Theophil Zolling
(Hrsg.), Heinrich von Kleists sämtliche
Werke. Erster Teil. Gedichte. Familie Schroffenstein.
Familie Ghonorez (Berlin, Stuttgart: Spemann [1885]) (Deutsche
National-Litteratur, 149. Band), Einleitung, LXXVIII-LXXXI
Berliner Abendblätter
Schließlich schlägt Kleist vor, entweder das Abendblatt,
für das laufende Jahr, durch ein Capital so zu fundiren, daß
meinem Buchhändler die Kosten gedeckt werden, oder aber, falls
dies nicht Ihren Absichten gemäß sein sollte, die Deckung
der in Streit begriffenen 1100 Thlr. zu übernehmen.
Es war nicht zu verwundern, daß Hardenberg in seinem Reskript
vom 18. Februar sein Erstaunen darüber ausdrückt, daß
Kleist die Abendblätter ein halboffizielles
Blatt nenne, da er ihm doch ausdrücklich erklärt habe,
daß sie keineswegs einen solchen Charakter trügen; die Mitteilungen
der Behörden seien Gefälligkeiten, die auch jedem andern erwiesen
würden. Nimmermehr sei ihm aber eine pekuniäre Unterstützung
für die Abendblätter zugesagt worden. Diese
ist Ihnen nie in dieser Beziehung angeboten, sondern von mir
nur auf Ihre Veranlassung geäußert worden, daß der Staat verdienstvolle
Schriftsteller, wenn es seine Kräfte erlauben, gern unterstützen
würde. Ich bin aber überzeugt, daß Ew. Hochw. alsdann
Ihre Verdienste nicht von dem Inhalt und dem Schicksal der
Abendblätter abhängig erklären, sondern auf andere Weise begründen
werden.
Dieser
Brief vernichtete alle Hoffnungen Kleists. Nachdem der Verleger
erfahren, daß auf Beiträge der Regierung für das Journal nicht
mehr zu rechnen sei, weigerte er sich bestimmt, die Kosten
des weiteren Erscheinens zu übernehmen. In seiner verzweifelten
Stimmung verlor Kleist vollständig das klare Urteil über Menschen
und Dinge. Und abermals flüsterte Müller dem aufgeregten Dichter
zu, daß Raumer an allem schuld sei. Am 21. Februar schrieb
Kleist an diesen einen äußerst beleidigenden Brief, worin
er die Zugrunderichtung des Abendblattes ganz allein seinem
Einfluß und der Empfindlichkeit über die Verachtung zuschrieb,
womit er sein Anerbieten, Geld für die Verteidigung der Maßregeln
des Staatskanzlers anzunehmen, ausgeschlagen habe. Schließlich
drohte er ihm, wenn er nicht noch vor Eingehen des Blattes
den Staatskanzler von der Gerechtigkeit seiner Entschädigungsforderung
überzeuge, so werde er die ganze Geschichte des Abendblatts
im Auslande drucken lassen. Noch an demselben Tage antwortete
Raumer: 1) Warum die Abendblätter zu Grunde gehen, zeigt
ihr Inhalt. 2) Meine geringe Empfindlichkeit beweise ich Ihnen
dadurch, daß ich die Wiederholung Ihres großen Irrthums über
das Geldanerbieten ruhig ertrage, nachdem Sie selbst jenen
Irrthum erkannt und mit jener Höflichkeit zurückgenommen haben,
welche Ihre jetzige Stimmung Ihnen leider nicht zu erlauben
scheint. 3) Für oder wider das Abendblatt habe ich kein Veranlassung
mit Sr. Excellenz zu sprechen, da die Sache hinlänglich
besprochen ist
4) Drucken mögen Sie lassen, was
Sie verantworten können. Aber Kleist trieb die Sache
immer weiter. Er sandte dem Staatskanzler eine Abschrift seines
an Raumer gerichteten Schreibens mit der Bitte, diesen in
der Sache der Abendblätter nicht ferner zu Rate
zu ziehen, und setzte nochmals die vermeintliche Gerechtigkeit
seines <LXXIX:> Entschädigungsgesuches auseinander.
