IV. Sommernachtstraum
und Wintermährchen.
Die Jahrszeiten sind in Unordnung
gerathen: Kälte und Stürme herrschen um Johanniszeit,
Irrthümer und Mißverständnisse plagen die Menschen,
und der Winter der Eifersucht meldet sich, da es mitten
im Sommer ist, im Reiche der Liebe. Der Dichter durchträumt
die unordentliche Zeit auf der Bühne, und da er erwacht,
bestrahlt ihn der beruhigte Äther wieder. Im Geisterreiche,
am Johannistage, hat sich ein Zwiespalt entsponnen:
die Elfenherrscher Oberon und Titania zanken um den
Besitz eines schönen Knaben, den Titania am Indus
gefunden, und unmittelbar durchdringt der Streit die
Natur, das Wetter kehrt sich um, die Pflanzen spüren
es, und was vom Menschengeschlechte der Liebe huldigt,
was durch Liebe in das Leben der Blumen und Wälder
verwachsen und verwebt ist, wird geplagt und geneckt.
Die germanische, romantische Zeit war aus den Wäldern
gekommen; Eichenhayne waren ihre ursprünglichen Tempel,
daher blieb sie immer im Reiche des Lebens den Pflanzen
näher, als den Thieren. Was von der griechischen und
römischen Heiden Gottesdienst und Mythologie zur Wissenschaft
germanischer Völker kam, erhielt unter den Händen
dieser Völker gewissermaßen einen Blumen-, einen Waldgeruch.
Immer ist es, als würde es betrachtet durch einen
dichten Vorgrund von Laub und Grüne. Daher begriffen
sie unter allen Göttern der Heiden am besten Dianen,
die Göttin des Mondes, der Nacht und der Jagd. Bei
Nacht, wenn die Thierwelt untergangen und das Leben
der Pflanzen üppiger und duftiger heraustritt, regte
sich das poetische Leben der germanischen Menschheit
vornehmlich. Daher der träumerische Character ihrer
Fabeln, der besonders hervorschimmert aus den beiden
vornehmlichsten Gattungen der modernen Poesie, der
Romanze und dem Mährchen: daher die vielen wunderbaren
Allegorien des Todes, die, von christlicher Aussicht
auf Wiedergeburt und Auferstehung gemildert, an alle
Wollust, an allen Genuß des Lebens, geknüpft wurden.
– Unter dem Schutze der Nacht buhlt das Vergangene
mit dem Zukünftigen, und so haben die Götter und Genien
früherer Zeiten alle Zutritt und erscheinen, nur etwas
blasser gefärbt; gegen die Sonnenklarheit der griechischen
Welt, nun gleichsam vom Monde beschienen. – <60:>
Von
allen Werken des Shakespear trägt dieses früheste
am meisten den Character der Zeit, es ist Mährchen,
Romanze und Drama zugleich, und deshalb für das Studium
der romantischen Poesie das lehrreichste. Das spätere
Drama: Wie es Euch gefällt, ist ihm am nächsten
verwandt; auch in diesem schwelgt germanisches Leben,
aber dort ist es nur schöne Erinnerung, denn der Dichter
ist schon weit hinaus gewachsen über seine Zeit. Im
Sommernachtstraum lebt er noch kindlich darin, schläft
wie eine Elfe in Blumen gebettet, spukt mit dem lustigen
Kobolt durch die feuchten Nebel umher, und neckt die
Kinder der eignen Phantasie, und zwingt sein eignes
Gewerbe, unter der lustigen Gestalt poetisirender,
theatralischer Handwerker, in die tolle Verwicklung
hinein. Er verlegt die Scene nach – Athen, läßt den
Theseus als König auftreten, sich mit der Hippolyta
vermählen, und Elfen und Kobolte in dem nahgelegenen
Walde ihr Wesen treiben. Doctor Johnson und Meister
Warburton schütteln mit dem Kopfe und schelten, daß
er die Geschichte, die Zeitläufte nicht wahr nimmt,
daß er die alte und neue Zeit durcheinander wirft.
Shakespear kann nicht begreifen: warum nicht?
