Gotthilf Heinrich Schubert, III.
Die Abentheuer des Fiedlers zu Schiras, 25-44; darin: 32-37
Ich blieb hier einige Tage ganz vergnügt, an den Arbeiten
der Einsiedler Theil nehmend, und glaubte schon die fröhliche
Welt vergessen zu haben, von der ich hier nichts sahe, glaubte
mich schon am Anfange der Lehrjahre, im Besitz, ich weiß
nicht welcher? Entsagungen und Tugenden,als zweie von den
Einsiedlern, die eine ferne Wallfahrt vorhatten, mich zu
ihrem Gefährten wählten. Gekleidet wie jene, in dem einfachen
Mantel von Bast, die Füße unbekleidet, kehrte ich jetzt
in die Welt zurück, in der ich einst so glänzend zu erscheinen
gesucht. Meine jetzige Bestimmung war, <33:> meinen
Gefährten den Vorrath nachzutragen, und wenn er verzehrt
war, in den nahe liegenden Hütten neuen einzusammlen. So
lange der Weg durchs einsame Gebirge gieng, ließ ich mir
dieses wohl gefallen, als ich aber in den Städten wieder
das rüstige und fröhliche Leben der Menschen gesehen, schien
es mir öfters, als wolle das Gewand eines Büßenden, das
ich jetzt trug, meine jungen Jahre nicht kleiden, meine
Füße fiengen an sich zu sträuben, sich so nackt an dem heißen
Sande zu sengen, und die magre Kost der Einsiedler
wollte mir nicht mehr schmecken. So zog ich, etwas mismüthig
mit meinen Gefährten fort, als ich eines Tages, da jene,
ich weiß nicht welche? einsame Berathschlagung halten wollten,
fortgeschickt wurde, um in einem nahen Ort neue Lebensmittel
einzukaufen.
Wir
befanden uns jetzt in Delhi, dem Lande meiner Väter, das
mich so früh verstoßen hatte. Träumend von meinem vormaligen
Glück, gieng ich durch eine einsame Gegend. Der Tag war
heiß, und ich hatte mich, um Schatten zu suchen, vielleicht
zu weit von dem rechten Weg entfernt, den ich jetzt vergeblich
suchte. Ermattet von dem langen Gehen und vom Hunger, legte
ich mich in den grünen Schatten eines anmuthigen Waldes,
an dessen Rand eine große Straße hinlief. Der Duft
der Wiesenblumen und der Gesang der Vögel wiegten mich bald
in einen süßen Schlummer. Ich mochte aber nicht lange gelegen
haben, als mich jemand etwas unsanft aus dem Schlaf rüttelte.
Indem ich mir noch den Schlaf aus den Augen reibe, ruft
mich jener schon mit rauher Stimme an: auf Bettler! suche
dir für diesmal einen andern Ruheort und mache hier den
Zelten und dem Gefolge meiner Gebieterin Platz!
Es
ist unbillig, Balsomar! unterbrach jenen eine sanfte weibliche
Stimme, daß dieser arme Pilger um meinetwillen seinen Ruheort,
dessen Kühlung er, ermüdet von der frommen Wallfahrt, mehr
als ich bedarf, verlassen sollte. Laß ihn ruhen wo er ist;
die Gegenwart eines frommen Jogis beleidigt die Sittsamkeit
meines Geschlechtes nicht.
Indem
ich mich neugierig nach dem Orte wende, wo diese Stimme
herkam, hatte ich meine Schläfrigkeit so sehr vergessen,
die Müdigkeit meiner Augen war so schnell vergangen, daß
ich jetzt unaufhörlich mit weit offenen Augen ewig nur hätte
wachen und sehen mögen. Eine junge fürstlich gekleidete
Dame, von einer Menge Dienerinnen umgeben, betrat eben den
Rasenplatz, auf welchem ich Glückseliger ruhete, und ihre
Diener waren beschäftigt Tische und Zelte aufzuschlagen.
Ich wollte ihr für ihre Güte danken, aber die Stimme versagte
mir, meine Brust war von einem mir neuen Gefühl gedrückt,
das mich wie der betäubende Duft eines blühenden Rosengartens
zugleich ergötzte und beengte, und ich hätte in tiefen aufmerksamen
Schweigen, gern nur jene Stimme hören mögen. Auf mich, im
Bettlergewand, achtete niemand, und so durften meine Augen
kühn bald auf ihren Wangen, bald auf ihren dunklen Augen
oder den Purpurlippen ruhen, meine Seele durfte sich wie
die kühlenden Lüfte, welche die Dienerinnen ihr zuweheten,
an ihr himmlisches Angesicht schmiegen, mit <34:>
den Erfrischungen, die ihr gereicht wurden, ihre süßen Lippen
berühren, oder wie der sanfte Schleier sich an ihren weißen
Arm legen. Wie war doch alles, was den heutigen Tag vorangieng,
seit diesem Erwachen in einem neuen Leben, vergessen, wie
ein Traum! und dieser Augenblick war mehr als alles Glück,
das ich erst im Glanz der Städte, dann in der Einsamkeit
der Gebirge, vergeblich gesucht hatte.
