Adam Müller,
Fragmente über die dramatische Poesie und Kunst, 41-52;
darin: VI. Vom dramatischen Antheil, 48-50
VI. Vom dramatischen
Antheil.
Betrachten wir das dramatische
Interesse zuerst ohne alle weitere Anwendung auf Leben und
Kunst, an einer theatralischen Darstellung, und versetzen
wir uns gemeinschaftlich vor irgend eine deutsche Bühne,
die Göthes Egmont zu geben im Begriff ist.
Der
Schauspieldirektor, der auf ein monologisches Publicum,
nicht aber eben auf unsern Besuch gefaßt ist, hat
die Rollen Egmonts und Klärchens mit besonderer Auswahl
besetzt, die zwischen beiden vorfallenden Scenen mit vorzüglicher
Aufmerksamkeit probirt, und so erscheint uns diese an und
für sich schöne und graziöse Nebenhandlung
ungebührlich heraus gehoben auf dem verworrenen Hintergrunde,
in dem die rebellischen Niederländer und der teuflische
Alba ihr Wesen treiben. Die ernste Amazone, Margarethe von
Parma, wenn sie nicht gar wegen unnützer Verzögerung
des Stücks ganz herausgeworfen wird, sagt die Stellen,
in denen sich leise Spuren einer unterdrückten Leidenschaft
für Egmont finden, ihrem Publicum zu gefallen, mit
einem besonders anzüglichen Accent: und so wird dieses
erhabene Wesen, in dem sich die angeerbte Herrschsucht,
die kluge Kälte ihrer Vorfahren und Menschlichkeit
und Weiblichkeit auf eine so eigne Weise berühren –
sie wird herabgewürdigt zu einer Würze für
Egmonts geheime Liebschaft. Alba, der Thürsteher der
alten Welt, Engel des Todes für alle Verächter
des Königs und der Kirche, die Treue selbst in ihrem
Übergange zur Versteinerung: was spricht er vom Throne,
von Gesetzen und Freiheiten in dem unausstehlich lang gedehnten
Gespräch mit Egmont am Schlusse des vierten Acts; wir
wollen wissen, was aus Egmont und Klärchen wird. Wir
kennen den Bösewicht schon: er hat gestern den Amtmann
in den Jägern gespielt: die Präsidenten und vornehmen
Verbrecher aller Art sind sein Fach; von dem ist nichts
Gutes zu erwarten: Halt! er fordert Egmont seinen Degen
ab und der Vorhang fällt.
Nun
entstehn im Publicum vielfache Vermuthungen über den
fünften Act: im Ganzen ist man darin einig, daß
wahrscheinlich, was auch schon Egmont vermuthet habe, der
König Philipp plötzlich ankommen werde, die Unschuld
Egmonts erkennen, den Bösewicht Alba entlarven und
stürzen und daß dann die Sache zwischen Klärchen
<49:> und Egmont auf irgend eine annehmliche Weise,
auch zur Zufriedenheit des armen Brackenburg
arrangirt werden, und dergestalt jedem sein Recht widerfahren
werde. Nichts von allem erfolgt: der König bleibt aus,
Alba selbst erscheint nicht wieder, von dem doch wenigstens
einige Gewissensbisse als Satisfaction zu erwarten waren.
Klärchen stirbt an Gift, Egmont auf dem Schafot und
das Publicum geht murrend auseinander. Von den derben, irdischen
Gerichtshöfen in Ifland’s und Kotzbue’s fünften
Acten, wo das Laster mit Verachtung bestraft und die Tugend
mit Pensionen und Avancement belohnt wird – keine Spur.
Der Prozeß wird an einen höheren, himmlischen
Gerichtshof verwiesen.
