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Ludwig Tieck (Hrsg.), Heinrich von Kleists hinterlassene Schriften (Berlin: Reimer 1821), Vorrede, L-LVI

„Robert Guiskard“ und „Die Herrmannsschlacht“


Robert Guiskard, von dem das Fragment hier wieder abgedruckt ist, welches im Phöbus erschien, wäre wohl, wenn der Dichter alles so vortrefflich durchgeführt hätte, wie dieser meisterhafte Anfang sich darstellt, des Dichters vorzüglichstes Werk geworden. Dieses Fragment erscheint hier in dem poetischen Nachlaß des Dichters noch einmal, um auf seine Vorzüglichkeit aufmerksam zu machen. Nach dieser Probe durften wir eine große und wahrhafte Tragödie erwarten, und der Verfasser hatte wohl Recht, unter allen seinen Arbeiten auf diese das größte Gewicht zu legen. Es ist ihm nicht vergönnt worden, sie zu vollenden, und wir müssen beklagen, daß sie uns <LI:> auch nicht in einer unreiferen Gestalt geblieben ist, da er sie vernichtet hat.
Die Gedichte, die dieser Nachlaß zugleich noch enthält, sind meist schon gedruckt gewesen, manche, die dem Herausgeber zu unbedeutend schienen, wie einige Epigramme, die im Phöbus abgedruckt waren, sind nicht mit aufgenommen worden. In vielen dieser Lieder spricht sich ein edler Geist und ein fester, männlicher Charakter aus, manche beziehn sich auf die Zeitumstände, in einigen glüht die Flamme eines großartigen Hasses gegen den Feind des Vaterlandes.
Dieser heilige Zorn, wie er vielleicht nur wenige Herzen begeisterte, sammt dem Gefühl der Noth und des Unglücks seines Vaterlandes waren es, die den Dichter antrieben, das großartige Gemälde, „die Hermannsschlacht“, zu entwerfen. Ein berühmter Dichter unserer Nation hat diese Begebenheit schon in einem Schauspiele dargestellt. Das Schönste in seinem Werke sind die lyrischen Gesänge der Barden, auf welche er auch den größten Fleiß gewendet und sie recht eigentlich in den Vorgrund gestellt hat. Kleist hatte nicht die Absicht, jene alte Zeit, ihre Charaktere und Verhältnisse auszumahlen, sondern, was ei- <LII:> nem Dichter eben so natürlich und erlaubt ist, er sah, von der Gegenwart bedrängt und begeistert, in ihrem Spiegel die Vorzeit, er nahm diese nun als Bild seiner Zeit und der nächsten Verhältnisse, so knüpfte er seinen persönlichen Haß und seine lebendige Liebe an alte Namen, und hielt seinen Zeitgenossen das Conterfey ihrer selbst und ihrer Schicksale vor. Diese Art, die Geschichte zu nehmen, ist am wenigsten am dramatischen Dichter zu tadeln, wenn er nur von seinem Gegenstande, auf eine große Weise ergriffen und ganz von ihm durchdrungen ist: denn der Schauspieldichter soll ja die Vergangenheit in nächste Gegenwart verwandeln, und ein solcher Geist wie Shakspeare sieht die Vorzeit auch ohne große Anstrengung persönlich vor sich, er begreift das Fernste, indem er das Nächste ganz verstanden hat: und so kann auch wohl ein Talent, das nicht diesen universellen Umfang hat, indem begeisternde Stimmungen durch den Drang der Gegenwart ihn mit dieser mehr vertraut machen, als es außerdem geschehn sein würde, sich erheben und seine Zeit und die Vorwelt so kühn und schöpferisch verknüpfen, daß durch eine großartige Porträtmalerei sich sein Werk zu der Würde eines historischen Schauspiels er- <LIII:> hebt, das seiner Umgebung und der Zukunft erfreulich und lehrreich wird. Dies scheint mir in diesem Hermann gelungen. Des Helden großer unbezwinglicher Haß, seine feurige Liebe zu Deutschland und seiner Gattinn, seine Klugheit, ja List im Einklang mit einfacher Biederkeit, seine Laune, seine tiefe Rührung und Erschütterung, die oft plötzlich hervorbricht, – alles dies ist trefflich und in ergreifenden Zügen gemahlt. So die Uneinigkeit, Eifersucht, und wankende Tugend der untergeordneten Gestalten; Marbods großer Sinn, Varus Römer-Anstand und Stolz, wie die geschmeidige Hinterlist der römischen Politik. Hier ist nichts, was uns hindert uns Hermanns Leben, sein Hauswesen, die Deutschen jener Zeit und Varus Untergang ganz so zu denken, wie es uns der Dichter vorgestellt hat, – und zugleich sehn wir mit rührender Ueberraschung, daß nur von uns selbst und eignem Drangsal des Vaterlands die Rede ist, von unsern Hofnungen und allem Herrlichen und Traurigen unserer Tage. Das Bild ist so kenntlich, daß der Dichter sein Werk deshalb bei seinen Lebzeiten nicht durfte drucken lassen.
