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Adam Müller, Fragmente über William Shakespear, 55-87; darin: IV. Sommernachtstraum und Wintermährchen, 59-64

IV. Sommernachtstraum und Wintermährchen.

Die Jahrszeiten sind in Unordnung gerathen: Kälte und Stürme herrschen um Johanniszeit, Irrthümer und Mißverständnisse plagen die Menschen, und der Winter der Eifersucht meldet sich, da es mitten im Sommer ist, im Reiche der Liebe. Der Dichter durchträumt die unordentliche Zeit auf der Bühne, und da er erwacht, bestrahlt ihn der beruhigte Äther wieder. Im Geisterreiche, am Johannistage, hat sich ein Zwiespalt entsponnen: die Elfenherrscher Oberon und Titania zanken um den Besitz eines schönen Knaben, den Titania am Indus gefunden, und unmittelbar durchdringt der Streit die Natur, das Wetter kehrt sich um, die Pflanzen spüren es, und was vom Menschengeschlechte der Liebe huldigt, was durch Liebe in das Leben der Blumen und Wälder verwachsen und verwebt ist, wird geplagt und geneckt. Die germanische, romantische Zeit war aus den Wäldern gekommen; Eichenhayne waren ihre ursprünglichen Tempel, daher blieb sie immer im Reiche des Lebens den Pflanzen näher, als den Thieren. Was von der griechischen und römischen Heiden Gottesdienst und Mythologie zur Wissenschaft germanischer Völker kam, erhielt unter den Händen dieser Völker gewissermaßen einen Blumen-, einen Waldgeruch. Immer ist es, als würde es betrachtet durch einen dichten Vorgrund von Laub und Grüne. Daher begriffen sie unter allen Göttern der Heiden am besten Dianen, die Göttin des Mondes, der Nacht und der Jagd. Bei Nacht, wenn die Thierwelt untergangen und das Leben der Pflanzen üppiger und duftiger heraustritt, regte sich das poetische Leben der germanischen Menschheit vornehmlich. Daher der träumerische Character ihrer Fabeln, der besonders hervorschimmert aus den beiden vornehmlichsten Gattungen der modernen Poesie, der Romanze und dem Mährchen: daher die vielen wunderbaren Allegorien des Todes, die, von christlicher Aussicht auf Wiedergeburt und Auferstehung gemildert, an alle Wollust, an allen Genuß des Lebens, geknüpft wurden. – Unter dem Schutze der Nacht buhlt das Vergangene mit dem Zukünftigen, und so haben die Götter und Genien früherer Zeiten alle Zutritt und erscheinen, nur etwas blasser gefärbt; gegen die Sonnenklarheit der griechischen Welt, nun gleichsam vom Monde beschienen. – <60:>
Von allen Werken des Shakespear trägt dieses früheste am meisten den Character der Zeit, es ist Mährchen, Romanze und Drama zugleich, und deshalb für das Studium der romantischen Poesie das lehrreichste. Das spätere Drama: Wie es Euch gefällt, ist ihm am nächsten verwandt; auch in diesem schwelgt germanisches Leben, aber dort ist es nur schöne Erinnerung, denn der Dichter ist schon weit hinaus gewachsen über seine Zeit. Im Sommernachtstraum lebt er noch kindlich darin, schläft wie eine Elfe in Blumen gebettet, spukt mit dem lustigen Kobolt durch die feuchten Nebel umher, und neckt die Kinder der eignen Phantasie, und zwingt sein eignes Gewerbe, unter der lustigen Gestalt poetisirender, theatralischer Handwerker, in die tolle Verwicklung hinein. Er verlegt die Scene nach – Athen, läßt den Theseus als König auftreten, sich mit der Hippolyta vermählen, und Elfen und Kobolte in dem nahgelegenen Walde ihr Wesen treiben. Doctor Johnson und Meister Warburton schütteln mit dem Kopfe und schelten, daß er die Geschichte, die Zeitläufte nicht wahr nimmt, daß er die alte und neue Zeit durcheinander wirft. Shakespear kann nicht begreifen: warum nicht? Es gefalle ihm nun einmal in Athen, warum er denn Alt-England zu Hause lassen soll, wenn er in Griechenland spielen wolle, er habe nun einmal alle seine Phantasien und Spielsachen mitgebracht dorthin. „Er verletze aber das Costüm, meinen die beiden grämlichen Schulmeister!