verlor England das
Kleinod seiner ritterlichen Unschuld. So ganz, so
aus einem Stücke, so rein und unbescholten wie es
sich in den heiligen Kriegen und unter der Anführung
des schwarzen Prinzen auf den Gefilden von Frankreich
zeigte, ist es nun nicht mehr. Argwöhnisch und zurückhaltend
zieht sich der alternde Usurpator in das Innere seines
Palastes zurück. In That und der Erscheinung königlich
konnten Eduard III. und der schwarze Prinz sich
täglich unter jeder Gestalt dem Volke zeigen, niemand
konnte vergessen, des heiligen Rechts ihres königlichen
Blutes und der Thaten, welche dieses Recht bekräftigt
hatten. Hören Sie, was dagegen der Usurpator Heinrich IV.
über das wüste Leben seines Sohnes, des Kronprinzen,
sagt: er mache sich zu gemein mit dem Volke; wen man
täglich auf den Straßen sähe, der könne unmöglich
königliche Würde behaupten: man müsse sich selten
machen, imponiren, coquettiren mit der Gunst des Volks.
Wer kann hierin verkennen, daß die Unschuld der Krone
verloren ist, daß Schein und Absicht unterstützen
sollen, was Wahrheit und Thaten der Gerechtigkeit
nicht mehr tragen können. Selbst im Prinzen von Wales
läßt Shakespear eine feine Coquetterie hervorleuchten:
Er wolle recht schlechte Erwartungen im Volke erwecken,
sagt er, durch seinen gemeinen Umgang und durch sein
wildes Leben, um dereinst bei seiner Thronbesteigung
recht überraschen, und die Erwartungen übertreffen
zu können. – Die Welt ist wirklich getrennt: die Reue
sitzt auf dem Throne in tragischer Gestalt,
sinnend über die Wege des Schicksals, in sich erzeugend
schwermüthige Ideen über die Unvollständigkeit der
Kräfte des Menschen, klagend über den Druck der Krone,
beneidend um eine Stunde Schlafs den Schiffsjungen
im Mastkorbe. Der Geldmangel, der Muthmangel und die
Folgen liederlichen Lebens, etabliren sich dagegen
in der Schenke zum wilden Schweinskopf, in komischer
Gestalt: Handlungen der Willkühr, der Gesetzlosigkeit
und des Truges wechseln unaufhörlich, umfangen von
einem und demselben Element eines ganz unerschöpflichen
Witzes. Der Kronprinz geht hinüber und herüber, von
der Schenke in das Königshaus und schwankt zwischen
dem magern König und dem feisten Falstaff, zwischen
Ernst und Spiel, wie der Dichter zwischen der komischen
und tragischen Muse. – Im ersten Theile ist es die
Eifersucht des Kronprinzen gegen den gewaltigen Heißsporn,
den jungen ritterlichen Percy, die das Schwanken augenblicklich
unterbricht: hier wird der Dichter unerträglich groß.
Auf dem Schlachtfelde, wo die beiden Nebenbuhler kämpfen
und Percy fällt, erreicht das Komische in Falstaff
seinen <72:> Gipfel. Unmäßiges Lachen und tiefe
tragische Empfindungen mit ihren Thränen wechseln
in beschleunigter Folge, und immer mehr bezähmen sie
einander, so daß eine einzige beruhigte Empfindung
zurückbleibt. Da läßt der Dichter fühlen, was es sei,
wenn sich Schmerz und Lust, einmal entzweit, um die
Welt streiten. Unaufhörliche Blitze und Ströme von
Regen müssen erfolgen, wenn ein reines Gleichgewicht
in die Atmosphäre zurückkehren soll.
