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Adam Müller, VII. Ironie, Lustspiel, Aristophanes, 56-67; darin: 56-60

VII. Ironie, Lustspiel, Aristophanes:
aus A. Müllers Vorlesungen über dramatische Poesie und Kunst.

Motto: Nicht dadurch daß, wie die gelehrten Pedanten unsrer Zeit meinen, recht viele zum Schweigen gebracht werden, sondern dadurch, daß recht viele zum Worte kommen, wird dem göttlichen in Wissenschaft und Kunst gedient.

Der ehrliche Sulzer sagte: „die Grundregel, die der komische Dichter beständig vor Augen haben muß, ist nicht die, nach welcher Aristophanes sich allein scheint gerichtet zu haben: Spotte und erwecke Verachtung und Gelächter, sondern diese: Male Sitten und zeichne Charaktere, die für denkende und empfindende Menschen interessant sind.“ – Es ist oft sehr gerathen, auf eine ganz ordinaire Ansicht in der Literatur zurückzublicken, nicht etwa um daraus die Satisfaction zu schöpfen, daß wir es denn doch zuletzt so herrlich weit gebracht, sondern um immer eingedenk zu bleiben des Weges, den wir gegangen sind. Sulzer zieht sich eine <57:> Regel ab, vom Aristophanes, die von keiner Seite auf diesen paßt; hierauf meint er, es sei eine schlechte Regel, und fügt mit einer gewissen Selbstgenügsamkeit, seiner Sache völlig gewiß, die beßre Regel hinzu: Male Sitten und zeichne Charaktere, die für denkende und empfindende Menschen interessant sind. – Man sollte denken, diese Regel wäre von Iflands Sittengemälden, oder Iflands Sittengemälde wären von dieser Regel abstrahirt, so genau passen dies Ideal, und diese Ausführung auf einander. Übrigens ist es unmöglich, unmäßiger und genügsamer zugleich in einer und derselben Periode zu sein, als dieser Kunstrichter: Den Dichter, der das Athenische Publikum in den Taumel des Komischen hinriß, verschmäht er, und wäre zufrieden, wenn ihm einer die Sitten und Menschen um ihn her auf eine interessante Weise zu zeichnen wüßte. – Was widersteht ihm wohl an Aristophanes? – Daß die Kunst im griechischen Lustspiel dreist und muthwillig in das wirkliche Leben eingreift, daß sie wohl gar demselben trotzt und es unter die Füsse tritt, während sie bei uns sich gehorsam nach unsern bürgerlichen Verhältnissen bequemt, und wohlgezogen, artig, discret, ohne alle Persönlichkeit gewissermaßen nur spricht, wenn sie gefragt wird. Besonders zuwider ferner ist ihm an Aristophanes, daß er so unaufhörliches unmäßiges Gelächter erregt, während der ordinaire denkende und empfindende Mann unsrer Zeit nur das Lächeln vertragen kann; daß er ferner den ganzen Menschen in den Komischen Rausch hineinzieht, da hingegen wir gebildete Leute schon mit leisen moralischen Winken, mit komischen Anspielungen, mit satyrischen Seitenblicken zufrieden gestellt sind. – Nach den Forderungen jenes mäßigen genügsamen Mannes wimmelt das deutsche Theater von Lustspielen, ich dagegen fange meine heutige Vorbereitung auf das griechische Lustspiel damit an zu erklären, nicht nur, daß wir eine dem Aristophanes entsprechende Erscheinung auf unsrer Bühne gänzlich entbehren, sondern, daß das Lustspiel selbst, einige von andern Nationen entlehnte Poesien ausgenommen, auf dem deutschen Theater durchaus noch nicht existirt. – Um dieses Wort zu bewähren, lassen sie mich zuförderst einen griechischen Begriff entwickeln, der vor einigen Jahren von geistreichen Freunden der Kunst wieder hergestellt, nachher aber