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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Theophil Zolling (Hrsg.), Heinrich von Kleists sämtliche Werke. Erster Teil. Gedichte. Familie Schroffenstein. Familie Ghonorez (Berlin, Stuttgart: Spemann [1885]) (Deutsche National-Litteratur, 149. Band), Einleitung, LXXXI-LXXXV

Entschädigungsansprüche, Bruch mit der Familie

„Dabei zeige ich Ihnen an,“ schrieb er an die <LXXXII:> Realschulbuchhandlung, „daß ich mit einem Roman ziemlich weit vorgerückt bin, der wohl 2 Bände betragen dürfte, und wünsche zu wissen, ob Sie im Stande sind – falls er Ihnen gefallen wird? – mir bessere Bedingungen zu machen, als bei den Erzählungen. Es ist fast nicht möglich, für diesen Preis etwas zu liefern“ …\1\ Am 25. April spricht sich Kleist in einem Brief an Fouqué mit alter Erbitterung darüber aus, daß er seine Entschädigungsforderung, die er wegen Unterdrückung des Abendblatts an den Staatskanzler gerichtet habe, gern durchsetzen möchte, weshalb er Berlin in diesem Augenblicke nicht verlassen könne. Unterm 6. Juni übersandte er auch an Hardenberg ein Exemplar des eben auf der Messe erschienenen zweiten Bandes seiner Erzählungen und erneuerte abermals die ihm zur fixen Idee gewordenen Entschädigungsansprüche. Kein Wunder, daß der Staatskanzler, über diese nochmalige Aufwärmung des längst beigelegten Streites ungehalten, den Brief ohne Antwort ließ, und daß das darin enthaltene Gesuch Kleists, ihn in einer seinen Verhältnissen angemessenen Weise im königlichen Civildienst anzustellen oder ihm wenigstens unmittelbar ein Wartegeld „als Entschädigung jenes beträchtlichen Verlustes“, zu gewähren, ohne Erfolg blieb. Noch machte Kleist einen allerletzten Versuch, in einem ziemlich kalten, steifen Briefe Schwester Ulrike, die ihm ernstlich zürnte, zu sich nach Berlin zu ziehen, indem er ihr riet, sich lieber um die vakante Stelle einer Oberaufseherin im Luisenstifte zu bewerben, als eine Pension in Frankfurt anzulegen; er würde freilich da nicht bei ihr wohnen können, aber doch glücklich sein, sie in seiner Nähe zu wissen. Ulrike scheint endgültig abgelehnt zu haben. Unterdessen zerstreuten sich seine alten Freunde in alle Welt. Eine Einladung Dahlmanns, zu ihm nach Kiel zu kommen und dort wieder, wie in Österreich, in Gütergemeinschaft mit ihm zu leben, gelangte nicht an ihre Adresse. Adam Müller, an dem er noch immer mit seltsamer Innigkeit hing, siedelte im Mai nach Österreich über\2\ und auch seine innigstgeliebte Cousine Marie von Kleist verließ Berlin auf einige Zeit. „Das Leben, das ich führe,“ schrieb er ihr im Sommer, „ist seit Ihrer und A. Müller’s Abreise gar zu öde und traurig. Auch bin ich mit den zwei oder drei Häusern, die ich hier besuchte, seit der letzten Zeit ein Wenig außer Verbindung gekommen und fast täglich zu Hause, vom Morgen bis auf den Abend, ohne auch nur einen Menschen zu sehen, der mir sagte, wie es in der Welt steht. Sie helfen sich mit <LXXXIII:> Ihrer Einbildung und rufen sich aus allen vier Weltgegenden, was Ihnen lieb und werth ist, in Ihr Zimmer herbei. Aber diesen Trost, wissen Sie, muß ich unbegreiflich unseliger Mensch entbehren. Wirklich, in einem so besonderen Falle ist noch vielleicht kein Dichter gewesen. So geschäftig dem weißen Papier gegenüber meine Einbildung ist, und so bestimmt in Umriß und Farbe die Gestalten sind, die sie alsdann hervorbringt, so schwer, ja ordentlich schmerzhaft ist es mir, mir das, was wirklich ist, vorzustellen. Es ist, als ob diese in allen Bedingungen angeordnete Bestimmtheit meiner Phantasie im Augenblick der Thätigkeit selbst Fesseln anlegte. Ich kann, von zu vielen Formen verwirrt, zu keiner Klarheit der innerlichen Anschauung kommen; der Gegenstand, fühle ich unaufhörlich, ist kein Gegenstand der Einbildung; mit meinen Sinnen, in der wahrhaftigen, lebendigen Gegenwart, möchte ich ihn durchdringen und begreifen. Jemand, der anders hierüber denkt, kommt mir ganz unverständlich vor; er muß Erfahrungen gemacht haben, ganz abweichend von denen, die ich darüber gemacht habe.“
