Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 676-693
4. Das Eintreten der Freunde
für Kleist.
Die Schändung des todten Kleist rührte doch die Freunde auf. Erst hatten sie
geschwiegen, weil sie öffentlich nichts über eine That sagen konnten, die sie nicht
billigten. Sie saßen alle fern von Berlin und außer Verbindung mit einander. Erschrocken
fragte Reichardt aus Giebichenstein, der den letzten Winter in Berlin zugebracht hatte,
bei Frau Elisabeth Stägemann an (Erinnerungen 2, 238): Heute giebt mir eine
beunruhigende Nachricht in den Berliner Zeitungen die Feder in die Hand. Sie haben den braven
Heinrich von Kleist geschätzt wie ich, und an seinen geistvollen Schriften Vergnügen
gefunden; sagen Sie mir doch, wie ist die Nachricht von seinem sonderbaren Ende zu
verstehen, und wer ist die Person, mit der er gemeinschaftlich sein Leben freiwillig
geendet haben soll? Oder ist es vielleicht ein andrer als der Dichter jener interessanten
Erzählungen, deren angenehme Lectüre ich Ihnen verdankte, und mit dem ich selbst so
manchen frohen Abend in Ihrem Hause zubrachte? Sie verbinden mich sehr, wenn Sie mir
darüber mit der nächsten Sonnabend-Post ein beruhigendes oder wenigstens belehrendes
Wort sagen (10. December 1811). Brentano in Prag erhielt die erste <677:>
Nachricht von Savigny, und was wir bei Varnhagen lesen, der Brentanos Mittheilung an
Rahel schrieb (2, 192), wird ungefähr dem Wenigen entsprechen, was in Savignys
Briefe gestanden hatte: Rahel, die Adliche oft, den Adel nie liebte
(2, 10), war immer für Kleist und billigte sogar die That. Fouqué und
Jung-Stilling kamen in brieflichem Gedankenaustausche darin überein, daß Kleist, hätte
er den rechten christlichen Glauben besessen, vor dem Verderben bewahrt geblieben wäre.
Aehnlich empfand Adam Müller, seinem Briefe an Friedrich Schulz zufolge, und deswegen
nannte er die Art des letzten Briefes an seine Frau ein frevelhaftes Spiel, im
übrigen von der schmerzlichsten Theilnahme für Kleist erfüllt. Was Müller jedoch
vertraulich zu einem Freunde sagte, gehörte nicht vor fremde Leute. Diesen gegenüber
trat er für Kleist ein. Caroline Pichler berichtet in ihren Denkwürdigkeiten
(2, 236), wie Adam Müller in einer Gesellschaft die Geschichte des Vorfalls auf eine
Weise erzählt habe, welche genugsam zu zeigen schien, daß ihm das Verkehrte desselben
vor dem Grandiosen der Gesinnung verschwunden sei.
Kleists Freunde sahen
ein, daß sie doch das Wort ergreifen müßten. Sie entschlossen sich, für Kleist, so gut
es ginge, öffentlich einzutreten: Arnim, Fouqué, Adam Müller. Nun aber machten sie die
Erfahrung, daß ihr Einfluß nicht so weit reichte, wie ihr Wille. Nur eigentlich Adam
Müller ist die Vertheidigung Kleists gelungen, weil in Wien eine
gesinnungsverwandte Zeitung ihm ihre Spalten öffnete.
In Wien war damals, neben
Pilat, Friedrich Schlegel an der Herausgabe des Oesterreichischen Beobachters
mitbetheiligt. Mit Schlegel, an den auch Kleist brieflich Anschluß gesucht, und den er in
den Abendblättern ehrenvoll erwähnt hatte, knüpfte Adam Müller 1811 in Wien
persönlich an. Aus Müllers Feder, gezeichnet A. M., trat im Oesterreichi-
<678:> schen Beobachter Nr. 264, vom 28. September 1811, eine tiefe Würdigung
der Dichtungen H. J. von Collins hervor, dessen frühen und plötzlichen
Tod die Freunde beklagten. Von Adam Müller rührt nun auch, unerkannt bisher, der anonyme
Artikel über Heinrich von Kleist her, den der Oesterreichische Beobachter brachte.
