Gotthilf Heinrich
Schubert, III. Die Abentheuer des Fiedlers zu Schiras, 25-44;
darin: 25-28
III. Die Abentheuer
des Fiedlers zu Schiras.
In einen der öffentlichen
Gärten zu Schiras trat eines Abends ein junger Fremdling,
dessen reiche Kleidung und edler Anstand ein gutes Herkommen
verriethen. Obgleich am Anfang der schönen Zeit, wo die
wiederaufblühenden Gebüsche von dem Gesange der Nachtigallen
tönen, und die Rosenlauben sich mit neuen Knospen schmücken,
fand er doch alle grünen Gänge, alle Lauben leer, und die
Gäste hatten sich alle nach den Eingang des Gartens hingezogen,
wo sie den Liedern eines jungen Saitenspielers horchten.
Der Fremde hatte noch nie mit einer so schönen Stimme singen
gehört, und mehr noch setzte ihn die Gestalt des Singenden
in Erstaunen, welche mit dem groben Kleide und schlechten
Turban wenig zusammenstimmte.
„Wie
kommts, ihr Bürger zu Schiras, daß ihr in der Zeit, wo jene
neublühenden Gänge euch mit tausend duftenden Zunge zur
Liebe und zu dem Vergnügen der kühlen Nächte einladen, hier
am Eingange steht, und euch unter einander selber mit Gesängen
ergötzt? Wer ist dieser junge Mann, dessen Stimme jene Nachtigallen
der Gebüsche so beschämte, daß sie in seiner Gegenwart nicht
mehr wagen, der jungen Rosenknospe von ihrer Liebe zu singen,
und daß sie eifersüchtig in andre Gärten zogen? Ohnfehlbar
ist es einer eurer edelsten Bürger, der sich scherzend in
diese ärmliche Kleidung geworfen, denn eine so schöne Gestalt
und solchen Anstand sahe ich noch nie bei solchem Gewerbe.“
„Es
ist kein edler Bürger aus Schiras, antwortete ihm einer
der Nahestehenden, der dich hier so wie uns mit seinen Gesängen
und seinen Augen so bezaubert. Es sind kaum etliche Monate,
seit er hieher kam, und wir halten ihn dem ganzen Ansehen
nach für keinen Perser, obgleich er der Sprache und der
Gebräuche des Landes vollkommen kundig scheint. Mit seinem
schönen und edlen Aussehen, stimmt wenigstens sein äußeres
Glück nicht überein, denn er sitzt hier täglich auf diesem
Steine, ums Geld singend, und macht, daß nach dem Abendgebet
alle andre öffentliche Orte leer stehen, und Alles sich
nur hier um ihn versammlet.“
Der
Fremde wurde, je länger er hörte, desto mehr bezaubert,
und vergaß, nahe bei dem Saitenspieler stehend, die Müdigkeit
der Reise und seinen Durst. Endlich hörte jener auf zu singen,
und nahm mit edlem Anstand die Geschenke, die ihm der Herr
des Gartens überreichen ließ. Es war spät in der Nacht,
und die Anwesenden fiengen an sich zu zerstreuen, da trat
der Fremde, voll Sorge, jener möchte sich entfernen, zu
dem Sänger hin, und „schöner Saitenspieler, sprach er, laß
uns, wenn dir es nicht verdrießlich ist, diese schöne Frühlingsnacht
dort in jenen Rosenlauben bei deinen Gesängen und einem
Becher edlem Schiraswein zubringen. Ich komme zwar ohnlängst
vom Schiffe, wo uns die Frühlingsstürme und die Arbeit der
Wellen wohl ermüdet haben, und neuerdings bin ich, ohne
nur eine Stunde auszuruhen, zu <26:> Cameele gesessen,
aber bei deinen Liedern habe ich Müdigkeit und Schlaf vergessen,
und bald hätte ich auch vergessen, den Wein dieser Stadt,
der in aller Welt so hoch gepriesen ist, zu kosten, ehe
ich sie am frühen Morgen wieder verlasse.
Der
Andre verbeugte sich bescheiden, und folgte dem Fremden
in eine entfernte Laube, in der Mitte des Gartens. Hier
saßen sie einsam, denn alle Anwesende hatten sich zerstreut,
und jener konnte nicht satt werden, diesen singen zu hören.
Wenn er das Lied des Avari von dem schönen Palmbaum im Garten
Irem gesungen hatte, nun singe mir auch, sprach jener, die
Gesänge des Hafez von der Liebe. Wenn dieser jetzt von blühenden
Rosen sang und der Morgenröthe schönen Wangen, nun singe
mir auch, sprach jener, das Lied von dem traurenden Jüngling
und der Nachtigall. So ergötzten sich diese, so lange die
Nacht währte, bis endlich der Fremde dem jungen Sänger selber
Einhalt that.