Die
Luft ist gereinigt, aber nur auf kurze Zeit, denn
ein größerer Zwiespalt wandelt hoch in der Luft über
die Sterblichen her. Im zweiten Theile bricht eine
neue Verschwörung über den unglücklichen Usurpator
aus: die ihm seinen verbrecherischen Weg geebnet haben,
wollen es nicht ertragen, daß er sie beherrsche. Sie
beschönigen sich mit dem Vorwand, daß er die Gehülfen
seines Verbrechens nie aufhören werde zu hassen. Die
Söhne des Königs schlagen den Aufruhr zu Boden, aber
der Gram hat sein Leben schon zernagt, und grade die
Nachricht von den Siegen über seine Feinde giebt ihm
den Tod. Der Prinz von Wales ist schon mehr herübergetreten
auf die königliche Seite, nur einmal und auf kurze
Zeit zeigt er sich in der Sphäre des Falstaffs. Die
gemeine und höhere Welt streiten in diesem zweiten
Theile auf ihre eigne Hand, und ohne den vermittelnden
Prinzen, der dem Throne immer näher, endlich am Sterbebette
seines Vaters ganz auf die tragische Seite hinübertritt.
So zeigen sich in diesem Drama die Komödie und die
Tragödie neben einander herlaufend, ineinander verschränkt,
und beide als Glieder und Theile einer höhern Tragödie. –
Ich bedarf dieses bewunderungswürdigen Beispiels,
für die Erklärung des Komischen und Tragischen. Daß
nach Novalis Meinung die Poesie hier auf der einen,
der komischen gemeinen Seite allein verweilen sollte,
auf der andern dagegen die Unpoesie, dies glaube ich
zur Rettung der dramatischen Ironie des Dichters schon
widerlegt zu haben. –
Wenn
man versuchte, den ersten Theil von Heinrich IV.
auf unsrer heutigen Bühne darzustellen, so würde selbst
die höchste Vollendung der Darstellung von dem weiblichen
Theile des Publicums zuverläßig nicht mit
voller Befriedigung aufgenommen werden, die Damen
nemlich würden gestört werden, durch die s. g.
zu grellen Contraste des Komischen und Tragischen;
der Dichter würde scheinen, die schöne tragische Stimmung,
in der sich das weibliche Geschlecht besonders gefällt,
mit zu großem Übermuthe durch Witz und Spas wieder
zu zerstören. Das männliche Geschlecht, welches im
Durchschnitt höheren Gefallen am Komischen findet,
wird vielleicht gar die tragischen Szenen gedehnt
und langweilig finden, da es vor allzugroßem Wohlgefallen
an Sir John Falstaff und seinen Gesellen, und vor
ungeduldiger Erwartung derselbigen sich vielleicht
gar keiner tragischen Situation zu überlassen im Stande
ist. Die Frage ist: hat es unser Meister William Shakespear
beiden Geschlechtern nur stellenweis recht machen
wollen, oder hat er es ihnen wirklich beiden durch
das Ganze recht gemacht? Hat er hier die Gunst der
Frauen, dort den Beifall der Männer, oder hier und
dort und allenthalben die ganze Menschheit im Auge
gehabt? <73:>
Sollte
dieser Vorzug, den man einer von beiden, der tragischen
oder der komischen Stimmung giebt, nicht wieder aus
einem feinern monologischen Interesse entspringen?
