Adam Müller, VII. Ironie, Lustspiel,
Aristophanes, 56-67; darin: 60-63
Mit, und unmittelbar nach der herzlichsten,
hingebendsten Andacht, unmittelbar nach den tiefsten Rührungen
der Religion, konnte ein edles Gemüth des Mittelalters,
wir fühlen es noch heut, übergehn zum freisten Scherz
über Gegenstände des heiligen Glaubens. Warum? Darum,
weil beide Empfindunden, die des Ernstes und der Lust,
nur geschieden sind, in einem unedlen irreligiösen Gemüth,
dagegen in einem ächten, gediegenen Herzen belebt sind,
beide von derselben Andacht und Frömmigkeit. – In
wie hoher und ernster Gestalt die Religion dem menschlichen
Herzen auch erscheinen mag, immer wird es noch eine höhere
und unendlich höhere Gestalt geben; welcher Mensch nun
die Gestalt irgend eines Augenblicks für die Höchste nimmt,
und sich in dieser dumpf und bigott verliert, der ist
in seinem Mysticismus eben so irreligiös, als der Religionsspötter
in seiner Frivolität. Der ächte Mensch des Mittelalter
öffnete gläubig und fromm seine Brust allen heiligen ernsten
Schauern der <61:> Religion, gab sich ihr ganz hin,
aber wohl wissend, daß es noch eine viel höhere Andacht
gebe, daß die Religion noch in ganz andrer Erhabenheit
erscheinen könne, öffnete er eben so treuherzig dieselbe
Brust der Flamme des Scherzes und Witzes und so reinigte
sie sich wechselsweise in Feuer und in Thränen zu einem
ächten Heiligthum. Das eben ist der Unterschied, nicht
die Religion selbst ward ausgelacht, wie in Voltaires
Pucelle d’Orleans, sondern seinen in der reinsten
Gestalt noch immer, gegen die Religion selbst, unwürdigen
Glauben an die Religion belachte der Mensch. Eben so in
Athen! Was den Griechen am theuersten war, das Vaterland,
das Volk, die Stadt, welche eben in der Tragödie verherrlicht,
von den Göttern abgeleitet, von ihrem unmittelbaren Seegen
ausgestattet und befruchtet, dargestellt worden waren,
wie denn die griechische Tragödie überhaupt Gottesdienst
des Vaterlandes heißen konnte, dasselbe Volk, mit seiner
Verfassung und seinen Göttern ward in der Komödie mit
der zügellosesten Freiheit verspottet, und auch seine
endliche Gestalt von der Flamme des Witzes verzehrt, vernichtet,
geopfert; um das unendliche Gemein-Wesen zu verherrlichen,
ward die endliche Republik mit allen ihren Häuptern, Demagogen
und Heiligthümern dem unmäßigsten Gelächter Preis gegeben.
Auch die zügellosen Komödien des Aristophanes wurden an
der Bildsäule des Gottes, unter dem Vorsitz des Bachus
gegeben! eben so hatte im Haupt des Dichters, dieser mochte
sich nun wie Euripides, dem tragischen Ernst, oder wie
Aristophanes, dem komischen Spott ergeben, allemal der
Gott den Vorsitz. Deshalb konnten Sokrates, Euripides
und die Häupter der Republik sich mit allen Waffen des
Witzes parodiren und travestiren sehn, ihre Gesichtszüge
und Geberden durch Masken und mimische Kunst, in den komischsten
Situationen nachgeahmt finden, und unter allen Zuschauern
vielleicht gerade am allerherzlichsten lachen. Sie konnten
es, denn in der Seele des Künstlers und auf der Bühne
präsidirte der Gott! mit andern allgemeineren Worten:
in der Seele des Künstlers und auf der Bühne offenbarte
sich allenthalben das Bewußtsein der inneren Freiheit,
oder die Ironie. –
Es
kann meinen hochzuverehrenden Zuhörern nicht entgangen
sein, daß ich in dieser ganzen Darstellung zwei Gattungen
der Ironie, die komische Ironie und die tragische habe
unterscheiden wollen. Im gemeinen Leben, wo man Ironie
und Satyre so leicht zu verwechseln pflegt, wird gewöhnlich
unter der Ironie immer eine Äußerung von komischer Stimmung
