Philosophische
und kritische Miscellen, 32-46; darin: <Adam Müller>,
6. Betty Koch, verehel. Roose. Hofschauspielerin in Wien,
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6. Betty Koch, verehel. Roose.
Hofschauspielerin in Wien.
Die deutsche Bühne,
in wiefern sie der Nation und nicht blos einer einzelnen
Provinz angehört, konnte nicht leicht einen bedeutenderen
Verlust erleiden, als durch den Tod dieser vortrefflichen
Künstlerin. Friederike Bethmann und Iffland sind die
einzigen, welche uns jetzt noch verbleiben; denn von
den vielen einzeln zerstreuten Talenten, die durch Zufall
oder körperliche Organisation in irgend ein einzelnes
Fach geworfen werden, und selbiges als Naturalisten
mit einem gewissen angewöhnten Geschick ausfüllen, kann
die Rede nicht sein; eben so wenig von Instrumenten,
die nur in den Händen eines großen Meisters etwas bedeuten;
noch weniger von den vielen schätzbaren, bejahrten Künstlern,
deren Andenken ihren ehemaligen Jugendgenossen billig
theuer bleibt, die aber in den laufenden Annalen dieser
vergänglichsten aller Künste nicht mehr genannt werden
können. Auf den Wiener Bühnen glänzen noch heute eine
ganze Reihe solcher einst berühmter Namen, und mehr
als diese Namen, die Art, wie dort jedem aufblühenden
Talent beigestanden und Raum gegeben wird, erinnert
uns an eine bessere Zeit des deutschen Theaters, wo
große Talente, unbefangenes Streben, und rechtlicher
Kunstsinn auf der Bühne, und frische Empfänglichkeit,
ernstes Aufmerken und – Lessing im Parterre zusammen
trafen, wo die Nation das Theater wie ihr Eigenthum
betrachtete, statt dessen sie jetzt den Platz für die
kurze, müssige Beschauung fremder, durchziehender Frivolitäten
nur gemiethet <43:> zu haben scheint. Viele Spuren
dieser guten Zeit waren an Madame Roose wahrzunehmen:
Fleiß, Füglichkeit und Anstand; vor allem aber ein unermüdlicher
Sinn für die Veredlung alles, selbst des gemeinsten
poetischen Stoffes, der ihr vorgelegt werden mochte;
nie hat sie vergessen, daß sie auf einem erhabenen Orte
stand, und daß ein Dichter schwerlich so ungeschickt
sein kann, daß weibliche Grazie ihn nicht zu mildern,
ja zu adeln vermöchte. Wie viel verdankt Kotzebue ihr
und der Bethmann? – daß ganze Handlungen, übrigens
kaum des Gedächtnisses schöner und reinlicher
Seelen werth, nun sich wirklich dem Gemüthe einprägen
durften. – Alles das, schon um der Töne willen,
in denen sie dargeboten wurden. – Um die Gewalt
der Musik zu empfinden – der leiseren, dem Menschen
näher stehenden Musik, für welche die Natur das Sprachorgan
bestimmte – brauchte man es nur zu erleben, wie
rasch der ungünstige Eindruck ihrer allzucorpulenten
Gestalt von dem Wohlklang ihres Organs, und von dem
leichten, empfindlichen, und nicht minder musikalischen
Ausdruck ihres Kopfes überwunden wurde.
Die
Vergleichung dieser vortrefflichen Frau mit den beiden
andern von mir genannten deutschen Künstlern, führt
zu einer eignen Betrachtung. Madame Roose sowohl als
Madame Bethmann und Herr Iffland, hatten mit großen
Schwierigkeiten der körperlichen Organisation zu kämpfen,
welche von ihnen auf das Glänzendste überwunden worden
sind; während die älteren Zierden der deutschen Bühne
Reinike, Fleck, Schröder u. s. f. ausgezeichnet
von der Natur begünstigt waren. Wer es je gesehn hat,
wie Madame Bethmann in ihren angemessenen Rollen, d. h.
in Götheschen oder Shakespearschen Tragödien zusehends
wuchs, wie die sterblichen Organe, die ihr fehlten,
durch überirdische, wie die paar Zoll, die ihrem Wuchse
fehlen mochten, durch geistige Hoheit ersetzt wurden,
wie sie allen Vergleich mit andern Gestalten verbot,
und selbst zu ihrem eignen Maaßstab wurde, – der
fühlte ganz rein die Gewalt der Kunst, ja die Zuvorkommenheit
andrer Figuren schien ihm ein Nachtheil, weil ihm der
Moment des plötzlichen Werdens der Schönheit, die auf
die Bühne gehört, entging, und weil sich ganz andre
Ansprüche, als die der Kunst, in sein Herz schleichen
mochten. –
Madame
Roose elektrisirte den Zuschauer weniger: ein sanftes,
ruhiges Spiel, leichte, aber sinnreiche Bewegung, und
zwischen allen einzelnen Handlungen ein so zarter Verband,
eine so grazieuse Haltung, daß am Ende die körperliche
Masse als ein Vortheil erschien, den die Natur angelegt
habe, um zu zeigen, wie die Seele über äußere Unbequemlichkeit
Herr werde. Eine ähnliche äußere Dissonanz macht auch
das innerlich künstlerische in Ifflands Spiel besonders
hervortreten.
Und
so möchten, wenn uns nicht der übrigens so trostlose
Zustand der deutschen Bühne widerspräche, diese drei
Künstler grade in die zweite Epoche des vaterländischen
Theaters gehören. Nach der schönen Vertheidigung der
Darstellung weiblicher Rollen durch männliche Schauspieler
auf italienischen Bühnen, in Göthes Briefen über Italien,
möchten jene drei Künstler grade einem Publikum angemessen
sein, das der <44:> Forderung gemeiner Täuschung
entwachsen wäre, und nun die höhere Illusion idealischer
Zustände begehrte, das mit dem vollen Bewußtsein, wie
es nur auf die Kunst ankomme, dem Genius selbst in die
Augen sehn, und über die Ansprüche an das anderweitige
bürgerliche Leben sich billig finden lassen wolle; kurz,
einem Publikum, das die in jeder Kunst erscheinende,
ihr angemessene besondre Natur zu würdigen vermöchte,
und fühlte, wie die ordinäre, Allerwelts-Natur,
die der Pöbel im Theater wieder finden will, zur wahren
und gottbeseelten Natur erhoben werde, nur durch kluge
und unendliche Unterscheidung aller der besondern Naturen
in den Künsten, und in allem was sich mit Freiheit regt
und auf sich selbst ruht.
Es
giebt, zwar kein Publikum, doch Einzelne, welche diese
Wahrheit erkennen, und ihren dreifachen Werth, in einer
Zeit, die sich durch Mißverständnisse und künstliches
Verderben aller Art, zur Klarheit der ächten Kunst hindurch
arbeitet. Und so wird ihre Wiederholung auch eine Art
von Todtenfeier für die gute Künstlerin sein, deren
Leben sie so glänzend bewährte.
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