Die Wiener Zeitung, auch der
Wiener Sammler und andre Blätter gaben ihren Lesern die Sensationsnachrichten über
Kleists Tod zum Besten. Der Oesterreichische Beobachter allein schwieg, weil
Friedrich Schlegel dieses Treiben nicht mitmachen wollte. Erst am 24. December 1811,
in Nr. 351, gab Schlegel eine zusammenfassende Darstellung, die er mit folgendem
Vorwort einleitete: Die traurige Begebenheit, welche sich vor ungefähr vier Wochen
in der Nähe von Berlin ereignete, beschäftigt seit einiger Zeit die Aufmerksamkeit des
Publikums. Dem Grundsatze treu, unseren Lesern mit der strengsten Gewissenhaftigkeit und
Wahrheitsliebe, alle Thatsachen zur Geschichte der Zeit zu liefern, schwiegen wir bisher
über diesen Vorfall, wartend, bis wir aus ächten Quellen eine durchaus wahre,
unverfälschte Darstellung eines Ereignisses mitzutheilen im Stande wären, welches
neuerdings beweist, auf welche Verirrungen und Abwege der Mensch durch Vergessenheit und
Hintansetzung alles höheren Glaubens gerathen könne! Nachstehendes ist ein
Auszug aus dem Schreiben eines der vertrautesten Freunde der Verstorbenen, der alle
hier angeregten Verhältnisse auf das genaueste kannte.
Dieser so gekennzeichnete
vertraute Freund war Adam Müller, dem, nach Stil und Inhalt, die nun folgenden
Ausführungen angehören:
Die Nachricht von dem
tragischen Ereigniß, welches sich am 21. November in der Gegend von Potsdam
zugetragen, <679:> ist, da bis jetzt nur einerseits mit unziemlichem Enthusiasmus,
andererseits mit empörender Entstellung der Thatsachen\*\, öffentlich davon gesprochen worden, so unvollkommen zur Kenntniß
des auswärtigen Publikums gekommen, daß eine kurze und wahre Darstellung der Sache den
Lesern Ihres Blattes gewiß nicht unwillkommen seyn wird.
Heinrich von Kleist,
durch großartige und originelle Versuche im Felde der tragischen Dichtkunst in
Teutschland bekannt, und durch eine wahre Schönheit der Seele, wie durch aufopferndes
Hingeben an alles Gute, Große und Gerechte, seinen wenigen Freunden unvergeßlich, hatte
längst eine Art von Unbehaglichkeit unter den Umständen seiner Zeit empfunden. Seine
teutschen Zeitgenossen waren ihres eignen Urtheils vielleicht nie weniger mächtig
gewesen, als da seine Werke erschienen: man strebte nach Ruhe, nach gewissen bequemen
Empfindungen, nach leichten schmeichelnden Berührungen des Herzens. Wie konnte ein
Dichter gefallen, der selbst keines oberflächlichen Gefühls fähig, die Zukunft zu
ergreifen, die Nation für den Schmerz zu erziehen, und für großmüthiges Hingeben an
das Vaterland und an die Freunde zu begeistern, also alle Wunden noch tiefer aufzureißen,
mit jugendlicher Ueberschwenglichkeit unternommen hatte. Sein Publikum ließ das gut seyn,
der Dichter ward an die Seite gestellt, und, wie alles Unbequeme, leicht vergessen. Dieß
hat ihm das Herz gebrochen, seine Kraft gelähmt, ihn getödtet lange vorher, ehe er den
verbrecherischen Entschluß faßte, den er zuletzt, nicht ohne Widerstreben seiner
besseren Natur ausführte.
Er hatte in den letzten
Tagen seines Lebens eine Frau kennen gelernt, die, mit vielen glücklichen Gaben des
Geistes <680:> und mit Anlagen zu jeder Tugend ausgeschmückt, zugleich musterhafte
Hausfrau und ihrem rechtschaffenen Ehemanne auf Tod und Leben ergeben war. Ihr einziger
Fehler war ein tiefes Mißtrauen in sich selbst, eine Unbefriedigung mit ihrem eigenen
Thun und Lassen, ein geheimer Widerstreit gegen die Verhältnisse dieser Erde, so wie sie
selbige kennen gelernt. Alle ihre äußeren Verhältnisse waren die möglichst
glücklichen, welches sie auch empfand, mit Dankbarkeit, obwohl nicht recht wissend, wem
sie dafür verpflichtet sei. Eine absolut unheilbare körperliche Krankheit kündigte sich
bei ihr an, und, da ihr zerrissener Gemüthszustand es ihr schon längst zweifelhaft
gemacht, ob sie eigentlich für diese Welt bestimmt sei, und ob sie ihre Familie so
beglücken könnte, wie sie es wünschte, so schien ihr nun das Räthsel gelöst. Sie
hatte sich schon mit dem Leben abgefunden, als sie dem unglücklichen Freunde begegnete,
der wie sie, über die Ansprüche des Lebens getäuscht, der wie sie, wenn ich mich so
ausdrücken darf, lange Zeit her den Todesgedanken als eine bloße Würze des
geschmacklosen Lebens betrachtete; der so vieles um sich her und alle Arbeiten seines
thätigen Lebens, fruchtlos hatte untergehen sehen, und, in der Gegenwart zu sehr
befangen, obwohl ohne unheilbare, körperliche Krankheit, gleichfalls das Ende seines
Daseyns und der Dinge, die ihn gereitzt hatten, deutlich herankommen sah. Ueber die
Tröstungen einer kurzen Leidenschaft, waren beide so weit erhaben, daß ich sie, um mich
der Welt verständlich zu machen, kalt gegen einander nennen muß. Es gab keine
Gemeinschaft zwischen ihnen, als die der herrlichen Anlagen, der Unwissenheit über ihre
höhere, göttliche Bestimmung, also der Verzweiflung und in den letzten
Stunden ihres Lebens eines gewissen tragischen Interesses aneinander.
