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Theophil Zolling (Hrsg.), Heinrich von Kleists sämtliche Werke. Erster Teil. Gedichte. Familie Schroffenstein. Familie Ghonorez (Berlin, Stuttgart: Spemann [1885]) (Deutsche National-Litteratur, 149. Band), Einleitung, LXXIV-LXXVIII

Berliner Abendblätter

Kleist kam endlich mit der Behörde in Konflikt.\2\ Adam Müller hatte das ohnehin gefährdete Unternehmen seines Freundes benutzt, um die unwürdigste Partei- und persönliche Politik zu treiben. Er hatte sich mit dem Geschichtsschreiber Friedrich von Raumer, der jetzt in einer besonderen Vertrauensstellung um den Staatskanzler Freiherrn von Hardenberg thätig war und vom Volke der „kleine Staatskanzler“ genannt wurde, überworfen, weil dieser angeblich seine Prätensionen, die Stelle eines Staatsrats oder gar eines Kanzlers der Universität Frankfurt zu erhalten, bekämpft hatte. Um sich nun an der Regierung zu rächen, schlug sich Müller auf einmal zur feudalen Partei und ward der Ratgeber und Schriftsteller jener Ultra-Aristokraten, die allen Veränderungen und Verbesserungen, der ganzen Reform des preußischen Staates widersprachen.\3\ Müller, der trotz seiner offenen Opposition nicht aufhörte, den Fortbezug des ihm vom Staatskanzler ausgesetzten Wartegeldes nachzusuchen, fand bei den „Abendblättern“ ein erwünschtes Terrain für seine Intriguen. Bereits hatte eine Notiz der „Abendblätter“ vom 3. November, betreffend ein Gefecht der Franzosen in Portugal, das Mißfallen des Ministers Grafen von der Goltz erregt. Durch die Vermittelung des Kriegsrats Himly, der die seiner Kontrolle sich entziehenden „gemischten“ Zeitungen stets mit ungünstigem Auge betrachtete und auch im vorliegenden Falle die Initiative ergriffen hatte, erhielt der Polizeipräsident Gruner <LXXV:> die Verfügung, künftig alle politischen Artikel in den „Abendblättern“ und den übrigen Unterhaltungsjournalen gänzlich zu unterdrücken. Diese Bestimmung war für Kleist ein Donnerschlag, weil sie den Fortbestand seines Unternehmens unmöglich zu machen drohte. Er eilte zu dem Polizeipräsidenten und bewog diesen, den Staatskanzler v. Hardenberg um Unterstützung der „Abendblätter“ zu bitten. Der Schritt hatte Erfolg, wie wir aus einem Briefe Kleists an Hardenberg vom 3. Dezember ersehen, worin Kleist für die Zusage, seinem Institut „irgend eine zweckmäßige höhere Unterstützung“ angedeihen zu lassen, seinen Dank ausspricht. Daß Kleist darunter selbst, nicht wie er später angiebt, eine materielle, sondern nur eine moralische Hilfe versteht, erhellt aus seiner Bitte um die Erlaubnis, gelegentlich des Quartalwechsels eine kurze Ankündigung in seinem Blatte veröffentlichen zu dürfen, wonach die „Abendblätter“ durch die Gnade des Staatskanzlers „von nun an offizielle Mitteilungen über alle bedeutenden, das Gemeinwohl und die öffentliche Sicherheit betreffenden Ereignisse in dem ganzen Umfange der Monarchie enthalten werden“. Bevor noch die Verhandlungen einen Schritt weiter gerückt waren, erschien in den „Abendblättern“ ein heftiger Angriff Adam Müllers gegen die Person und die Finanzreformpläne des Staatskanzlers. Ob Müller vielleicht durch seinen Angriff die offiziösen Beziehungen der „Abendblätter“ zu Hardenberg zu hintertreiben versucht oder ob er von den Schritten Kleists überhaupt keine Kenntnis gehabt hat, ist unaufgeklärt. Jedenfalls war für Kleist, obwohl er den Artikel ohne sein Vorwissen in das Blatt aufgenommen erklärte, der Erfolg kein erfreulicher, denn der