Gotthilf Heinrich
Schubert, III. Die Abentheuer des Fiedlers zu Schiras, 25-44;
darin: 29-32
Der Jogi geht zurück zu
seinem Felsen, vorüber zieht er fröhlich eurer Wohnung,
ihr aber schüttet etwas Reis in seine Hände, ein wenig Wasser,
seinen Durst zu löschen, daß Brahmas wunderbare Macht euch
segne.
Auf
mich hatte, in meiner damaligen Stimmung, der Inhalt dieses
Gesanges und die abentheuerliche Gestalt des Jogi, um den
sich jetzt das Volk herdrängte, um seinen Segen zu empfangen,
einen ungewöhnlichen Eindruck gemacht. Mein Kummer und mein
besorgtes Nachsinnen waren auf einmal vorüber. Was hinderts,
sprach ich bei mir selber, daß ich nicht, wie ich bin, ohne
weitres Umsehen nach einem zweifelhaften Loos in der großen
Welt, den glückseligen Stand eines Jogi erwähle? Wer ist
freier, sorgenloser und beglückter, als ein solcher Pilger,
dem ohne Bedürfniß einer schwerfälligen äußern Pracht, der
erste beste Baum seine Rinde zum Gewand, der nächste Hügel
seinen grünen Boden zum Lager giebt, dem jeder Baum des
Feldes, jede Hütte, die nöthige Nahrung darbietet? Wer verlangt
von einem Büßenden, daß er Sclaven oder Cameele besitze,
daß er der Welt durch einen theuren Schmuck gefalle? Wohlauf,
laß mich in der anspruchslosen Gestalt eines Jogi die Welt
sehen! Viele Könige der Vorwelt haben nach den alten Sagen
diesen Stand freiwillig erwählt. Gefällt es dem Glück auf
irgend eine Weise, die Ansprüche meiner Geburt zu erfüllen,
so kann kein Stand hierzu bessere Gelegenheit geben, als
der eines Büßenden, welcher von den Pallästen der Könige
bis zu den Hütten des Landvolks, wohl geachtet, die Welt
von einem Ende zum andern als freier Zuschauer durchwandelt,
und so dem Schicksal nach allen Seiten Thor und Thüre öffnet,
ihn zu beglücken.
In
meiner Lage blieb mir keine lange Wahl, kein langes Hin-
und Hersinnen übrig, das ohnehin nie in meiner Natur gelegen.
Ich hatte mich schon unter jenem Selbstgespräch weiter von
der Stadt entfernt, und jetzt war ich entschlossen, gerade
zu nach dem gepriesenen Himalehgebirge hinauf zu pilgern,
und mich in den heiligen Stand der Büßenden einweihen zu
lassen. Mein Entschluß wurde gleich am ersten Abend auf
die Probe gestellt, da mir auf der Straße einer meiner vorigen
Bekannten aus Agra, mit einem prächtigen Gefolge begegnete,
der, seitdem zu einem hohen Posten erhöht, in einer wichtigen
Angelegenheit nach Benares zog. Dieser mochte mich, trotz
meiner ärmlichen Kleidung, bald erkennen, er rief mich beim
Namen, und bat mich dringend, mit ihm nach Benares zurück
zu kehren, und an allem seinen äußern Glück Theil zu nehmen.
Mein rascher Vorsatz war indeß für heute noch zu neu und
zu warm, und ich machte mich von jenem unter dem Vorwand
einer nothwendigen Reise los.
Fröhlich
träumend zog ich meines Weges. Am Abend gaben mir die Pagoden
am Wege, oder gastfreie Hütten ein Nachtlager, und ein leichtes
Pilgermahl; am Morgen erweckte mich schon das erste Geräusch
der vorüberziehenden Reisenden zum Weitergehen; am heißen
Mittag kühlte ich mich in dem Schatten der hohen Palmenhaine,
oder in dem Bad der frischen Ströme, die mir von dem Schneegebirge
abwärts entgegen kamen. <30:>
So
war ich dem hochgerühmten Gebirge, dem erhabenen Wohnort
der Heiligen, näher gekommen. Die Hütten wurden schon seltener,
die Wege wurden immer undeutlicher und verloren sich zuletzt
ganz. Ich suchte auf ein gutes Ohngefähr den Weg nach dem
Wohnsitz der Einsiedler, und drang immer tiefer in das wüste
Gebirge ein. Eines Tages führte mich auch der selber gewählte
Weg durch eine felsigte Einöde, die nirgends Spuren zeigte,
daß sie jemals von Menschen berührt sei. Der Vorrath an
Reis, mit welchem mich die Gastfreundlichkeit meiner letzten
Wirthe versorgt hatte, war gänzlich aufgezehrt, und die
dürren Klippen, die mir bei dem mühsamen Ersteigen so viel
Hunger und Müdigkeit erweckt hatten, schienen nirgends eine
nährende Wurzel oder Frucht, nirgends einen kühlen Schatten
anzubieten. Indem ich mich so mißmutig unter den nackten,
nur mit bittrer Aloe bewachsnen Gebirgsränder umsahe, über
welchen kaum einige einsame Raubvögel schwebten, bemerkte
ich zuletzt ein altes Gemäuer, das von irgend einer Pagode
der Vorzeit übrig schien. Ich nähere mich, um dort wenigstens
einen Schutz gegen die Gluth der Mittagssonne zu suchen,
und indem ich in die verfallenen Hallen eintrete, sehe ich
dort einen eisgrauen Alten, der eifrig an den alten Mauern
arbeitet. Er schien mich nicht eher zu bemerken, bis ich
neben ihm stehend um ein wenig Speise und frisches Getränke
bat. Freundlich wendete sich der Alte zu mir, und lud mich
in das innre Gewölbe des ehemaligen Gebäudes ein, das er
sich zu einer Wohnung eingerichtet hatte. Indeß ich mich
an der reichlich angebotenen Mahlzeit erquickte, betrachtete
mich jener aufmerksam, endlich als er bemerkte, daß ich
meinen fast zwei Tage alten Hunger gestillt hatte, redete
er mich so an:
Welches
glückliche Ohngefähr, oder vielleicht welches Mißgeschick
hat dich, du Sohn des erhabenen Aliti, von deinem väterlichen
Landgut in Multan hieher geführt in diese felsigte Einöde?
