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Gotthilf Heinrich Schubert, III. Die Abentheuer des Fiedlers zu Schiras, 25-44; darin: 41-44

Lange Zeit wußte ich nichts von mir selber. Nur meine heißen Thränen riefen mich wieder ins Bewußtsein. Hier, von der Thüre des geliebten Gartens wäre <42:> ich nie gewichen, wäre nicht zuletzt ein Sclave von meinem gewesenen Gefolge zu mir gekommen, der Mitleiden mit mir zu haben schien, und der mich bat, mich doch von hier zu entfernen, weil ich sonst bei der heftigen Gemüthsart des Alten nicht allein mich, sondern auch die Prinzessinn in Lebensgefahr bringen würde, wenn ich länger verweilte. Dieses wirkte. Sage deinem grausamen Herrn, sprach ich noch im Weggehen zu dem Sclaven, daß er heute keinen dürftigen Bettler hier so gemishandelt hat, sondern den Prinzen des einst so erhabenen als unglücklichen Aliti, seines Jugendfreundes, und daß ich ihn um dieser Freundschaft meines Vaters willen flehe, seiner Tochter nicht den Zorn fühlen zu lassen, den nur ich verdiente.
Ich eilte hinweg, und entzog mich den Blicken des erstaunten Sclaven in einem Wäldchen, das an die Mauer des Gartens anstieß. Ich kam hier, nachdem ich einige Zeit gegangen, an ein kleines Haus, das damals einem treuen Diener meines Vaters, der mich in meiner Kindheit ganz vorzüglich lieb hatte, angehörte. Ich beschloß bei ihm, wenn er noch lebte, Erkundigung über meine Mutter und Schwestern einzuziehen; denn jene war, wie ich am Anfang erwähnte, als eine Verwandte des Königs, bei meines Vaters Verbannung und Flucht gewaltsam mit ihren Töchtern zurückgehalten worden. Ich fand den Alten noch am Leben, der mich, sobald ich ihm mich zu erkennen gegeben, mit tausend Thränen bewillkommte. Ich erfuhr nun von ihm, daß meine Mutter schon seit fast zwei Jahren nicht mehr in Delhi sei, sondern daß sie sich den Augen des Tirannen entzogen, als dieser die zurückgebliebene Familie meines alten Oheims, der mit meinem Vater zugleich verbannt wurde, aus dem Lande vertrieben, weil sie sich zu angelegentlich und vielleicht unter der Hand nach gewaltsameren Maßregeln sich umsehend, für unsre Unschuld verwendete. Allem Anschein nach war sie mit ihren Töchtern, deren eine mit dem Sohne meines Oheims verlobt war, mit den Verbannten zugleich entflohen, und seitdem hatte man nichts wieder von ihr vernommen. Doch sei der alte König, der so streng an meiner Familie verfahren, seit einigen Monaten todt, und vielleicht sei von dem neuen Regenten eine mildere Gesinnung, und die Zurückberufung der unschuldigen Familie der Alitis zu erwarten.
Ich hörte diese Nachricht traurig an, da nun auch meine Hoffnung, meine Mutter zu begrüßen, vereitelt war. Indem wir noch sprachen, hörten wir nahebei ein Pferdegetrappel. Der Alte gieng hinaus und kam nach einiger Zeit vor Furcht blaß zurück. Herr, rief er, verweile nicht länger an diesem Ort, der dir mit neuen Gefahren droht. Eine Schaar von Bewaffneten sucht dich im ganzen Wald, und nur mit Mühe ist mir’s gelungen, ihre Nachforschungen von meiner Wohnung noch abzulenken. Doch kehren sie, wenn sie dich anderwärts nicht fanden, gewiß in Kurzem zurück, darum so verziehe keinen Augenblick, wirf dich auf dieses schnelle Pferd, und eile aus dem gefährlichen Wald hinaus.