Es gefalle ihm nun einmal in Athen, warum er denn
Alt-England zu Hause lassen soll, wenn er in Griechenland
spielen wolle, er habe nun einmal alle seine Phantasien
und Spielsachen mitgebracht dorthin. „Er verletze
aber das Costüm, meinen die beiden grämlichen Schulmeister!“
der Dichter antwortet: „es möge gegen Theseus Costüm
immerhin sein, gegen Shakespears aber sei es gewiß
nicht.“ Wir wollen dies Gespräch lieber abbrechen,
damit die deutschen Schauspieldirectoren es nicht
hören und mit den englischen Kritikern gemeinschaftliche
Sache machen. Denn schon längst ist es dahin gekommen
in Deutschland, daß die meisten Theaterdirectoren
nichts mehr sind, als eine höhere Potenz des Theaterschneiders:
in historischen Dramen will man vor allen Dingen den
Helden sehn, wie er geleibt und gelebt hat, auf welchen
Stühlen er gesessen, und wie er die Kniegürtel gebunden:
man verlangt vornehmlich Sittengemälde alter Zeiten,
um beiher doch spielweis in der Historie zu profitiren.
Aber wenn sich der Dichter offenbart schwebend über,
lebend in aller Zeit überhaupt; oder in anscheinender
Verwirrung, wie Thiere und Wälder um den Orpheus,
sich die entlegendsten, widerstrebendsten Naturen
friedlich um seine Leier herlagern, dann kommen die
gelehrten Leute und weisen Naturforscher und schelten
den Widerspruch und beweisen uns, daß nun einmal der
Wolf und das Lamm nicht so in der Natur neben einander
gefunden würden, daß die Kanonen zur Zeit der Zerstörung
Trojas noch nicht im Gebrauch gewesen u. s. f.
Kurz, wenn etwas Ausserordentliches geschieht, so
haben sie nur das eine dagegen einzuwenden, daß es
nicht gemein sei: wenn historischer Kram und Stammbäume
und Jahrzahlen nicht mehr angezogen werden sollen,
so ist ihre Kritik am Ende. So sind in der englischen
Literatur die weitläuftigen, albernen Untersuchungen
über die Frage entstanden, ob Shakespear auch gelehrt
gewesen sei? Gern, sehr gern wollen wir mit der Majorität
der Gelehrten antworten Nein und abermals Nein!
Aber wenn es darauf ankommt, dich Meister Warburton
mit Haut und Haar, mit dem zartesten und besten, mit
dem Bouquet, mit der Quintessenz deiner Gelehrsamkeit
beiläufig, <61:> nebenherlaufend zur Ergötzung
neben tausend andern, größern und bessern, gelehrten
und ungelehrten darzustellen, auf die Bühne des Lebens
zu bringen, deinem Leben Sinn und Bedeutung
zu geben, wie du nie an dir befunden – dann
und dazu ist Shakespear der Mann. Shakespear
soll nicht gelehrt sein, damit solcherlei Personen
wie du, ihn auch nicht einen Augenblick für ihres
Gleichen halten können. Kehren wir zum Sommernachtstraum
nach einer Abschweifung zurück, die nothwendig war,
wenn die reizenden und erhabenen Spiele eines kindlichen
Dichters aus einer altklugen, schulmeisternden Zeit
herausgehoben werden sollen. –
Elizabeth,
nahe dem 60sten Jahre, schlug noch immerfort
alle Freier aus, und hatte beschlossen als königliche
Jungfrau zu sterben. Der Dichter läßt Amorn einen
seiner gewaltigsten, spitzigsten Pfeile auf ihren
Busen richten, der feuchte Strahl des Mondes, des
Schutzgestirns der Keuschheit lähmt seinen Flug, die
königliche Brust bleibt unberührt, der Pfeil sinkt
in eine kleine Blume, in England Lieb im Müssiggang
genannt, die in Deutschland unter dem Namen Stiefmütterchen
bekannt ist. Wessen Augen im Schlummer mit dem Saft
dieser Blume befeuchtet werden, der entbrennt in Leidenschaft
gegen den ersten Gegenstand, der beim Erwachen ihm
vor die Augen tritt. – Die Wirkung dieses Zaubermittels
vollendet die Verwirrung der ganzen Natur, deren erste
Veranlassung der Streit zwischen Oberon und der Titania
gewesen war, und so dient eine reizende und sinnreich
ausgedrückte Galanterie gegen seine Königin zum Erklärungsgrund
der wunderbaren Äusserungen monologischer Liebe, die
der Dichter mit unergründlicher Ironie und Zierlichkeit
darzustellen weiß, wie sie denn auch damals schon
in der Wirklichkeit überhand nehmen mochte. Lassen
Sie uns die einfachen Mittel erwägen, die der Dichter
gebraucht, um eine Intrigue zu Stande zu bringen,
die es mit den höchsten Mustern dieser Art, deren
wir bei Erwähnung des großen spanischen Meisters Calderon
gedenken werden, aufnehmen kann.
