Gotthilf Heinrich Schubert, III.
Die Abentheuer des Fiedlers zu Schiras, 25-44; darin: 37-41
Es war schon alles zu meiner Abreise zugerüstet. Vorher unterrichtete
mich noch die Alte von den Namen und Familienverhältnissen
des Hauses, in welchem ich jetzt eine so wichtige Person vorstellen
sollte. Ich erinnerte mich nun des Namens dieser fürstlichen
Familie wohl, deren Glieder ich in meiner Kindheit öfters
gesehen, und die ich noch später von meinem Vater öfters nennen
hörte. Ja der nämliche Jüngling, dessen Stelle ich jetzt vertrat,
war in der Kindheit mein liebster Gespiele gewesen, und unsre
Väter waren die vertrautesten Freunde. In den Zeiten des ehemaligen
Glanzes meines väterlichen Hauses, hatte sich die Familie
nicht mit ihm messen können, jetzt aber, wie aus Allem schien,
was mir die Alte berichtete, gab sie an Glanz und äußerm Glück
dem gesunkenen Hause der Alitis nichts nach. Außer der Mutter
sollte ich blos noch eine Schwester finden, die erst neuerlich
von einer frommen Erzieherin zurückgekehrt, ihren Bruder seit
eben so langer Zeit nicht gesehen hatte, als die Mutter. So
mit Namen, Charakter und allen frühesten Verhältnissen der
andern <38:> Glieder der Familie, zu dem jungen Prinzen,
als welcher ich eingeführt wurde, wohl unterrichtet, nahm
ich von der Alten Abschied.
Wir
kamen ziemlich spät bei Nacht, von Fackeln geführt, in dem
Schlosse an. Freudig wurde ich empfangen und nach dem Zimmer
der Mutter geführt. Diese ehrwürdige Frau, von einem langen
Krankenlager ermattet, schien bei meinem Anblick neue Kräfte
zu bekommen, und umschlang mich mit tausend Freudenthränen,
so daß ich selbst tief gerührt, die eines solchen Augenblickes
unwürdige Täuschung sogleich aufgegeben hätte, wenn nicht
eben auch wieder die Theilnahme an der liebevollen Mutter,
zu deren Rettung ich dieses Spiel unternommen, mich zurückgehalten
hätte. Doch wurde mir bald darauf die Rolle, die ich spielte,
so lieb, daß ich sie gern mit meinem eignen Leben eingetauscht
hätte, obgleich die Fassung, die ich bei dem Gruß der Mutter
erhalten hatte, in noch größre Gefahr gerieth. Die Tochter
der Kranken, meine erdichtete Schwester, trat jetzt herein,
und sank in meine Arme, und war keine andre – als Jene,
die, seitdem ich sie sahe, so tief in meiner innersten Seele
wohnte. Wie vermöchte ich dir, wenn du vielleicht nie geliebt
hast, zu beschreiben, wie mir jetzt war, als sie mich mit
ihren Armen umschlungen, ihre Brust an die meine gelegt, als
ihre Wange die meine, mein Mund den ihrigen berührte, und
ein solches unaussprechliches Glück so unvermuthet und so
ganz auf einmal kam! Ich stammelte, ich weiß nicht welche
ungereimte Worte, die mich, wenn sie deutlicher, oder vor
aufmerksamern Ohren wären gesprochen worden, hätten verrathen
müssen; so aber wurde meine tiefe Gemüthsbewegung, die mich
gegen Alles, außer nur gegen sie, etwas taub und blind
machte, dem Wiedersehen nach so langer Zeit, zugeschrieben,
und bei der eignen Rührung übersehen.
Ich
weiß nicht wie lange ich gebraucht, ehe ich wieder zu einiger
Fassung kam, die mir allerdings sehr nöthig war, da jetzt
Mutter und Schwester mit mir über Dinge sprachen, die mir
meist ganz unbekannt waren. Nur der Unterricht der Alten half
mir über Einiges aus, obgleich er in Vielen nicht hinreichte.
