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Philosophische und kritische Miscellen, 32-46; darin: <Adam Müller>, 5. Die absolute Identität als Begriff und als Idee oder der Philosoph im Hafen, 40-42

5. Die absolute Identität
als Begriff und als Idee
oder der Philosoph im Hafen.

Der Philosoph redet ein Schiff also an: „Sei du mein Lehrmeister, kunstreiches Menschenwerk! deinen Bau hat die Natur selber gelehrt; ihr mußte der Baumeister bei jedem Schritte folgen; auf jede Abweichung von ihren Gesetzen stand die Todesstrafe. Hier ist, wie in wenigen Werken der Menschen, Natur und Kunst in eins verschlungen. Ich sahe sie deutlich vor mir, die beiden wider einander strebenden Kräfte; auf der einen Seite Meer und Winde, in ewig wechselnder Bewegung, auf der andern, ein derbes, tüchtiges Individuum, das gegen jene in bestimmter Richtung und ruhigem Streite wirkt. Die Kraft des Schiffes benutzt, was sie der Gegenkraft jener Elemente nur abgewinnen kann; seitwärts wehende, fast widerstrebende Winde, müssen durch kunstreiche Wendung der Segel und des Steuers, Alliirte des Schiffes werden; eine hochschwellende Woge muß die hemmende Gegenkraft einer Sandbank dem Schiffe besiegen helfen; die Untiefen, ursprüngliche Feinde des Schif- <41:> fes treten wieder auf die Seite desselben, wenn es sich, dem verfolgenden Kaper, einem neuen Feinde zu entgehn, auf den Strand laufen läßt.“
„Auch wissen die Elemente wieder manches von der Kraft des Schiffes in ihr Interesse zu ziehn. Ein plötzlicher, widriger Windstoß hat alle noch nicht gewendete Segel, und die ganze noch nicht gechickt gerichtete Masse des Schiffes zu seinen Gehülfen; die gegen die Antikraft feindlicher Angriffe gerichteten Kanonen verhindern die leichte Bewegung des Schiffes im Orkane, sie verstärken die Gegenkraft und müssen ins Meer geworfen werden. Ja, näher betrachtet ist die Last des ganzen schönen Baues, der Ladung und jedes einzelnen Bootsmanns, und jedes kleinsten Geräths – ein Glied der großen Gegenkraft.“
„In der ersten Betrachtung schienen alle Elemente, die Welt selbst zum Schiff gehörig, mit dem Schiffe verbunden: in der zweiten Betrachtung verschwindet das Schiff mit aller seiner Kraft, es wird ein Glied, ein Spiel der Elemente, und nun der Nothwendigkeit unterworfen, wie es vorher frei und alles Element ihm unterworfen, erschien. Erst schien es wie ein absolutes Ich in reiner Freiheit seinem Hafen zuzueilen, und nachher erschienen wieder der Körper des Schiffs, jede Bohle aus der es gezimmert, selbst die Last des vorsichtigen Schiffers mit der großen Antikraft verbündet. Was ist freundlich, was ist feindlich? Wo bleibt das Schiff, und wenn das Schiff bleibt, wo bleiben die Elemente?“
„Sie sind beide Eins, ewig und nothwendig, und absolut Eins.“ Was wir am Schiffe gesehn, wendeten wir auf uns selbst an; die Antikraft der Elemente verglichen wir mit der ewigen Nothwendigkeit der uns umgebenden Natur. Unser Standpunkt am Hafen war die Stelle die Archimedes sich außerhalb der Welt wünschte; so war es uns leicht, das Schiff und die darauf bezogene Welt aus ihren Angeln zu heben, und die absolute Identität des Objects und Subjects zu behaupten, die bei der damaligen Betrachtung wohl nur in der Absolutheit des im Hafen spekulirenden Ichs ihren Grund hatte. –
Am folgenden Morgen führen weltliche Geschäfte den Philosophen in den Hafen, und es trifft sich, daß eben der Kapitän jenes Schiffs in sein Boot steigt, und unter begrüßenden Kanonen an Bord geht. Sogleich erblicken wir Leben und Bewegung in allen Theilen des Schiffs, und es ist uns, als wenn eine Seele in ihren Körper zurückkehrte. Das Schiff ist ein ganz andres Wesen, als wir gestern sahn; eine neue Untersuchung fängt an; der Kapitän der gestern fehlte, führt heut allein das Wort:
„Zwei Mächte, so spricht er, habe ich einander entgegengestellt. Sie wußten ursprünglich von keinem Streite mit einander: über beide waltete die alles umfangende Natur, wie der einfache Luftkreis, dessen Stürme das Meer schlugen, und die Eichen, aus denen ich mein Schiff gezimmert habe, beugten. Ich werfe die Eiche ins Meer, und rüste sie zum Kampfe gegen das Element; ich füge meine eigne Last noch zu dem Holze. – Alles bliebe im Frieden, wenn ich mich unbestimmt den Strömun- <42:> gen überließe, und ob ich auch selbst unterginge, hätte weder ich das Meer, noch das Meer mich bekämpft und unterdrückt. – Aber eine bestimmte Richtung nach einem Punkte jenseits des Meers habe ich mir abgesteckt; mit vielen Richtungen andrer Art, die aber erst widrige werden, seitdem ich eine günstige angenommen, drohen mir Strömungen und Winde. – Nennt meine Fahrt nicht gefährlich: Winde, Meere und Klippen sind nicht meine Feinde, es sind mir Freunde; so gut wie meine Segel kenne ich sie und wie mein liebes Schiff. Aber nennt sie auch nicht meine Sclaven, oder rohe Kräfte, oder todte Massen: mein Schiff und diese Elemente sind freie Wesen, die ich, selbst ihr Freund unternommen habe, in den Streit der Freundschaft zu bringen und durch ihn hindurch zu führen, sie als meinen Körper zu beseelen. – Ich bin der beständig wachende Richter zwischen ihnen, bald stehe ich den Elementen, bald dem Schiffe bei. Nur wenn ich ein ungerechter Richter bin und mich einseitig für eine Parthei entscheide, tritt ein höherer Richter zwischen mir und meine Partheien, schleudert mich in den Abgrund, und giebt die Streitenden, deren Freundschft, oder deren Streit ich in meiner Ohnmacht nicht zu unterhalten wußte, dem ewigen Frieden der Elemente wieder.“

Diese philosophischen Fragmente werden fortgesetzt.

A. M.

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Letzte Aktualisierung 29-Mär-2003
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