Es folgen einige
thatsächliche Angaben über die näheren Umstände des Todes; dann heißt es weiter:
<681:>
Wie zwei der
ausgezeichnetsten Naturen, auf diese Weise alle göttlichen und menschlichen Gesetze
verachtend bei Seite setzen, und in frevelhafter Gemeinschaft die Thüre erbrechen
konnten, welche zu eröffnen der Himmel sich selbst vorbehält, bedarf keiner weiteren
Erklärung. Wenn sie auch die größte Charakterstärke bewiesen hätten, so ist das neben
dem Gesetze, welches sie verletzt, eine Kleinigkeit. Weit davon entfernt, sie zu
rechtfertigen, oder auch nur zu entschuldigen, klagen die hinterbliebenen Freunde
zuförderst sie aufs stärkste an. Dann aber ist es ihnen auch erlaubt zu sagen, daß das
Leben beider übrigens so rein und fleckenlos war, als es ohne den höheren Glauben, den
sie durch ihr Ende verläugneten, überhaupt seyn konnte; ferner, daß Kleist wahr, ohne
Falsch und ohne Ziererei irgend einer Art gewesen, und daß also seine That wenigstens
durchaus frei von dem theatralischen Lichte war, welches falsche Emphase einerseits und
Unverstand andrerseits darauf hat werfen wollen. Wie er es als tragischer Dichter gemeint
hat, und was er geleistet, und was also Teutschland an ihm verloren hat, wird, wie in
solchen Fällen gewöhnlich, erst die Zukunft zu würdigen wissen.
Adam Müller gab freilich
preis, was er nicht gut heißen durfte. Aber im übrigen bekennt er sich zur todten
Freundin und zum todten Freunde, an dessen Genius er unerschüttert glaubt, wie damals
zuerst, als er den Amphitryon Kleists ins Publicum hinaussandte. Er breitet einen
Hauch von Reinheit über Kleists und seiner Freundin Leben, darin einverstanden mit
dem Gewährsmann der Times, vom 28. December 1811, der nachdrücklich dem Gerüchte
widersprach, that love was in any respect the cause of this infortunate affair.
Achim von Arnim war in
Frankfurt, als Kleist aus dem Leben schied. Er hatte mit Bettinen eine Reise an den Rhein
<682:> unternommen, auf der sie bei Winkel das Grab der Günderode besuchten. An
Wilhelm Grimm schrieb er den 6. December 1811: Sage mir doch, aus welchem
Gesange der Edda ist folgende Stelle, die sich die verstorbene Günderode auf ihr Grab
setzen ließ und die jetzt schon vom Regen verlöscht ist; Schlosser sagte mir, sie wäre
aus der Edda: Erde, du meine Mutter &c.\*\. Die Stelle klang mir in diesen Tagen wieder an, wo ich von
Savigny Du kennst seine Briefkürze, die immer das Beste vergißt um das
Nothwendigste zu sagen die traurige Nachricht erhielt, daß sich Kleist,
nachdem er eine Frau Vogel, die ziemlich alt und häßlich, mit ihrem Willen erschossen,
sich selbst mit der Pistole umgebracht hat. Der arme Kerl, so wenig Freude mir seine
störrische Eigenthümlichkeit gemacht hat, er thut mir doch leid, er meinte es mit seiner
Arbeit so ehrlich wie wenige. Seine Erzählungen sind gewiß sehr brav und seinem
dramatischen Talente fehlte eigentlich nur ein Theater, das er geachtet hätte, indem es
sich für ihn interessirte. Goethes unglückliche Wahl des Zerbrochenen Kruges zur
Aufführung, als er aus Deutschland abwesend, der schlechte Erfolg dieser Aufführung
hatten etwas Herbes in ihm zurückgelassen: ebenso der schlechte Erfolg des Phöbus, der
sich doch offenbar vor den meisten Journalen auszeichnete: zuletzt wie ihm das Abendblatt
durch den Minister, der es fürchtete, vernichtet wurde: Mangel mag auch mitgewirkt haben.