Polizeipräsident erhielt von neuem den Befehl, die Aufnahme politischer Artikel in den „Abendblättern“ zu untersagen. Die Anordnung erfolgte unmittelbar durch eine königliche Kabinettsordre; aber auch diesmal war die Maßregel auf Himlys Anzeige hin getroffen worden. Infolge von Müllers Hetzerei, daß Raumer an alledem schuld sei, stellte der exaltierte Kleist sofort den „kleinen Staatskanzler“ zur Rede und erhielt von diesem am 12. Dezember die bestimmte schriftliche Versicherung, daß Hardenberg und er der polizeilichen Maßregelung vollkommen fern ständen. Gleichzeitig bestätigte Raumer Hardenbergs Befehl, keinem Berliner Blatte irgend einer Art den offiziellen Charakter beizulegen, und protestierte in seinem eigenen Namen gegen die Insinuation, als habe er dem Herausgeber der „Abendblätter“ eine Pension anbieten können, am wenigsten zu dem Zweck einer Verteidigung des Kanzlers; er habe vielmehr geäußert, sobald sich der Charakter der „Abendblätter“ im Gegensatze zu jenem Müllerschen Angriff als tüchtig bewähre, werde der Staatskanzler für dieselben, wie für alles Nützliche im Staate, wohl gern etwas thun. Infolge dessen wurde Kleist eine Audienz gewährt, in welcher Hardenberg ihm versprach, sich selbst bei den Ministern von der Goltz und von Kircheisen, sowie bei dem Staatsrat Sack wegen Unterstützung des Journals durch geeignete Beiträge zu verwenden. Daß es Hardenberg mit seiner Protektion ernst war, beweist der Umstand, daß er die <LXXVI:> Empfehlung eigenhändig in das Konzept der Verfügung schrieb.\1\ Aus den Akten ist ersichtlich, daß Kircheisen schon am 18. Dezember dem Gesuch entsprechen zu wollen erklärte, und auch Sack war bereit dazu „in Fällen, die jedesmal ihm speziell anzuzeigen sind, weil die Abendblätter nicht offiziell sind und die Provinzialbehörden zu sehr belästigt würden“. Unterdessen wandte sich Kleist an Raumer, indem er ihm brieflich – am 13. Dezember – versprach, mit seiner Ehre für den Geist der „Abendblätter“ und insbesondere dafür zu haften, daß nur Aufsätze in des Kanzlers Interesse aufgenommen werden sollen. Ja, er ging in seiner Hingebung so weit, daß er ihm einen neuen Aufsatz Müllers, der nun ebenso große Schmeicheleien, als der frühere Lästerungen enthielt, zur Einsicht vorlegte und sich die Erlaubnis erbat, ihm alle Aufsätze über innere Politik unterbreiten zu dürfen. Endlich wiederholte er seine frühere Bitte um Raumers „persönliche Teilnahme an dem Journal und Beschenkung der Abendblätter mit dero vortrefflichen Aufsätzen“. Raumer scheint jetzt Kleist in der That mündlich das Versprechen gegeben zu haben, selbst als Mitarbeiter für die „Abendblätter“ thätig zu sein. Hierauf stützte sich Kleist, um auch noch die formelle Aufhebung des polizeilichen Verbots zu erwirken. Am 15. Dezember richtete er an den Minister von der Goltz ein Schreiben, in welchem er die Bitte um Zulassung politischer Artikel in den „Abendblättern“ damit motiviert, daß Herr von Raumer willens sei, „in diesem Journal mehrere Fragen, die Maßregeln Sr. Excellenz des Herrn Staatskanzlers“ zu erörtern. Der Erfolg dieses schlauen Schrittes scheint für den Bittsteller günstig gewesen zu sein, denn wenige Tage darauf schickte Kleist an die „Vossische“ und an die „Spenersche Zeitung“ eine Annonce, in welcher er dem Publikum anzeigte, daß der politische Teil der „Abendblätter“ in dem neuen Quartal eine größere Ausdehnung erhalten und von der Regierung selbst mit diplomatischen und politischen Beiträgen bereichert werden solle.