Diese
süßen Mittagsstunden vergiengen wie ein Augenblick, und
ich sahe mit einem Schmerz, wie ich noch nie gefühlt, die
Zelte wieder abbrechen, die Tische aufheben und die junge
Fürstin wieder auf ihr Thier steigen. Meine ganze Seele
war mit ihr, und was konnte der zurückgebliebene Überrest
meines Wesens anders, als ihr nachfolgen? Ich ließ die Speisen,
womit mich die Diener der Prinzessin, auf ihr Geheiß versorgt
hatten, unberührt stehen, so sehr ich erst der Speisen bedurft
hatte, und machte mich schnell auf, jenen nachzueilen. Aber
sie reisten so schnell, daß ich bald selbst den Staub ihrer
Cameele aus dem Auge verlor.
Doch
ließ ich mich durch nichts von meinem Wege abbringen, bis
auf einmal ein Bewaffneter zu Pferd, der das Gesicht etwas
verhüllt hatte, mich schnell einholte, und nachdem er mich
gefragt: ob ich vom Gebirge und von welchem Ort ich käme,
über meine Antwort fröhlich, mich bat, ihm den Weg dahin
zu zeigen. Ich mochte antworten was ich wollte, meine eigne
Unbekanntschaft mit dem Wege, mein jetziges Geschäft und
die Nothwendigkeit der Reise vorschützen, jener mochte nie
gewohnt sein, sich eine Bitte versagen zu lassen, und weder
Bitten noch Gewalt vermochten ihn von jenem Ungestüm, womit
er mich mit zudringlicher Güte, und mit gebieterischen Bitten
zu sich aufs Pferd nöthigte, abzubringen. Ich entschloß
mich endlich, Jenem so gut ich wüßte den Weg zu zeigen,
bis sich ein andrer Wegweiser fände. Dieser fand sich auch
zu meiner Freude noch vor Abends, und mein aufgedrungener
Reisegefährte ließ mich ungehindert gehen.
Anfangs,
da ich mich wieder in Freiheit sahe, war ich unschlüssig,
ob ich jetzt sogleich wieder zu den Nachforschungen, die
mir so sehr am Herzen lagen, zurückkehren, oder ob ich nicht,
woran mich mein Gewissen erinnerte, meine beiden Einsiedler
vor allen Dingen aufsuchen sollte, die heute meiner so lange
vergeblich warteten. Doch jener Wunsch behielt zuletzt die
Oberhand. „Meine Gefährten, sprach ich bei mir selber, werden
ohnfehlbar des langen Wartens müde, mich auf der nämlichen
Straße aufgesucht haben, wohin ich mich jetzt wende. Es
ist wahrscheinlich daß wir uns dort begegnen; warum wollte
ich also, da sich beide Absichten so schön vereinen, meine
Nachforschungen nach der schönen Prinzessin aufgeben, wäre
es auch aus keiner andern Absicht als ihren Namen zu erforschen,
damit ich doch weiß, wer diese schönste Blume der Welt,
an welcher mein ganzes Glück ruht, sei, wenn ich mich ihr
auch nie wieder nähern dürfte!“
So
begab ich mich noch bei Nacht auf den Weg. Ich kam spät
an den grünenden Wald zurück, wo ich heute so glückselig
war. Einige Stunden ruhete ich hier unter <35:> demselben
Baum, der ihrer blühenden Gestalt Schatten gab, und schon
die früheste Morgenröthe weckte mich aus meinen Träumen.
Ich
war aber schon einen großen Theil des Tages gegangen, ohne
eine Spur von der schönen Prinzessin zu finden. Vergebens
frug ich bei jeder Hütte, bei jedem Wanderer nach ihr und
ihrem Gefolge, das ich genau beschrieb, und es schien nur
zu gewiß, daß ich in meiner gestrigen Gemüthsbewegung den
Weg zu wenig bemerkt hatte, den sie genommen, und daß ich
heute einen falschen eingeschlagen hatte. Mein Gewissen
ermahnte mich von neuem, zu den beiden Gebirgsbewohnern,
meinen gütigen Reisegefährten, zurückzukehren, und unentschlossen
zwischen zween Winden, stand ich einige Zeit nachsinnend.
