VII. Ironie, Lustspiel, Aristophanes:
aus A. Müllers Vorlesungen über dramatische
Poesie und Kunst.
Motto:
Nicht dadurch daß, wie die gelehrten Pedanten unsrer Zeit
meinen, recht viele zum Schweigen gebracht werden, sondern
dadurch, daß recht viele zum Worte kommen, wird dem göttlichen
in Wissenschaft und Kunst gedient.
Der ehrliche Sulzer sagte: „die Grundregel, die der komische
Dichter beständig vor Augen haben muß, ist nicht die,
nach welcher Aristophanes sich allein scheint gerichtet
zu haben: Spotte und erwecke Verachtung und Gelächter,
sondern diese: Male Sitten und zeichne Charaktere, die
für denkende und empfindende Menschen interessant sind.“ –
Es ist oft sehr gerathen, auf eine ganz ordinaire Ansicht
in der Literatur zurückzublicken, nicht etwa um daraus
die Satisfaction zu schöpfen, daß wir es denn doch zuletzt
so herrlich weit gebracht, sondern um immer eingedenk
zu bleiben des Weges, den wir gegangen sind. Sulzer zieht
sich eine <57:> Regel ab, vom Aristophanes, die
von keiner Seite auf diesen paßt; hierauf meint er, es
sei eine schlechte Regel, und fügt mit einer gewissen
Selbstgenügsamkeit, seiner Sache völlig gewiß, die beßre
Regel hinzu: Male Sitten und zeichne Charaktere, die für
denkende und empfindende Menschen interessant sind. –
Man sollte denken, diese Regel wäre von Iflands Sittengemälden,
oder Iflands Sittengemälde wären von dieser Regel abstrahirt,
so genau passen dies Ideal, und diese Ausführung auf einander.
Übrigens ist es unmöglich, unmäßiger und genügsamer zugleich
in einer und derselben Periode zu sein, als dieser Kunstrichter:
Den Dichter, der das Athenische Publikum in den Taumel
des Komischen hinriß, verschmäht er, und wäre zufrieden,
wenn ihm einer die Sitten und Menschen um ihn her auf
eine interessante Weise zu zeichnen wüßte. – Was
widersteht ihm wohl an Aristophanes? – Daß die Kunst
im griechischen Lustspiel dreist und muthwillig in das
wirkliche Leben eingreift, daß sie wohl gar demselben
trotzt und es unter die Füsse tritt, während sie bei uns
sich gehorsam nach unsern bürgerlichen Verhältnissen bequemt,
und wohlgezogen, artig, discret, ohne alle Persönlichkeit
gewissermaßen nur spricht, wenn sie gefragt wird. Besonders
zuwider ferner ist ihm an Aristophanes, daß er so unaufhörliches
unmäßiges Gelächter erregt, während der ordinaire denkende
und empfindende Mann unsrer Zeit nur das Lächeln vertragen
kann; daß er ferner den ganzen Menschen in den Komischen
Rausch hineinzieht, da hingegen wir gebildete Leute schon
mit leisen moralischen Winken, mit komischen Anspielungen,
mit satyrischen Seitenblicken zufrieden gestellt sind. –
Nach den Forderungen jenes mäßigen genügsamen Mannes wimmelt
das deutsche Theater von Lustspielen, ich dagegen fange
meine heutige Vorbereitung auf das griechische Lustspiel
damit an zu erklären, nicht nur, daß wir eine dem Aristophanes
entsprechende Erscheinung auf unsrer Bühne gänzlich entbehren,
sondern, daß das Lustspiel selbst, einige von andern Nationen
entlehnte Poesien ausgenommen, auf dem deutschen Theater