Zwei
Mädchen in Athen, eine schlanke Blondine Helena und
eine kleine Brünette Hermia, beide zusammen erwachsen
„einer Doppelkirsche gleich, zum Schein getrennt,
doch in der Trennung Eins; zwei holde Beeren einem
Stiel entwachsen, dem Scheine nach zwei Körper doch
ein Herz“ – fallen in die Netze der Liebe: die Helena
liebt den Demetrius, die Hermia den Lysander. Demetrius
wird der schlanken Helena untreu, sein Herz wendet
sich zur Hermia herüber, und seine Werbung wird vom
Vater der braunen Hermia begünstigt. So verwandeln
sich zwei gegenseitige Leidenschaften in zwei einseitige
und eine gegenseitige: Helena liebt den Demetrius,
Demetrius die Hermia, die Hermia den Lysander, der
sie wieder liebt, dem aber ihr Vater entgegen ist.
Hermia und Lysander fliehen aus Athen; Helena verräth
die Flucht dem Demetrius, um seine Liebe zu gewinnen;
er verfolgt die Flüchtigen in den benachbarten Wald;
ihn verfolgt dorthin die Helena. In demselben Walde
will Oberon die Titania für die Weigerung des indischen
Knaben bestrafen; indem sie schlummert, muß sein dienstbarer
Geist: Droll, ihr die Tropfen der fatalen Blume
<62:> auf die Augen drücken. Zugleich befiehlt
er dem Droll, einige Tropfen auf die Wimpern des im
Walde schlafenden Demetrius fallen zu lassen, damit
im Erwachen ihm Helena in die Augen falle, und seine
Liebe zu ihr zurückkehre. Droll stößt zuerst auf den
schlafenden Lysander, den er für Demetrius nimmt und
bezaubert. Unglücklicherweise fallen die Blicke des
Lysander beim Erwachen auf die umherschweifende Helena,
und so verwandeln sich die ursprünglichen beiden gegenseitigen
Leidenschaften in vier einseitige: Helena liebt den
Demetrius, Demetrius die Hermia, die Hermia den Lysander,
der Lysander die Helena. Wie wenn im Tanze zwei Paare
sich zur Chaine die Hände bieten, in eben so eigner
Verschränkung erscheinen nun die vier Liebenden, jede
Dame flieht ihren Ritter, und reicht dem andern die
Hand, jeder Ritter flieht seine Dame und reicht der
andern die Hand. Dadurch nun, daß Oberon dem Droll
seinen Fehler verweist, und ihn wirksam die Zauberei
auf den Demetrius anwenden läßt, kehrt dieser zur
Helena zurück. Nun giebt es wieder zwei einseitige
und eine gegenseitige Leidenschaft: die Hermia liebt
den Lysander, Lysander die Helena, die Helena den
Demetrius, von dem sie wieder geliebt wird. Vorher
im ähnlichen Falle standen, wie in einer ebenfalls
sehr bekannten Tanzfigur, beide Ritter auf der Seite
der Hermia, und Helena war verlassen; jetzt ist Hermia
verlassen, und Helena hat die beiden Ritter an ihrer
Seite. Auf die leichteste, natürlichste Weise wird
durch die Anwendung des Zaubers Lysander zu Hermia
zurückgeführt, und so alles zu allseitiger Zufriedenheit
ins Gleiche gebracht. – Wir werden weiterhin, besonders
bei Betrachtung der spanischen Poesie, diese Ähnlichkeit
der Intrigue, bei den modernen Dichtern, mit den Tanzfiguren,
und ihre Gründe noch näher erwägen: ich kann jetzt
blos andeuten, daß dieß zu den höchst zarten und characteristischen
Eigenheiten des modernen Drama gehört.
Der
hier beschriebene Tanz figurirt um eine höchst komische
Gruppe, die wir im Mittelpuncte des Stücks wahrnehmen.
