BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ PHÖBUS(4) ]

[ ]

 

Adam Müller, VII. Ironie, Lustspiel, Aristophanes, 56-67; darin: 63-67

Ein ächtes Lustspiel ist durchaus unverständlich für den, der das dazu gehörige Publikum nicht kennt. Im Trauerspiele sind Bühne und Publikum streng von einander geschieden; die Vergangenheit und die Geschichte sind die Gegenstände der Tra- <64:> gödie, sie sprechen bestimmt und unabänderlich zum Volke; sobald aber das Lustspiel einzieht in das Theater, dessen Hauptgegenstand die Zukunft, dessen Wesen daher freies Spiel mit der Gegenwart, freies Gestalten und Umgestalten der Dinge ist; eben sobald erhält jeder freie Mann eine Stimme, und wenn auch die Zuschauer nicht grade wirklich mit dem Munde zum Worte kommen, wie in jenem französichen Lustspiel, wo ein in den Logen unter den Zuschauern befindlicher Schauspieler plötzlich das Wort nimmt, und zu unsäglicher Belustigung des Publikums in das Stück eingreift; so zieht dagegen der Dichter sein Publikum unter mancherlei Gestalten auf die Bühne, er läßt die Zuschauer vielfältig anreden, der Harlekin, sein Repräsentant, thut, als wenn er nicht blos auf der Bühne, sondern im ganzen Theater unter den Zuschauern so gut als unter den Schauspielern zu Hause wäre; der Dichter bringt allenfalls, wie es Ludwig Tiek mit großem Genie gethan, eine kleinere Bühne auf die größere Bühne, und läßt neben der kleineren Bühne ein kleineres Publikum sitzen, und die gangbaren falschen und beschränkten Kunsturtheile des größeren Publikums legt er dem kleineren in den Mund, so daß das größere Publikum seine eigne Einseitigkeit und Geschmacklosigkeit in der Flamme der Lust und des Komischen verzehren sieht, und so durch die kluge Veranstaltung des Dichters in seine Ironie unmerklich hineingezogen wird. Kurz, in der Tragödie spricht die Bühne allein, und so ist sie mehr monologischer monarchischer Natur; in der Komödie sprechen Bühne und Publikum gemeinschaftlich auf der Bühne, schon darum, weil im Lustspiel alles mit directer Beziehung, im Trauerspiel hingegen alles mit indirecter Beziehung auf das Publikum gesagt wird, und so ist das Lustspiel mehr dialogischer demokratischer Natur. Die Wahrheit dieser Behauptung leuchtet auch historisch ein, wenn sie bedenken, daß die griechische Tragödie und Komödie im Ganzen genommen, zwar gleichzeitig blühten, dennoch aber die höhere Blüthe der Tragödie vorangieng und in die Zeit fiel, wo die Verfassung von Athen noch monarchischer wenigstens aristocratischer war; die Blüthe der Komödie hingegen mit der völlig demokratischen Gestalt der athenischen Republik zusammen fällt. Ja, ich kann mir eine Zeit denken, und sie kömmt vielleicht noch, wo das wirkliche Leben im Parterre und das idealische Leben auf der Bühne so einig sind, von dem Geiste derselben Ironie so gleichmäßig beseelt, wo eines das andre so versteht, daß die Schauspieler nur die Tonangeber eines großen Dialogs sind, der zwischen dem Parterre und der Bühne geführt wird, wo z. B. improvisirende Wortführer des Publikums mit Witz und Grazie eingreifen in das Werk des Dichters und andre Improvisatoren auf der Bühne mit Kunst das Werk des Dichters, wie ihre Festung vertheidigen, wo endlich das wirkliche Leben im Parterre und das idealische Leben auf der Bühne, wie König und Narr, in meiner obigen Darstellung, jedes unüberwunden und jedes gekrönt zurückbleibt, und die Dichter im Parterre gemeinschaftlich mit dem Dichter auf der Bühne, dem ganzen Hause und jedem Schauspieler und Zuschauer offenbaren die unsichtbare Gegenwart eines höheren Dichters, eines Geistes der Poesie, eines Gottes. – Die Art, wie z. B. das Wiener Publikum seine eigne Poesie, seine eignen komischen Charaktere, seinen Casperl, Tadädl, Tinterl sich ge- <65:> bildet und erzogen hat, ohne daß man eigentlich sagen kann, daß diese Wesen von einem einzelnen Menschen wirklich erfunden worden seien, ist die erste, obgleich unvollkommne doch ehrenwerthe Spur, daß Deutschland wirklich dereinst ein solches Universallustspiel, als ich beschrieben habe, zugetraut werden könne.