“ der Dichter antwortet: „es möge gegen Theseus Costüm immerhin sein, gegen Shakespears aber sei es gewiß nicht.“ Wir wollen dies Gespräch lieber abbrechen, damit die deutschen Schauspieldirectoren es nicht hören und mit den englischen Kritikern gemeinschaftliche Sache machen. Denn schon längst ist es dahin gekommen in Deutschland, daß die meisten Theaterdirectoren nichts mehr sind, als eine höhere Potenz des Theaterschneiders: in historischen Dramen will man vor allen Dingen den Helden sehn, wie er geleibt und gelebt hat, auf welchen Stühlen er gesessen, und wie er die Kniegürtel gebunden: man verlangt vornehmlich Sittengemälde alter Zeiten, um beiher doch spielweis in der Historie zu profitiren. Aber wenn sich der Dichter offenbart schwebend über, lebend in aller Zeit überhaupt; oder in anscheinender Verwirrung, wie Thiere und Wälder um den Orpheus, sich die entlegendsten, widerstrebendsten Naturen friedlich um seine Leier herlagern, dann kommen die gelehrten Leute und weisen Naturforscher und schelten den Widerspruch und beweisen uns, daß nun einmal der Wolf und das Lamm nicht so in der Natur neben einander gefunden würden, daß die Kanonen zur Zeit der Zerstörung Trojas noch nicht im Gebrauch gewesen u. s. f. Kurz, wenn etwas Ausserordentliches geschieht, so haben sie nur das eine dagegen einzuwenden, daß es nicht gemein sei: wenn historischer Kram und Stammbäume und Jahrzahlen nicht mehr angezogen werden sollen, so ist ihre Kritik am Ende. So sind in der englischen Literatur die weitläuftigen, albernen Untersuchungen über die Frage entstanden, ob Shakespear auch gelehrt gewesen sei? Gern, sehr gern wollen wir mit der Majorität der Gelehrten antworten Nein und abermals Nein! Aber wenn es darauf ankommt, dich Meister Warburton mit Haut und Haar, mit dem zartesten und besten, mit dem Bouquet, mit der Quintessenz deiner Gelehrsamkeit beiläufig, <61:> nebenherlaufend zur Ergötzung neben tausend andern, größern und bessern, gelehrten und ungelehrten darzustellen, auf die Bühne des Lebens zu bringen, deinem Leben Sinn und Bedeutung zu geben, wie du nie an dir befunden – dann und dazu ist Shakespear der Mann. Shakespear soll nicht gelehrt sein, damit solcherlei Personen wie du, ihn auch nicht einen Augenblick für ihres Gleichen halten können. Kehren wir zum Sommernachtstraum nach einer Abschweifung zurück, die nothwendig war, wenn die reizenden und erhabenen Spiele eines kindlichen Dichters aus einer altklugen, schulmeisternden Zeit herausgehoben werden sollen. –
Elizabeth, nahe dem 60sten Jahre, schlug noch immerfort alle Freier aus, und hatte beschlossen als königliche Jungfrau zu sterben. Der Dichter läßt Amorn einen seiner gewaltigsten, spitzigsten Pfeile auf ihren Busen richten, der feuchte Strahl des Mondes, des Schutzgestirns der Keuschheit lähmt seinen Flug, die königliche Brust bleibt unberührt, der Pfeil sinkt in eine kleine Blume, in England Lieb im Müssiggang genannt, die in Deutschland unter dem Namen Stiefmütterchen bekannt ist. Wessen Augen im Schlummer mit dem Saft dieser Blume befeuchtet werden, der entbrennt in Leidenschaft gegen den ersten Gegenstand, der beim Erwachen ihm vor die Augen tritt. – Die Wirkung dieses Zaubermittels vollendet die Verwirrung der ganzen Natur, deren erste Veranlassung der Streit zwischen Oberon und der Titania gewesen war, und so dient eine reizende und sinnreich ausgedrückte Galanterie gegen seine Königin zum Erklärungsgrund der wunderbaren Äusserungen monologischer Liebe, die der Dichter mit unergründlicher Ironie und Zierlichkeit darzustellen weiß, wie sie denn auch damals schon in der Wirklichkeit überhand nehmen mochte. Lassen Sie uns die einfachen Mittel erwägen, die der Dichter gebraucht, um eine Intrigue zu Stande zu bringen, die es mit den höchsten Mustern dieser Art, deren wir bei Erwähnung des großen spanischen Meisters Calderon gedenken werden, aufnehmen kann.