Dies zog ihm vom Staatskanzler eine scharfe Zurechtweisung
zu. Das Abendblatt, schreibt ihm dieser, habe nicht bloß seine
Aufmerksamkeit, sondern auch die des Königs auf sich gezogen,
weil Kleist in eben dem Augenblicke, wo die neuen Finanzgesetze
erschienen, Artikel aufnahm, die geradezu jene Gesetze angriffen.
Die Auslegung, ob man Sie hätte erkaufen wollen, ist
ebenso unrichtig, als die Behauptung, daß Sie die angebotene
Unterstützung abgelehnt hätten. Sie haben aber keinen Anspruch
darauf, weil die Abendblätter in keiner Weise den Zweck erfüllen
und durch ihren Unwert von selbst fallen müssen, denn Auszüge
aus längst gelesenen politischen Zeitungen und ein paar Anekdoten
können, wie Sie selbst einsehen werden, nicht das mindeste
Recht auf Unterstützung reklamieren oder die Benennung eines
halboffiziellen Blattes verdienen. Hardenberg vergißt
hier jedenfalls, daß gerade die Regierung mit ihren Maßregelungen
die Schuld trug, daß die Abendblätter sich nur
auf Auszüge aus längst gelesenen Zeitungen beschränken mußten.
Mittlerweile spitzte sich jedoch der Streit mit Raumer zu
einem Ehrenhandel zu. Kleist verlangte jetzt von Raumer eine
schriftliche Erklärung, daß dieser ihm damals die Geldvergütung
in Wahrheit angetragen habe. Zu so viel Verletzungen seiner
Ehre, die er erdulden müsse, könne er vor dem Kanzler nicht
noch als Lügner erscheinen, und im Fall einer zweideutigen
oder unbefriedigenden Antwort werde er um diejenige Satisfaktion
bitten, die ein Mann von Ehre in solchen Fällen fordern könne.
Auf die Antwort Raumers, er habe Kleists Briefe dem Kanzler
als Beläge unterbreitet, Kleist möge ein gleiches mit Raumers
Briefen thun, forderte der Poet ihn auf, binnen zweimal 24 Stunden
mit Ja oder Nein auf seine Frage, ob er ihm ein Geldanerbieten
gemacht, zu antworten. Hierauf schrieb Raumer kurz, er beziehe
sich einfach auf seinen früheren Brief vom Dezember, worin
er bereits jene Anschuldigung widerlegt habe, und schickte
gleichzeitig einen Freund, den Geheimrat Pistor, in
Kleists Wohnung, um entweder Zurücknahme der falschen Behauptung
oder den Austrag durch ein Duell herbeizuführen. Kleist, jetzt
ohne seinen Ohrenbläser hinter sich, fühlte sich entwaffnet.
Er ließ es sich gefallen, daß Pistor eine Abschrift jenes
ersten Raumerschen Briefes nahm, brach in leidenschaftliche
Thränen aus, klagte, er sei zu allem angestiftet worden,
und setzte am 10. März einen Brief
an Hardenberg auf, in welchem er ihn bat, Raumer auf
eine kurze Viertelstunde in Sachen der Abendblätter
anzuhören. Herr von Raumer ist von mir, diese Sache
betreffend, mit solchen Erläuterungen versehen worden, die,
wie ich nicht zweifle, alle Misverständnisse, welche darüber,
durch mancherlei Umstände veranlaßt, obgewaltet haben mögen,
zerstreuen werden. Am folgenden Tage antwortete Hardenberg,
nach der genügenden Aufklärung des Regierungsrates von Raumer
sei von keiner Seite mehr eine weitere Entschuldigung oder
Rechtfertigung nötig. Damit war der Konflikt formell beigelegt.