Hat das Schicksal, das schon in Delhi das langverjährte
Glück deines fürstlichen Hauses zerstörte, noch nicht abgelassen,
den Stamm des Aliti zu verfolgen, und hat es dich auch von
dem letzten Zufluchtsort vertrieben? Welches neue Loos begehrst
du hier in dieser Wildniß? Meine Einsamkeit ist in dem langen
Zeitraum, welchen ich hier zugebracht, noch durch keinen
Andern unterbrochen worden, und diese schwarzen Bergzinnen
wollen selbst den Thieren der Wüste nicht gefallen, die
sich, wenn sie sich hieher verirrten, brüllend wegwenden;
und nur selten läßt der Adler, wenn er vom Raube zurückkehrend
hier vorüberfährt, sein einsames Geschrei vernehmen.
Ich
war erstaunt, mich in dieser Ferne von meiner Heimath, und
hier in dem menschenleeren Gebirge von einem völlig Unbekannten
mit meinem Familiennamen nennen zu hören, und nachdem ich
Jenem, der schon so viel von meiner Geschichte wußte, auch
das Übrige kurz berichtet, dringe ich in ihm, mir nun auch
seinerseits zu sagen, woher er mich kenne? Doch schien jener
nicht geneigt, für diesmal meine Neugierde zu befriedigen,
obwohl er an der tiefen Theilnahme, die er bei meiner Erzählung,
besonder bei der Nachricht von meines Vaters Tode blicken
ließ, ein inni- <<31:> geres Interesse an den Schicksalen
meines Hauses verrieth, als von einem gänzlich Fremden zu
erwarten war. „Vergönne, sprach er, daß ich heute, so gern
ich auch reden möchte, noch schweige. Gehe jetzt hin, deinen
frommen Vorsatz auszuführen, und nur wenn er dich, ehe du
von selbst Alles das gefunden, was du von mir forschest,
plötzlich gereuen sollte, kehre zurück zu mir, und erwarte
alsdann von mir die gewünschten Aufschlüsse. Hier ganz in
der Nähe sind die Wohnungen einiger Einsiedler, die zwar
erst kürzlich aus der Welt gekommen, an Frömmigkeit keinen
andern Bewohnern dieser Gebirge nachstehen. Zu ihnen möge
jetzt dein Weg gehen, um die Weihe des Standes zu finden,
den du freiwillig erwählt hast.“
Dieses
geheimnißvolle Wesen des Alten, seine Verschwiegenheit,
die mir hier am unrechten Orte schien, beengten mich zuletzt
so sehr, daß ich trotz allen Einladungen nicht einmal die
Nacht dort zuzubringen beschloß, sondern mich gleich nach
den heißen Mittagsstunden wieder aufmachte, lieber im wüsten
Gebirge zu bleiben gesonnen, als bei einem solchen räthselhaften
Wirth. Jener schickte sich zuletzt, da er meinen Ernst,
weiter zu gehen, erkannte, an, mich zu begleiten, und zeigte
mir die Richtung, die ich nach den Einsiedlerhütten zu nehmen
hätte, die kaum eine halbe Tagereise entfernt waren. Er
bat mich beim Abschied nochmals, zu ihm zurück zu kehren,
wenn ich, meines Vorsatzes reuig, wieder in die Welt treten
wolle, welche Bitte, so wie alle Freundlichkeit des Alten
ich nur mit halben Herzen beantwortete.