Dieser
himmlische Gerichtshof alles schönen und großen,
vor dem das juristisch zu rechtfertigende und das öconomisch-nützliche
und brauchbare nur eine schwache Stimme hat; vor dem Egmont,
Alba und Klärchen gehört werden, wie der Schneider
Jetter, Vansen und Brackenburg:
dieser himmlische Gerichtshof ist es, den das wahre, dramatische
Interesse im Auge hat. Die poetische Gerechtigkeit, die
der Dichter und der Zuschauer gewähren müssen,
ist die, daß der eine ein bis in seine kleinsten Theile
zusammenhängendes, einfaches Ganzes gebe, und daß
der andre es als solches empfange. Damit es ein Ganzes sein
könne, muß das Drama einen Mittelpunct haben,
(in unserm Beispiele den Helden: Egmont) auf den sich alles
übrige bezieht, gleichsam eine goldne Axe, um die sich
das ganze schöne
Werk herbewege: einer darin muß ruhig bleiben, immer
von neuem erinnern, daß sich um ihn, wie um den Grundton
des Werks, die ganze harmonische Welt bewege: nur so, durch
Betrachtung und Gefühl der Bewegung und des Fortschreitens,
in denen allein die Schönheit zu erscheinen vermag,
wird der Zuschauer in dieselbe harmonische Bewegung fortgerissen,
die nicht nachlaßt, obwohl das Werk endlich den irdischen
Augen verschwindet. Der Held ist dann freilich dahin, aber
das Heldengefühl harmonischen Ergreifens chaotischer
Zustände und unstäter, roher Massen zu einem erfreulichen
und segensreichen Ganzen ist zurückgeblieben, und um
dieses Heldengefühl allein ist Egmont uns werth geworden.
Die Axt, die den Egmont der Bühne trifft, schneidet
jenen freilich von uns ab, aber er selbst ist erneuert und
erhöht in unserm Herzen; dem Pantheon der Schönheit
in unserm Gemüth, den edelsten, begeisterndsten Erinnerungen
unsers Lebens beigefügt, so in den seiner würdigsten
Tempel gesetzt und die höchste Gerechtigkeit vollzogen.
So erscheint hier in veredelter Gestalt innerhalb des dramatischen
Interesse der rechte Antheil an dem Helden wieder, den wir
vorher in der einseitigen monologischen Form verurtheilen
mußten.
Aber
nicht Egmont allein ist in unserm Herzen verklärt:
Untersuchen wir jetzt, wie das dialogische Interesse an
dem Wechsel der Erscheinungen sich in dem dramatischen Interesse
geläutert wieder erkennt, wie der französische
Zuschauer mit seiner Todesangst vor dem ennui, der die Liebe
in ihren tausend wechselnden Farben verlangt, und der deutsche
monologische Zuschauer mit seinem Sinn für die Treue,
mit seiner Scheu vor aller Ungerechtigkeit und Kränkung
seines Helden in der höhern <50:> dramatischen
Sphäre, wenn sie sich nur bequemen wollen, beide ihre
Rechnung finden. Egmont stand nicht da, wie die Axe eines
Mühlrades, dieselben Speichen und Schaufeln, dieselben
großen Gesinnungen und Handlungsweisen in todter Einförmigkeit
um sich her drehend, sondern wie die Axe eines Weltkörpers,
die muntre Bewegung eines freien Volkes, den Zwiespalt der
Partheien, Oraniens sinnende Klugheit, Alba’s Härte,
Klärchens kindliche Unschuld und Margarethes Melancholie,
mit sich und dicht in sein Leben verwebt an uns vorüberführend. –
Mannichfaltige Naturen treten in Verhältnisse zum Helden,
stellen sich ihm entgegen, stehen ihm bei: sollte nun nicht
das, was durch seinen Beitritt oder seine Herausforderung
alle große Handlungen im Helden veranlaßt, das,
wodurch er erst zum Helden wird, eben so viel werth sein,
als er, eben den Antheil verdienen. So wandelte dann der
Held als steigender Monolog durch die fünf Acte hin;
aber dieser Monolog lebt und wirkt und entwickelt sich in
dem durch immer neue Gestalten angefrischten Dialog: eines
ohne das andre wäre nichts; als höchstens die
Form eines einseitigen, unkünstlerischen Lebens.
Emendationen:
Brackenburg]
Brankenburg D
schöne]
schone D
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