gemeint. Diesem ganz entgegen habe ich gezeigt, wie auch
der wahre Ernst sich ironisch zeigen müsse, wie auch in
der höchsten, ernsthaftesten, innigsten Hingebung an irgend
eine Schönheit, sei es eine göttliche oder menschliche,
das Gemüth immer seine Freiheit behaupten, und diese offenbaren;
wie es seine Empfänglichkeit bewahren müsse, für jede
neue noch so verschiedene Gestalt. Der Ernst von der Ironie
entblößt, giebt das weinerliche, dagegen von der
Ironie, oder dem Gotte oder der Freiheit begleitet, giebt
er, wie ich in unserer vorigen Unterhaltung am Egmont
und an Göthes Elegie Euphrosyne gezeigt habe, das tragische:
der Scherz von der Ironie entblößt, giebt das lächerliche
und so die Satyre; der Scherz im Bunde mit der Ironie,
wie in den von mir hinlänglich <62:> beschriebenen
komischen Spielen mit der Religion, das ächte, reine,
unschuldige komische. Es giebt im Laufe der innigsten
Liebe zu einem Menschen Momente, wo man sein ganzes Treiben
und Thun plötzlich in einem solchen rein komischen Lichte
sieht, wo man über dieselbe Gestalt, die man mit Thränen
anbeten möchte, die vielleicht unsers Lebens Mittelpunkt
ist, mit deren Verschwinden vielleicht auf lange Zeit
alle Harmonie unsrer Brust gestört sein möchte, wo man
über diese nicht aufhören kann, zu lachen, alles was sie
thun mag, innerlich naiv und komisch zu finden, und vielleicht
von ihrem Werth gerade inniger durchdrungen ist, als jemals:
es ist dann, als ob die Seele sich ein heiliges Feuer
anzündete, um allen irdischen Stoff zu verzehren, und
nachher das Geliebte in einer viel reineren, ernsteren
und unzerstörbareren Form wieder aufzufassen. So, gerade
so, in einem und demselben Element der Liebe, sollen Ernst
und Spiel, tragisches und komisches wechseln und leben.
Dann wird der Ernst nie schwerfällig, bigott, abergläubisch,
kurz monologisch, dann wird der Scherz nie flatterhaft,
frivol, ungläubig, kurz dialogisch erscheinen:
sondern wie Monolog und Dialog im Drama sich veredeln,
und in eine Gestalt, in die dramatische durchdringen,
so werden die Geister des Tragischen und die Geister des
Komischen im schönen Wechsel ihre Plätze vertauschen,
und in beiden wieder ein Geist allegenwärtig walten.
Nennen Sie diesen nun den Geist der Liebe, oder den Geist
der Freiheit; nennen Sie ihn Herz oder Gott – mir
schien in der Beziehung auf den individuellen Gegenstand
dieser Vorlesungen am gerathensten ihn mit dem bewegtesten,
zartesten, geflügeltsten Geist der alten Welt, mit dem
Zeitgenossen des Aristophanes, mit Platon: Ironie
zu nennen. –
Offenbarung
der Freiheit habe ich sie zuerst genannt, und damit keinesweges
gemeint, daß der Künstler äußern müsse, wie er allenthalben
des Begriffes der Freiheit, wie er ihn in irgend einer
gemeinen philosophischen Schule auffassen gelernt, eingedenk
sein solle. Frei von jeder ausschließenden Regel, frei
von jeder unbedingten Autorität soll er sich bewegen,
und soll mit immer wachsenden Willen, mit immer steigender
Kraft, trotz allen früheren Jahrhunderten, trotz allen
verehrten Namen, –seine Gegenwart, seine Zeit und
sich selbst geltend machen. Nachdem der Begriff der Ironie
durch Friedrich Schlegel wieder aufgestellt worden, fiel
ein Heer von poetisirenden Modephilosphen über das Wort
her, und von der Schlegelschen selbst noch unvollständigen
Erklärung, wieder nur den halben Sinn aufgreifend, ward
entweder eine gewisse träumerische Gleichgültigkeit
gegen die ernsteren Verhältnisse des Lebens, gegen bürgerliche
Geschäfte; ein gewisses satyrisirendes Scherztreiben mit