In solcher Stimmung geht Kleist mit dem Plan um, einmal „etwas recht Phantastisches“ vorzunehmen und vor dem Elend des Zeitalters in das alte romantische Land zu entfliehen, ohne Rücksicht auf das Urteil der Menschen, ganz seinem Herzen folgend. Dann denkt er wieder daran, die Kunst vielleicht auf ein Jahr oder länger ruhen zu lassen und sich, außer einigen Wissenschaften, in denen er noch nachzuholen hat, mit nichts als mit Musik zu beschäftigen, dieser „Wurzel oder algebraischen Formel“ aller übrigen Künste, wobei er hofft im Generalbaß die wichtigsten Aufschlüsse über die Dichtkunst zu finden. Und dann sehnt er sich wieder nach einer passenden patriotischen Thätigkeit. Er verfaßt ein paar Aufsätze und überreicht sie Gneisenau, der just damals auf Napoleons Wunsch aus dem Militärdienst entfernt worden war und insgeheim vom Könige zu Missionen gebraucht wurde. „G*** ist ein herrlicher Mann,“ schreibt Kleist „ich fand ihn Abends, da er sich zu einer Abreise anschickte, und war in einer ganz freien Entfaltung des Gesprächs nach allen Richtungen hin wohl bis um zehn Uhr bei ihm. Ich bin gewiß, daß, wenn er den Platz fände, für den er sich geschaffen und bestimmt fühlt, ich irgendwo in seiner Umringung den meinigen gefunden haben würde.“\1\
Einer Einladung Fouqués nach dessen Gut Nennhausen verspricht er am 15. August vielleicht noch im Laufe dieses Herbstes nachzukommen und fügt geheimnisvoll hinzu: „inzwischen kommt es mir vor, als ob eine Verwandtschaft zwischen uns prästabilirt wäre, die sich in kurzer Zeit gar wunderbar entwickeln müßte, und es gehört zu meinen liebsten <LXXXIV:> Wünschen, dies noch im Lauf dieses Herbstes zu versuchen“. Fouqué wurde, wie er selbst erzählt „eigenthümlich ergriffen“ durch diese Andeutung einer „bis jetzt noch völlig verschwiegnen prästabilierten Harmonie zwischen beiden“, blieb lange in völliger Ungewißheit darüber und vernahm erst viel später Kleists Schwermut und „seinem Wesen eigne“ Selbstmordgedanken.\1\
Da Hardenberg auf sein Gesuch nicht geantwortet hatte, so wandte sich der Dichter nunmehr am 17. Juni mit einer Immediateingabe an den König selbst. Auch hier erneuerte er wieder seine Entschädigungsansprüche\2\ und bat um eine Anstellung im Civildienste oder, falls eine solche Stelle nicht unmittelbar frei wäre, um Aussetzung eines Wartegeldes. „Auf diese Allerhöchste Gnade,“ schloß er, „glaube ich um so mehr einigen Anspruch machen zu dürfen, da ich durch den Tod der verewigten Königinn Majestät, welche meine unvergeßliche Wohlthäterin war, eine Pension verloren habe, welche Höchstdieselbe mir, zu Begründung einer unabhängigen Existenz und zur Aufmunterung in meinen litterarischen Arbeiten aus ihrer Privat-Chatouille auszahlen ließ.“ Drei Monate lang harrte der Unglückliche, mit der bittersten Not kämpfend, in trauriger Einsamkeit auf die Erfüllung seiner Bitte. Endlich – Mitte September – erhielt er ein königliches Handschreiben, das ihm eine Anstellung in der Armee gewährte mit der Aussicht, eine Compagnie zu erhalten oder unmittelbar bei Seiner Majestät Adjutant zu werden.
Kleist, der sich auch darein ergab, fuhr nach Frankfurt hinüber, um sich von der Schwester das zur Equipierung nötige Geld zu verschaffen; aber er fand hier den unerwartetsten Empfang. Ulrike fiel bei seinem Anblick in einen ungeheuren Schrecken. Er entfloh sofort voller Bestürzung und meldete ihr schriftlich, warum er gekommen sei. „Da Du Dich aber, mein liebes, wunderliches Mädchen, bei meinem Anblick so ungeheuer erschrocken hast, ein Umstand, der mich, so wahr ich lebe, auf das Allertiefste erschütterte, so gebe ich, wie es sich von selbst versteht, diese Gedanken völlig auf; ich bitte Dich von ganzem Herzen um Verzeihung und beschränke mich, entschlossen, noch heute Nachmittag nach Berlin zurückzureisen, blos auf den andern Wunsch, der mir am Herzen lag, Dich noch einmal auf ein paar Stunden zu sehen.“ Kleist war mit seiner ganzen Familie, die schwere Opfer für ihn gebracht, ganz zerfallen; man betrachtete ihn als einen mißratenen Sohn, eine Schande der Familie. Nur Ulrike stand noch auf seiner Seite. Sie erschrak wohl bei seinem Anblick so ungeheuer, weil sie ahnte, daß der Bruder, um den sie soviel Vorwürfe zu leiden hatte, abermals in der Absicht, Geld zu verlangen, <LXXXV:> erschienen sei. Die treue Seele sah einen außerordentlich peinlichen Auftritt zwischen dem Bruder und den Ihrigen voraus, einen vollständigen, unheilbaren Bruch: sie mußte also erschrecken. Die Katastrophe erfolgte auch richtig, wie wir aus seinem Brief an Marie von Kleist ersehen. Ein Familienauftritt findet am Mittagstische statt, wo der Dichter von seinen Schwestern mit Vorwürfen der demütigendsten Art überschüttet wird. Er sieht ein, daß er hier für das, was er geleistet und erstrebt, nicht das geringste Verständnis findet und in den Augen der Seinigen nur noch als ein ganz nichtsnütziges Glied der menschlichen Gesellschaft gilt, das ferner zu unterstützen müßig sei. Da bäumt sich der lange niedergehaltene Mannes- und Dichterstolz. Er bricht sofort auf und kehrt dem Elternhause und den Seinigen den Rücken – auf Nimmerwiedersehen.