So wenig mir an meinem Leben lag, gab ich doch den Bitten des guten Mannes nach, und entflohe. Ich ritt diesen ganzen Tag, und noch einen Theil des folgenden <43:> in der Irre herum. Dann aber hielt ich mich nicht länger, die Liebe war mächtiger als alle Bedenklichkeit, und ich war schon auf dem Wege, nach dem Hause der Geliebten zurückzukehren, als ich auf der Straße unter ein prächtiges Gefolge gerathe. Ich sahe mich tief bekümmert wenig nach jenen um, als mich auf einmal einer von ihnen beim Namen nannte. Da siehe, erkenne ich wieder den verwünschten Bekannten aus Agra, der mir neulich am Anfange meiner Wallfahrt bei Benares begegnete. Er wunderte sich, mich heute so prächtig gekleidet wieder zu sehen, ich aber hörte wenig auf das, was er sprach, bis er auf einmal in freudiger Geschwätzigkeit ausrief:
Und du, du wirst dich wundern, was ich hier in Delhi in so stattlichem Aufzuge suche? so wisse denn, daß ich als bestimmter Bräutigam die schönste Prinzessin des Landes heimhole. Hierauf nennt er mir den Namen meiner Geliebten. Ich aber vor Zorn und Schmerz außer mir, Verwünschungen stammlend, werde von jenem für fieberkrank gehalten. Doch hatte ich keine Lust, die Hülfe anzunehmen, die mir jener anbot, keine Lust mehr, zu der Geliebten, ach! die nun ohne Hoffnung verloren war, zurückzukehren. Ich eilte, mich den Augen Aller, die mich kannten, zu entziehen, und kam zuletzt, von der innern Noth getrieben, hieher, wo ich in der dürftigen Gestalt, worin du mich gefunden, meine elenden Tage mit gezwungenem Singen hinbringe, immer noch thöricht, ich weiß nicht worauf? hoffend, bis meine treue Liebe und der Kummer ein solches unwürdiges Leben endigen werden.
Hiermit schloß der Saitenspieler seine Geschichte, die der Fremde mit immer steigendem Interesse und mit unverkennbarer Gemüthsbewegung angehört hatte. Jetzt stürzte er jenem in die Arme, und rief: Nun wohlauf! daß ich dich endlich gefunden, den ich seit etlichen Monaten vergeblich suchte. Ja ich bin der erste Gespiele deiner Kindheit, bin der Ungestüme, der dich mit Gewalt zum Wegweiser machte, bin der Bruder deiner Braut, und noch mehr, bin der Gemahl deiner Schwester. Auf! komme mit mir zu Schiffe! und daß dich doch ein günstiger Wind so schnell als möglich in die Arme meiner Schwester zurückführte, die deiner mit inniger Liebe und krank an Sehnsucht wartet. Denn daß aus der Vermählung mit deinem Bekannten aus Agra, die ohnehin nicht so nahe war als jener vorgab, nichts geworden, würdest du ohne meine Versicherung glauben, wenn du wüßtest, wie treu und tief meine Liebe zu dir war, und noch mehr, wenn du wüßtest, wie die Reuter meines Vaters, die dich zuletzt aus Delhi verscheuchten, dich zurückbringen sollten, weil mein Vater, der deinen wahren Namen jetzt erfahren, sein Vergehen an dem Sohn seines Jugendfreundes wieder gut machen, und dir die Hand seiner Tochter geben wollte. Dein Schicksal hätte sich dann früher entschieden. Denn an demselben Tag, wo du so ungestüm aus dem eignen Garten hinausgeworfen wurdest, hatte mein Vater die Nachricht empfangen, daß eure Verbannung aufgehoben, eure Güter euch wiedergegeben wären. Und daß deiner Familie diese Gerechtigkeit vom neuen Regenten wiederfahren, war zum Theil auch mein Werk. Ja wisse, jene Reise ins Gebirge, wo du mir Wegweiser warst, führte mich in die Arme deiner jüngsten Schwester, seit <44:> etlichen Monaten meine Gemahlinn, die ich schon vor der Flucht deiner Mutter aus Delhi gekannt und geliebt hatte. Sie war das junge Mädchen, das dir aus der Hütte der Einsiedler entgegen kam, weinend, weil sie den Tod deines und ihres Vaters, davon du die Nachricht nach dem Gebirge gebracht, schon auf einem kürzeren Wege als der deinige war, durch deinen alten Oheim erfahren. Ja eben der Alte, den du im verfallenen Gebäude gefunden, war dein Oheim, der dich an einer Kette, die an deinem Busen aus dem geöffneten Gewand sichtbar wurde, und an deinen Gesichtszügen erkannte. Die Einsiedler verbargen dir, wer sie waren, damit du, der doch offenbar unschuldig als Kind verbannt war, für dich allein, ohne von einer Gemeinschaft mit der erst neulich verbannten Familie deines Oheims, gegen die der Zorn des Königs noch frisch war, selber etwas zu wissen, deine Sache führen könntest. Es war schon Alles eingeleitet, wie man dich in deiner natürlichen Unbefangenheit bei Hofe einführen, und wie man dich bei diesem letzten Schritte, wobei Alles zu wagen und zu gewinnen war, zugleich sichern wollte, als du, schon mitten in Delhi, deinen beiden Begleitern, den Söhnen deines Oheims entflohest.
Doch du sollst bald Alles ausführlicher erfahren. Jetzt aber siehe! erinnert uns der Westwind, welcher dort die Frühlingswolken vom Meere heraufführt, an eine schnelle Abreise.

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Letzte Aktualisierung 28-Mär-2003
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