Reinhold Steig,
Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), III-VII
Vorwort.
Dies Buch habe ich
geschrieben, weil es mir, in meinem Sinne, nothwendig war.
Es behandelt das Emporkommen, Kämpfen und Unterliegen der
Berlinisch-Märkischen Romantik vor den Freiheitskriegen. Nicht
eine Person, die geistig herrscht, vielmehr eine geschlossene
Vereinigung von Männern, die in Einem Sinne thätig sind, erscheint
vor unseren Blicken. Mitten unter ihnen an sichtbarster Stelle
aber steht Heinrich von Kleist. Von ihm, als dem Vorzüglichsten,
nimmt das Buch seinen Namen.
Es war eine Zeit voll Kampf und Leben vor den Freiheitskriegen.
Welch ein Zusammenstrom bedeutender Männer in Berlin, die
der Eine Gedanke nur beseelte, ihr engeres und das allgemeine
Vaterland einer neuen Entwickelung entgegen zu führen. Schon
haben Stein und Hardenberg, Scharnhorst, Gneisenau, Clausewitz,
Boyen und andere ihre Biographen gefunden, die für die Aufgabe
gerüstet waren. Die für die Königin Luise zu liefernde Arbeit
liegt in den Händen, die sie leisten werden. Treitschkes
Geschichte der ganzen Zeit bleibt das Buch, in welchem das
preußische Volk sein Leiden und Ueberwinden, seine Hassen
und Lieben historisch wiederfindet. Treitschke empfand, daß
politische und militärische Kraftentfaltung bei uns nicht
ohne die Parallelwirkung von Glaube und Phantasie, Kunst und
Wissenschaft möglich sei. Er hat das Allgemein-Geistige beim
Aufbau des Politischen nicht entbehren können. Wie sind Heinrich
von Kleist und andere preußische Dichter aus dem Bücherdasein
frei gemacht und als <IV:> handelnde Personen auf die
Bühne der vaterländischen Politik gestellt worden. Auch die
litterarhistorische Arbeit muß, das ist meine Ueberzeugung,
dieselbe enge Fühlung mit der allmächtigen Geschichte suchen.
Sie empfängt die Aufgabe, in dem Drama der Jahre 1806 und
1813 die Rollen zu ermitteln, die den preußischen Dichtern
zugewiesen waren, und von der litterarischen Seite aus an
der historischen Erkenntntniß der geahnten Zusammenhänge mitzuwirken.
Kleist lebte seine beiden letzten, reifsten und arbeitsvollsten
Jahre in Berlin. Welche folgenschweren Ereignisse drängen
sich gerade in diese Jahre 1810 und 1811 zusammen. Hardenberg
wurde an die Spitze aller Geschäfte berufen. Seine Reformen
gestalteten Preußen um. Jeder bedeutende Mensch damals war
genöthigt, für oder wider sie Parthei zu nehmen. Davon hingen
Lebensschicksale ab. Wir haben zu fragen: wie stand Kleist
in seiner Zeit? wie seine Freunde? welche Folgen ergaben sich
daraus für sie? Die Antwort schien mir noch zu fehlen: aus
Gründen, die verständlich sind.
Die rege und verdienstliche Beschäftigung mit Kleist
ist auf dem Wege fortgeschritten, den Ludwig Tieck ihr vorgezeichnet
hat. Tieck wollte Kleist als Dichter neu erscheinen lassen.
Er wußte wohl, welche Stellung Kleist in den politischen und
geistigen Berliner Kämpfen eingenommen hatte. Aber ein Jahrzehnt
war seitdem erst vergangen. Die meisten derer lebten noch,
denen sein und seiner Freunde Kampf gegolten hatte. Wollte
Tieck dem Andenken Kleists jetzt schon einen Dienst
erweisen, gegen den nicht sofort die alten Gegnerschaften
sich erhöben, so blieb nichts übrig, als sie, wie wenn sie
nie vorhanden gewesen wären, gänzlich aus dem Spiel zu lassen.
Tieck versetzte die Dichtungen Kleists gleichsam auf
neutralen Boden. In diesem Sinne sind seine Ausführungen zu
Kleists Leben und Werken meisterhaft.
Das Verfahren, welches in Tiecks Hand sich segensreich
erwies, verlor jedoch in der litterarischen Tradition allmählich
<V:> seine Kraft. Aus Gründen äußerer Vollständigkeit
wurde zwar eine Ergänzung der Schriften nach der politischen
Seite hin angestrebt. Viel mehr Material, als Tieck besaß,
kam mit der Zeit zusammen. Aber die Verflüchtigung des eigentlich
Kernhaften in Kleists Wesen, Person und Poesie ging
weiter. Er blieb ausgehoben aus dem Erdreich seiner mit Staat
und Freunden unauflöslich verbundenen Existenz, und als Einzelwesen
in eine bloß litterarische Atmosphäre gerückt, in der er nie
mit vollem Zug geathmet hat. Wir aber wollen Kleist, wie er
fest an seiner Stelle stand und wirkte, wieder haben. Keine
Empfindelei, wie die der Verse auf seinem Grabstein, soll
uns den kräftigen Widerhall der Schritte verdrängen, mit denen
er durch die Straßen der preußischen Hauptstadt schritt. Es
ist eine irrige Geschichtsconstruction, als gleiche die Reihe
seiner Berliner Tage einem stäten Absinken zur allerletzten
Stufe, von der nur noch der Absturz in die Tiefe übrig blieb.
