Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 651-657
1. Heinrich von Kleists
Lage 1811.
Kleist hat in dem halben Jahre, das ihm nach der aufreibenden
Thätigkeit für die Abendblätter und der Zugrundrichtung derselben
noch verblieb, mit fast übermenschlicher Energie gearbeitet.
Einsam war er fast täglich von Morgen bis zum Abend zu Hause,
ohne Menschen zu sehen die ihm sagten, wie es draußen in der
Welt bestellt sei. So eigenkräftig schuf er sich seine
Welt. Es ist staunenswerth, was er geleistet hat. Er brachte
zunächst, durch Neubearbeitung, den zweiten Band der Erzählungen
zu Stande. Ebenso bei Reimer den Zerbrochenen Krug. Den Prinzen
von Homburg schrieb er ab, was gewiß nicht als mechanische Thätigkeit
aufgefaßt werden darf, um ihn druckfertig zu machen. Er steckte
tief in der Arbeit an einem auf zwei Bände wachsenden Romane,
der der Vollendung nahe rückte. Was würde dieses Werk enthalten
haben? Der Roman eines wahren Dichters ist stets im höheren
Sinne selbstbiographisch: der Werther, der Meister, die Epigonen
lehren das. Woher auch, als aus der Erfahrung des eigenen Lebens,
aus der Gestaltungskraft der eignen Phantasie, könnte der Dichter
seine Gebilde nehmen? Die Erfahrungen der letzten Berliner Zeit,
denke ich mir, würde <652:> Kleist, höhere Zusammenhänge
construirend, so ausgesprochen haben. Eben deswegen konnte er
den im frischen Verdruß gefaßten Plan, die Geschichte seiner
Abendblätter selbst zu schreiben und im Ausland zu veröffentlichen,
hinterher wohl fallen lassen. Aber alles Eigene, das er vor
der Vollendung abbrach, alles Material, das er aufgesammelt
hatte, ist von ihm vernichtet worden. Von der großen und wichtigen
Hälfte der Correspondenz, die in seinen Händen, allein der Abendblätter
wegen, muß verblieben sein, scheint nicht ein einziges Blatt
gerettet.
Ich
verfüge über zwei noch ungedruckte Briefe Kleists an Reimer.
In dem einen erklärt er sich für das Käthchen mit 80, ja mit
60 Thalern Honorar zufrieden: Reimer, der zu rechnen verstand
und dazu auch verpflichtet war, wird ihm schwerlich die höhere
Summe gezahlt haben. Für die Erzählungen waren ihm ebenfalls
nicht glänzende Bedingungen gemacht worden. In dem anderen Briefe,
aus dem December 1810, bittet sich Kleist, Angesichts der schlimmen
Lage der Abendblätter, das ihm für den zweiten Band der
Erzählungen zugedachte Honorar im Voraus aus. Er hat also das
ganze Jahr 1811 hindurch für seine größeren litterarischen Arbeiten
nur Einnahmen aus dem Zerbrochenen Krug gehabt, der ihm gewiß
nicht mehr als das Käthchen brachte. Wovon lebte Kleist also
1811? Von der Erträgen kleinerer Tagesthätigkeit für Zeitungen,
glaube ich. Seiner Familie, die tüchtig und ehrenhaft doch äußere
Erfolge sehen wollte, um an seinen inneren Fond zu glauben,
mußte er als ein Mitglied erscheinen, das aus der Art geschlagen
sei.
Kleist
sah ein, daß Dichten und Schreiben allein ihn nicht ernähren
werde, und suchte sich sicheren Boden unter die Füße zu schaffen.
Er wandte sich an Hardenberg, und nochmals an den König, um
Wiederanstellung im Civildienst, <653:> wenigstens um
Aussetzung eines Wartegeldes, eine Bitte, die nach Ausweis Hardenbergischer
Acten Vielen damals gewährt worden ist, und die daher auch für
Kleist nichts Ungewöhnliches haben kann. Ja, er bat Hardenberg
durch Raumer um Uebertragung der Redaction des kurmärkischen
Amtsblattes. Alles aber vergebens. Der Staatskanzler wollte
principiell nicht.