Zwei Mädchen in Athen, eine schlanke Blondine Helena und eine kleine Brünette Hermia, beide zusammen erwachsen „einer Doppelkirsche gleich, zum Schein getrennt, doch in der Trennung Eins; zwei holde Beeren einem Stiel entwachsen, dem Scheine nach zwei Körper doch ein Herz“ – fallen in die Netze der Liebe: die Helena liebt den Demetrius, die Hermia den Lysander. Demetrius wird der schlanken Helena untreu, sein Herz wendet sich zur Hermia herüber, und seine Werbung wird vom Vater der braunen Hermia begünstigt. So verwandeln sich zwei gegenseitige Leidenschaften in zwei einseitige und eine gegenseitige: Helena liebt den Demetrius, Demetrius die Hermia, die Hermia den Lysander, der sie wieder liebt, dem aber ihr Vater entgegen ist. Hermia und Lysander fliehen aus Athen; Helena verräth die Flucht dem Demetrius, um seine Liebe zu gewinnen; er verfolgt die Flüchtigen in den benachbarten Wald; ihn verfolgt dorthin die Helena. In demselben Walde will Oberon die Titania für die Weigerung des indischen Knaben bestrafen; indem sie schlummert, muß sein dienstbarer Geist: Droll, ihr die Tropfen der fatalen Blume <62:> auf die Augen drücken. Zugleich befiehlt er dem Droll, einige Tropfen auf die Wimpern des im Walde schlafenden Demetrius fallen zu lassen, damit im Erwachen ihm Helena in die Augen falle, und seine Liebe zu ihr zurückkehre. Droll stößt zuerst auf den schlafenden Lysander, den er für Demetrius nimmt und bezaubert. Unglücklicherweise fallen die Blicke des Lysander beim Erwachen auf die umherschweifende Helena, und so verwandeln sich die ursprünglichen beiden gegenseitigen Leidenschaften in vier einseitige: Helena liebt den Demetrius, Demetrius die Hermia, die Hermia den Lysander, der Lysander die Helena. Wie wenn im Tanze zwei Paare sich zur Chaine die Hände bieten, in eben so eigner Verschränkung erscheinen nun die vier Liebenden, jede Dame flieht ihren Ritter, und reicht dem andern die Hand, jeder Ritter flieht seine Dame und reicht der andern die Hand. Dadurch nun, daß Oberon dem Droll seinen Fehler verweist, und ihn wirksam die Zauberei auf den Demetrius anwenden läßt, kehrt dieser zur Helena zurück. Nun giebt es wieder zwei einseitige und eine gegenseitige Leidenschaft: die Hermia liebt den Lysander, Lysander die Helena, die Helena den Demetrius, von dem sie wieder geliebt wird. Vorher im ähnlichen Falle standen, wie in einer ebenfalls sehr bekannten Tanzfigur, beide Ritter auf der Seite der Hermia, und Helena war verlassen; jetzt ist Hermia verlassen, und Helena hat die beiden Ritter an ihrer Seite. Auf die leichteste, natürlichste Weise wird durch die Anwendung des Zaubers Lysander zu Hermia zurückgeführt, und so alles zu allseitiger Zufriedenheit ins Gleiche gebracht. – Wir werden weiterhin, besonders bei Betrachtung der spanischen Poesie, diese Ähnlichkeit der Intrigue, bei den modernen Dichtern, mit den Tanzfiguren, und ihre Gründe noch näher erwägen: ich kann jetzt blos andeuten, daß dieß zu den höchst zarten und characteristischen Eigenheiten des modernen Drama gehört.
