Berlinische
Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen (Spenersche Zeitung), 25. 4. 1811, Nr. 50
(unpag.)
Penthesilea-Pantomime
Pantomimische Darstellungen
der Mad. Schütz, geb. Schüler.
Wir müssen auch nach dieser dritten
Vorstellung bekennen, daß uns die erste die vorzüglichste bleibt, theils wohl wegen der
Neuheit und Frische des Eindrucks, hauptsächlich aber, weil sie in dem nur mäßig
gefüllten Saale die ruhigste und durch keine Stöhrung unterbrochen war. Und so ist auch
wohl kein Zweifel, daß diese Darstellungen nur in einem kleinen stillen Kreise und recht
in der Nähe (wie Lady Hamilton sie nur vor Befreundeten gab) am vollkommensten genossen
werden mögen. Hier würde die Künstlerin erst recht in ihrer bewundernswerthen
Persönlichkeit erkannt werden, und würden alle Vorbereitungen gar nicht auffallen, an
welche sich noch immer mancher stößt, es scheint wirklich nur, weil er ihren Anblick mit
so Vielen theilt. Die ägyptischen Gestalten erschienen heut in einem gelben
Schleier, und die Isis erhub sich langsam von einem Sitze, wodurch noch eine
Art Übergang von der Sphinx entstand. Neu war die Szene
aus der Penthesilea, nach dem Schauspiel des Hrn. Heinr. v. Kleist,
welcher eine Erklärung und Deklamation des Herrn Schütz vorangieng. Dennoch wird eine so
lang fortgehende Pantomime, wie diese, immer etwas undeutlich bleiben, auch wegen der
vielen Voraussetzungen, die sie fodert; und die Darstellung war so wenig befriedigend als
die der Blandine, sie geht zu sehr ins Dramatische über. Es kommt bei dieser Kunst
besonders auf die Wahl der Gegenstände an. Die durch Bildwerke bekannten, als die
Ägyptischen, der Niobe, und noch mehr die biblischen, sind unstreitig die
vorzüglichsten. Hier ist diese Pantomime wahrhaft erfreuliche Belebung und Neuschaffung
der festen typischen Gebilde. Die Gruppen aus der
N i o b e waren heute besonders schön, und imposant waren die
Stellungen der Mutter, da ihr langer, über die geliebten Kinder gebreiteter Schleier,
sich bei einer fortschreitenden Bewegung anspannt und sie das zarteste der Kinder hoch zu
den unversöhnlichen Göttern emporhebt; auch in dieser körperlichen Kraft offenbart
sich, welch eine gewaltige Natur in dieser Frau lebt. Hagar und Ismael
wurde das erstemal mehr ausgeführt. Dagegen erschien heute die weltliche
Magdalena in noch höherem Glanze: es waren der Schleier, welche zwei dienende
Mägdlein hielten, noch mehr, und sie wurden noch mannichfaltiger und reizender angelegt;
auch erhöhte noch ein reichgesticktes Untergewand, das sehr zierlich umgethan wurde, den
Putz. Es giebt wohl keinen glücklicheren Gegenstand für die Künstlerin, als diesen; man
möchte sagen, er ist der einzige: alle ihre Kunst entfaltet sich hier im lieblichsten
Wechsel, mit einer großen Anmuth in Mienen und besonders in Bewegung der Arme. Es ist ihr
Triumph. In der italienischen Verkündigung bemerkten wir heute noch mehr die bei der
ersten Vorstellung vermißte Demuth. Die Verklärung machte auch diesmal wieder die
stärkste Wirkung, durch die magische Beleuchtung des gleichsam wie aus einer Knospe sich
allmälig enthüllenden verzückten Gesichtes. Ebenso befestigte sich unsere Vorliebe für
die Verkündigung und Verklärung der Altdeutschen Madonna: Wurf des Mantels, der noch
einen feinen gelben Saum, zum Unterschied des vorigen, hat, Haltung der Hände besonders
und Ausdruck des Gesichtes sind hier höchst wahr und vortrefflich. Ein sehr sprechendes
Bild ist auch, wie die Jungfrau auf das ihr so wunderbar gewordene Kind hinzeigt. Zuletzt
ist noch der Zug zu rühmen, wie die Mutter mit dem Kinde in der Herrlichkeit sitzend,
nach einem langsamen Aufblicken nach oben, das Auge wieder demüthig zur Erde senkt.
R.
Zur Penthesilea-Pantomime cf.
>> Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten
Sachen (Spenersche Zeitung), 20. 4. 1811, Nr. 43 (unpag.)
>> Königlich privilegirte Berlinische Zeitung
von Staats- und gelehrten Sachen (Vossische Zeitung), 25. 4. 1811, Nr. 50 (Rubrik:
Königliches Nationaltheater; unpag.)
>> Privilegirte gemeinnützige
Unterhaltungs-Blätter (Hamburg), 22. 5. 1811, Nr. 27, Sp. 215f.: Das Neueste in der
Kürze; darin: Sp. 216
>> Morgenblatt für gebildete Stände, 28. 5.
1811, Nr. 127, 508: Korrespondenz-Nachrichten; darin: Berlin, 30 April (86 Zeilen); (bis
Z. 13)
>> Zeitung für die elegante Welt (Leipzig), 10. 6.
1811, Nr. 115, Sp. 913-917: Briefe aus Berlin (172 Zeilen); (a:) Sp. 913 (bis Z. 16);
(b:) Sp. 915-917 (ab Z. 102)
|