Laß
nun, sprach er, schöner Jüngling, deine Saiten ruhen. Siehe,
dort über den Oelbäumen erhebt sich der Morgen, der erröthend
wie eine Neuvermählte, die zum erstenmale aus dem Brautgemach
hervorgieng, unter diese erst seit gestern blühenden Frühlingslauben
eintritt. Der Mond verweilt noch am Himmel, da er heute
deinem himmlischen Gesange lauschend, seinen Weg verspätete.
Laß nun auch die Nachtigallen, die, so lange deine Lieder
tönten, beschämt schwiegen, der eben aufgeblüheten Rose
ihr Lied der Liebe singen, und den Morgenthau von ihrem
Busen küssen. Die Sterne haben nicht gewagt, zu erscheinen,
da dein Auge beim Gesang so schön leuchtete, so laß nun
wenigstens den Glanz des Morgens unverdunkelt unter diese
neugebohrnen Kinder des Frühlings eintreten. Siehe, wo noch
gestern kaum Knospen waren, da küssen sich heute blühende
Hyazinthen und Purpurlilien, die dein Gesang so frühe zum
Blühen gebracht. Du hast mich wohl ergötzt, so laß dein
Herz nun auch mit mir vergnügt sein.
So,
und mit andern freundlichen Worten, suchte der Fremde den
jungen Sänger zu erheitern, dieser aber schien von irgend
einem geheimen Kummer zurückgehalten. Seine Lippen berührten
kaum den Becher mit Weine, seine Augen suchten oft den Boden,
und selbst die Freundlichkeit seines Gefährten konnte ihn
nur wenig zum Sprechen bringen.
Endlich
faßte ihn dieser bei der Hand, und, was bedeutets, sprach
er, daß du so in der besten Zeit des Frühlings und der Jugend,
dich in die Dämmrung des Mißmuths einhüllest? Bist du ein
so strenger Moslem, daß du den duftenden Becher, der dir
hier so mit Liebe geboten wird, unberührt lässest, und kann
dich mein liebevolles Geschwätz nicht einmal zum Lächeln
bewegen? Vergnügt dich vielleicht in schönen Frühlingsnächten
die Gesellschaft der Jungfrauen besser, siehe der Herr des
Gartens hat schöne Sclavinnen, die vermuthlich gegen Fremde
nicht streng sind, gefällt es dir, so rufe ich sie, daß
sie vor uns singen. Oder drückt dich die Liebe zu einer
edleren Bürgerin dieser Stadt, und Armuth und Stand halten
dich gebunden, <27:> wohlan! mit meiner Aussteuer
freie ich sie dir noch heute. Es ist mir nicht entgangen,
wie sich gestern Abend unter den Marmorsäulen jenes nahen
Bades viele edle Frauen drängten, unter denen wohl manche
Schöne war, daß sie dich, du schöner Jüngling, durch’s Gitter
sähen, und dich singen hörten. Was auch die Ursache deines
Kummers sei, die laß mich wissen. Siehe ich gebe dir Seele
um Seele, was mein ist, sei dein, so wohl hast du meinem
Herzen gleich beim ersten Anblick gefallen.
Jener
suchte sich etwas zu erheitern. Nicht eine so geringe oder
neue Liebe ist es, sprach er, die mich bei so früher Lebenszeit
betrübte, obwohl Liebe der vorzüglichste Grund meines Kummers
ist. Mein Unglück ist fast mit mir aufgewachsen, und wohnt
so tief in mir, daß selbst dein gütiges Wohlwollen, großmüthiger
Fremdling, es nicht zu lindern vermag. Darum möge deine
Güte nicht weiter in mich dringen. Ein so altes und tiefes
Leiden schämt sich, den Frohsinn eines erst seit gestern
gefundenen Bruders zu betrüben.
Der
Fremde aber, vom Weine, und von dem Reiz dieser neuen Freundschaft
erhitzt, drang, durch diese Weigerung immer noch begieriger
gemacht, immer heftiger in ihn, bis jener endlich, mehr
genöthigt als freiwillig seine Geschichte, wie folgt, begann:
Ich
bin nicht von so geringem Herkommen, als die jetzige Farbe
meines Äußeren zu verrathen scheint. Vielmehr rühme ich
mich eines der ersten Geschlechter im Königreiche Delhi,
und meine Voreltern kamen aus königlichem Geblüte. Mein
Vater verlor, als ich noch Kind war, das Erbtheil seiner
Vorfahren, und seinen hohen Rang, durch ein geringes Versehen,
womit er unwissend seinen König beleidigte, und war erfreut,
sich und mich, der sein einziger männlicher Erbe war, mit
eingen Kostbarkeiten, und dem treuesten Theil unsrer Sclaven,
vor dem Zorn des strengen Fürsten zu retten, während meine
Mutter, die dem regierenden König nahe verwandt war, mit
meinen beiden Schwestern gewaltsam zurückbehalten wurde.