von kindischen Nachahmern derselben, durch ekelhaften Mißbrauch zertreten worden, nichts destoweniger aber das ganze Geheimniß des künstlerischen Lebens in seiner wahren ursprünglichen Gestalt ausdrückt, den Begriff der Ironie. Verlangen Sie eine deutsche Übersetzung des Worts, so weiß ich Ihnen keine beßre zu geben, als: Offenbarung der Freiheit des Künstlers oder des Menschen. Die Kritik redet den Künstler oder den Menschen also an: wie herrlich das sei, was du mir darstellst, wie groß und heilig die Idee, welche du mir verherrlichst, immer will ich wissen, ob du deine Freiheit behauptest. Unterwirfst du dich irgend einer noch so schön von dir ausgesprochenen Idee, bleibst du kleben an irgend einem bestimmten Dienst des Heiligen auf Erden, behandelst du irgend einen Gedanken oder Menschen mit immer wiederkehrender Vorliebe, nährst du gegen gewisse Formen des Lebens eine unüberwindliche Abneigung, so mangelt dir die Ironie, die göttliche Freiheit des Geistes, ohne die nichts Großes und Schönes verrichtet wird. – Lassen <58:> Sie uns das Ganze etwas näher auf den Menschen anwenden und diesen besonders so anreden: du nährst die Liebe gegen irgend ein bestimmtes Schönes, wirst nicht müde, es immer mehr in allen seinen Tiefen zu betrachten und zu bewundern! Die Frage ist, verlierst du darüber die Freiheit, die leichte Beweglichkeit deines Geistes, fallen deinem Geiste die ihm angebornen Flügel ab, oder wächst dadurch deine Empfänglichkeit für alles Schöne überhaupt, kannst du dich im Genuße des Schönen über das Schöne noch erheben? – damit ist nicht gesagt, du dürfest dich dem Freunde oder einem Kunstwerk nicht hingeben, vielmehr sollst du dich hingeben, denn wie wolltest du mir deine Freiheit, deine Unabhängigkeit zeigen, wenn du wie Holz durch deine Natur schon immer oben zu schwimmen genöthigt – wenn du kalt und gleichgültig wärest; du sollst nicht versinken, verlange ich. Du antwortest mir: es sei dein Stolz, dich ganz unterzutauchen, deiner selbst zu vergessen, im Genuße des Schönen, für das bestimmt erkannte Gute und Schöne, sei es eine geliebte Person, sei es ein Vaterland, sei es ein großer herrlicher Entschluß, sei es die Religion selbst, zu leben und zu sterben! Wohl, es ist auch mein Stolz, daß ich dieses zu können glaube! Aber das ist ein wahrer Taucher, der wohl in die Tiefe des Meeres hinabsteigen, aber nicht wieder sich hinaufschwingen kann; ist es denn ein Verdienst, seiner selbst zu vergessen, wenn man die Kraft verloren hat, sich seiner selbst zu erinnern, und ist es der Rede werth, für irgend eine Sache leben und sterben zu können, wenn man nicht anders zu leben vermag, als in dieser Sache, und ohne sie kein Ausweg bleibt als der Tod? – Dient z. B. ein Schwärmer, ein gemeiner Mystiker, der Sache, für die er schwärmt; kann dem Schönen, wofür er schwärmt, sein Schwärmen wohlgefallen? Er schwärmt für die Sache, nicht etwa, weil er sich zu tief untertauchte, sondern, weil er nur wie ein schlechter Schwimmer etwas an der Oberfläche Bescheid wußte. Dem geliebten Gegenstande ist also nie damit gedient, daß du in ihm untergehst und versinkst, sondern vielmehr, daß du in seine ganze Tiefe mit Freiheit eingehst, was du nur vermagst, wenn du mit immer gegenwärtiger Freiheit, dich wieder zu erheben, in dich selbst aus deiner Hingebung zurückzukehren im Stande bist. – Möge dann eine mächtige Welle im Meere der Schönheit