II. Bearbeiter
und Übersetzer.
Es bedarf keiner Erinnerung, daß
die deutschen abkürzenden Bearbeitungen der Werke
des Dichters, die hin und wieder noch auf unsern Bühnen
spuken, alle das characteristisch Große und den eigenthümlichen
Genius Shakespears verläugnen, und zu weiter nichts
dienen, als dem Gedächtniß den fremdklingenden Namen
von Zeit zu Zeit zurückzurufen, und an ihrer verrenkten,
verhunzten Schönheit sogar uns die Armseligkeit der
Poesien merken zu lassen, mit denen wir uns Jahr aus
Jahr ein begnügen. Der philosophirende Candidat, den
wir unter dem Namen des Hamlet, der kindische Alte,
den wir unter dem Namen des Lear zu erhalten pflegen,
die Anständigkeiten und die weltliche Gerechtigkeit,
die ungeschickte Hände den ehrwürdigen aller seiner
Thaten und Zwecke wohl bewußten Geist ausüben lassen,
können in wohlgearteten Gemüthern nur ein wehmüthiges
Gefühl über unsren Kleinmuth und unsre kränkliche
Reizbarkeit erwecken. – Die Vorschläge zu einer Bearbeitung
des Hamlet, im Wilhelm Meister, in sofern sie nur
dienen sollen, die unergründliche Tiefe des Werkes
spüren zu lassen, sind sinnreich, zart, und das schönste
was über den Shakespear gesagt worden: in sofern eine
wirkliche Bearbeitung versprochen, und deshalb die
poetische Zerlegung vorgenommen wird, Göthes unwürdig.
Wozu denn überhaupt bearbeiten? Wozu sollen sich denn
diese Riesenwerke nach unsern kleinen Brettergerüsten
bequemen? Kommt es der Bühne, die einmal doch nichts
Besseres vermag, kommt es ihr nicht zu, sich nach
ihnen, kommt es dem ausgearteten Gesellen und Kinde
nicht zu, sich vielmehr nach dem Vater und Meister
zu bequemen? Oder ist das Kind etwa zu sehr mit deutschem
Brei und französischen Confitüren verwöhnt, es soll
erst allmählich in den Geschmack der Kraftspeisen
hineinkommen? Gut, so gebt ihm irgend eine andre Mittelspeise!
der alte Vater kann es abwarten an seiner reichen,
vollen Tafel: die Zeit wird schon wieder zu ihm zurück
müssen. Befördre nur Niemand ohne Noth die Täuschung,
daß wir schon bei ihm wären, und daß er schon würdig
erkannt und bewundert sei. –
Unter
allen Übersetzungen des Dichters, ragt eine einzige
so weit hervor, daß neben ihr von den übrigen die
Rede nicht sein kann, und dieses ist, mit Stolz sei
es gesagt, eine deutsche: es ist August Wilhelm Schlegels
Übersetzung der einen Hälfte der Shakespearschen Dramen,
im Rythmus und im Geiste des Originals. Hätte der
Fleiß vollendet und retouchirt, was das Genie so siegreich
begonnen, so würde der grämlichste Pedant einsehn
müssen, was die Bessern fühlen, daß nemlich durch
diese Übersetzung Shakespeare auf ein halbes Jahrhundert
hin, Eigenthum der deutschen Nation geworden sei:
so lange müssen die andern leben, bis sie und ihre
Sprachen einer gleichen Aneignung fähig sind. <57:>
England
selbst hat freilich noch eine Art von altem, bestaubten
und verrosteten Nationalgottesdienst des Shakespear,
der aber leider nicht einmal mehr mächtig genug ist,
um Kotzebues Pizarro und andres ähnliches Raubgesindel
des Auslands zu verscheuchen. Die brittische Bewunderung
des Shakespear reducirt sich zuvörderst auf einen
alten, feisten, treuen, hartnäckigen Glauben, den
er indeß mit Milton, Pope, Locke, und wie sie heißen
mögen, theilen muß, wie denn überhaupt die Britten,
aus übrigens sehr ehrenwerthen Motiven, ihre National-Autoritäten
gleichsam in Masse, in Pausch und Bogen zu respectiren
pflegen: Shakespeare hat indeß mit ihrer neuern National-Literatur
wenig genug zu schaffen, und wenn auch das Land, das
diesen Coloß zu gebähren und zu tragen wagen durfte,
immer neue Beweise der alten, mit Weisheit bewahrten
Kraft giebt, wenn es auch noch in seinem Blute den
Shakespear bewahrt, so sind doch nicht weiter Kinder
seines Geistes in Sprache ans Licht gekommen. Der
Spektakel erfreut den brittischen Pöbel noch bis heute,
das ist wahr; die brittischen Kritiker erschöpfen
sich, indem sie die s. g. Auswüchse der Phantasie
verwerfen, noch bis heute im Lobe seiner Naturwahrheit,
der, wie sie es nennen, psychologischen Unergründlichkeit
dieses Autors – aber für den ganzen Meister
fehlt, wenn nicht das Herz, doch das Auge und die
Beweglichkeit, die Entzündbarkeit der Phantasie. Wenn
Bauern oder andre gemeine Leute, in der Nähe einer
pittoresken Naturschönheit wohnen, die sie den poetischen
Reisenden oft zu zeigen genöthigt sind, dann entsteht
bei ihnen eine Art mechanischen Glaubens, daß das
Ding, der Fels, oder das Thal wirklich schön sei,
ob sie sich gleich im Innern keinen Grund anzugeben
wissen, warum ein frisch gepflügter Acker nicht noch
schöner sein sollte. Dabei kann ich mich nicht enthalten,
an den gewöhnlichen Engländer zu denken, den ein Deutscher
über den Shakespear zur Rede stellt.
Es
hat vieles Geschwätz über Shakespear dies- und jenseits
des Meeres gegeben: aber noch niemand hat sein Recht
bewiesen, von Auswüchsen des Genies, von Fehlern und
Ausschweifungen in den Werken des Dichters zu reden;
und so kommt den Geschöpfen des Augenblicks nichts
weiter zu, als sich gläubig, anschauend und sinnend
an den Busen des alten Meisters hinzulegen, jeden
Zug seiner Wimpern, jedes leise Rühren seiner Lippen
fromm und demüthig zu belauschen, sich hinzugeben
und leiten zu lassen, im ganzen Sinne des Worts. –