5. Die absolute Identität
als Begriff und als Idee
oder der Philosoph im Hafen.
Der Philosoph redet
ein Schiff also an: „Sei du mein Lehrmeister, kunstreiches
Menschenwerk! deinen Bau hat die Natur selber gelehrt;
ihr mußte der Baumeister bei jedem Schritte folgen;
auf jede Abweichung von ihren Gesetzen stand die Todesstrafe.
Hier ist, wie in wenigen Werken der Menschen, Natur
und Kunst in eins verschlungen. Ich sahe sie deutlich
vor mir, die beiden wider einander strebenden Kräfte;
auf der einen Seite Meer und Winde, in ewig wechselnder
Bewegung, auf der andern, ein derbes, tüchtiges Individuum,
das gegen jene in bestimmter Richtung und ruhigem Streite
wirkt. Die Kraft des Schiffes benutzt, was sie der Gegenkraft
jener Elemente nur abgewinnen kann; seitwärts wehende,
fast widerstrebende Winde, müssen durch kunstreiche
Wendung der Segel und des Steuers, Alliirte des Schiffes
werden; eine hochschwellende Woge muß die hemmende Gegenkraft
einer Sandbank dem Schiffe besiegen helfen; die Untiefen,
ursprüngliche Feinde des Schif- <41:> fes treten
wieder auf die Seite desselben, wenn es sich, dem verfolgenden
Kaper, einem neuen Feinde zu entgehn, auf den Strand
laufen läßt.“
„Auch
wissen die Elemente wieder manches von der Kraft des
Schiffes in ihr Interesse zu ziehn. Ein plötzlicher,
widriger Windstoß hat alle noch nicht gewendete Segel,
und die ganze noch nicht gechickt gerichtete Masse des
Schiffes zu seinen Gehülfen; die gegen die Antikraft
feindlicher Angriffe gerichteten Kanonen verhindern
die leichte Bewegung des Schiffes im Orkane, sie verstärken
die Gegenkraft und müssen ins Meer geworfen werden.
Ja, näher betrachtet ist die Last des ganzen schönen
Baues, der Ladung und jedes einzelnen Bootsmanns, und
jedes kleinsten Geräths – ein Glied der großen
Gegenkraft.“
„In
der ersten Betrachtung schienen alle Elemente, die Welt
selbst zum Schiff gehörig, mit dem Schiffe verbunden:
in der zweiten Betrachtung verschwindet das Schiff mit
aller seiner Kraft, es wird ein Glied, ein Spiel der
Elemente, und nun der Nothwendigkeit unterworfen, wie
es vorher frei und alles Element ihm unterworfen,
erschien. Erst schien es wie ein absolutes Ich in reiner
Freiheit seinem Hafen zuzueilen, und nachher erschienen
wieder der Körper des Schiffs, jede Bohle aus der es
gezimmert, selbst die Last des vorsichtigen Schiffers
mit der großen Antikraft verbündet. Was ist freundlich,
was ist feindlich? Wo bleibt das Schiff, und wenn das
Schiff bleibt, wo bleiben die Elemente?“
„Sie
sind beide Eins, ewig und nothwendig, und absolut Eins.“
Was wir am Schiffe gesehn, wendeten wir auf uns selbst
an; die Antikraft der Elemente verglichen wir mit der
ewigen Nothwendigkeit der uns umgebenden Natur. Unser
Standpunkt am Hafen war die Stelle die Archimedes sich
außerhalb der Welt wünschte; so war es uns leicht, das
Schiff und die darauf bezogene Welt aus ihren Angeln
zu heben, und die absolute Identität des Objects und
Subjects zu behaupten, die bei der damaligen Betrachtung
wohl nur in der Absolutheit des im Hafen spekulirenden
Ichs ihren Grund hatte. –
Am
folgenden Morgen führen weltliche Geschäfte den Philosophen
in den Hafen, und es trifft sich, daß eben der Kapitän
jenes Schiffs in sein Boot steigt, und unter begrüßenden
Kanonen an Bord geht. Sogleich erblicken wir Leben und
Bewegung in allen Theilen des Schiffs, und es ist uns,
als wenn eine Seele in ihren Körper zurückkehrte. Das
Schiff ist ein ganz andres Wesen, als wir gestern sahn;
eine neue Untersuchung fängt an; der Kapitän der gestern
fehlte, führt heut allein das Wort:
„Zwei
Mächte, so spricht er, habe ich einander entgegengestellt.
Sie wußten ursprünglich von keinem Streite mit einander:
über beide waltete die alles umfangende Natur, wie der
einfache Luftkreis, dessen Stürme das Meer schlugen,
und die Eichen, aus denen ich mein Schiff gezimmert
habe, beugten. Ich werfe die Eiche ins Meer, und rüste
sie zum Kampfe gegen das Element; ich füge meine eigne
Last noch zu dem Holze. – Alles bliebe im Frieden,
wenn ich mich unbestimmt den Strömun- <42:> gen
überließe, und ob ich auch selbst unterginge, hätte
weder ich das Meer, noch das Meer mich bekämpft und
unterdrückt. – Aber eine bestimmte Richtung nach
einem Punkte jenseits des Meers habe ich mir abgesteckt;
mit vielen Richtungen andrer Art, die aber erst widrige
werden, seitdem ich eine günstige angenommen, drohen
mir Strömungen und Winde. – Nennt meine Fahrt nicht
gefährlich: Winde, Meere und Klippen sind nicht meine
Feinde, es sind mir Freunde; so gut wie meine Segel
kenne ich sie und wie mein liebes Schiff. Aber nennt
sie auch nicht meine Sclaven, oder rohe Kräfte, oder
todte Massen: mein Schiff und diese Elemente sind freie
Wesen, die ich, selbst ihr Freund unternommen habe,
in den Streit der Freundschaft zu bringen und durch
ihn hindurch zu führen, sie als meinen Körper zu beseelen. –
Ich bin der beständig wachende Richter zwischen ihnen,
bald stehe ich den Elementen, bald dem Schiffe bei.
Nur wenn ich ein ungerechter Richter bin und mich einseitig
für eine Parthei entscheide, tritt ein höherer Richter
zwischen mir und meine Partheien, schleudert mich in
den Abgrund, und giebt die Streitenden, deren Freundschft,
oder deren Streit ich in meiner Ohnmacht nicht zu unterhalten
wußte, dem ewigen Frieden der Elemente wieder.“
Diese philosophischen
Fragmente werden fortgesetzt.
A. M.