So trefflich und hinreißend die Darstellung ist, so schadet dem Werke doch einiges bedeutend, <LIV:> weil es entweder zu schwach oder auch zu stark ist. Ungenügend ist der Schluß, vorzüglich dadurch, daß eigentlich nicht Hermanns, sondern Marbods Schlacht das Schicksal der Römer entscheidet; der Hauptmangel aber ist, daß wir von der Schlacht selbst nur weniges sehn. Zu grell ist die Art, mit der Thusnelda ihre Rache am Ventidius nimmt, und es ist besonders zu tadeln, daß der Dichter diese Scene mit zu großer Vorliebe ausgemahlt hat, die er eher, als diese große entscheidende Schlacht hätte in den Hintergrund stellen können. Der Dichter hat aber eine Neigung für dergleichen schroffe Stellen, die, eben weil sie so stark den Virtuosen beurkunden, sich niemals ganz in die Töne des übrigen Gemäldes wollen vermahlen lassen. Bei weitem schlimmer noch ist aber die vierte Scene des vierten Aktes, (S. 182) in der der Verfasser eine uralte Geschichte in sein Schauspiel verwebt, ohne daß man die Nothwendigkeit dieser gräßlichen Episode fühlt. Manche zu zärtliche Leser werden auch die jovialen, halb lustigen, halb schmerzhaften Gespräche Hermanns mit seiner Gattinn, so wie das Diminutiv Thuschen, und mehr dergleichen anstößig finden, weil sie die Vorzeit in einem gewissen vornehmen Ge- <LV:> wande erblicken wollen, oder in einen dichten Nebel von ruhmrediger Tapferkeit, phrasensprechender Liebe und süßlicher Frömmigkeit gehüllt, wovon freilich, wie von der Sentimentalität, unser Dichter so gar nichts wußte, daß er andern Geistern eben deshalb um so mehr gefallen wird.
Sprache und Verse sind in diesem Gedicht freier, als in allen übrigen Stücken des Verfassers, er kümmert sich zuweilen gar nicht um den gewöhnlichen dramatischen Jambus, bald mehr, bald weniger Füsse; dadurch erhalten viele Stellen einen heroischen, hymnenartigen Rhythmus, zuweilen aber scheint die Abweichung auch nur aus Eil hervor gegangen zu sein, und der Verfasser hätte vielleicht manchen Vers und manche Ausdrücke in Zukunft verbessert.
Wenn ich eben von Porträtmalerei in diesem Schauspiel spreche, so muß man mich nicht so verstehn, als meine ich, man könne zu jedem Charakter des Gedichtes die Person in der jetzigen Zeit auffinden, so kleinlich konnte der Dichter nie arbeiten wollen, etwas so Verfehltes wäre nicht zu rühmen. Man sieht aber, daß vor dem Ausbruch des österreichischen Krieges 1809 dieses Stück schon vollendet war, daß die Aussicht auf diesen <LVI:> Krieg den Verfasser mit zu seinem Schauspiel begeisterte und daß er uns die Hoffnung und Furcht jener Tage, die Lage unsers Vaterlandes, den Wunsch und die höchst schwierige, aber dennoch mögliche Rettung zeigen wollte.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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