Ludwig Tieck (Hrsg.), Heinrich von Kleists hinterlassene Schriften (Berlin: Reimer
1821), Vorrede, LXVI-LXX
Prinz Friedrich von Homburg
Schon in verschiedenen Perioden unserer Literatur hat man, aus richtigem Gefühl,
ein Verlangen nach ächt vaterländischen Geschichten und Darstellungen gehabt. Die
Poesie, wenn sie sich dieser Gegenstände bemächtigt, büßt darum ihre freie Schönheit
nicht ein, sondern erhöht an ihnen ihre Kraft und Größe. Wie müssen alle Nationen den
Engländern ihren Shakspeare beneiden, der nur darum so als unerreichtes Vorbild dasteht,
weil er so ganz Engländer war, wie keiner seiner Zeitgenossen: deshalb gelang es ihm, in
seinen vaterländischen Schauspielen sich und seinem Volke ein unvergängliches Denkmal zu
bauen. Ein großes Talent unserer Nation begeisterte sich und seine Zeitgenossen für
Deutschland, aber es war ein erträumtes, erfundenes Land und Volk, dem nichts in der Zeit
entsprach, bis Göthe mit seiner unvergleichlichen Dichtung hervortrat, und uns
<LXVII:> zeigen konnte, wo und wie wir waren, wie wir empfanden, was diese Vorzeit
gewesen sei. In allen seinen übrigen Werken hat er sich als Dichter verkündigt, der nur
als ein Deutscher ein solcher sein kann; wir wissen nun durch ihn, was unsere Literatur
ist und wohin sie streben soll. Er erregte früher und später andre Talente, die etwas
Aehnliches leisten wollten, und es wäre unbillig, Dichtungen wie den Otto von
Wittelsbach, Kaspar den Thorringer und Agnes Bernauer ganz zu
vergessen, in denen sich ein edles Feuer ausspricht, und starke Liebe des Vaterlandes.
Hier kämpft aber offenbar ein zu kleines, provinzielles Interesse mit dem wahren großen,
und überwindet es, so wie die Dichter in ihren Schöpfungen nicht mehr originell sind;
sie wollen Göthe und eben so oft Shakspeare nachahmen, wodurch diese und manche andre
Produkte jener Zeit ihre Klarheit verlieren.
Da im Prinzen von Homburg dies Gefühl rein, und die Aufgabe poetisch durch ächte
Begeisterung gelöst ist, so darf man hoffen, daß dieses Gedicht nicht nur die Deutschen
überhaupt, sondern auch vorzüglich die Landsleute des Verfas- <LXVIII:> sers
interessiren wird. Könnte das neue Theater in Berlin wohl auf eine würdigere Art
eröffnet werden, als mit diesem Schauspiel, welches das Land, die Stadt, die Regenten und
das Glück des geliebten Fürstenhauses auf so einfache Weise verherrlicht? Durch ein
Werk, welches zugleich an den Enthusiasmus mahnt, der das preußische Volk so stark und
siegend gegen den übermächtigen Feind machte, eine glänzende Periode der neuen
Geschichte, deren Schimmer noch erfreulich strahlt? Wäre Kleist noch unter uns, und
wollte zu einer Feyer, von der man doch wünschen muß, daß sie würdig geschieht, ein
eigenes Schauspiel dichten, er könnte es nicht glücklicher ersinnen.
Die Art, wie der Verfasser das Vergehn des Prinzen motivirt, ist neu
und merkwürdig, und hieran knüpft sich noch eine Betrachtung, mit der der Herausgeber
diese Bemerkungen beschließen will. Die Vorliebe für gewisse Darstellungen, die
außerhalb der Natur liegen und deshalb unwahr sind, ist in diesen Blättern einigemal
bemerkt; es ist die Schwäche, durch welche Kleist mit seinen jungen Zeitgenossen, über
welche er sonst weit hervorragt, zusammenhängt. Er hat diese Stimmung auch in dieses sein
reifstes Werk aufgenommen <LXIX:> sie aber so künstlich und weise benutzt, daß
dasselbe Schauspiel, welches ganz im strengen historischen Styl gezeichnet ist, durch
seinen Anfang und das Ende zugleich den Charakter eines wundersamen Märchens gewonnen
hat, ohne an seiner Würde und Einheit zu verlieren. Der Prinz erscheint zuerst als
Nachtwandler, sein verehrter Fürst, seine Geliebte, für die sein Herz im Geheimen
brennt, werden ihm zu Traumgestalten, als sein Freund ihn erweckt. Ueberschüttet und
verwirrt von Gefühlen, indem sich ihm Wahrheit und Phantasie unbegreiflich vermischen,
ist er nicht im Stande, den entworfenen Plan der Schlacht zu fassen, und voll von seinem
Glück will er am folgenden Morgen das kühnste wagen. Die Schlacht selbst, die musterhaft
gemahlt ist, beginnt, der Prinz wird von einem heroischen Wahnsinn ergriffen,
überschreitet den Befehl, den er nicht gehört hat und stürzt zum Siege fort. Er hat ihn
wirklich erfochten, aber anders, und nicht so vollständig, als der Churfürst ihn
vorgeschrieben hatte, und der Herr selbst ist gefallen; die Churfürstinn läßt sich ihr
ganzes Unglück bekannt machen, als der Prinz, noch siegestrunken hereintritt, und bei
diesem Schlage des Schicksals sich in seiner ge- <LXX:> steigerten Kraft als
Schützer und Befreier des Landes, als Vormund der Fürstinn, als glücklichen Verlobten
Nataliens fühlt. Er ist immer noch im Traum und Nachtwandeln, und in diesem Wahn
erscheint er sich als ein Heros des Alterthums. Mit dieser Empfindung, welche auch nicht
kühler wird, als er das Leben des Fürsten, den rührenden Tod Frobens erfährt, eilt er
nach Berlin. Seine erste Aeußerung, als man ihm Arrest ankündigt, ist Trotz und
Bitterkeit, es befällt ihn, und er widerstrebt der Begegnung wie einem unzeitigen Scherz,
einer übel angebrachten Pedanterie. Diese Stimmung beherrscht ihn auch im Gefängnisse,
bis es seinem Freunde endlich gelingt, ihn von der Möglichkeit seines Todes, vom Ernst
des Churfürsten zu überzeugen.
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