Fünf gemeine Handwerker sind übereingekommen, den
Vermählungstag ihres Königs Theseus durch eine theatralische
Repräsentation von Pyramus und Thisbe zu feiern, und
halten ihre Proben, des Geheimnisses wegen, in demselben
Walde. Der designirte Pyramus, ein Weber, Namens Zettel,
wird vom Droll mit einem Eselskopf ausgezeichnet,
und so fällt er zuerst beim Erwachen der Titania in
die Augen, und wird der Gegenstand ihrer Leidenschaft.
Denken Sie sich demnach in die Mitte Titanien, den
verwandelten Zettel mit Rosen und Blumen bekränzend,
zierliche Elfen bemüht ihn zu füttern und die Ohren
zu reiben: und darum her im reizenden Wechsel die
verliebte Quadrille der Ritter und Damen, und die
burleske Quadrille der Handwerker, die ihren ersten
Liebhaber und Deklamator vermissen. Das schöne Gemälde
schließt sich mit der Buffonerie der Darstellung von
Pyramus, in der der Dichter mit jugendlichem Muthwillen
die herrlichen Schlußscenen seiner um eben diese Zeit
entstandenen Romeo und Julie zu parodiren scheint,
– und mit der dreifachen Vermählung. So wie ein schöner
Traum verfliegt das Ganze; mögen wir in der Betrachtung
keines der unaussprechlich zarten Glieder verletzt
<63:> haben! möge von dem Blumenstaube der leichten,
schimmernden Flügel nichts verwischt sein, möge kein
Schulstaub sich darunter gemischt haben, möge der
kindliche Geist dieser Dichtung unberührt geblieben
sein, so weiter flattern, und oft noch unbefangene
Gemüther erfreuen!
Wir
verlassen die Jugend des Dichters, den durchträumten
Sommer seines Lebens, und werfen einen Blick auf den
Winter, auf sein späteres Alter, auf das Lustspiel:
Wintermährchen. Aus der Erinnerung an die Träume
der Jugend entstehn im Alter die Mährchen: durch den
Mund des Mährchens strömt das Alter kindlich seine
Weisheit auf die Kinder zurück. Eine große vollendete
und alle Gebiete der Kunst harmonisch umfassende Dichtung.
Der König von Böhmen hält sich zum Besuch am Hofe
des Königs von Sicilien auf und will abreisen. Unter
den vielfachen Einladungen zum Bleiben von Seiten
des Königs von Sicilien und seiner Gemahlin wird dieser
eifersüchtig, wahnsinnig, will den König von Böhmen
ermorden lassen, der noch zu rechter Zeit entflieht.
Die Königin wird ins Gefängniß geworfen: dort entbunden
von einer Tochter, in der der Wahnsinn des Königs
durchaus einen Bastard sehen will, die deshalb über
die Seite gebracht werden soll, indeß von einem mitleidigen
Hofmann nach Böhmen gebracht und der Pflege eines
armen Schäfers übergeben wird. Der König erhält hierauf
die Nachricht, die Königin sei vor Gram im Gefängnisse
gestorben. Sechzehn Jahre vergehn, ausgefüllt vom
Kummer des seine Härte bereuenden Königs. Der Kronprinz
von Böhmen, Florizel, lernt die indeß bei dem alten
Schäfer herangewachsene Tochter des Königs von Sicilien
kennen, ihre erst kämpfende und dann belohnte Liebe
knüpft ein neues Band zwischen den Kronen von Böhmen
und Sicilien. Der Beruhigung des reuigen Königs fehlt
nun nichts als die verlorne, in Erbitterung gegen
ihn gestorbene Königin: diese hatte, um dem Gefängnisse
zu entgehn, die Nachricht ihres Todes aussprengen
lassen, und war in ein Kloster geflüchtet: da die
Vermählung der Kinder vollzogen, und der König von
Sicilien in seinen Erinnerungen versenkt ist, wird
er von einer Vertrauten der verstorbenen Fürstin eingeladen,
zugleich mit seinen Kindern eine wohlgetroffene Bildsäule
der Königin zu betrachten. Sie selbst, die Verstoßene,
erwartet dort ihren Gemahl; ihre Vergebung und allgemeine
Versöhnung schließt das Stück.