durchaus noch nicht existirt. – Um dieses Wort zu
bewähren, lassen sie mich zuförderst einen griechischen
Begriff entwickeln, der vor einigen Jahren von geistreichen
Freunden der Kunst wieder hergestellt, nachher aber von
kindischen Nachahmern derselben, durch ekelhaften Mißbrauch
zertreten worden, nichts destoweniger aber das ganze Geheimniß
des künstlerischen Lebens in seiner wahren ursprünglichen
Gestalt ausdrückt, den Begriff der Ironie. Verlangen
Sie eine deutsche Übersetzung des Worts, so weiß ich Ihnen
keine beßre zu geben, als: Offenbarung der Freiheit
des Künstlers oder des Menschen. Die Kritik redet
den Künstler oder den Menschen also an: wie herrlich das
sei, was du mir darstellst, wie groß und heilig die Idee,
welche du mir verherrlichst, immer will ich wissen, ob
du deine Freiheit behauptest. Unterwirfst du dich irgend
einer noch so schön von dir ausgesprochenen Idee, bleibst
du kleben an irgend einem bestimmten Dienst des Heiligen
auf Erden, behandelst du irgend einen Gedanken oder Menschen
mit immer wiederkehrender Vorliebe, nährst du gegen gewisse
Formen des Lebens eine unüberwindliche Abneigung, so mangelt
dir die Ironie, die göttliche Freiheit des Geistes, ohne
die nichts Großes und Schönes verrichtet wird. –
Lassen <58:> Sie uns das Ganze etwas näher auf den
Menschen anwenden und diesen besonders so anreden: du
nährst die Liebe gegen irgend ein bestimmtes Schönes,
wirst nicht müde, es immer mehr in allen seinen Tiefen
zu betrachten und zu bewundern! Die Frage ist, verlierst
du darüber die Freiheit, die leichte Beweglichkeit deines
Geistes, fallen deinem Geiste die ihm angebornen Flügel
ab, oder wächst dadurch deine Empfänglichkeit für alles
Schöne überhaupt, kannst du dich im Genuße des Schönen
über das Schöne noch erheben? – damit ist nicht gesagt,
du dürfest dich dem Freunde oder einem Kunstwerk nicht
hingeben, vielmehr sollst du dich hingeben, denn wie wolltest
du mir deine Freiheit, deine Unabhängigkeit zeigen, wenn
du wie Holz durch deine Natur schon immer oben zu schwimmen
genöthigt – wenn du kalt und gleichgültig wärest;
du sollst nicht versinken, verlange ich. Du antwortest
mir: es sei dein Stolz, dich ganz unterzutauchen, deiner
selbst zu vergessen, im Genuße des Schönen, für das bestimmt
erkannte Gute und Schöne, sei es eine geliebte Person,
sei es ein Vaterland, sei es ein großer herrlicher Entschluß,
sei es die Religion selbst, zu leben und zu sterben! Wohl,
es ist auch mein Stolz, daß ich dieses zu können glaube!
Aber das ist ein wahrer Taucher, der wohl in die Tiefe
des Meeres hinabsteigen, aber nicht wieder sich hinaufschwingen
kann; ist es denn ein Verdienst, seiner selbst zu vergessen,
wenn man die Kraft verloren hat, sich seiner selbst zu
erinnern, und ist es der Rede werth, für irgend eine Sache
leben und sterben zu können, wenn man nicht anders zu
leben vermag, als in dieser Sache, und ohne sie kein Ausweg
bleibt als der Tod? – Dient z. B. ein Schwärmer,
ein gemeiner Mystiker, der Sache, für die er schwärmt;
kann dem Schönen, wofür er schwärmt, sein Schwärmen wohlgefallen?