Denn wenn jetzt meine schöne Schwester, deren Anblick ja auch
das wirklich geschehene vergessen machte, kleine Jugendgeschichten,
die doch eigentlich mir begegnet waren, genauer wußte als
ich selber, wenn mir dann die Mutter Vorfälle, die sich, wie
ich selber nach Hause berichtet hatte, erst
ganz kürzlich mit mir zugetragen, genau mit allen Nebenumständen
ins Gedächtniß rufen mußte, ehe ich mich selber darauf besinnen
konnte, so war dies freilich nur mit den Geschäften und Zerstreuungen
der großen Stadt zu entschuldigen, in der ich gelebt hatte,
die mich manches als unbedeutend hatten vergessen lassen,
was jene bei ihrem einförmigen Leben leicht behalten konnten.
Übrigens waren beide so weit entfernt, einigen Verdacht zu
hegen, daß sie vielmehr öfters bewunderten, wie ich mir doch
so ungemein ähnlich geblieben, und wie wenig ich in Gebärden
und Äußeren verändert sei. Sogar eine kleine Narbe, die ich
auf meiner Reise nach dem Gebirge, an der linken Hand bekommen,
mußte dieselbe sein, die ich einige Tage vor meiner Trennung
aus Liebe zu meiner Schwester erhalten <39:> hatte,
der ich, als sie mit kindischer Sehnsucht eine einzelne Spätblüthe
von dem äußersten Ende eines Dewabaumes verlangte, diese nur
durch jene Wunde zu erkaufen vermochte, und diese zufällige
Narbe trug mir noch jetzt einen Kuß ein, welchen ich gern
mit allen Wunden in der Welt bezahlt hätte. Dann schien meine
Schwester, deren Blick mit demselben Wohlgefallen auf mir
ruhete, als der meinige auf ihr, sich auf einmal an etwas
zu erinnern. O sieh doch, rief sie einer ihrer Dienerinnen
zu, welche auffallende Ähnlichkeit jener junge dürftige Pilger,
dem wir neulich am Waldrande begegneten, mit meinem Bruder
hatte; sieh doch, wie beide diese herrlichen Augen, die mit
allem Glanz der Welt wetteifern, beide dieses Angesicht, strahlend
von einer mehr als irdischen Schönheit, gemeinschaftlich haben,
und wie die Natur sich gefallen, zwei solche Gestalten
zu gleicher Zeit hervorzubringen. Ja, mein Bruder, sprach
sie zu mir, der seine Verlegenheit kaum verbarg, du darfst
dich nicht schämen, einem armen Jogi zu gleichen, der nach
dem Ausspruch aller meiner Begleiterinnen der schönste Mann
sein sollte, den sie sahen. Mir fiel wohl erst eben jetzt
ein, wie schön er war, und wie fromm er aussahe; und ich lobe
ihn nur, weil er dir glich.
So
vergieng die Nacht in den innigsten Liebkosungen wie ein Augenblick.
Der Morgen war vielleicht nicht mehr fern, als uns endlich
eine Krankenwärterin, noch immer sehr zur ungelegenen Zeit,
daran erinnerte, daß die Kranke und auch wohl ich nach der
Reise, der Ruhe bedürften.
Ich
ruhete nur kurze Zeit in süßen Träumen, zu noch süßeren aus.
Wie vermöchte ich meine Rührung zu beschreiben, da ich mich
beim Erwachen in demselben Zimmer des väterlichen Hauses fand,
wo ich meine erste Kindheit zubrachte, da ich denselben Garten
vor den Fenstern erkannte, in dem ich als Kind so oft gespielt
hatte. Nur die Nacht und meine gestrige Gemüthsbewegung hatten
mich das so wohl bekannte Zimmer und das väterliche Schloß
verkennen lassen, in welches ich – wie sonderbar! jetzt
wieder als Kind im Hause zurückgekehrt war.
Ich
kleidete mich schnell an und eilte, da ich es im Schlosse
noch zu früh glaubte, hinunter in den Garten. Ja hier stunden
noch die Blüthensträuche, die ich als Kind mit eignen Händen
pflanzte, und die jetzt der angehende Herbst mit Purpurfrüchten
schmückte. Dort war noch dieselbe Laube, die für mich und
meine beiden Schwestern gebaut war, dort der Brunnen, an dessen
kühlem Rande ich so oft mit meiner Mutter gesessen hatte.