Nicht als ein dem Verhängniß bereits verfallener Mann, nein,
frisch und gesund erschien er unter den Seinigen in Berlin,
kindergut, arm und fest.
An der Seite gleichgesinnter Freunde trat er in die
Berliner Kämpfe jener Tage ein. Sie vertheidigten das historische
Princip gegen den ungeschichtlichen Geist der Revolution.
Sie bekämpften die alte Berliner Aufklärung, die sich den
neufranzösischen Ideen ergab. Sie stellten christliche Frömmigkeit
und christlichen Glauben als die Mächte hin, ohne die kein
Heil möglich sei. Sie forderten den Krieg wider Napoleon als
Nationalangelegenheit, um der geschichtlichen Bestimmung der
preußischen Monarchie freie Bahn zu schaffen. Die christlich-deutsche
Tischgesellschaft, zu welcher Adel und höheres Bürgerthum
die Mitglieder lieferten, wurde die Vereinigung der neuen
Patriotengruppe. Als publicistisches Kampforgan setzten sich
gegen alle Widerstände die Berliner Abendblätter durch.
In diesen Blättern, aber nicht in ihnen allein, spielten
sich die Berliner Kämpfe Heinrichs von Kleist und seiner
<VI:> Freunde ab. In der Politik kämpften sie gegen
Hardenberg, im Theater gegen Iffland, in der Kunst gegen die
Berliner officielle Kunst. Einzelne Capitel sind dazu bestimmt,
diese Bewegungen darzustellen. Universität, Schul- und Erziehungswesen
behandelten die Freunde gleichfalls im altpreußischen Sinne.
Die gesammte, das Reformwerk Hardenbergs Schritt auf
Schritt begleitende Oppositionsthätigkeit veranlaßte den Staatskanzler,
die Berliner Abendblätter zu erdrücken.
Zwischen und neben dem Politischen schoß das Litterarische
auf. Dies fordert jetzt seine Darstellung. Erst betrachte
ich allgemeine Erscheinungen, wie die Anekdote, das Epigramm,
Berichterstattung und Nachrichtendienst auf Inhalt, Herkunft
und Verfahren Kleists. Nun treten seine Freunde und
Mitarbeiter einzeln hervor. Ich erörtere den Zusammenhang
ihrer Arbeiten unter einander wie mit denen Kleists,
und suche die Spuren aufzuweisen, die Kleists eigenwilliges
Eingreifen in den meisten hinterlassen hat. Nun darf auch
Kleists eigene litterarische Arbeit, die während der
Berliner Jahre von staunenswerthem Umfang war, aufgerollt
werden. Der geistige Besitzstand der Freunde verschiebt sich
und nimmt zu. Den Schriften Kleists, aus denen manches
Unechte wieder auszuscheiden ist, kommt schon jetzt eine beträchtliche
Reihe Neuerwerbungen zu.
Die Kämpfe dauerten fort, auch nachdem die Abendblätter
zu Grunde gerichtet worden waren. Brentanos Philisterabhandlung,
aus der christlich-deutschen Tischgesellschaft hervorgehend,
entfachte sie von neuem. Auf Achim von Arnim fielen heftige
Angriffe, öffentliche und heimtückische, die in der damaligen
dramatischen Litteratur sich abdrückten. Dann auf Kleist und
die ganze in ihm vertretene Richtung.
Inzwischen kündigte sich der französische Krieg gegen
Rußland an und lenkte den Blick von den inneren Zuständen
ab. Die Berliner Patriotengruppe ging aus einander. Kleist
ließ sich reactiviren in der Hoffnung eines preußischen Waffen-
<VII:> ganges gegen Napoleon: das Bündniß mit Napoleon
kam zu Stande. Fast einsam sitzend in Berlin, knüpfte Kleist
die Freundschaft mit der Familie Vogel eng und enger. Vogel
war Mitglied der christlich-deutschen Tischgesellschaft. Die
zwischen Kleist und seiner Freundin gewechselten Blätter,
welche erhalten sind, erscheinen als die Zeugen eines schöngeistigen
Verkehrs im Rahmen der damaligen Litteratur. Unsägliche Schmach
ergoß sich aus gegnerischer Feder über den todten Kleist.
Mit dem Nachweis, wie und wo Adam Müller, Arnim, Fouqué für
den Freund, dem sie die Treue hielten, öffentlich oder in
ihren Werken vertheidigend eintraten, schließe ich. Es fällt
ein Blick auf Heinrich von Kleists menschliche Unsterblichkeit.
Zum Kampfe gehört Gegnerschaft. Deshalb kommen Kleists
und seiner Freunde Gegner auch zu Worte, um Inhalt und Werth
des Kampfes selber mitzubestimmen. Das Buch möchte nicht bloß
einen Theil, sondern die Gesammtheit der Bewegung fassen.
Es will ein Stück vom geistigen Leben Berlins darbieten. Verschiedene
Ausgangspuncte sind für den Eintritt in die Vergangenheit
möglich. Indem ich vom Litterarischen ausging, empfand ich
die Hinzunahme des Politischen als eine Unerläßlichkeit für
mich. Wer umgekehrt vom Politischen ausginge, würde nicht
ohne das Litterarische fertig werden. Deswegen wendet sich
das Buch nicht an den Litterarhistoriker allein, sondern auch
an den politischen Historiker, an den Historiker schlechthin:
an Den, der geschichtlichen Sinn hat für die nationale Entwickelung
unseres Volkes und Vaterlandes.
Berlin-Friedenau, 27. April
1901.
Reinhold Steig.
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