Der hier beschriebene Tanz figurirt um eine höchst komische Gruppe, die wir im Mittelpuncte des Stücks wahrnehmen. Fünf gemeine Handwerker sind übereingekommen, den Vermählungstag ihres Königs Theseus durch eine theatralische Repräsentation von Pyramus und Thisbe zu feiern, und halten ihre Proben, des Geheimnisses wegen, in demselben Walde. Der designirte Pyramus, ein Weber, Namens Zettel, wird vom Droll mit einem Eselskopf ausgezeichnet, und so fällt er zuerst beim Erwachen der Titania in die Augen, und wird der Gegenstand ihrer Leidenschaft. Denken Sie sich demnach in die Mitte Titanien, den verwandelten Zettel mit Rosen und Blumen bekränzend, zierliche Elfen bemüht ihn zu füttern und die Ohren zu reiben: und darum her im reizenden Wechsel die verliebte Quadrille der Ritter und Damen, und die burleske Quadrille der Handwerker, die ihren ersten Liebhaber und Deklamator vermissen. Das schöne Gemälde schließt sich mit der Buffonerie der Darstellung von Pyramus, in der der Dichter mit jugendlichem Muthwillen die herrlichen Schlußscenen seiner um eben diese Zeit entstandenen Romeo und Julie zu parodiren scheint, – und mit der dreifachen Vermählung. So wie ein schöner Traum verfliegt das Ganze; mögen wir in der Betrachtung keines der unaussprechlich zarten Glieder verletzt <63:> haben! möge von dem Blumenstaube der leichten, schimmernden Flügel nichts verwischt sein, möge kein Schulstaub sich darunter gemischt haben, möge der kindliche Geist dieser Dichtung unberührt geblieben sein, so weiter flattern, und oft noch unbefangene Gemüther erfreuen!
Wir verlassen die Jugend des Dichters, den durchträumten Sommer seines Lebens, und werfen einen Blick auf den Winter, auf sein späteres Alter, auf das Lustspiel: Wintermährchen. Aus der Erinnerung an die Träume der Jugend entstehn im Alter die Mährchen: durch den Mund des Mährchens strömt das Alter kindlich seine Weisheit auf die Kinder zurück. Eine große vollendete und alle Gebiete der Kunst harmonisch umfassende Dichtung. Der König von Böhmen hält sich zum Besuch am Hofe des Königs von Sicilien auf und will abreisen. Unter den vielfachen Einladungen zum Bleiben von Seiten des Königs von Sicilien und seiner Gemahlin wird dieser eifersüchtig, wahnsinnig, will den König von Böhmen ermorden lassen, der noch zu rechter Zeit entflieht. Die Königin wird ins Gefängniß geworfen: dort entbunden von einer Tochter, in der der Wahnsinn des Königs durchaus einen Bastard sehen will, die deshalb über die Seite gebracht werden soll, indeß von einem mitleidigen Hofmann nach Böhmen gebracht und der Pflege eines armen Schäfers übergeben wird. Der König erhält hierauf die Nachricht, die Königin sei vor Gram im Gefängnisse gestorben. Sechzehn Jahre vergehn, ausgefüllt vom Kummer des seine Härte bereuenden Königs. Der Kronprinz von Böhmen, Florizel, lernt die indeß bei dem alten Schäfer herangewachsene Tochter des Königs von Sicilien kennen, ihre erst kämpfende und dann belohnte Liebe knüpft ein neues Band zwischen den Kronen von Böhmen und Sicilien. Der Beruhigung des reuigen Königs fehlt nun nichts als die verlorne, in Erbitterung gegen ihn gestorbene Königin: diese hatte, um dem Gefängnisse zu entgehn, die Nachricht ihres Todes aussprengen lassen, und war in ein Kloster geflüchtet: da die Vermählung der Kinder vollzogen, und der König von Sicilien in seinen Erinnerungen versenkt ist, wird er von einer Vertrauten der verstorbenen Fürstin eingeladen, zugleich mit seinen Kindern eine wohlgetroffene Bildsäule der Königin zu betrachten. Sie selbst, die Verstoßene, erwartet dort ihren Gemahl; ihre Vergebung und allgemeine Versöhnung schließt das Stück.