Für die beiden alten Journale, die „Haude und Spenersche“ und die „Vossische Zeitung“, aus denen bisher Berlin und ein großer Teil der Provinz fast ausschließlich seine Nahrung gezogen hatte, war diese Nachricht ein harter Schlag. Die Besitzer der beiden Blätter, trotz gegenseitiger Eifersucht in der Abwehr neuer Konkurrenten stets einig, legten sofort Verwahrung gegen den drohenden Eingriff in ihre durch ein titulo oneroso erlangten alten Privilegien zu gunsten einer „bloß ephemeren Erscheinung die gleich einem Meteor bald genug in sich selbst verlöschen wird“. Himly gab dieser Beschwerde Nachdruck, indem er selbst an den Chef der inneren Verwaltung ein Memorandum richtete, worin er unter Hinweis auf die verdächtigen Antecedentien der „Abendblätter“ ausführlich seine Bedenken gegen die Zuwendung amtlicher Nachrichten an dieses täglich erscheinende Journal entwickelte, und eher die Berücksichtigung der nur drei- <LXXVII:> mal wöchentlich herauskommenden alten Blätter empfahl, die zugleich als amtliche Staatsanzeiger dienten und den Zeitungsstempel zu tragen hatten. Die Folge war, daß der Polizeipräsident angewiesen wurde, nur solche politische Nachrichten in den „Abendblättern“ zuzulassen, die bereits in den älteren Zeitungen gestanden hatten. In Übereinstimmung hiermit änderte der Censor aus eigener Machtvollkommenheit die von Kleist zur Veröffentlichung eingesandte Annonce ab, welche zunächst in der „Vossischen Zeitung“ in der Fassung zum Abdruck gelangte, daß die „Abendblätter“ „in wöchentlichen Darstellungen spezielle Mitteilungen über all das Gemeinwohl und die öffentliche Sicherheit betreffende interessante Ereignisse“ und außerdem in dem „Bulletin der öffentlichen Blätter“ in derselben Art als es bisher geschehen, einen „Auszug der wichtigsten Nachrichten des Auslandes“ bringen werden. Auch in den „Abendblättern“ vom 22. Dezember war diese Ankündigung abgedruckt, freilich versprach dort Kleist einen Auszug der „wichtigsten, neu angekommenen, offiziellen Nachrichten“, welche, „insofern, da das Blatt täglich erscheint und der Abgang der Posten zu seiner täglichen Versendung benutzt werden kann, eine Art von Vorläufer der Zeitungen werden“. Also gerade das, was der Censor und die Konkurrenzblätter verhindert hatten!