Genug ursprünglich hat vielleicht keine Natur so weit gehabt, soviel Stufen bis zu dieser
Gewaltsamkeit übersteigen müssen. Im letzten Bande seiner Erzählungen soll eine
ähnliche Geschichte stehen wie sein Tod, es ist ein Tod wie Wolfdieterich, als ihn die
Gerippe aller derer todtschlagen, <683:> die er einst umgebracht hatte. Es ist
von den Erzählungen die Verlobung in St. Domingo gemeint, wo der französische
Offizier erst Toni erschießt, und dann sich mit dem zweiten Pistol die Kugel durch das
Hirn jagt.
Als nun das Morgenblatt Saul
Aschers schändlichen Artikel nach Frankfurt brachte, erkannte es auch Arnim als
seine Pflicht, etwas dagegen zu thun. Er wandte sich unmittelbar an einen der Redacteure
des Morgenblattes. Wahrscheinlich an Georg Reinbeck, einen Berliner von Geburt. Mit diesem
aber stand Arnim nicht auf gutem Fuße, weil er, zur Vossischen Parthei gehörig, von den
Heidelberger Romantikern verspottet worden war und sich seinerseits dafür gerächt hatte.
Arnim konnte nicht die Gefälligkeit Reinbecks, sondern nur das
Gerechtigkeitsgefühl desselben anrufen. Er wisse, daß der unsägliche Schimpf, der im
Morgenblatte über den armen Heinrich von Kleist ausgesprochen, nicht von ihm, sondern
wahrscheinlich aus einer jüdischen Feder komme, die schon oft das
Morgenblatt gemißbraucht habe. Peguilhens Anzeige sei nicht zu billigen; indessen
würde er, ungeachtet er mit ihm verfeindet sei, glimpflicher gegen ihn verfahren sein.
Betreffs des Selbstmords hege er mit Kleist nicht gleiche Ueberzeugung, wie die Geschichte
der Gräfin Dolores beweise, in der er sich bestrebt habe, diese Art der Verzweiflung zu
bekämpfen und in ihrer Leerheit zu vernichten\*\.
Nach diesen Erklärungen fordere er ihn als braven <684:> Mann, wie er ihm von
vielen seiner Bekannten gerühmt sei, auf, die folgenden Zeugnisse für den verstorbenen
Kleist (meinen verstorbenen Kleist, sagt Arnim) nicht als Aeußerungen von
Partheigeist, Schule oder freundschaftlicher Verblendung von sich zu weisen:
Kleist hat in seinen
früheren Jahren die Achtung und Liebe seiner Regimentscameraden genossen, ebenso hat er
in späterer Zeit, wo er einige Zeit unter dem nachmaligen Minister von Altenstein in
Civilgeschäften diente, das Lob und den Beifall desselben erworben. Aus beiden
Verhältnissen hat ihn nur der eigne Wunsch, seinen Dichtungen leben zu können, entfernt.
Wenige Dichter mögen sich eines gleichen Ernstes, einer ähnlichen Strenge in ihren
Arbeiten rühmen dürfen wie der Verstorbene. Statt ihm vorzuwerfen, daß er der neueren
Schule angehangen, wozu wohl kein Mensch so wenig Veranlassung gegeben wie Kleist, hätte
man eher bedauern müssen, daß er keine Schule anerkannt, das heißt, nur in seltnen
Fällen dem Hergebrachten und dem Urtheile seiner Kunstfreunde nachgab, vielmehr seinem
Eigensinne sich in dem Zufälligen ergab, was oft das Schöne und Tiefe seiner
Empfindungen entstellt. Die Festigkeit mit der er das Schicksal seines Lebens lenkte,
erklärt diesen Eigensinn sehr leicht, der sich in den Widerwärtigkeiten seines Lebens
durch das Gefühl der innern Kraft, mit der er sie ertrug, vermehrte.\*\
Das Morgenblatt hat aber von
Arnims Schreiben, zu <685:> Gunsten Kleists, nicht Notiz genommen:
ebenso wenig wie es Fouqués Eintreten für Kleist beachtete.
Ich entnehme die Thatsache,
daß auch Fouqué sich gegen das Morgenblatt gerührt hat, einem seiner Briefe aus
dem Frühjahr 1812 (Mittheilungen aus dem Litteraturarchive in Berlin 2, 96), wo es
heißt: Das Morgenblatt scheint meine Aufforderung wegen des darin abgedruckten
Schmähangriffs auf den edlen Todten nicht bekannt machen zu wollen. Weder
Fouqués Brief noch seine Vertheidigung Kleists ist im Original bisher
aufgetaucht: aber irre ich nicht, so ist dieselbe uns doch nicht ganz verloren gegangen.