Und wäre dies, so dürfte ich Sie auch dort nicht in
Ruhe lassen, und das dramatische Interesse für beide
Musen verlangen und zu erwecken suchen, mit allen
Kräften, die mir zu Gebot stehn. –
Alle
wie wir da sind und jeder von uns hängt bei seinem
Eintritt in die Welt nach irgend einer Seite, wenn
auch noch so leise, hinüber: des einen Stoff ist zu
weich, des andern zu spröde. Was liegt uns nun ob,
wenn wir unser Leben führen und bilden wollen? Der
weiche soll nicht seine Weichheit monologisch für
den Helden unter seinen Eigenschaften halten und ihn
so alle übrigen beherrschen lassen, sondern er soll
diesem von der Natur schon allzubegünstigten Helden,
durch Kunst einen Gegner gegenüber zu stellen suchen;
er soll durch die Betrachtung des schneidenden, harten
und spröden Wesens des Komischen, seiner weichen und
allzuleicht überfließenden Natur ein Gegengewicht
bilden, und so durch ein Umfassen beider Extreme sich
zum ganzen und vollständigen Menschen erziehn. So
verschrieb Friedrich Schlegel grade den weichen Frauen
das Studium der spröden Philosophie, und den spröden
Männern das Studium der weichen Poesie: so würde ich
grade die Frauen häufiger in die Komödie und grade
die Hausväter, sie möchten noch so oft sagen: „sie
hätten der Leiden und Trübsale schon genug zu Haus
und brauchten sie nicht erst im Theater zu suchen,“
in die Tragödie führen. Shakespear hat also demnach
wohl durch die Gewalt, mit der er im Heinrich IV.
beide Elemente Feuer und Wasser gegen einander ankämpfen
läßt, es dem ganzen Menschen, und also dem ganzen
Publicum recht machen wollen. Die Contraste, die den
monologischen Zuschauer ärgern, den dialogischen über
die Maßen ergötzen, existiren für den dramatischen
Zuschauer gar nicht. Dieser, da seine Seele das Ganze
zu empfangen hat und diesem gewachsen ist, läßt nicht,
wie es dem monologischen Zuschauer begegnet, den dramatischen
Faden vor Schrecken aus den Händen fahren, wenn plötzlich
das Komische an die Stelle des Tragischen tritt, oder
das Tragische den Fluß des Komischen plötzlich unterbricht.
– Überhaupt wird die fleißige Betrachtung des Shakespear
bald davon überzeugen, daß nur das Lächerliche und
die Wehmuth des gemeinen Lebens so unverträglich sind,
so weit von einander abstehn: sobald beide Empfindungen
von einem und demselben dramatischen Gemüth beherrscht
werden, sobald beide in dieselbe Sphäre der Kunst
eingehn, eben sobald verwandelt sich das Lächerliche
in Komisches, und die Wehmuth in tragische Trauer.
– Diese eben erwähnten beiden Unterschiede sind zu
wichtig und gemeiniglich zu wenig betrachtet, auch
für die Bildung eines ächten Urtheils über Shakespear
und das Theater überhaupt zu bedeutend, als daß sie
hier mit Stillschweigen übergangen werden könnten.
Jeder von uns kennt aus Erfahrung die Herrschaft gewisser
Stimmungen und Launen über den Menschen: die Welt
mit allen ihren Erscheinungen zeigt sich an gewissen
Tagen trüb und schwer, am andern wieder in grellen,
bunten, allzuschreienden Farben und leicht. Eben die
<74:> Weichheit und die Spröde des physischen
Stoffes aus dem wir bestehn, scheint abwechselnd die
Oberhand zu haben; statt daß die Seele beide Eigenschaften
des Stoffes in ihrer Gewalt haben und sie beherrschen
sollte, wie der Musiker beides, die Dur- und Moltöne
seines Instruments, statt dessen nimmt das Instrument
von sich selbst heut einen Dur, morgen einen Mollcharacter
an, und zwingt den Spieler sich ihm zu unterwerfen.
