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Adam Müller, Fragmente über die dramatische Poesie und Kunst, 41-52; darin: VII. Von der schlechten, von der s. g. guten und von der schönen Gesellschaft, 50-52

VII. Von der schlechten, von der s. g. guten
und von der schönen Gesellschaft.

In den gewöhnlichen Mittheilungen des Lebens zeigt sich ganz dasselbe: entweder wird monologisch um das Rechthaben, um den Sieg dieser oder jener Meinung, um den Triumph dieses oder jenes Helden, dieser oder jener Parthei gestritten; oder dialogisch, wo hinüber und herüber künstlich und zierlich mit Worten gespielt, mit Sophismen gewechselt und völlig gleichgültig gegen irgend ein Resultat, die Lust des Sprechens an sich, und der wunderlichen, zeitverkürzenden Sprünge gewandter Köpfe genossen wird. – In dem ächten dramatischen Gespräch hingegen mag immerhin der Streit um den Sieg einer einzelnen Sache beginnen: unter den Händen der kunstreichen Redner wächst aber allmählig diese Sache, wie der Held im fortschreitenden Drama. Es läuft nicht darauf hinaus, daß endlich eine der beiden streitenden Partheien zum Stillschweigen gebracht sei, und die andre den gewonnenen Satz beistecke und nach Hause gehe: es läuft auch nicht darauf hinaus, daß beide wie nach dialogischem Gespräch in wohlthätige Schwingung und Seelenmotion versetzt sich trennen. Sondern wachsend über alle persönliche Schranken der ersten Erscheinung hinaus reinigt sich, läutert sich der Gegenstand des dramatischen Gesprächs zu einer Art von Schutzgott des edelgeführten Streits, der jeden Streiter mit eigenthümlichem Kranze belohnt, beide einander nähert, sie gegenseitig verständigt und mildert, sie erinnert, daß der Streit wohl ein unendlicher sei, daß aber er, der Schutzgott des Streits, die gemeinschaftlich erstrittene Idee, oder wie wir ihn sonst nennen mögen, in immer schönerer Gestalt dabei zugegen sein, an welcher Stelle sie sich wieder treffen möchten, sie schon erwarten werde.
Guter Ton mag es immerhin sein, sich in guter Gesellschaft auf keinen Gegenstand zu fixiren und zu appesantiren, und keine Materie zu approfondiren, im reizen- <51:> den geflügelten Dialog an der Oberfläche gleichgültiger Seelen nur so hinzugleiten, und wie im Eiertanz den Ernst, die Strenge, die Tiefe und den ennui auf gleiche Weise zu vermeiden: schlechter Ton mag es sein, immer nur Recht haben zu wollen, und wo sich die Gelegenheit zeigt, sogleich mit Reden, Abhandlungen, Monologen und schneidenden Urtheilen aufzuwarten; aber schöner Ton verdient nur die dramatische Form einer Gesellschaft zu heißen, die Form, die wir am dramatischen Gespräch beschrieben haben, und bei der der Genius präsidirt. Carricaturen dieses Genius, dieses Geistes der Gesellschaft, finden sich auch da, wo der gute und der schlechte Ton herrscht: in der guten Gesellschaft ist es die s. g. Dezenz und der gute Geschmack; in der schlechten Gesellschaft ist es Recht und Gerechtigkeit, oder Convenienz, Respect vor dem Alter, Rang und Stand. Der Schutzgeist des schönen Tons vermeidet weder blos das Unanständige, noch ist er ein bloser kalter Rechtsprecher: er gestattet einzelnen Helden, einzelnen großen Angelegenheiten von Welt und Zeit nicht blos das Wort, er ruft sie vielmehr herbei, belebt alle, selbst die unbedeutenderen Seelen, daß sie in ihrer Art mitwirken, eingreifen, auch durch ihre ärmere Eigenthümlichkeit den Gegenstand gestalten helfen, und wenn dieser auch endlich die Hauptzüge von den Helden der Gesellschaft an sich trägt, so findet doch jeder schwächere darin wieder, womit er ihn bereichert, jeder fühlt, daß er wesentlich zu dem schönen Ganzen gehörte, und beugt sich um so williger vor den Helden, als mit ihrer Erhebung auch die Theilnehmer ihres Verdienstes geadelt werden. Ein Gefühl, eine Ahndung des höhern ist es, was die schöne Gesellschaft zurücklassen muß: keine bloße, kalte Bewunderung der ausgezeichnetsten Glieder: diese sind nur die höheren Sprossen der Leiter, auf der das Ganze zu einem reineren, freiern Dasein hinaufgetragen wird. Die schöne Gesellschaft hat einen monarchischen Anfang: einzelne Mitglieder ragen hervor, imponiren: sobald aber ihr Leben um sich greift, wird alles durchdrungen von der Lust, sich anzuschließen, mitzusteigen, und so wird gegen das Ende hin das ganze Wesen immer republikanischer, bis sich alles in eine einzige gemeinschaftliche schöne Empfindung auflößt, und jeder einzelne seine eigne Kraft und die Gleichheit Aller vor dem Schönen und Guten fühlt. – So auch im Drama: anfangs ragt in der langsamer schreitenden Handlung der Held allein hervor: die stillern Charactere haben Zeit, sich zu entwickeln, bis sie ihre Kraft fühlen und wie Titanen gegen den Jupiter anrennen: alles fängt nun republikanisch an zu gelten, die Handlungen, die Begebenheiten drängen sich, bis der Held siegt oder untergeht. Es ist besser, er falle: daß er der Fluth der Begebenheiten unterliegt, schändet ihn nicht: und es ist wesentlich, daß den schwächeren selbst die Möglichkeit der Abgötterei mit seiner Person abgeschnitten werde, und daß in allen Gemüthern zurückbleibe – allein – der Gedanke des ewigen Friedens der Natur, erhoben durch das Schauspiel eines recht heldenmüthigen Streites. – Der Hauptprüfstein des dramatischen Interesse vor der Bühne ist, daß der Held und seine Gegner gleich wichtig erscheinen, kurz, daß man fähig sei, in dem ganzen Drama, nicht blos in einzelnen begünstigten Personen, oder in den mit einem monologischen Kunstnamen s. g. schönen Stellen zu leben; <52:> daß man nicht verlange am Ende, weder daß der Held Recht behalte und gerochen werde, wenn ihm Unrecht geschehn, noch daß die beiden Liebenden aneinander gebracht werden, sondern daß man zufrieden sei mit der Erhebung zu höhern Ideen der Kunst, d. h. des Lebens, dessen Blüthe die Kunst ist.
Das Wesen des Dramatischen wäre demnach characterisirt: in der Gesellschaft, in aller Mittheilung überhaupt, in der wahrhaften und edlen Anhänglichkeit an bestimmte Personen, im ächten Antheil an den Darstellungen der wirklichen Bühne haben wir es wieder gefunden und so zuförderst die Welt selbst auf die Schaubühne gestellt, oder daß ich es bescheidener ausdrücke, das Publicum mit seinen einseitigen Gliedern gleichsam von der Bühne aus betrachtet. Manche Verbindungen mit entfernter liegenden Regionen sind angeknüft und jetzt, da uns die Mauern des Theaters nicht mehr ganz hoffnungslos von der übrigen Welt trennen, da das wirkliche Leben mit dem idealischen Treiben des Theaters in Beziehung gebracht, und ein freier weiter Standpunct gewonnen ist, jetzt darf ich einladen, mit mir vom Parterre aus die Bühne zu betrachten.

(Die Fortsetzung folgt.)

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Letzte Aktualisierung 28-Mär-2003
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