In der Zeitung für die elegante Welt 1821 (Nr. 249 bis 253, 10. bis
28. December) veröffentlichte Fouqué einen Aufsatz über die drei
Kleiste: Ewald, Franz, Heinrich von Kleist. Was er hier, wie unabsichtlich in diesem
Zusammenhange, über Heinrich sagt, macht mir den Eindruck, als sei es im Wesentlichen
jener Aufsatz von 1812: wenigstens könnte damals Fouqué kaum anders geschrieben haben.
Heinrich von
Kleist, lesen wir da, hatte als Jüngling den Kriegsdienst ergriffen, und Gott
bescheerte ihm das Glück, sich gleich in den ersten frischen Jugendjahren dem Feind
gegenüber als Soldat zu versuchen. Die preußische Fußgarde, worin Heinrich von Kleist
im Jahre 1794 diente, hatte vorzüglich bei Trippstadt einen recht ernsten und
unversehenen Angriff des kühnen Feindes zu bestehen, den sie mit echt preußischer
Entschlossenheit zurückwies. Zu großen Hauptschlachten blühte der Kampf dieses Jahres
nicht auf; doch immer fanden die Kriegsleute Gelegenheit, vor sich und Andern ihre
freudige Todesverachtung darzuthun, und geehrt und geliebt von seinen Waffenbrüdern zog
nach geschlossenem Frieden der Jüngling Heinrich in seine Garnison Potsdam ein.
Anfänglich tändelte er heiter, wie es seinen <686:> Jahren und seiner
Lebhaftigkeit angemessen war, mit den blumenbestreuten Wellen des Lebens; aber auch da
schon ließ sich das Gold und wundersame Gestein in seiner verborgenen Tiefe ahnen, und
ward von edleren Geistern freudig anerkannt. Der Jüngling kam das Wie ist mir
unbewußt in Verhältnisse zu Wieland, der ihn ermunterte, seine poetische
Bahn fürder zu schreiten, wodurch natürlicher Weise Heinrich in eine polemische, beinahe
feindselige Stellung gegen Alles gerieth, was der damals sogenannten neuen Schule
angehörte, oder von ihr zu Tage gefördert ward. Was irgend Heinrich erfaßte, erfaßte
er mit gewaltiger Liebe und Kraft, aber eben deshalb auch mit einer gewissen
Ausschließlichkeit, die ihn oftmals verhinderte, das Gute und Schöne auf den Bahnen
Anderer zu bemerken, oder doch gehörig zu würdigen. Aber wo hat man je einen Jüngling
gefunden, der ohne diese liebende Einseitigkeit zu irgend einem Berufe tüchtig geworden
wäre? Folgerecht in diesem Sinne verließ er daher auch, als er die feste
Bestimmung zum Dichter in sich erfaßt hatte, den Kriegsdienst, um gar nichts mehr anders,
als Dichter zu seyn. Er bereiste die Schweiz, Frankreich und einen Theil von Oberitalien,
immer das Ziel des poetischen Lorbeers vor allem Andern im Auge. Doch rückgekehrt in das
Vaterland, einen bedeutenden Theil seines nicht großen Vermögens jenen Bestrebungen
geopfert habend, bewegten ihn sehr edle Rücksichten, eine Anstellung im preußischen
Civildienst zu suchen. Er bereitete sich mit aller Kraft seines Geistes und aller
Gewissenhaftigkeit seines Charakters auf die neue Laufbahn vor, und jener oben gepriesenen
und gerügten Einseitigkeit treu, meinte er, nun sey es mit dem Dichten für ihn aus, und
verbrannte seine poetischen Papiere. Nicht einmal ein Trauerspiel verschonte er, von
welchem ihm Wieland geschrieben hatte, das müsse er vollenden, und ob <687:> Berge
auf ihm lägen!\*\ Ja wohl mochten
jetzt Berge auf ihm liegen, dem glühenden Dichter, welcher in die Werkeltage des
bürgerlichen Lebens hineingetreten war, sich keinen poetischen Sonntag mehr
vergönnend! Das unglückliche Kriegsjahr 1806 schmetterte ihn aus seinen
selbstgeschmiedeten Fesseln hinaus, aber nur indem es Alles mitzertrümmerte, was ihm von
Jugend auf als lieb und ehrwürdig im äußeren Leben erschienen war. In
stiller Abgeschiedenheit brachte ihm die Muse Trost, und ganz ausschließlich dachte er
nun wieder, nur ihr zu leben. Da erfaßte ihn eine neue Strömung der verwilderten Zeit.