Am 4. April schrieb Kleist noch <LXXX:> ein Billet
an Raumer, worin er ihm seinen innigsten Dank
für die Beseitigung aller Misverhältnisse durch seine gütige
Vermittlung aussprach und ihn bat, sein gleichzeitiges Gesuch
an den Staatskanzler zu unterstützen, worin er, mit Übergehung
der ganzen bewußten Entschädigungssache als einen bloßen Beweis
der Gnade Sr. Excellenz und in Rücksicht des erlittenen
Verlustes um Übertragung der Redaktion des Kurmärkischen
Abendblatts bat. Hardenberg lehnte dies Gesuch zwar
ab, scheint aber zugleich (18. April) dem Bittsteller
das Versprechen gegeben zu haben, ihn gelegentlich anderweitig
zu entschädigen. Kleist berief sich wenigstens später, sowohl
Fouquè als dem Könige gegenüber, auf diese Zusicherung, die
er nur als ein Anerkenntnis der Berechtigung seiner Ansprüche
betrachtete. In seiner Immediateingabe an den König stellte
er die Sache so dar, als ob Hardenberg ihm schon im November
bei Gelegenheit eines ihm mißfallenden Artikels durch Gruner
und später noch einmal durch Raumer die Eröffnung gemacht
habe, daß man sein Unternehmen, sofern er es im Sinne der
Staatskanzlei redigiere, mit Geld unterstützen wolle; er habe
sich anfangs geweigert, auf dieses Anerbieten einzugehen,
da ihm jedoch infolge dessen seitens der Censurbehörde solche
Schwierigkeiten in den Weg gelegt wurden, die es ihm ganz
unmöglich machten, das Blatt in seinem früheren Geiste fortzuführen,
so habe er sich endlich notgedrungen in diesen Vorschlag
bequemt, aber in einem ausdrücklichen Schreiben an Gruner
vom 8. Dezember auf die ihm angebotene Geldunterstützung
Verzicht geleistet und sich bloß die Lieferung offizieller,
das Publikum interessierender Beiträge von den Landesbehörden
zu einiger Entschädigung ausgebeten. Hier steht also Behauptung
gegen Behauptung. Das Wahrscheinlichste ist, daß Kleist die
Zusicherung nur moralisch gemeinter Unterstützung
durch Beiträge für die einer pekuniären hielt
oder daß Gruner von Raumer kann, wie wir gesehen
haben, keine Rede sein in seinen Instruktionen
zu weit ging und wirklich eine Geldentschädigung in Aussicht
stellte oder deren Möglichkeit durchblicken ließ, was der
in seinen Hoffnungen stets überschwengliche Kleist für eine
bestimmte offizielle Zusage hielt.\1\ Übrigens waren Kleists
Freunde ebenfalls fest davon über- <LXXXI:> zeugt, daß
ihm unrecht geschehen sei. Noch nach Jahren schrieb Arnim
an Görres: Nach Hardenbergs Wunsch brachte Gruner den
verstorbenen Heinrich Kleist auf sehr kuriose Art um sein
Abendblatt, das er mit recht viel Nutzen in Berlin herausgab.\1\
Der Gedanke, daß ihm die Regierung diese Entschädigung schulde,
bohrte in ihm weiter fort und verdüsterte seine Gemütsstimmung
um so mehr, als die Abendblätter inzwischen
Ende März wirklich eingegangen waren und die bittere
Not an ihn herantrat.\2\
Dennoch
schien dem vom Schicksal Verfolgten, nachdem er vergeblich
dem Gespenst einer rechtlichen Forderung nachgejagt, noch
nicht jede Möglichkeit verloren, sich aus eigener Kraft zu
retten. Um sein Leben zu fristen, suchte er seine alten Manuskripte
hervor. Da die Bühnen seine Stücke ablehnten auch
sein Wiener Gönner Collin starb um diese Zeit (28. Juli)
so war er es zufrieden, daß die berühmte Hendel-Schütz seine
Penthesilea zum Vorwurf für ihre pantomimischen
Darstellungen nahm, zu deren Erklärung ihr Mann Bruchstücke
des Dramas vorlas, aber auch dieser Versuch mißlang.\3\
Er gab jetzt den Zerbrochnen Krug, dann den zweiten
Band der Erzählungen heraus, von denen er die Verlobung
in St. Domingo unter dem Titel: Die Verlobung
im Freimüthigen\4\
veröffentlicht hatte; für die politisch gefährliche Hermannsschlacht,
den mißliebigen Prinzen von Homburg, und einen
fast vollendeten zweibändigen Roman, der uns verloren
gegangen ist, suchte er vergeblich einen Verleger.