Er schwärmt für die Sache, nicht etwa, weil er sich zu
tief untertauchte, sondern, weil er nur wie ein schlechter
Schwimmer etwas an der Oberfläche Bescheid wußte. Dem
geliebten Gegenstande ist also nie damit gedient, daß
du in ihm untergehst und versinkst, sondern vielmehr,
daß du in seine ganze Tiefe mit Freiheit eingehst, was
du nur vermagst, wenn du mit immer gegenwärtiger Freiheit,
dich wieder zu erheben, in dich selbst aus deiner Hingebung
zurückzukehren im Stande bist. – Möge dann eine mächtige
Welle im Meere der Schönheit dich augenblicklich eben
durch ihre Macht hinabreißen in die Tiefe, darum versinkest
du nicht, das Gefühl deiner Kraft meldet sich wieder,
und mit Freiheit schwingst du dich hinauf! – So ist
das Leben des Künstlers, es mag ihn oft unwiderstehlich
hinabziehn, wie die Nymphe den Götheschen Fischer, aber
ehe ihr es noch glaubt, ist er wieder schöner, freier
und lebendiger oben. – Lassen Sie uns das Ganze an
einem noch näher hegenden Beispiele betrachten. Setzen
wir den Fall: ein wohlgesinnter – es mit der Sache
der Kunst wenigstens redlich meinender Kritiker habe das
Wesen der Tragödie vor einer gebildeten Versammmlung vorzutragen:
sezzen wir ferner, alle seine Studien, seine Vorübungen
in der Kunst, in der Wissenschaft und im Leben haben ihn
immerfort wieder zurückgeführt, auf eine einzelne bestimmte
Schönheit, auf die Schönheit der christlichen Religion.
Wie uns die einzelnen Besitzthümer der Welt erst recht
werth werden, wenn wir sie auf eine schöne, <59:>
einzelne Stelle beziehn, wenn wir sie versammeln, in einem
Hause, worin alles, was wir geliebt haben, vielleicht
unsre Vorältern schon, immer versammelt waren; so setzen
wir, erhielte in den Augen des erwähnten Freundes der
Kritik, das Größte wie das Unscheinbarste, Kleinste, was
ihm in Leben, Wissenschaft und Kunst begegnet wäre, erst
wahren Sinn, wenn er es auf die heiligen Empfindungen
seiner Religion bezöge. – Sie würden alle sagen:
daran thut er recht, jeder von uns hat irgend eine solche
Lieblingsstelle; jedem von uns hat sein Leben irgend eine
Gemeinschaft, irgend einen Vereinigungspunkt besonders
werth gemacht, und jeder von uns ist nicht zufrieden,
bis jede neue Schönheit, die er erkennen mag, sich in
dem Hause einwohnt, worin es ihm wohl ist; irgend ein
Mensch ist ihm besonders lieb, so ruht er nicht eher,
bis er jede neue gute Bekanntschaft, mit dem vorzüglich
geliebten in Beziehung bringt; er strebt, daß der neue
Freund und der alte vorzüglich geliebte Freund, auch wieder
unter einander Freunde werden. Wohl! das geben Sie dem
Kritiker zu! Wenn er aber für den alten vorzüglich geliebten
Freund ausschließend schwärmte, nur die Möglichkeit eines
neuen Freundes abläugnete, so würden sie ihn mit Recht
einen Mystiker nennen, sie würden ihm eben das Bewußtsein
seiner Freiheit absprechen; sie würden sagen, er sei versunken,
er sei verzehrt worden von den Flammen der Schönheit,
die ihm erschienen ist. Sie könnten es zwar unbegreiflich
finden, wie er eine von der Zeit durch Spott und Unglauben,
noch mehr aber durch fade, poetisirende Modeschwärmerei
herabgewürdigte Sache, wie die christliche Religion gerade
zu seinem ersten Freunde erwählen könne; sobald er Ihnen
aber zeigte, daß er über seinen großen Freund, die Welt
nicht vergessen habe, daß er ferner deshalb nicht minder
offen und empfänglich für die liebsten Besitzthümer Ihres
Lebens sei, so würde sich dieser Mensch schon anhören
lassen. Sein Streben und seine Liebe wäre frei und ironisch! –
Wohlan! Sein älterer Freund ist die Sache der christlichen