Mit noch zwei anderen ehemaligen preußischen Offizieren ward er ohne allen Grund dem
französischen Gouvernement zwischen der Elbe und Oder verdächtig, und man schleppte die
drei Unglücksgenossen als Staatsgefangene nach einem alten Schlosse an der
Schweizergränze Frankreichs. Daß der edle, aber in seiner Tiefe immer etwas
melancholische Geist diese Abgeschiedenheit nicht zum trüben Hinbrüten mißbrauchte,
sondern sich und die Welt in sich selbst rüstig verarbeitete, zeigte sein nachheriges
Wiederauftreten; doch mochte auch mit aus diesem Lebensumstande die ehrne, an Eigensinn
gränzende Strenge in Behauptung seiner Eigenthümlichkeit hervorgehen, die ihn späterhin
dem größern Publikum oft unverständlich, ja auch bisweilen dem tiefer eindringenden
Leser anstößig machte, und ihn zuletzt in den Abgrund eines frühen, selbstverschuldeten
Todes hineinriß. Einstweilen machte sein sinn- und liebevoller Freund, Adam
Müller, <688:> den edlen Gefangenen bekannt\*\
im Vaterlande durch Herausgabe seines Schauspiels Amphitryon nach Moliere, einer der
merkwürdigsten und anziehendsten Kampfübungen des germanischen Genius mit dem
neufranzösischen. Wie dem Komiker des Louis XIV. der Sosie die Hauptperson des
Ganzen ist, und er sich vorzüglich bemüht hat, ihn aus der Antike herüber recht
lebendig zu nationalisiren, allerdings mit ausgezeichnetem Erfolg,
so hat ihm der deutsche Dichter des 19. Jahrhunderts mit heiterer Anerkennung den
Sieg hierin ohne Weiteres überlassen, und begnügt sich in diesem Bezuge nur als Uebersetzer
aufzutreten. Wo es aber den Hauptgegenstand der Dichtung gilt, welchen Moliere als eine
frivole Galanterie leichthin und dennoch in moderner Förmlichkeit vor uns vorüberführt,
daß man dabei an die mythologischen Tapetenfiguren seiner Zeit denken muß,
Himmel, welch eine reiche Tiefe von Ahnungen ist da dem deutschen Dichter
aufgegangen, und in welch edlen Zauberzungen spricht er sich aus! Die
Dichtung ward durch eine eben so glänzende als gründliche Recension angekündigt in
einem allgemein anerkannten Blatt, aber die Deutschen, in ihr damaliges
Unglück, und überhaupt in die Politik wohl etwas mehr noch als billig, versunken, nahmen
von der poetischen Erscheinung des dritten Kleist wenig Notiz. Dennoch, als nun der Friede
die Bande des Dichters gelöst hatte, und er in Verbindung mit seinem Freunde Adam Müller
die Zeitschrift Phöbus herausgab, zeigten sich viele Gemüther von seinem etwas
schroffen, aber unaussprechlich genialen Auftreten ergriffen. In dem schönen Dresden, von
vielen edlen und begabten Freunden umgeben, <689:> goß er den reichen Strom seiner
Urne kühn und mannigfach dahin. Ach wohl seiner Urne! Denn eine tiefe Todessehnsucht,
eine lebensverzehrende Glut drang bedrohlich aus allen seinen Dichtungen hervor. Der sonst
so kraftvolle Mann war seiner Muse gegenüber eine zarte Semele, sie ihm ein lodernder
Zeus, und nicht der hohe kindliche Glaube des Christen vermochte den von den Philosophemen
seiner Zeit umstrickten Dichter zu stärken und zu mildern. Dazu nagte eine tiefe
Schwermuth über sein von den Fremden unterdrücktes Vaterland an seinem edlen Herzen. Er
strömte diese und die kurze Rettungshoffnung, durch den österreichischen Krieg von 1809
in ihm entzündet, in einigen herrlichen Liedern aus, die natürlicher Weise damals nur in
Manuscript umhergehn konnten. Als nun jenes herrliche Licht zwar ruhmvoll, aber doch für
den Augenblick noch erfolglos wieder untersank, nagte der Geier nur immer schmerzlicher an
dem Innern unsres dichterischen Prometheus. Zwar erhub er sich in Berlin, wo er späterhin
seinen Wohnsitz nahm, zu noch manch herrlichem Fluge zwar schloß er neue
Freundschaften und Verbrüderungen mit Dichtern und andern Schriftstellern
auch mit solchen, von denen ihn früherhin sein einseitiges Lieben entfernt hatte, aber
die Todessehnsucht besiegte alle Freuden des Lebens. Wie er im selbstgewählten Untergang
für diese Welt verschwand, weiß Jeder. Einen Schleier über dieses schmerzliche
Verschwinden, welchen nur der sichre Hoffnungsstern durchleuchtet: er starb nicht als ein
Frechverzweifelnder! Er starb als ein irregeleitetes, aber liebendes und sehnendes
Kind.