Als Kleist unverrichteter Sache von Frankfurt nach Berlin zurückkehrte, wandte er sich – am 19. September – mit der Bitte, das nötige Geld zu seiner Equipierung vorzustrecken, an Hardenberg. „Wenn gleich die Entfernung v. Raumers\1\, der gewiß allein Schuld an der Ungnade war, die Ew. Excellenz unlängst auf mich geworfen haben, mich von der einen Seite aufmuntert, meine Entschädigungssache wegen des Abendblatts wieder aufzunehmen, so ist doch der Augenblick, da das Vaterland eine Gefahr bedroht, zu wenig geeignet und geschickt dazu, als daß ich eine solche Streitsache wieder in Erinnerung bringen sollte. Ich lasse, in Erwartung einer besseren Zeit, in welcher es mir ohne Zweifel glücken wird, Ew. Excellenz zu überzeugen, wie wenig unbillig meine Forderung war, diesen Gegenstand gänzlich fallen. Da jedoch S. Majestät der König geruht haben, mich, durch ein soeben empfangenes Allerhöchstes Schreiben, im Militair anzustellen, und mir, bei der beträchtlichen Unordnung, in welche, durch eben jenen Verlust des Abendblatts, meine Casse gerathen ist, die Anschaffung einer Equipage höchst schwierig wird: so wage ich, im Vertrauen auf Ew. Excellenz vielfach erprobten Patriotismus, Höchstdieselben um einen Vorschuß von 20 Louisd’or, für welche ich denenselben persönlich verantwortlich bleibe, anzugehn.“ Eine Antwort auf diesen Brief ist nicht erfolgt. Das Original desselben in den Papieren des Staatskanzlers trägt nur Hardenbergs Vermerk: Zu den Acten, da der p. v. Kleist nicht mehr lebt.“

\1\ Vgl. Briefe XXII.
\2\ Müller, der in Wien zuerst im Hause des Erzherzogs Maximilian von Este seinen Studien lebte und dann Vorlesungen über die Beredsamkeit hielt, machte in Österreich ziemliche Carrière. Er wurde 1813 k. k. Landeskommissar und Schützenhauptmann in Tirol, dann Regierungsrat, 1815 Begleiter des Kaisers Franz nach Paris, geadelt zum Ritter von Nitterdorf und Generalkonsul in Leipzig, 1827 „angelehnter“ Hofrat der Wiener Staatskanzlei und starb daselbst plötzlich am 17. Jan. 1829. Die ältere seiner beiden Töchter Cäcilie (+ 1864), zu deren Taufangebinde Kleist die Legende: Die heilige Cäcilie schrieb, war nachmals die Gattin des Wiener Professors der Botanik Stephan von Endlicher und Herausgeberin des Gentz-Müllerschen Briefwechsels.
\1\ Wilbrandt (401) hat zuerst die Vermutung ausgesprochen, daß hier Gneisenau gemeint ist. Daß Kleist letzteren einige Male besucht hat, bezeugt uns dieser selbst in seinem Brief an seine Gattin, worin er ihr flüchtig den Tod des „ehemaligen Gardehauptmann Kleist“ anzeigt und ihn exaltiert nennt wie seine Todesgefährtin.
\1\ Vgl. Briefe, Anhang: Fouqué an Eberhard.
\2\ Seine Behauptung, daß „alle Aufsätze, welche die Staatsverwaltung und Gesetzgebung betrafen“, Raumer zur Prüfung unterbreitet wurden, ist auf dem im Staatsarchiv liegenden Brief am Rande mit: ? falsch, wohl von Hardenbergs Hand, angezeichnet. Übrigens gingen sämtliche Briefe Kleists an Hardenberg durch Raumers Hände, denn sie sind alle: v. R. kontrasigniert.
\1\ Raumer wurde am 9. September 1811 zum Professor der Staatswissenschaft in Breslau ernannt.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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