dich augenblicklich eben durch ihre Macht hinabreißen in die Tiefe, darum versinkest du nicht, das Gefühl deiner Kraft meldet sich wieder, und mit Freiheit schwingst du dich hinauf! – So ist das Leben des Künstlers, es mag ihn oft unwiderstehlich hinabziehn, wie die Nymphe den Götheschen Fischer, aber ehe ihr es noch glaubt, ist er wieder schöner, freier und lebendiger oben. – Lassen Sie uns das Ganze an einem noch näher hegenden Beispiele betrachten. Setzen wir den Fall: ein wohlgesinnter – es mit der Sache der Kunst wenigstens redlich meinender Kritiker habe das Wesen der Tragödie vor einer gebildeten Versammmlung vorzutragen: sezzen wir ferner, alle seine Studien, seine Vorübungen in der Kunst, in der Wissenschaft und im Leben haben ihn immerfort wieder zurückgeführt, auf eine einzelne bestimmte Schönheit, auf die Schönheit der christlichen Religion. Wie uns die einzelnen Besitzthümer der Welt erst recht werth werden, wenn wir sie auf eine schöne, <59:> einzelne Stelle beziehn, wenn wir sie versammeln, in einem Hause, worin alles, was wir geliebt haben, vielleicht unsre Vorältern schon, immer versammelt waren; so setzen wir, erhielte in den Augen des erwähnten Freundes der Kritik, das Größte wie das Unscheinbarste, Kleinste, was ihm in Leben, Wissenschaft und Kunst begegnet wäre, erst wahren Sinn, wenn er es auf die heiligen Empfindungen seiner Religion bezöge. – Sie würden alle sagen: daran thut er recht, jeder von uns hat irgend eine solche Lieblingsstelle; jedem von uns hat sein Leben irgend eine Gemeinschaft, irgend einen Vereinigungspunkt besonders werth gemacht, und jeder von uns ist nicht zufrieden, bis jede neue Schönheit, die er erkennen mag, sich in dem Hause einwohnt, worin es ihm wohl ist; irgend ein Mensch ist ihm besonders lieb, so ruht er nicht eher, bis er jede neue gute Bekanntschaft, mit dem vorzüglich geliebten in Beziehung bringt; er strebt, daß der neue Freund und der alte vorzüglich geliebte Freund, auch wieder unter einander Freunde werden. Wohl! das geben Sie dem Kritiker zu! Wenn er aber für den alten vorzüglich geliebten Freund ausschließend schwärmte, nur die Möglichkeit eines neuen Freundes abläugnete, so würden sie ihn mit Recht einen Mystiker nennen, sie würden ihm eben das Bewußtsein seiner Freiheit absprechen; sie würden sagen, er sei versunken, er sei verzehrt worden von den Flammen der Schönheit, die ihm erschienen ist. Sie könnten es zwar unbegreiflich finden, wie er eine von der Zeit durch Spott und Unglauben, noch mehr aber durch fade, poetisirende Modeschwärmerei herabgewürdigte Sache, wie die christliche Religion gerade zu seinem ersten Freunde erwählen könne; sobald er Ihnen aber zeigte, daß er über seinen großen Freund, die Welt nicht vergessen habe, daß er ferner deshalb nicht minder offen und empfänglich für die liebsten Besitzthümer Ihres Lebens sei, so würde sich dieser Mensch schon anhören lassen. Sein Streben und seine Liebe wäre frei und ironisch! – Wohlan! Sein älterer Freund ist die Sache der christlichen Religion, sein jüngerer die Sache der dramatischen Kunst: er darf nicht ruhen, bis er diese beide unter einander zu Freunden gemacht hat. Er überdenkt die Geschichte des ältern und die des jüngeren Freundes, und sieht auf den ersten Blick die gemeinschaftliche Schönheit in beiden; er sieht, was ihn in der Tragödie erhebt ist dasselbe, was ihn in der heiligen – und