Aus einer allgemeinen
Schlußbetrachtung verdient noch beachtet zu werden, daß Fouqué seinen Freund als einen
kräftigen, aber nur im treuherzigen Lächeln seiner Augen anmuthigen Mann
bezeichnet. Nimmt man die Schilderungen der übrigen Freunde, Brentanos,
Arnims hinzu, so drängt <690:> sich die Ueberzeugung auf, daß das
gewöhnlich als das Portrait Kleists ausgegebene Bild (welches nach einem originalen
Jugendbildniß unter Nachhülfe Varnhagens, der den Dichter beinahe nie gesehen und
gekannt hat, zu Stande gekommen ist) Kleists Wesen bis zur Unbedeutendheit verflacht
hat.
Die noch frische Bezugnahme
auf den Wielandbrief, die 1821 fast nicht möglich war; die ausführlichere Darstellung
der Jugendjahre, mit Uebergehung des Käthchens, der Erzählungen, des Prinzen von
Homburg, was 1812, nicht 1821, geschehen durfte; die persönlich-intime Behandlung Adam
Müllers, die wiederum für die Zeit von 1812, nicht für die von 1821 paßt; die
polemische Schärfung der Worte über Kleists Tod dies alles verbürgt
mir für die Hauptzüge des Fouquéschen Artikels die frühe Abfassung, als
Erwiderung auf Saul Aschers Aufsatz im Morgenblatte. Natürlich wird Einiges 1821
für den neuen Zweck um- und ausgestaltet worden sein. Wie trifft Fouqué aber in den
wesentlichen Dingen mit Arnim, auch mit Müller, zusammen! Sie drei sprachen aus, was an
Wissen über Kleist in dem ehemaligen Freundeskreise der Abendblätter vorhanden gewesen
war.
Wenn auch Arnims und
Fouqués Zuschriften im Morgenblatte nicht veröffentlicht wurden, so haben sie doch
wohl mitgewirkt, daß der Herausgeber seinem Mitarbeiter einen fühlbaren Wink zum
Einlenken gab. Inzwischen regte sich auch von persönlich Unbetheiligten in öffentlichen
Blättern gegen das Morgenblatt der Widerspruch. Unter blinder Kanonade gegen den Angriff
eines Hallischen Journals, zog sich Saul Ascher (im Morgenblatt 1812 Nr. 47), wie
Fouqué es ausdrückte, mit trotziger Scheu zurück, auf eine ebenso gemeine Weise,
als er den Anfall begonnen hatte.
Fouqué hat fortgesetzt das
Andenken Kleists lebendig gehalten, indem er nachgelassene Blätter, in deren Besitz
er <691:> sich zu setzen wußte, veröffentlichte und auf Kleists Dichtergabe
hinwies; er trieb eine Art Freundschaftscultus mit Kleist, worin ihn Niemand schließlich
störte. Mit der größten Zartheit hat Achim von Arnim Kleists Angedenken in seinen
Werken bewahrt. Er schrieb 1811, daheim und in der Fremde, am Main und Rhein, die vier
wunderbaren Novellen, die er 1812 seinen Freunden Jacob und Wilhelm Grimm widmete. Die
andeutungsreichen Verse der Zueignung gelten den Berliner Kämpfen und Kampfgenossen. Den
Berliner wie den Kasseler Freunden hatte er die Novellen vorgelesen, darum durfte er von
seinem Buche sagen:
Es lebte seinen Tag und lebet
noch
Vom Beifall lieber Freunde,
die es hörten,
Jetzt sind sie weit
zerstreut, die Frohverehrten!
Einem grünenden Strauche, der das Licht der Sonne scheue und es doch brauche, vergleicht
der Dichter sein Novellenbuch. In Aphorismen spricht er sich über die künftigen Gegner
seines Buches aus:
Ich hör ganz nah im
Grün die Raupen nagen,
Woher die Brut in
solchen schönen Tagen?
Der Teufel brütet sie in
seinem Kasten,
Damit sie alles
Frühlingsgrün antasten,
Auf alle Blätter gleich ihr
Urtheil legen,
Und ehrlich thun, als
wär es Gottes Segen,
unbescheiden
So Gott, wie Menschen diese
Welt verleiden
Die schlimmsten sind die
Gallenthierchen kühn,
Die Dinte machen aus dem
ewgen Grün
<692:>
Wer nichts gelesen, hat doch
Uebersicht
Von all und jedem
möglichen Gedicht,
Und schwatzt von Mystik,
neuer Schul, Sonetten,
Das hängt dem Narren an dem
Kleid wie Kletten.