Hier unter diesen Bäumen hatte ich meine jungen Kräfte oft
im Ringen und Bogenschießen geübt; dort stand noch, unverändert,
meines Vaters liebstes Gartenhaus. Ich sahe dieses Alles nicht
ohne Thränen, ein armer Fremdling in dem rechtmäßigen Hause
meiner Väter! und nur daß Sie, die mir mehr als mein eignes
Leben, jetzt hier wohnte, konnte mich mit dem ungerechten
Schicksal aussöhnen.
Indem
ich hier fröhlich und traurig zugleich, in den süßen Erinnerungen
einer frühen Vergangenheit verweilte, rufte mich eine sanfte
weibliche Stimme in die noch <40:> schönere Gegenwart
zurück. Sie war es, die mich schon früh im Garten aufsuchte.
Mit einem Entzücken, das sie in ihrer Unbefangenheit nicht
verbergen konnte, schlang sie ihre Arme um mich, erzählte
mir, wie sie heute die Freude nicht schlafen lassen, und gab
mir ein Bildniß ihrer Gemüthsbewegung, das ich, seit ich liebte,
wohl kannte, und das nur sie in ihrer Unschuld für schwesterliche
Zuneigung hielt. In einer grünen Laube, innig umschlungen,
tausend Küsse wechselnd, saßen wir, und wer uns gesehen, hätte
in uns nicht liebende Geschwister, sondern das, was wir waren,
innig Liebende, in den ersten süßen Stunden der Liebe, erkannt.
So empfieng ich an diesem Orte, dessen sich meine erste Kindheit
erfreute, eine neue schönere Jugend, ein neues Leben, davon
ein einziger Augenblick meine ganz so bunt abwechselnde Vergangenheit
aufwog. Wir hätten beide in dem seeligen Rausch der ersten
Liebe vergessen, daß eine zärtliche Mutter uns erwarte, wenn
nicht eine Sclavin, von ihr abgesendet, uns daran erinnert
hätte. Hand in Hand eilten wir zu ihr.
Die
Kranke war heute bei weitem besser als gestern, und hatte
offenbar durch die Freude des vermeinten Wiedersehens, an
Kräften gewonnen. Ihre Züge waren so heiter, ihr Aussehen
wieder so jugendlich, daß ich sie, die einst so oft bei meiner
Mutter war, ganz wieder erkannte. Wir saßen hier in Liebkosungen
und freundlichen Gesprächen, als wir auf einmal Reuterei ins
Schloß hineinsprengen hörten. Es war der Vater meiner Geliebten,
der sich, vielleicht mit Recht über den Erfolg des listigen
Handels unruhig, so früh aufgemacht hatte. Mir hätte seine
Ankunft nie ungelegener kommen können. Fröhlich bewillkommten
ihn die Seinen, und auch ich begrüßte ihn, vielleicht mit
innigerer Wärme, als er es vermuthete, als Vater. So erfreut
er anfangs war, seine Gemahlin so unvermuthet viel besser
zu finden, schien ihn doch bald die Weise, wie dieses bewirkt
war, nicht mehr zu erfreuen, als er die unverstellte Zärtlichkeit
seiner Tochter gegen mich bemerkte. Diese, in ihrer süßen
Unbefangenheit, hörte nicht auf mir die Hände zu drücken,
jetzt im vertraulichen Gespräch ihre Arme auf meine Schultern
zu legen, während ich in der Gegenwart des finstren Alten
allen ihren himmlischen Liebkosungen nur mit ängstlicher Verlegenheit
begegnete.
Dieses
falsche Spiel mochte der Alte zuletzt nicht mehr ruhig ansehen
können; nur die Gegenwart seiner Gemahlin, um derentwillen
die Täuschung noch einige Zeit fortgeführt werden mußte, hielt
ihn ab, seinen Zorn laut ausbrechen zu lassen. Er rief seine
Tochter unter dem Vorwand eines Geschäfts, mit finstern Blicken
mit sich hinaus, und kam einige Zeit nachher allein zurück.