In Multan, am palmenreichen Ufer des Indus, war nun ein
geringes Landgut der einzige Ersatz für so viel verlornes
Glück. Doch bildete mich mein Vater sorgfältig zu Allem,
was dem Stande, den wir gezwungen verlassen, geziemt, er
starb aber früher als meine noch unreife Jugend diese einzige
Stütze missen konnte.
Ich
stand noch in jenen Jahren, denen selbst ein tiefer Kummer
nicht lange Stand hält, darum verkaufte ich, nicht lange
nach meines Vaters Tode, das geringe Landgut, das uns bisher
ernährte, und nahm so Alles, was mein war, zusammen, um
in der Welt auf gut Glück ein Loos zu suchen, welches meiner
Geburt und meinen innern Wünschen angemessener wäre. Ich
kam zuerst nach Aschmir, von wo mich Aussichten, die mir
eine ungefähre Bekanntschaft gegeben, nach Agra zogen. Nachdem
ich hier einen Theil meines Geldes verwendet, um mit einigem
äußern Anstand zu erscheinen, wurde ich bald mit jungen
Leuten meines Alters und Standes bekannt, <28:> die,
mit guten Aussichten und Hoffnungen mich vertröstend, mich
bald in die Vergnügungen unsrer Jahre hineinzogen. So geschahe
es, trotz jenen guten Hoffnungen, daß ich, mit 10 Sclaven
und einem Elephanten nach Agra gekommen, bald nachher zu
Fuße, und mit nur Einem Sclaven nach Benares zog.
Ich
lebte hier von dem geringen Überrest meiner Güter in einer
verdrüßlichen Eingezogenheit, doch immer von irgend einem
unverhofften Glücke träumend, das mir wohl plötzlich entgegen
käme, versäumte ich nie, mich am Morgen unter das Volk auf
dem Markte, am Abend unter die Thore zu begeben, und meine
dürftige Gestalt an öffentlichen Festen der versammleten
Menge zu zeigen. So schmolzen unter solchen Träumen und
Aussichten auch die letzten Trümmer meines geringen Vermögens,
bis mir zuletzt außer meinen Hoffnungen nichts geblieben
als ein Kleid von wenigem Werthe, das ich trug. So gieng
ich einst etwas trübsinnig vor der Stadt an dem Strom hinauf,
unentschlüssig, ob ich wieder nach der Stadt zurückkehren,
oder den nächsten besten Weg einschlagen solle, um vielleicht
anderwärts einem günstigern Zufall zu begegnen. Es war eben
der Tag vor dem ersten Frühlingsfeste, der Schnee der Gebirge
war vorüber, und die fröhliche Jugend sammelte von dem neugrünenden
Gesträuche die ersten Blüthen. Ihre Fröhlichkeit stimmte
wenig mit meinem Trübsinn überein, ich hatte mich deshalb
an einen einsamen grünen Rand gelehnt, das Auge nachsinnend
nach dem angeschwollenen Strome gesenkt, als mich ein naher
seltsamer Gesang aus meinem Nachdenken weckte.
Wer
ist glückseliger, war sein Inhalt, als der arme Jogi, dessen
Wohnung das immergrünende Gebirge, dessen Dach der hohe
Himmel ist.
Gestern
kam der Wind vom Meere und fand die Hügel noch von Blumen
leer, die Blüthen der Palmen noch verhüllet, heute kehrt
er wieder, die Schwinge beladen mit den Düften der Palmenblüthen,
mit dem Geruch der grünen Hügel; gelobt sei Brahmas wunderbare
Macht!
Die
Lotosblume sah herauf aus ihrem Strome: was weilst du Jogi
noch bei deiner Hütte, vorüber ist der Schnee der Berge,
mein Strom erzählt vom neuen Grün der Hügel; gelobt sei
Brahmas wunderbare Macht!
Wohlauf
zur Wallfahrt nach den heiligen Bergen! Siehe die Gazellen
kehren zurück zu ihren Felsen; wie Schaaren der Pilger ziehen
jene Palmenwälder, die schlanken Häupter neigend, hinauf
nach den Höhen, geschmückt als Braut der blühende Oelbaum
unter ihnen! Gelobt sei Brahmas wunderbare Macht!
O
süße Ruhe auf des Hügels Blumen, du hoher Schmuck der palmenreichen
Quellen, die nie der Lärm der niedern Welt berührte! Der
Vogel Latak sieht die Freudenthräne, und küßt sie freundlich
von des Jogis Wange, gesellig zeigen sich des Waldes Thiere,
und wagen nicht, dem Büßenden zu schaden; gelobt sei Brahmas
wunderbare Macht!
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