O könnt ich nur ein
Tröpflein Mystik finden
Im kritschen Meer voll
Nüchternheit und Sünden!
Und wieder an die Brüder Grimm, als an die Instanz, wo Wahrheit sei, sich wendend:
Ihre Freunde wißt, daß ich
von keiner Schule,
Daß ich um keines
Menschen Beifall buhle;
Ihr wißt, daß wir uns oft
um Wahrheit stritten,
Und keinen Irrthum an
einander litten.
In der gleichen Art, wie sich Arnim hier über Freund und Feind damals äußert, hat er
auch seine Kleist getreuen Gedanken in sein Buch hineingewebt. Ein Band umschlingt die
vier Novellen, daß sie wie zu Einer Kunstwirkung geschrieben scheinen. Seine Reise mit
Bettinen den Rhein hinab leiht Fäden und Farben zu dem Bande. Ihr Nachen gleitet zu der
Stelle, wo nicht viel Jahre zuvor ihre Freundin Caroline von Günderode ein edles,
musenheiliges Leben in schuldlosem Wahne endete. Nun entsteht unter Arnims Händen
die echte antike Amphibolie. Was er anscheinend von der Günderode sagt, gilt in Wahrheit,
je ehrfurchtsvollere Worte ihm entquillen, seinem verstorbenen Freund Kleist; ich
verwandle nur allein die Anrede in die masculine Form:
Armer Sänger, können
die Deutschen unsrer Zeit nichts, als das Schöne verschweigen, das Ausgezeichnete
vergessen, und den Ernst entheiligen? Wo sind deine Freunde? Keiner hat der Nachwelt die
Spuren Deines Lebens und Deiner Begeisterung gesammelt, die Furcht vor dem Tadel der
Heillosen hat sie alle gelähmt. Nun erst verstehe ich die Schrift auf Deinem Grabe, die
von den Thränen des Himmels jetzt <693:> fast ausgelöscht ist, nun weiß ich,
warum Du die Deinen alle nennst, nur die Menschen nicht! Und wir gedachten mit
Rührung dieser Inschrift, und einer sagte sie dem andern, der sie vergessen hatte:
Erde, du meine Mutter, und du mein Ernährer, der Lufthauch, heiliges Feuer, mir
Freund, und du o Bruder, der Bergstrom, und mein Vater, der Aether, ich sage euch allen
mit Ehrfurcht freundlichen Dank, mit euch hab ich hienieden gelebet und ich gehe zur
andern Welt, euch gern verlassend, lebt wohl denn, Bruder und Freund, Vater und Mutter
lebt wohl!
\*\ Adam Müller meint Peguilhen und
Ascher.
\*\ Die Stelle ist, wie Wilhelm Grimm sofort
erkannte, nicht aus der Edda: sie ist vielmehr Herder nachgebildet. Der Wortlaut folgt
unten S. 692.
\*\ Arnim meint die Stelle, wo Graf Karl, in
Verzweiflung über sein ihm vernichtetes Leben, auf dem Schützenfeste die Gräfin Dolores
neckend veranlaßt, ein Gewehr, das er ihr als ungeladen in die Hände giebt, auf ihn
abzudrücken. Der Graf erholt sich aus schwerer Krankheit, und nun weist Arnim im Roman
die Wege, auf denen sein Held die Verzweiflung überwinden und den Frieden der Seele sich
erringen könne.
\*\ Das Original fehlt bis jetzt. Im
Cotta-Archive ist es, laut gütiger Auskunft des Herrn Dr. Kröner, nicht
vorhanden, ein Beweis, daß es nicht an Cotta selbst gerichtet war. Arnim pflegte aber von
wichtigeren Briefen, die er schrieb, die Hauptstellen in einer Copie zurückzubehalten.
Die Copie des obigen Schreibens ist von Varnhagen aus der Arnimschen
Nachlassenschaft herausgenommen worden, und befindet sich jetzt auf der Königlichen
Bibliothek zu Berlin.
\*\ Ein sichrer Anklang an Wielands Brief
aus dem Sommer 1803 (an Ulrike S. 88), von dem wir eine Conceptstelle besitzen (bei
Bülow S. 37), wo der Satz lautet: Sie müssen Ihren Guiskard vollenden, und
wenn der ganze Kaukasus und Alles auf Sie drückte. Da das Concept zuerst 1824 in
einer Zeitschrift hervortrat, so muß Fouqué noch, durch Kleist selbst, Einsicht in den
Originalbrief Wielands erhalten haben.
\*\ Schon früher hatte Heinrich sein eben so
ungestümes als zärtliches Trauerspiel: Die Familie Schroffenstein, drucken
lassen, aber anonym; auch war es leider wenig bekannt geworden. (Anmerkung
Fouqués.)
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