Ich sahe sie diesen ganzen Tag nicht wieder, so oft auch meine
liebenden Blicke und selbst die Mutter nach ihr fragten, und
dieser Tag, der so selig begonnen, endete hernach desto trauriger.
Jene saß indeß, wie ich später von ihr erfuhr, tief betrübt
über die Aufschlüsse und Verweise, die ihr der Vater gegeben,
weinend in ihrem Zimmer, vielleicht mit einem nicht minder
liebekranken Herzen als das meinige war. –
Da
für die Gesundheit der Mutter mein Hierbleiben noch nöthig
schien, blieb ich heute noch ungestört in meiner Rolle. Am
andern Morgen gieng ich, trübsinniger <41:> als gestern,
durch die Gänge des ehemaligen väterlichen Gartens. Mit innigem
Sehnen nahete ich mich jener Laube, wo ich gestern so glückselig
war, als ich beim Hereintreten Sie selber, die innig
Geliebte, erblickte, ihr Haupt traurig auf den weißen Arm
gestützt, die Augen, aus denen sich heiße Thränen ergossen,
an den Boden geheftet. Einige Augenblicke betrachtete ich
sie schweigend, ohne daß sie mich bemerkte, bis auf einmal
ihre Augen auf mich fielen. Sie schien zu erschrecken, und
wollte entfliehen, aber meine traurige bittende Miene hielt
sie zurück.
Wir
betrachteten uns einige Zeit mit schwermüthigem Stillschweigen,
welches zuletzt ich unterbrach. Woher kömmt nur, redete ich
sie an, Du, die ich tausendfach inniger liebe als meine eigne
Seele, dieser tiefe Schmerz? Weinst du vielleicht, daß der
Sommer vorübergieng, und daß alle schönen Blumen, deine Schwestern,
am Anfange der thaubringenden Jahreszeit welkten? O! siehe
diese Gärten vermissen die belebenden Frühlingslüfte nicht,
seitdem dein süßer Athem seufzend sie berührte. Laß nur einmal
dein Lächeln über diesen grünen Garten schauen, und alle Gebüsche
werden sich mit einem neuen Frühling schmücken! Oder weinst
du vielleicht, weil Einer, der dir nur ein Bettler scheint,
mit den Zeichen deiner schwesterlichen Liebe beglückt war?
So wisse denn, daß ich nicht das bin, wofür mich jene hielten,
und daß sich das Haus deiner Väter des Meinigen nicht schämen
darf, da ich aus einem nicht minder erlauchten Geschlecht
dieses Landes bin. Laß deine Augen nur noch einmal freundlich
auf mich lächeln, und ich eile muthig, deine Gunst nicht als
Bruder, sondern als Gatte zu verdienen, indem ich, es sei
durch welche Kämpfe es wolle, zu dem angebornen Stand, den
ich gezwungen verlassen, zurückkehre.
Das
herrliche Mädchen sahe mich bei diesen Worten zärtlich und
freundlich an, und jetzt hielt ich mich nicht länger, ich
bedeckte ihre Hand mit Küssen, und wagte zuletzt, ihren Lippen
alle jene heißen Küsse zu wiederholen, die sie mir gestern
gewährten.
Doch
diese süße Stunde meines Lebens wurde nur zu rauh unterbrochen.
Indem wir uns mit Seufzen, Küssen und abgebrochnen Worten
Liebe und Gegenliebe bekennen, stürzt auf einmal der Alte
mit fürchterlichem Zorn herein. Ich weiß nicht, was er gesprochen,
so betäubt war ich. Nur meine ohnmächtige Geliebte, wie sie
die Diener von meiner Seite trugen, während andre mich hielten,
nur das bloße Schwerdt des Alten, welches mehrere Male über
meinem Haupte schwebte, sind mir als dunkle Bilder geblieben.
Zuletzt wurde ich etwas unsanft von zwei Sclaven aus dem Garten
hinausgeführt, den sie hinter mir verschlossen.
Emendation:
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