Religion, sein jüngerer die Sache der dramatischen Kunst:
er darf nicht ruhen, bis er diese beide unter einander
zu Freunden gemacht hat. Er überdenkt die Geschichte des
ältern und die des jüngeren Freundes, und sieht auf den
ersten Blick die gemeinschaftliche Schönheit in beiden;
er sieht, was ihn in der Tragödie erhebt ist dasselbe,
was ihn in der heiligen – und durch den Glauben ganzer
Jahrtausende von kräftigen, großen Geschlechtern der Menschen
noch dreifach geheiligten Geschichte erhebt. Wie er nun
die Natur der Tragödie vor einer Versammlung von Freunden
der Kunst darstellt, deutet er durch ein Paar leichte
Worte: Auferstehungsmoment, Himmelsfahrtsmoment, sein
Streben an, seine Freunde unter einander zu Freunden zu
machen, und verfährt so, wenn nicht künstlerisch selbst,
doch in künstlerischer Manier; er offenbart beim neuen,
daß er des alten nicht vergesse, er offenbart in seiner
Art, des alten zu gedenken, daß er in diesem nicht untergegangen
sei, daß er die Freiheit nicht verloren. – Wenn derselbe
Kritiker nun plötzlich mit Scherz und Spiel die christliche
Religion Ihnen in einem offenbar durchaus komischen Lichte
darstellte; wenn er sich selbst mit seinen Auferstehungs-
und Himmelfahrtsmomenten und mit seinem ganzen Glauben
auslachte, was würden Sie nun von ihm denken? Sie würden
fragen, <60:> reißest du dich mit Freiheit los aus
der Bezauberung deines Glaubens, oder haben dir fremde
Tadler blos deinen Glauben, den du bei der Tragödie, an
einer Stelle, wo er nicht hingehörte, ungeschickt anbrachtest,
verleidet, und dich erbittert gegen ihn, und lachst du
ihn jetzt aus, um dich für den Schmerz schadlos zu halten,
den dir der Tadel zugezogen; lachst du mit Freiheit, oder
genöthigt und mit Bitterkeit, lachst du mit reiner Ironie,
oder mit schmutziger Satyre?
Gewiß
geben Sie alle mir zu, daß es ein zwiefaches Lachen gebe,
ein unschuldiges argloses, und ein unreines übelwollendes
Lachen. Den Gegenstand des arglosen Lachens nennen wir
einen komischen, den Gegenstand des unreinen, herabwürdigenden
Lachens nennen wir einen lächerlichen Gegenstand;
Sie würden also den Kritiker, der sich von der Gottseligkeit
auf die Seite der Gottesspötterei herübergeworfen hätte,
fragen: ist dir dein religiöser Glaube plötzlich ein komischer
oder ein lächerlicher Gegenstand geworden? Mit andern
Worten, bist du blos, wie das Jahrhundert Ludwig XIV.
in das Jahrhundert Voltaires aus einem Extrem ins andere
gefallen, aus einer weinerlichen bigotten finstern Stimmung
in eine spötterische frivole bunte, oder bist du
mit Freiheit, mit Bewußtsein, mit Ironie von der einen
Seite der Menschheit, von der tragischen auf die
andere, die komische Seite, hinübergetreten? Denn
der Kritiker kann sich mit großem Rechte auf die heiligen
Komödien des Mittelalters berufen, die bei Processionen
und in den Kirchen selbst gehalten wurden, die mit unbegränzter
Freiheit die Lebens- und Leidensgeschichte Christi, in
wahrhaft komischem Lichte darstellten, und von der Kirche
nicht blos geduldet, sondern oft von ihr selbst unternommen
und von Geistlichen verfaßt wurden. Nun legt man der Kirche
ja so gern die Absicht unter, mit einem Schimmer der Heiligkeit
blenden zu wollen, wie würde sie also diese Komödien ermuntert
haben, wenn diese nicht ihrer Natur, und ihrer ganzen
uns selbst noch jetzt immer zugänglichen Gestalt nach,
der Heiligkeit der christlichen Religion recht angemessen
gewesen wären. Manche Reste dieser christlichen Lustspiele
sind uns erhalten, und wir erkennen auch wirklich an ihnen
und empfehlen sie als ein Muster des recht unschuldigen,
recht dramatisch-komischen.