durch den Glauben ganzer Jahrtausende von kräftigen, großen Geschlechtern der Menschen noch dreifach geheiligten Geschichte erhebt. Wie er nun die Natur der Tragödie vor einer Versammlung von Freunden der Kunst darstellt, deutet er durch ein Paar leichte Worte: Auferstehungsmoment, Himmelsfahrtsmoment, sein Streben an, seine Freunde unter einander zu Freunden zu machen, und verfährt so, wenn nicht künstlerisch selbst, doch in künstlerischer Manier; er offenbart beim neuen, daß er des alten nicht vergesse, er offenbart in seiner Art, des alten zu gedenken, daß er in diesem nicht untergegangen sei, daß er die Freiheit nicht verloren. – Wenn derselbe Kritiker nun plötzlich mit Scherz und Spiel die christliche Religion Ihnen in einem offenbar durchaus komischen Lichte darstellte; wenn er sich selbst mit seinen Auferstehungs- und Himmelfahrtsmomenten und mit seinem ganzen Glauben auslachte, was würden Sie nun von ihm denken? Sie würden fragen, <60:> reißest du dich mit Freiheit los aus der Bezauberung deines Glaubens, oder haben dir fremde Tadler blos deinen Glauben, den du bei der Tragödie, an einer Stelle, wo er nicht hingehörte, ungeschickt anbrachtest, verleidet, und dich erbittert gegen ihn, und lachst du ihn jetzt aus, um dich für den Schmerz schadlos zu halten, den dir der Tadel zugezogen; lachst du mit Freiheit, oder genöthigt und mit Bitterkeit, lachst du mit reiner Ironie, oder mit schmutziger Satyre?
Gewiß geben Sie alle mir zu, daß es ein zwiefaches Lachen gebe, ein unschuldiges argloses, und ein unreines übelwollendes Lachen. Den Gegenstand des arglosen Lachens nennen wir einen komischen, den Gegenstand des unreinen, herabwürdigenden Lachens nennen wir einen lächerlichen Gegenstand; Sie würden also den Kritiker, der sich von der Gottseligkeit auf die Seite der Gottesspötterei herübergeworfen hätte, fragen: ist dir dein religiöser Glaube plötzlich ein komischer oder ein lächerlicher Gegenstand geworden? Mit andern Worten, bist du blos, wie das Jahrhundert Ludwig XIV. in das Jahrhundert Voltaires aus einem Extrem ins andere gefallen, aus einer weinerlichen bigotten finstern Stimmung in eine spötterische frivole bunte, oder bist du mit Freiheit, mit Bewußtsein, mit Ironie von der einen Seite der Menschheit, von der tragischen auf die andere, die komische Seite, hinübergetreten? Denn der Kritiker kann sich mit großem Rechte auf die heiligen Komödien des Mittelalters berufen, die bei Processionen und in den Kirchen selbst gehalten wurden, die mit unbegränzter Freiheit die Lebens- und Leidensgeschichte Christi, in wahrhaft komischem Lichte darstellten, und von der Kirche nicht blos geduldet, sondern oft von ihr selbst unternommen und von Geistlichen verfaßt wurden. Nun legt man der Kirche ja so gern die Absicht unter, mit einem Schimmer der Heiligkeit blenden zu wollen, wie würde sie also diese Komödien ermuntert haben, wenn diese nicht ihrer Natur, und ihrer ganzen uns selbst noch jetzt immer zugänglichen Gestalt nach, der Heiligkeit der christlichen Religion recht angemessen gewesen wären. Manche Reste dieser christlichen Lustspiele sind uns erhalten, und wir erkennen auch wirklich an ihnen und empfehlen sie als ein Muster des recht unschuldigen, recht dramatisch-komischen.

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Letzte Aktualisierung 28-Mär-2003
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