Aber wo bleibt die Illusion, das Iflandsche, das Guckkasten-Princip unsrer Bühne? – Grade erhöht sollt ihr die Bühne verlassen, nicht blos bekräftigt in dem alten Sauerteig der ordinairen s. g. wahrscheinlichen Gefühle und der ordinairen Grundsätze, die nur auf ordinaire Lage des Lebens, wo ihr überhaupt der Grundsätze nicht bedürft, passen, in allen ausserordentlichen Fällen Euch aber im Stiche lassen; grade hineingerissen sollt ihr werden, in das gewaltige Leben der Poesie, nicht ausserhalb sitzen und kalt und kritisch hineinschauen. Wie die Sachen jetzt stehn, habt ihr gut den bedächtigen weisen Mann spielen; der arme Schauspieler muß thun, als wenn ihr nicht da wäret: euch gar mit hineinzuziehn und zu reden, wie es ihm ums Herz ist, das ist ihm ganz verboten. Die Zeit wird schon noch kommen, wo der Vorhang nicht blos deshalb aufgehen wird, damit ihr den Schauspieler sehen könnt, sondern auch, damit der Schauspieler euch sieht. Diese Zeit zu beschleunigen, würde ich es passend finden, daß in Städten, wie Berlin, wo eine elende stehende Theaterkritik in den Zeitungen geduldet wird, ein geistreicher Schauspieler es sich herausnehmen möchte, nicht eine Antikritik aber eine fortlaufende Publikumskritik zu schreiben.
Ietzt haben wir den Schauspielern ihre Intriguen unter einander und mit dem Publikum gut vorwerfen; ein Recht der Nothwehr nöthigt sie dazu, so unglücklichen tödtenden Einfluß diese Intrigue auf jedes aufsprossende Talent und auf die Kunst hat. Gegen den Tadel des Publikums darf der Schauspieler nicht räsonniren; schweigen muß er, denn so wenig es ein Publikum zu nennen ist, so wenig der Gemeingeist der Kunst die einzelnen Zuschauer vereinigt, so gewiß jeder einzelne seine verschiedene, abweichende Meinung von a bis z über jede Regel der Kunst hat, so gewiß stünden sie alle für einen Mann, wenn der Schauspieler sich widersetzen wollte. Der Schauspieler läßt also seinen Zorn an dem glücklicheren Nebenmann, der aus eben so unverständigen Gründen vom Publikum erhoben als jener verworfen wird, aus, und so wird das gute – im Durchschnitt vom Publikum immer minder begünstigte Talent in gemeine Leidenschaften hineingezwungen, und das innerlich verstimmte, entzweite, in sich selbst hinein kabalirende Schauspielerpersonal, soll nun die große Harmonie aller Kunst, in der erhabensten, nationalsten Dichtungsart ausdrücken; ein schön verschlungenes, bis in seine kleinsten Theile wohlklingendes Ganze soll es vor den gebildetsten der Nation darstellen. Muthet uns nicht zu, dieses trübe erzwungene, peinliche Vergnügen, was sich mit seinen ungeheuren Anstalten, mit allem seinem Glanz und seiner Pracht ja doch am Ende nur um den kleinen Tisch an der Casse, wo gezahlt und gewechselt wird, dreht, dies für eine Feier der Kunst zu halten, von deren hochherrlichem Wesen das Alterthum und das Mittelalter reden. <66:> Zeiget uns aber das erste deutsche Lustspiel, das unmittelbar komisch und republikanisch auf das Publikum wirkt, dann wollen wir an das Gedeihen der Kunst wieder glauben.
So war es der Fall mit den Komödien des Aristophanes, die eben darum ohne Rücksicht auf das athenische Publikum völlig unbegreiflich sind; so war es noch in unsern Tagen der Fall mit den beiden größten Lustspieldichtern des 18ten Jahrhunderts mit Gozzi und Holberg, die an und für sich betrachtet auch nur einen höchst subordinirten Genuß gewähren, dahingegen bezogen auf das Lokal, für welches sie berechnet waren, nemlich auf Venedig und Coppenhagen, gleich befriedigend auf die Phantasie, auf den Verstand und auf den Kunstgeist wirken. – Der bisherige Mangel an deutschem Lustspiel, das, wie ich schon gesagt, mehr in der Gegenwart und Zukunft verweilt, rührt wohl auch daher, weil unsere Gegenwart so wenig erfreulich, die Aussicht