Die Abstufungen oder Modulationen der Wehmuth und
andrerseits der humoristische, witzelnde Taumel, die
auf diese Weise entstehn und einzeln, monologisch,
ohne Gegengewicht das ganze Gemüth des Menschen befangen,
sind unedler, unkünstlerischer Natur. Man fühlt das
Lustige einer solchen einseitigen Stimmung und nimmt
seine Zuflucht zum Theater, gemeiniglich nicht mit
dem Zweck dort eine höhere Sphäre zu finden, in der
die Trauer wie die Lust auf künstlerische Weise vereinigt
erscheinen, und beide, da sie Ausflüsse eines ihnen
überlegenen Geistes sind, beruhigen müssen, sondern
vielmehr um nur in die entgegengesetzte Stimmung
versetzt zu werden: man curirt eine Krankheit durch
die andre: man verschreibt sich gegen die häusliche
üble Laune, Kotzebues üble Laune, oder den Wirrwarr,
oder den Wildfang, so ungefähr wie ein trübes, in
dem Gram einer unglücklichen Liebe befangenes Gemüth
sich in ein wüstes, liederliches Leben stürzt und
mit diesem zu curiren sucht. Man kann mir einwenden,
diese Heilmethode sei probat! Ja, sie mag es in vielen
Fällen sein, aber was bleibt nach ihrer Anwendung
zurück? Ein Gefühl der Leerheit, der Gleichgültigkeit
und des Überdrußes, statt dessen wir von aller Kunst,
der Heilkunst wie der dramatischen, ein Gefühl erhobenen
Lebens und die Fülle der Kraft und Gesundheit verlangen. –
Sobald
die Seele aber sich auf den Thron setzt, alle
Eigenschaften des Stoffes, alle Stimmungen der Tage
und Augenblicke ihr unterworfen; eben sobald
verwandelt sich das Lächerliche in Komisches, das
Weinerliche in Tragisches: das Lächerliche und Weinerliche
schlossen einander aus, nur eines konnte herrschen:
das Komische und Tragische hingegen, da sie beide
von einem höhern, von der gesunden menschlichen Seele
des Dichters oder des Zuschauers beherrscht werden,
bestehen beide neben einander. Das Lächerliche,
der Humor entsprang aus treuloser Lust an Wechsel,
an Veränderung, an Zerstörung, daher begleiten ihn
der beissende Spott, die verwundende schmutzige Satyre,
daher ist er überhaupt dialogischer Natur: betrachten
Sie als Beispiel die englischen humoristischen Romane;
Parnys guerre des dieux; den deutschen Falk und bei
vielen anderweiten Verdiensten die pucelle d’Orleans.
Das Weinerliche, die üble Laune entsprang aus
schwerfälligem Haften und Nagen am Leben, und war
deshalb monologischer Natur: gedenken Sie als Beispiel
des Drame larmoyant und der Kotzebueschen Rührungen.
Das Ächt-Tragikomische ist dramatischer Natur:
die dramatische Natur mag den Schmerz durch alle Saiten
der Brust reissen lassen, ihre Erzeugnisse mögen Ströme
von Thränen erwecken, sie mag wie die griechische
Tragödie das Schicksal im Hause der Atriden toben
lassen, immer wird sich und an allen Stellen eine
dem Schmerze weit <75:> überlegene Seele offenbaren,
die den Zuschauer über allen Gram erhebt, gegen jede
rohe Wunde sicher stellt: diese mag ferner mit dem
Übermuthe der griechischen und italienischen Komödie
zerstören was ihr in die Hände fällt, mit Hohem und
Heiligen ihr Spiel treiben, die Zuschauer, die Zeitbegebenheiten
in ihren Taumel hineinreissen, das Spiel wird seiner
selbst bewußt bleiben, und dennoch nie beleidigen
und seine Schranken verletzen, denn unverkennbar,
wenn schon unsichtbar waltet darin ein ruhiger, ernster
Geist. – Daher kann der sinnvolle Zuschauer nach den
wahren Darstellungen der dramatischen Kunst nicht
sagen, ob es Spiel und Ironie, oder Ernst war, was
ihn auf die Höhe des Lebens geführt. Deshalb, wer
neben dem rasenden Lear, die Spiele des Narren: neben
dem Sterbebette König Heinrich IV. die Prahlereien
und den Witz des Sir John Falstaff nicht blos zu dulden,
sondern unentbehrlich zu finden weiß, – der ist dem
Drama, ja wie sich weiter unten zeigen wird, dem größern
Drama des Lebens, welches dieselbe Vereinigung des
Ernstes und Spieles verlangt, gewachsen, und unsers
großen Meisters würdig.