Zuletzt rief ich entschlossen aus: Wozu noch länger bei
einem Irrweg verweilen, auf den ich zufällig gerieth? Fürwahr
es scheint mir immer mehr, als ob ich mich zum geistlichen
Stande wenig schicke. Diese Gebete und Büßungen der Brahminen,
ihre magre Kost und schlechte Kleidungen, wollen mir, dem
Sohne eines Kriegers, wenig zusagen, und ich fühle nur zu
sehr, wie meine jungen Kräfte abnehmen, mein frisches Fleisch
sich verlor, seitdem ich ein Pilger bin. Die Welt steht
mir besser an, als solche unnöthige Büßungen in der frohen
Zeit der Jugend. Wenn, wie alte Sagen erzählen, die Könige
der Vorwelt sich in einem solchen abgezogenen Leben gefallen
konnten, so muß damals die Welt noch nicht so schön und
anlockend, oder ihre Natur anders gewesen sein als die meine.
Lebe wohl, du genügsamer Mantel von Bast, rief ich, indem
ich ihn von mir warf, lieber will ich mich im leichten Unterkleide
in die Welt zurück betteln, als nun noch länger für einen
Jogi gelten.
So
gieng ich froh und leicht der Straße nach, auf der ich mich
befand. Ich beschloß, wenn ich die Prinzessin heute und
morgen nicht fände, dann unverzüglich meine Mutter, selbst
mit Gefahr meines Lebens, aufzusuchen, die sich noch in
Delhi befinden mußte. Gegen Abend gelangte ich bei einem
Landhause an, das zwischen einigen einsamen Hügeln lag.
Meine dünne Kleidung machte mich heute eines Obdaches mehr
als sonst bedürftig, ich beschloß deshalb die Gastfreundschaft
der Bewohner um ein Nachtlager zu ersuchen. Doch herrschte
in dem ganzen Hause eine Stille, wie über Gräbern, und so
sehr ich nach allen Seiten forsche, läßt sich keine Seele
blicken. Zuletzt begegne ich einigen Dienern, die mit allen
Zeichen einer tiefen Betrübniß, wie Taube und Blinde an
mir vorüber giengen, ohne auf mich zu merken. Ich folge
ihnen hinaus in den Garten, wo ich dieselbe traurige Stille
fand, der ich eben in dem Hause entgangen war. Die Diener
waren nirgends zu sehen, und der ganze Garten schien so
ohne Menschen, wie das Haus. Zuletzt fand ich in einer marmornen
Halle eine Menge Leute, welche Diener schienen, um einen
reichgekleideten Greis versammelt, der wie ein tief Betrübter
in sich selber versunken, da saß, und alle Umstehenden schienen
von einer gleichen Betrübniß ergriffen. Einige von diesen,
wie Reuter gekleidet, und von Staub und Schweiß bedeckt,
schienen eben von einem eiligen Wege gekommen, und nach
ihren Mienen zu schließen, war die Bot- <36:> schaft,
die sie dem Alten mitgebracht hatten, nicht fröhlich. Niemand
hatte hier Zeit auf mich zu achten, und man ließ mich, ohne
an Bewirthung zu denken, hungrig und müde stehen. Unwillig
wende ich mich endlich von jenen weg, um irgend ein andres
Unterkommen zu suchen, als mich schon beim Hinausgehen aus
dem Landhaus, eine alte Sclavin zurück ruft.
Vergieb
es unsrer tiefen Betrübniß, nothleidender Fremdling! redete
sie mich an, wenn man dir so wenig Aufmerksamkeit erwiesen,
und laß mich jetzt das Vergehen der Andern wieder gut machen.