Die Schritte, welche Himly bei der Regierung gethan hatte, um sie zu bestimmen, den „Abendblättern“ keine Beiträge zuzuwenden, waren Kleist vollkommen unbekannt geblieben. Im Vertrauen auf das frühere Versprechen und die Empfehlung Hardenbergs hatte er mit dem „Kunst- und Industrie-Comtoir“ (August Kuhn), in dessen Verlag auch der „Freimüthige“ erschien, einen Vertrag abgeschlossen, wonach dieses Institut den Verlag der „Abendblätter“ vom 1. Januar 1811 an übernahm und an Kleist, welcher seinerseits die Unterstützung der Regierung in sichere Aussicht stellte, ein Redaktionshonorar von 800 Thalern zu zahlen versprach.\1\ Infolge des von Himly erstatteten Berichts blieben die erwarteten Beiträge des Ministeriums stillschweigend aus\2\; der sonstige Inhalt der „Abendblätter“ war auch wenig geeignet, die Zahl der Leser zu vermehren, und so konnte es nicht fehlen, daß das Verhältnis zwischen der Verlagsanstalt und dem Redakteur bald sehr unerfreulich wurde. Der Verleger drohte mit Prozessen, mischte sich in die Redaktion und wollte das Blatt sofort eingehen lassen. In der peinlichsten Verlegenheit wandte sich Kleist endlich am 13. Februar 1811 von neuem an Hardenberg, indem er ihm anzeigte, daß sein „halbministerielles“ Blatt, das er „in Zwecken der Staatskanzlei“ redigiere, sich auf keine Weise ohne bestimmte Unterstützung mit offiziellen Beiträgen halten könne. „Ew. Excellenz,“ schreibt er weiter, „stelle ich anheim, ob höchstdieselben mich der Nothwen- <LXXVIII:> digkeit, mit meinem Buchhändler, wegen des besagten Contracts, einen Prozeß führen zu müssen, gnädigst überheben wollen.“

\2\ Die folgende Darstellung stützt sich auf die Rechtfertigung in Fr. v. Raumers Lebenserinnerungen und Briefwechsel I 157ff., O. Wetzels Beitrag zur Lebensgeschichte H. v. Kleists in der Sonntagsbeilage zur Vossischen Zeitung 1880, Nr. 37 u. 38, sowie auf meine eigenen Forschungen im Geh. Kgl. Staatsarchiv in Berlin.
\3\ Der Philosoph Solger schreibt am 2. Dez. 1810 an Raumer: „Ich stimme ganz dafür, daß das neue Auftreten A. Müllers auffordert, diesem rhetorischen und wahrhaft sophistischen Geschwätze einen Damm entgegenzustellen. Es ist ein rechter moderner Sophist, und seine Schreibart gehört recht zur c o l a c e i a im attischen Sinne. Ich halte mich dabei hauptsächlich an seine philosophischen Ingredienzien, thun Sie dasselbe in Hinsicht der praktischen. Schon diese untreue Vermischung beider Arten, die ich überall in ihm finde, ist recht in der Art der d h m o c o p w t.“ Vgl. Raumer, Lebenserinnerungen 227, Dorows Denkschriften III 215ff. Und über Kleist schreibt Solger an Raumer am 31. Dez. 1810: „Die Abendblätter gehen also zurück? Ich muß Ihnen sagen, daß ich Kleist sehr lieb gewonnen habe, seitdem ich seine Erzählungen und Käthchen von Heilbronn gelesen habe. Besonders in dem letzten steckt ein großer Fonds von poetischem Geist. Manches darin kann ich geradezu vortrefflich nennen. Ich bin gewiß nicht zu freigebig mit solchen Urtheilen, aber ich muß ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen.“ (Solgers nachgelassene Schriften und Briefwechsel, hrsg. von Tieck und von Raumer 1826, I 207.) Solger und Tieck planten eine gemeinsame Herausgabe von Kleists Nachlaß. Vgl. ihr Briefwechsel S. 424, 490, 544, 558ff., 565, 595.
\1\ Raumer irrte also, wenn er behauptet, der Staatskanzler habe sich geweigert, unter seinem Namen eine derartige Verfügung zu erlassen.
\1\ Das Morgenblatt vom 19. Jan. 1811 bringt S. 68 die Notiz: „Die Abendblätter erscheinen jetzt im Kunst- und Industrie-Comptoir; der erste Verleger (Hitzig) hat sie aufgegeben aus Mangel an Teilnahme von seiten des Publikum.“
\2\ Also nicht weil „diese Herren dergleichen nicht gefunden oder nicht daran gedacht hatten, die Wünsche des Herrn v. Kleist zu erfüllen“, wie Raumer (230) behauptet.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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