Ich
war fast froh, wie ich mich von dem gespensterhaften Greise
wieder frei sahe. Ich kam eben bei Einbruch der Nacht in
einem weiten Gebrirgsthale, rings von Wald umschlossen,
an, wo sich an dem Ufer eines schnellen Wassers etliche
Hütten fanden. Nach der Beschreibung meines Alten, mußte
dies der Aufenthalt jener Brahmen sein, deren Gesellschaft
ich suchte. Ich klopfte an einigen Thüren an, endlich trat
aus der einen Hütte ein junges Mädchen hervor, welches heftig
weinte, „Wolle nicht, o edler Fremdling, redete sie mich
an, dich durch das Eingehen in ein Trauerhaus verunreinigen,
das seit heute von Kindern ohne Vater bewohnt wird, vielmehr
wende dich dorthin, wo der Waldstrom sich zwischen jenen
zween einzelnen Felsen hindurchdrängt, und einige Ketten
die gegenseitigen Ufer verbinden. Jenseits wirst du die
Wohnung frommer Männer finden, welche dir alle Pflichten
der Gastfreundschaft, vorgeschrieben in dem heiligen Wedam,
erweisen werden.“ Indem ich mich entferne, bemerkte ich
mehrere Gesichter, die sich, wie es schien, begierig mich
zu sehen, nach der Thüre drängen, welche Neugierde mir den
Hütten der Einsiedler wenig zu ziemen schien.
Ich
nähere mich langsam den beiden Klippen, die mir das Mädchen
gezeigt hatte. Endlich sahe ich fröhlich, denn ich sehnte
mich nach Ruhe, am jenseitigen Ufer eine Hütte, auf deren
Heerd das Feuer gastlich loderte. Ich glaubte mich nur noch
um einige Minuten von dort entfernt, als ich von den Klippen
hinunter den wilden <32:> Bergstrom erblickte, der
mich noch von dem jenseitigen Ufer trennte. Der Mond beleuchtete
zween Ketten, die von der einen Seite zur andern über die
Felsen geschlagen waren, und deren unterer Theil in den
Strom hineinhängend, in einer unaufhörlichen schwankenden
Bewegung war. Das Wasser war hier so wild und reißend, und
von der Felsenkluft so zusammengedrängt, diese Art von Brücke,
die mir noch neu war, erschien so gefährlich, daß ich einige
Zeit unentschlossen da stand, nicht wissend, ob ich nicht
lieber den Rückweg antreten, und das Hinübergehn bis an
den Morgen versparen, oder ob ich noch heute bei Nacht einen
Versuch wagen solle. Indem ich noch so sinne, höre ich schon
vom jenseitigen Ufer Stimmen, welche riefen: „er muß schon
am andern Ufer stehn, auf! geht ihm schnell entgegen!“ und
zu gleicher Zeit kamen einige Männer über die Kettenbrücke,
die mich wie einen langerwarteten Gast begrüßten, und mich
leicht, eines solchen Weges schon gewohnt, hinüberleiteten.
Ich
vermuthete, daß man von den Hütten aus, die ich eben verlassen,
den frommen Einsiedlern, die mich so freundlich aufnahmen,
meine Ankunft schon voraus verkündiget habe, denn ich fand
alle Vorbereitungen, einen Gast aufzunehmen. Das einfache
Einsiedlermahl, womit mich die guten Leute bewirtheten,
wurde durch die ungemein liebevolle und zärtliche Theilnahme
gewürzt, die mich aus allen Gesichtern ansprach. Ja jene
hätten nicht fröhlicher und liebevoller sein können, wenn
sie eben einen Bruder oder Sohn, welcher lange Jahre abwesend
war, bei sich empfangen hätten, und sie schienen sich fast
Gewalt anthun zu müssen, daß ihre Freude und ihre Liebe,
die sich aus allen Gebärden blicken ließ, nicht laut ausbrachen.
Mich wunderte allerdings diese Bewegung, welche die Ankunft
eines völlig Fremden unter meinen guten Wirthsleuten hervorbrachte,
ich schrieb sie indeß der Neuheit und Seltenheit eines Besuchs
zu, da vielleicht diese Bewohner des abgelegenen Gebirges
selten oder nie Fremde zu sehen gewohnt sind. Sei es die
ungewohnte Freundlichkeit meiner Wirthsleute, die mir, der
sich seit langer Zeit unter kalten Fremdlingen herumgetrieben,
so wohl that, oder sei es meine damalige Stimmung, die mich
alle Umgebungen in einem fremden Lichte sehen ließ, ich
glaubte wirklich in den Gesichtern dieser Hüttenbewohner
längst bekannte Züge, die mir in früher Kindheit lieb gewesen,
wieder zu finden, und mir selber ward unter ihnen so wohl
wie einst im väterlichen Hause. Noch an diesem Abend entdeckte
ich ihnen meinen Entschluß, unter ihnen zu leben, der mit
Freuden aufgenommen wurde.
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