Sie
nöthigte mich bei diesen Worten wieder zu sich hinein, wo
sie mich freundschaftlich bewirthete. Ich erfuhr von ihr
die Ursache des allgemeinen Kummers, welcher auf den Bewohnern
dieses Hauses ruhete. Der einzige Sohn des alten Herrn,
den ich in der Halle sitzend gefunden, war seit einigen
Tagen aus der Hauptstadt, wo er von frühester Jugend an
erzogen war, zurück erwartet worden. Schon waren einige
Diener zurück gekommen, die seine nahe Ankunft verkündigten;
alle Vorbereitungen zu dem Empfange eines so theuren Gastes
waren gemacht, als endlich sein Gefolge traurig und ohne
ihn ankam. Er hatte sich auf der letzten Tagereise von seinen
Leuten verloren, und schon seit einiger Zeit hatte man eine
tiefe Zerstreuung, wie bei Einem, der sich mit andern Entschlüssen
trägt, bemerkt. Gestern kamen seine Begleiter in dem Landhause
an, die seinem alten Vater diesen Kummer statt der gehofften
Freude mitbrachten. Zwar zerstreute man sich sogleich nach
allen Seiten, um den Verlornen wieder zu finden, aber bis
jetzt war alles Suchen vergebens. Einige fürchteten, daß
ihm irgend ein Unglück zugestoßen sei, Andre, welche die
Verhältnisse dieser Familie kannten, vermutheten, daß der
Alte, der von außerordentlich strengem Charakter war, dem
jungen Menschen durch einen neuen Beweis seiner Strenge
die Lust benommen hätte, zu ihm zurückzukehren, und daß
sich der Jüngling freiwillig bei Seite gemacht. Was aber
jetzt das Unglück des ganzen Hauses noch vermehrte, war,
daß die Mutter des so Verloren-Gegangenen eben gefährlich
krank lag, und daß man mit Recht für ihr Leben fürchten
mußte, sobald sie diese traurige Nachricht erführe, da sich
ihr Zustand seit etlichen Tagen schon durch das vergebliche
Erwarten
des seit seiner Kindheit nicht gesehenen Sohnes offenbar
verschlimmert hatte. Bis jetzt hatte man ihr zwar noch die
Flucht des Sohnes verheimlicht, da sie sich eben auf einem
andern Landgute, eine halbe Tagereise von diesem entfernt,
befand; länger aber würde es nun nicht möglich sein, die
Sehnsucht der armen Mutter zu täuschen, besonders da ihr
etwas voreilig jene Leute aus seinem Gefolge, die seiner
Ankunft vorausgeeilt waren, seine Nähe schon angekündigt
hatten.
Mir
blieb kein Zweifel, daß der flüchtig gewordene Jüngling
der nämliche sei, der mich gestern so gegen meinen Willen
zum Wegweisen nach dem Gebirge gewonnen hatte, und ich theilte
meine Vermuthung der Alten mit. Diese schien aus meiner
Nachricht neue Hoffnung zu schöpfen, obwohl es unmöglich
war, den schnell <37:> berittnen Jüngling vor dem
Verlauf von fast zwei Monaten aus dem fernen Himalehgebirge
zurückzuführen, selbst wenn er noch an jenem Wohnort der
Einsiedler, nach welchem er mich so angelegentlich frug,
verweilen sollte. Dies machte die Alte von neuem traurig,
weil dann für das Leben der Mutter wenig zu hoffen blieb.
Endlich schien sie, indem sie mich schweigend betrachtete,
auf einmal neue Hoffnung zu schöpfen. Ihre Mienen erheiterten
sich, und sie eilte aus dem Zimmer hinaus.
Nach
einiger Zeit kam sie fröhlich wieder zurück. Endlich habe
ich, rief sie, ein Mittel gefunden, wie das Leben der Mutter
gerettet, oder wie sie doch bis zur Zurückkunft ihres Sohnes
bei gutem Muthe erhalten werden könne. Wohlauf! du sollst
dir jetzt einen guten Lohn, und unsern freundlichsten Dank
verdienen, wenn du dich zu einer Verkleidung willig finden
lässest, die dir auf keine Weise lästig werden soll. Wir
sind gedrungen, die Mutter zu täuschen, um sie zu retten.
Mein ehemaliger Pflegling hatte mit dir, wie ich mich deutlich
erinnere, ob ich ihn gleich seit dreizehn Jahren nicht gesehen,
eine große Ähnlichkeit, auch scheinst du mit ihm von gleichem
Alter. Man wird dich der kranken Mutter noch diese Nacht
als den eben angekommenen Sohn darstellen. Weile dort nur
einige Tage, und unter irgend einem Vorwand sollst du dann
gern wieder entlassen werden.
Ich
war, ich wußte selbst nicht warum? sogleich sehr geneigt,
diesen abentheuerlichen Vorschlag anzunehmen. Die Alte ließ
mich in ein Bad führen, dann mit köstlichen Kleidern versehn,
und schien etwas zu erstaunen da sie mich jetzt in der natürlichen
Gestalt meines angebornen Standes wieder zu sich hineintreten
sahe. „Wahrhaftig,“ rief sie, „du machst der Rolle eines
Prinzen vollkommen Ehre, und das scharfsichtigste Auge wird
hinter diesen Kleidern nicht den dürftigen Bettler suchen.“
Sie führte mich hierauf zu dem ehrwürdigen Greis, dem sie,
ihrer eignen List sich freuend, mich vorstellte. Jener sah
mich schweigend und mit ernstem Blicke an, und winkte hierauf,
wir möchten uns entfernen.
Emendationen:
Einsiedler]
Eindsiedler D
Erwarten]
Erwartsn D
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