\1\ Gewiß hat
Raumer später, als Köpke ihm zu seinem sechzigjährigen Amtsjubiläum
H. v. Kleists Politische Schriften und andere Nachträge
zu seinen Werken (Berlin 1862) mit einer besonderen Vorrede
widmete, sich mit Wehmut der korrekten, aber strengen, bureaukratischen
Weise erinnert, womit er als junger Beamter einst den großen
Dichter behandelt hat. In der Wiener Presse 1863
(Nr. 194) veröffentlichte Emil Kuh folgende Notiz: Als
der Schreiber dieser Zeilen im verflossenen Jahre bei Friedr.
von Raumer in Berlin vorsprach und in einer Unterhaltung über
Kleist dessen geheimnisvolle Reise erwähnte, da sagte Raumer:
,Der Fürst Hardenberg, der
damals Gesandter von Anspach und Bayreuth gewesen, riet mir
in einem streitigen Handel mit Kleist nachgiebig zu sein.
Lassen Sie sich mit dem armen
Menschen nicht weiter ein! fügte der Fürst hinzu
Kleist hat ja einige Monate in der Kreis-Irrenanstalt zu Bayreuth
gesessen. Eine nach Bayreuth gerichtete Anfrage, ob
diese Angabe richtig sei, hatte die Antwort zur Folge, daß
in den Grundlisten über die Kranken, welche von 1790 bis 1811
in der dortigen Anstalt aufgenommen worden, Heinrich von Kleist
nicht vorkomme, was aber die Möglichkeit, daß er einige Zeit
dort verweilt, nicht ausschließe, weil die frühesten Krankenregister
von 1790 an keineswegs auf Vollständigkeit Anspruch machen
könnten. Auch unsere Nachforschungen in der Irrenanstalt
zu St. Georgen bei Bayreuth, die seit 1790 besteht und
nur für das markgräfliche Land bestimmt war, ergaben ein negatives
Ergebnis, da die Krankenregister erst mit 1821 beginnen und
alle älteren Papiere 1871 vernichtet wurden. Kleist hätte
auch in jener nur für kranke Landeskinder bestimmten Anstalt
schwerlich Aufnahme finden können. Überhaupt ist die ganze
Notiz Kuhs ziemlich konfus. Hardenberg war nur bis 1800 Gesandter
von Anspach-Bayreuth und Kleist war auf seiner Würzburger
Reise ganz gesund, wie sein Briefwechsel mit Wilhelmine und
hier z. B. seine Schilderung des Würzburger Irrenhauses
(Biedermann 73f.) beweist. Eher ließe sich ein mehrmonatlicher
Aufenthalt im Irrenhaus in die erste Hälfte des Jahres 1804
oder in den Winter 1809/10 verlegen, wo der Dichter beidemale
ganz verschollen war. Wenn man aber erwägt, daß der Prinz
von Homburg, der im Frühling 1810 entstand, unmöglich
das Werk eines eben aus dem Irrenhause Kommenden sein kann,
so bleibt nur die Möglichkeit eines solchen Aufenthalts in
Bayreuth auf der Rückreise von Paris und aus der Rheingegend.
Übrigens spukt diese Legende schon in Treitschkes Monographie
(Historische und Politische Aufsätze Neue Folge II, Leipzig
1870) und ist dort ebenfalls auf die Quelle Kuhs zurückzuführen.
H. v. Treitschke teilt uns mit, daß er längst zu
der Meinung gelangt, jene Notiz sei falsch, und daß er sie
in einer neuen Ausgabe seiner Aufsätze weglassen werde.
\1\ Görres,
Gesammelte Briefe, III 415.
\2\ Das
Morgenblatt vom 2. Mai bringt folgende hämische Berliner
Korrespondenz vom 10. April: Das Abendblatt hat
den Abend seines Lebens erreicht und dadurch sich und die
etwaigen übergeduldigen Leser in den Ruhestand versetzt.
\3\ Wir
entnehmen dieses bisher unbekannte Faktum dem Stuttgarter
Morgenblatt vom 28. Mai 1811 und der Vossischen und Spenerschen
Zeitung. Vgl. unsere Einleitung zur Penthesilea.
Es ist zweifelhaft, ob Kleist noch die Nachricht von der Aufführung
des Käthchen von Heilbronn in Bamberg vom 1. Sept.
1811 erfuhr. Das Morgenblatt brachte erst am 26. Nov.
1811 eine Bamberger Korrespondenz: Von andern Werken
sahen wir das Käthchen von Heilbronn, wo Madame
Renner als Käthchen gerechten Beifall erntete.
\4\ In den
Blättern vom 25., 26., 28-30. März und 1., 2., 4. und
5. April 1811.
Emendationen
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