in die Zukunft für unsere Nation so höchst unbestimmt und ungewiß ist. Unser Theater hat im ganzen einen mehr tragischen Character; darum haben wir die Sphäre der tragischen Gegenstände so vorzüglich erweitert und die Komödie sogar uns unter der Gestalt des rührenden Lustspiels (gleichsam in tragischer Manier) angeeignet. Auf der antiken Bühne waren alle Süjets der Tragödie heroisch, die Vergangenheit adelte, erhob, ihr gebührte ein höherer Schritt, ein höheres Fußgestell, der Cothurn: in der Komödie hingegen giengen die Schauspieler auf Socken einher, als wenn das Gegenwärtige auf den Adel noch keinen Anspruch machen könnte; ihre Süjets waren familiär und populär. Die alte Bühne begehrte mehr des Komischen zu ihrer Beruhigung, deshalb mischte sie dem Tragischen das Komische bei, wie ich schon bemerkt: dreien Tragödien wurde ein satyrisches Drama, ein heroisches Lustspiel beigemischt. Wir hingegen, recht im Gegensatze der Alten, scheinen mehr Tragisches zu bedürfen, indem wir das Tragische in die bürgerliche Welt, die eigentlich dem Komischen zum Tummelplatz angewiesen war, einführten, und so dem heroischen Lustspiel der Alten unser deutsches bürgerliches Trauerspiel gegenüber stellten.
Deshalb, und weil nun noch überdies alle dramatischen Formen selbbst, (mit Ausnahme den Werke von Göthe, Schiller, L. Tiek, F. und A W. Schlegel) von den Ausländern und der Vergangenheit entlehnt sind, und so unser Theater nicht blos vergangene Gegenstände, sondern diese auch noch in den Formen vergangener Zeiten darstellt, deshalb macht es eine so traurige und leblose Wirkung, daß kein in diesem und für dieses Theater erzogener Mensch sich von der Lebensgluth, von dem Taumel, von dem Witzesrausch einen klaren Begriff machen kann, worin die Werke des Aristophanes geschrieben sind, und in den sie haben versetzen müssen. Alle Kritiker kommen darin überein, trotz alles Muthwillens, aller Frechheit, aller Zügellosigkeit der Aristophanischen Komödien, wogegen sich ihr modern ehrbarer Sinn sträubt, dennoch diesem Dichter eine große, erhabene und tugendhafte Seele und die s. g. attische Grazie zuzusprechen. – Das eben nun ist die göttliche Ironie, von der ich vorberei- <67:> tend so Vieles sagen mußte, daß ein einziger Dichter sein Volk, dessen Sitten, dessen Gesetze, Götter, Herrscher und Weisen, in Strömen von electrischen Schlägen des Witzes, bespötteln darf, nichts unberührt zu lassen braucht, und dennoch durch seine ganzen Werke, bloß durch ein heiliges Maaß, durch einen göttlichen Rythmus, die er hineinzulegen weiß, und trotz der anscheinend pöbelhaftesten Ungezogenheit, den höchsten Eindruck sittlicher Erhabenheit auf seine Zeit und auf die wahren Kunstkenner aller Zeiten macht. So hat denn gleichfalls die antike Komödie, wenn auch an vielen Stellen ihre Ironie, noch durch Satyre und eigentlichen Spott und bestimmte Willkühr, getrübt sein mag, hohe Vorzüge vor der antiken Tragödie. Hier offenbart es sich, wie die Griechen vielmehr auf der Erde und mit ihrem Willen, als mit dem Göttlichen und mit dem Schicksale Bescheid wußten, wie sie überhaupt vielmehr das Leben, als den Tod verstanden. –
Als Vorbereitung auf ein näheres Studium seiner Werke, und zur Entfernung aller Vorurtheile der Zeit, die sich seinem Verständniß entgegen setzen könnten, habe ich genug gesagt, und so meine Pflicht gethan. Denn es ist nur zweite untergeordnete Pflicht des Kritikers, die unmittelbare Einsicht in die Werke der Poesie zu geben. Aber mit seinem Publikum gemeinschaftlich, und, (wie der Lustspieldichter) nie ohne Rücksicht auf Meinungen und Einwendungen des Publikums, die Augen der Seele zu klären und zu schärfen, gemeinschaftlich mit dem Publikum das Herz zu beleben, und so den ächten Eingang in die Poesie zu öffnen, das ist des Kritikers erste Pflicht.

[ PHÖBUS(4) ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 28-Mär-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]