Aber
dennoch müssen sich viele einflußreiche Leute bei Hofe für Kleist
verwandt, und da im Civil keine Aussicht war, wieder auf das
Militär zurückgegriffen haben. Die Zeitumstände lagen für eine
Reactivirung Kleists günstig. Der König brauchte, Angesichts
der Rüstungen Napoleons zu dem russischen Feldzuge, Soldaten
und Offiziere. Der möglichen Wege, auf denen Kleists Sache
betrieben wurde, lassen sich einige noch erkennen. Im Königlichen
Schlosse wohnte Kleists zuverlässiger Freund, der Major
von Bülow, in der wichtigen Stellung eines Gouverneurs des Prinzen
Friedrich von Hessen. Ueber Clausewitz und Graf Chasot, mit
denen Kleist an der Tafel der christlich-deutschen Tischgesellschaft
gesessen hatte, führte der Weg leicht zu Gneisenau. 1810 ist
Kleist mit Gneisenau, der Berlin vermeidend nur bis in einen
Vorort kam, nicht zusammengetroffen. Wohl aber im Sommer 1811.
Im Sinne der Kriegsparthei war Gneisenau in einer vom König
eingesetzten Commission für den Bruch mit Napoleon und den Anschluß
an die militärische Hülfe Englands in Berlin thätig. Während
man, im August oder September 1811, auf Napoleons eignes
Erscheinen in Berlin gefaßt war, und die Patrioten mit banger
Sorge der Entscheidung entgegensahen, gewann Kleist den persönlichen
Anschluß an Gneisenau, diesen herrlichen Mann, bei
dem er, wie er berichtet, einen Abend in freier Entfaltung des
Gesprächs zubringen durfte: Ich bin gewiß, daß, wenn er
den Platz <654:> fände, für den er sich geschaffen und
bestimmt fühlt, ich irgend wo in seiner Umringung den meinigen
gefunden haben würde d. h. im Zusammenhange:
es wäre so gut, als hätte ich meinen Platz bereits gefunden.
Zu supponiren ist für die Briefstelle die herrschende Anschauung
der Patrioten, Gneisenau, der damals den Titel eines civilen
Staatsrathes führte, gehöre eigentlich als Commandeur an die
Spitze eines kämpfenden preußischen Armeecorps. Was heißt aber:
in seiner Umringung? Kleist war zu dem Zwecke zu
Gneisenau gekommen, um ihm ein paar politische Aufsätze,
die er ausgearbeitet hatte, zu überreichen: es war mir eine
schmerzliche Erkenntniß, daß Picks jüngste Publication
aus Gneisenaus Nachlaß kein Blatt davon zu produciren
vermochte. Sind die Aufsätze in den damaligen Zeitungen gedruckt?
wurden sie nicht gedruckt? Gegenüber der unconstruirbaren Lückenhaftigkeit
dieses Materials helfe ich mir mit einer Vermuthung, die sich
aus den Umständen ergab. Ich denke mir, daß Kleist in Gneisenaus
Gefolge, wenn es zum ersehnten Kampfe gegen Napoleon
kommen werde, nicht blos mit dem Degen in der Hand, sondern
auch mit Wort und Schrift für das Vaterland kämpfen sollte.
Gneisenau war entschlossen, nach dem spanischen Vorbild ganz
Preußen zu revolutioniren, und dazu brauchte er auch Federn,
die ihr Geschäft verstanden. Wer, als Kleist, war geeigneter
dazu? Ich glaube, daß Gneisenau für Kleist die erfolgreichen
Schritte that, wogegen Hardenberg gewiß keine Einwendungen erhob,
weil er auf diese Weise Kleist endlich los wurde. Wie Gneisenau
ritterlich zwischen Marwitz und Hardenberg trat, so konnte er
auch zwischen Kleist und Hardenberg treten.
Ich
bin in der Lage, zum ersten Male die Königliche Cabinets-Ordre
mitzutheilen, die an Kleist erging: <655:>
- Berlin, den 11. September 1811.
Ich erkenne mit Wohlgefallen den guten Willen, der Ihrem
Dienstanerbieten zum Grunde liegt; noch ist zwar nicht abzusehen,
ob der Fall, für den Sie dies Anerbieten machen, wirklich
eintreten wird, sollte solches aber geschehen, dann werde
Ich auch gern Ihrer in der gewünschten Art eingedenk sein,
und gebe Ich Ihnen dies auf Ihr Schreiben vom 7ten
d. M. hiermit in Antwort zu erkennen.
Friedrich
Wilhelm.
An den Heinrich v. Kleist
zu Berlin,
Mauerstraße
Nr. 53.