Die Geschichte, die Intrigue sind einfach; aber unnachahmlich ist der Ton, die Behandlung des Stoffs. Über dem Ganzen schwebt eine eigne wunderbare Dämmerung: ein mildernder Flor hängt vor den Leiden, wie vor dem heitern Gemälde der Liebe und des Wiederfindens; die Redseligkeit des Alters ist unverkennbar; aber wie zart ist alles Gesprochene, wie deutlich auch in der Dämmerung sind alle Charactere und Situationen. Am Schlusse des dritten Acts erscheint die Zeit, und trägt den Zuschauer mit einem Prolog über den Raum von sechzehn Jahren hinweg: die im dritten Act geborne Prinzessin erscheint im vierten als erwachsenes Mädchen.  – Sechzehn Jahre? – ruft Doctor Johnson. Sechzehn Jahre? wiederholt Meister Warburton. O goldne Regel der Einheit der Zeit! wie wird der Zuschauer glauben, daß <64:> während einer kurzen Symphonie, und eines Prologs, der grade vier Minuten dauert, sechzehn Jahre vergehn! – Die Phantasie dieser Herren hat einmal keine Flügel: die Zeit können sie nun einmal nicht vergessen; die Glocke hören sie immer schlagen; zur bessern Beurtheilung des Dichter haben sie im Berliner Schauspielhause gar eine ungeheure, transparente Uhr über dem Proscenium angebracht. – Göthe ruft Ihnen zu, da er dem Amor in jede Hand eine Sanduhr giebt, deren eine unendlich langsam, die andere übermäßig schnell läuft, daß die eine mit den geflügelten Stunden den einander gegenwärtigen Geliebten, die andre mit den trägen faulen Stunden den von einander entfernten Geliebten fließe. Der Zuschauer vor der Bühne, sei der Künstler vor seiner Geliebten der Kunst, und der könne unmöglich in so zauberischen Momenten der Zeit gedenken. – Das Gleichniß verstehn die Gelehrten nicht; sie haben nicht erlebt womit verglichen wird, und deshalb gehn sie zu andern Klagen über den Dichter des Wintermährchens fort: er lasse Böhmen am Meere liegen! die Königin von Sicilien sage, sie sei eine Tochter des Kaisers von Rußland! Das eben ist das herrlichste dieser Poesie! dem Greisesalter nahe spielt Shakespear, der mit seinem poetischen Geist die ganze Erde, Vorwelt und Nachwelt durchschritten, wieder mit allen Blumen der Erde. Der wunderbare Kranz, den er hier zusammenflicht, ist halb aus Cypressen halb aus Rosen gewunden, der Norden und der Süden, das Alterthum und die neue Zeit, Freude und Schmerz sind innig in einander verflochten und das Ganze bestrahlt, von den klugen, heitern Augen des alternden Dichters. Die erste Hälfte bis zum Prolog, der den Raum der sechzehn Jahre ausfüllt, hat einen tragischen Inhalt, den Wahnsinn des Königs, den Gram der Mutter und der Kinder: betrachten Sie diesen Theil näher, lesen Sie ihn recht, so finden sie in den Reden der Personen, in der Haltung ihrer Gespräche und Situationen ein unverkennbares komisches Licht. Wäre eine gute Übersetzung vorhanden, so müßte der ächte Leser die Empfindung des Lächelns und der Thränen in einem und demselben Herzen und Auge, in sich wahrnehmen. Nach dem Prolog verwandelt sich das Ganze. Ein reizendes Idyll, eine liebliche Schäferscene, der erste Schauplatz der Liebe für Florizel und Perdita führt uns in die zweite Hälfte des Gedichtes hinüber. Hier ist alles anders: der Inhalt heiter, mitunter komisch; der Ton, die Behandlung ernst und rührend; so daß man diese die tragikomische, die erste Hälfte hingegen die komitragische nennen möchte. Um das Ganze noch mehr herauszuheben, müßte der Schauspieldirector den Hof von Sicilien in altgriechischem, den Hof von Böhmen in altfranzösischem, molierischem Costüm auftreten lassen: damit jeder Zuschauer genöthigt würde sich spielend und kindlich zu verhalten, und damit allen zurückbliebe, die über Freude und Schmerz, Spott und unedle Wehmut gleich erhabne Seele des Meisters.

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Letzte Aktualisierung 29-Mär-2003
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