heiligen Dingen und uralten Sitten; ein gewisses Streben,
den Schein von Unverständlichkeit und Unbegreiflichkeit,
vor schlichten, gutgesinnten Leuten durchzusetzen, oder
wohl gar das noch elendere Streben, den ungemeinen, den
ganz besondern, den Verächter der Zeit und der Umgebungen
zu spielen, mit jenem ehrwürdigen Namen bezeichnet. –
Mit dem allerheiligsten, ich habe es gesagt, und, glaub’
ich, gezeigt, kann gespielt werden, aber auch dieses Spiel
muß ein reines, unschuldiges, argloses, freundliches,
heiliges Spiel sein. Denn was ist das Allerheiligste,
was ist <63:> die höchste Schönheit, was ist die
reinste Wahrheit anders, als Saamen, der wieder ausgestreut
weren muß, für eine noch höhere Ernte: Prüfungen des Lebens
führen Zweifel herbei, die das frömmste Gemüth in seinem
Glauben stören, oft wohl diesen Glauben verzehren, um
einen höhern Glauben zu erzeugen. Weißt du diese Zweifel
selbst zu erzeugen, weißt du dich selbst zu prüfen, vermagst
du gegen alles Bestimmteste, was du glaubst, gegen jede
Erfahrung, gegen jeden Grundsatz zu protestiren, aber
nicht in der gemeinen Absicht, nicht um die elende Satisfaction
deines Verstandes oder deiner Kraft, daß du so ernste,
heilige Dinge, zerstören kannst, wie es manchem Revolutionair
dieser Zeit wiederfahren, sondern in der Absicht, um höhern
Glauben, höhere Erfahrungen, einen höheren Grundsatz,
kurz das Bessere an ihre Stelle zu setzen, so schreibe
du dir die Ironie zu, die ich nach Platon hier charakterisirt
habe. – Shakespear, und überhaupt die Dichter des
Mittelalters lieben die Könige neben den Narren darzustellen:
es ist nichts anderes als der Glaube und der Zweifel,
die in einander verwebt und verschränkt werden. Die Könige
werden in der Witzesflamme des Narren, die sie in den
bedeutendsten Momenten umspielt, rein gebrannt; aus ihrer
irdischen traurigen Erhabenheit, wird eben durch die komische
Ironie des Narren eine immer göttlichere tragischere.
Eben so und hier beziehe ich mich insbesondre auf den
König Lear, von Shakespear, wirkt die wachsende tragische
Ironie des Königes erhebend auf den Narren zurück. Das
Lächerliche, wie seine bunte, klingende Kleidung andeutet,
war der Punkt, von dem der Narr ausgieng; sehen Sie nun,
wie er unter fortschreitender Einwirkung des tragischen
neben ihm, immer reiner, immer komischer wird, bis er
endlich als erhabenes Wesen, im sonderbarsten Contrast
gegen seine Kleidung, neben dem Könige stehn bleibt, so
daß man unentschieden die Krone wechselsweise von dem
einen der beiden Häupter auf das andere hinübertragen
möchte. – Eine lange Einleitung zum Aristophanes,
werden Sie sagen! – Ja, es kann bei dem Aristophanes
überhaupt nur bei der Einleitung bleiben; Darstellung
würde eine eigene Vorlesung verlangen.
Es
bedurfte dieser ersten Einleitung um den entehrenden Verdacht
abzuwehren, als wage ein in unreinen Mysticismus versunkenes,
von den Modeschwärmereien seiner Zeit angestecktes Gemüth,
ein in sentimentalen, weichlichen Phantasien entmanntes
Herz von dem ausserordentlichsten, was der spielende Verstand
hervorgebracht öffentlich auch nur zu sprechen. Es bedarf
noch einer andern Einleitung, um dem falschen Begriffe
der Mäßigung im Komischen, der in gebildeten Zuschauern
der deutschen Bühne entstanden ist, und in dem sich gerade
der tugendhafte Sinn des Publikums den s. g. Dichtern
gegenüber äussert, die den unschuldigen Spott nicht verstehn;
um diese falsche Mäßigung, ohne Ärgerniß zu beseitigen,
und dagegen das wahre Maaß zu bestimmen, nemlich die Ironie.
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