Die
Geschichte, die Intrigue sind einfach; aber unnachahmlich
ist der Ton, die Behandlung des Stoffs. Über dem Ganzen
schwebt eine eigne wunderbare Dämmerung: ein mildernder
Flor hängt vor den Leiden, wie vor dem heitern Gemälde
der Liebe und des Wiederfindens; die Redseligkeit
des Alters ist unverkennbar; aber wie zart ist alles
Gesprochene, wie deutlich auch in der Dämmerung
sind alle Charactere und Situationen. Am Schlusse
des dritten Acts erscheint die Zeit, und trägt den
Zuschauer mit einem Prolog über den Raum von sechzehn
Jahren hinweg: die im dritten Act geborne Prinzessin
erscheint im vierten als erwachsenes Mädchen. –
Sechzehn Jahre? – ruft Doctor Johnson. Sechzehn Jahre?
wiederholt Meister Warburton. O goldne Regel der Einheit
der Zeit! wie wird der Zuschauer glauben, daß <64:>
während einer kurzen Symphonie, und eines Prologs,
der grade vier Minuten dauert, sechzehn Jahre vergehn!
– Die Phantasie dieser Herren hat einmal keine Flügel:
die Zeit können sie nun einmal nicht vergessen; die
Glocke hören sie immer schlagen; zur bessern Beurtheilung
des Dichter haben sie im Berliner Schauspielhause
gar eine ungeheure, transparente Uhr über dem Proscenium
angebracht. – Göthe ruft Ihnen zu, da er dem
Amor in jede Hand eine Sanduhr giebt, deren eine unendlich
langsam, die andere übermäßig schnell läuft, daß die
eine mit den geflügelten Stunden den einander gegenwärtigen
Geliebten, die andre mit den trägen faulen Stunden
den von einander entfernten Geliebten fließe. Der
Zuschauer vor der Bühne, sei der Künstler vor seiner
Geliebten der Kunst, und der könne unmöglich in so
zauberischen Momenten der Zeit gedenken. – Das Gleichniß
verstehn die Gelehrten nicht; sie haben nicht erlebt
womit verglichen wird, und deshalb gehn sie zu andern
Klagen über den Dichter des Wintermährchens fort:
er lasse Böhmen am Meere liegen! die Königin
von Sicilien sage, sie sei eine Tochter des Kaisers
von Rußland! Das eben ist das herrlichste dieser
Poesie! dem Greisesalter nahe spielt Shakespear, der
mit seinem poetischen Geist die ganze Erde, Vorwelt
und Nachwelt durchschritten, wieder mit allen Blumen
der Erde. Der wunderbare Kranz, den er hier zusammenflicht,
ist halb aus Cypressen halb aus Rosen gewunden, der
Norden und der Süden, das Alterthum und die neue Zeit,
Freude und Schmerz sind innig in einander verflochten
und das Ganze bestrahlt, von den klugen, heitern Augen
des alternden Dichters. Die erste Hälfte bis zum Prolog,
der den Raum der sechzehn Jahre ausfüllt, hat einen
tragischen Inhalt, den Wahnsinn des Königs, den Gram
der Mutter und der Kinder: betrachten Sie diesen Theil
näher, lesen Sie ihn recht, so finden sie in den Reden
der Personen, in der Haltung ihrer Gespräche und Situationen
ein unverkennbares komisches Licht. Wäre eine gute
Übersetzung vorhanden, so müßte der ächte Leser die
Empfindung des Lächelns und der Thränen in einem und
demselben Herzen und Auge, in sich wahrnehmen. Nach
dem Prolog verwandelt sich das Ganze. Ein reizendes
Idyll, eine liebliche Schäferscene, der erste Schauplatz
der Liebe für Florizel und Perdita führt uns in die
zweite Hälfte des Gedichtes hinüber. Hier ist alles
anders: der Inhalt heiter, mitunter komisch; der Ton,
die Behandlung ernst und rührend; so daß man diese
die tragikomische, die erste Hälfte hingegen die komitragische
nennen möchte. Um das Ganze noch mehr herauszuheben,
müßte der Schauspieldirector den Hof von Sicilien
in altgriechischem, den Hof von Böhmen in altfranzösischem,
molierischem Costüm auftreten lassen: damit jeder
Zuschauer genöthigt würde sich spielend und kindlich
zu verhalten, und damit allen zurückbliebe, die über
Freude und Schmerz, Spott und unedle Wehmut gleich
erhabne Seele des Meisters.