Die Cabinets-Ordre schlägt einen so gnädigen Ton für Kleist
an, wie jede früher an ihn oder in seinen Angelegenheiten
erlassene ungnädig gewesen war. Es hatten eben andre Leute,
wie Hardenberg, Kleists Sache in die Hand genommen,
ja sie so vorbereitet und gefördert, daß in kurzer Zeit
vom 7. bis zum 11. September 1811 schon des Königs
Zustimmung erwirkt werden konnte.
Leider
ist Kleists Schreiben an den König vom 7. September
1811 nicht mehr vorhanden. Wir würden aus demselben kaum
etwas Näheres über die Art des Dienstanerbietens
und des vorgesehenen Falles erfahren. Wahrscheinlich
wird das Schreiben auch in diesen beiden Punkten absichtlich
allgemein, wie die Cabinets-Ordre, gehalten gewesen sein.
Neben den amtlichen Formalitäten liefen, als das eigentlich
Entscheidende, mündliche Besprechungen her. An seine Schwester
schrieb Kleist, er werde entweder unmittelbar beim König
Adjutant werden, oder eine Compagnie erhalten. Es war doch
also in erster Linie eine allgemeinere Verwendung für Kleist
ins Auge gefaßt worden. Persönlicher Adjutant des Königs
konnte er, bei seinem Alter und seiner Charge, natür- <656:>
lich nicht werden; nur also seine Zuertheilung zum Königlichen
Hauptquartier kann gemeint sein. In dieser Eigenschaft aber
wäre seine Commandirung zur Dienstleistung bei Gneisenau
jeden Augenblick möglich gewesen, die jetzt, im Frieden,
formell unthunlich war, da Gneisenau als civiler Staatsrath
in keinem Militärverhältnisse stand. Eine einzige äußere
Spur giebt es für Gneisenaus Befaßtgewesensein mit
der Gestaltung des künftigen Geschickes Kleists. Während,
als alles vorbei war, die Behörden nur von dem früheren
Lieutenant Kleist sprechen, weiß Gneisenau allein
seiner Gemahlin von der Katastrophe des ehemaligen Gardehauptmanns
Kleist zu berichten.
Im
Besitze des allerhöchsten Schreibens, bat Kleist sofort
den Staatskanzler um einen Vorschuß von zwanzig Louisdor
zur Equipirung, ein wie ich aus Hardenbergs
Eingangsjournal ersehe damals nicht ungewöhnliches
Ansuchen, auf das aber, weil eben Kleist es stellte, keine
Antwort erfolgte. Man denke, der König antwortete in vier
Tagen! der Staatskanzler in zwei Monaten nicht! Kleist mußte
das Ausbleiben einer Antwort als eine Ablehnung empfinden,
auf die er aber wohl nicht unvorbereitet war.
Ein
Versuch, bei den Seinigen in Frankfurt sich Geld zu verschaffen,
scheiterte auch. Die Einberufung ließ auf sich warten. Was
lag ihm vielleicht auch noch an Wiederanstellung, nachdem
die Hoffnungen, mit denen er sie aufgenommen hatte, zu zerrinnen
begannen. Im October schwenkte die preußische Politik in
das der Kriegsparthei verhaßte Bündniß mit Napoleon ein.
Und wie Gneisenau, zwar leidenschaftlich, aber doch reservirt,
an Hardenberg 29. October 1811 schrieb: Nun sind
wir so weit gekommen, daß die höchste Gefahr für die Freunde
der guten Sache entsteht so bekannte Kleist
seiner Cousine ohne Umschweif am 10. No- <657:>
vember: Was soll man doch, wenn der König diese Allianz
abschließt, länger bei ihm machen? Die Zeit ist ja vor der
Thür, wo man wegen der Treue gegen ihn, der Aufopferung
und Standhaftigkeit und aller andern bürgerlichen Tugenden,
von ihm selbst gerichtet, an den Galgen kommen kann.
Kleist hatte also in der Hoffnung, gegen Napoleon
zu kämpfen, den Degen wieder ergreifen wollen, und jetzt
stand er, durch eine wunderbare Verschiebung der Dinge,
vor der Aussicht, ihn für Napoleon zu ziehen!
Die
neue militärische Charge, die er trotzdem nicht wieder abstreifen
konnte, verschärfte aber noch den schweren Conflict, mit
dem seine Seele damals rang.
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