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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 497-502

1. Frau von Staël.


Frau von Staël war damals die „berühmte“ Frau. Sie verfolgte mit ihren Schriften die Absicht, der französischen Welt die Augen für deutsches Geistesleben zu öffnen, dem deutschen Geiste französisches Terrain jenseits des Rheines zu erobern. In diesen Bestrebungen traf sie mit andern „Deutschfranzosen“, wie Constant und Charles de Villers, zusammen. So rein und ehrlich ihre Absichten waren: sie verkannten die große Lehre der Geschichte, daß zwischen principiell verfeindeten Culturmächten die letzte Entscheidung nur durch die Gewalt der Waffen, und nicht durch die der Bücher, herbeigeführt werden kann. Männer wie Adam Müller, Kleist, Arnim, die der Berliner Kriegsparthei zugehörten, stimmten nicht in den gewöhnlichen Zeitungston über Frau von Staël ein.
In Berlin war Frau von Staël seit 1804, wo sie es besuchte, wohl bekannt. Arnim hatte sich schon früher, 1802, in Genf bei ihr eingeführt, und glaubte ihr damals die Lobsprüche auf die deutsche Litteratur in der Vorrede der Delphine ausgepreßt zu haben; sie erneuerte später den Versuch, ihn in ihre Kreise zurückzuziehen. Kleist und Adam Müller, der im Phöbus sich mit ihrem schriftstellerischen Charakter und ihrem Romane Corinne ou l’Italie beschäftigt hatte, sahen sie dann, von Gentz empfohlen, 1808 in Dresden. La fête de la victoire ou le retour des Grecs, par Madame de Staël-Holstein steht an der Spitze des Juniheftes des Phöbus von 1808. Was Gentz (S. 107 des Briefwechsels) ihre „be- <498:> ständige, dunkle, trübe Reue über die Vergangenheit“ nennt und Adam Müller im Phöbus als „Melancholie, die sie sich um alles in der Welt nicht nehmen lasse“ bezeichnet: das bewährte den Dresdener Freunden der Eindruck, den sie persönlich von ihr empfingen. Zu freier gegenseitiger Anerkennung führte die Begegnung nicht.
Der Ertrag, den die Reise durch Deutschland der Frau von Staël brachte, waren die lettres de l’Allemagne, an denen sie seit 1810 die letzte Arbeit that. Die öffentlichen Blätter erhielten in wohlberechneten Intervallen Notizen über das Vorschreiten des Werkes. Für den Berliner Kreis kam unmittelbare Benachrichtigung durch Chamisso hinzu, der 1810 bei Frau von Staël in Chaumont weilte und was er sah und hörte, Hitzig und Fouqué meldete. Hitzig, der das Werk in deutscher Uebersetzung sogleich drucken wollte – eine Absicht, die auch 1814 erfüllt wurde – erhielt die Généraux, die Aushängebogen, zugesandt. Aber unter dem 10. October 1810 schrieb Chamisso an Hitzig: „Das Buch der Staël ist nach empfangenem Imprimatur höheren Orts verboten und confiscirt, sie selbst binnen zweimal vierundzwanzig Stunden des Landes verwiesen … Schreib an Wilhelm Schlegel oder an sie nach der Schweiz.“
Diese Stelle des erst 1839 (S. 284) gedruckten Briefes finde ich nun schon im Abendblatt vom 29. October 1810 benutzt, wo es heißt: „Nach Briefen aus Paris hat Fr. v. Stael unmittelbar nach der Confiscation ihres Werkes binnen 2 mal 24 Stunden Frankreich verlassen müssen. Sie ist mit Hr. Aug. Wilh. Schlegel, von Chaumont, wo sie sich aufhielt, nach der Schweiz zurückgegangen.“ Die Umschreibung der Notiz ist für Kleist charakteristisch. Wir gewahren hier noch zwischen ihm und Hitzig das Einvernehmen, das nachher in die Brüche ging. <499:>
Wir dürfen demnach annehmen, daß, wie der Brief Chamisso’s, so auch die Généraux in die Hände der Abendblätter-Freunde gelangten und die Grundlage wurden für den Artikel Adam Müller’s im 5. Abendblatt:

Wir erwarten in wenigen Tagen die Erscheinung der Lettres sur l’Allemagne von Madame de Stael. Es sind die Früchte der Reisen dieser merkwürdigen Frau, vielleicht auch der häuslichen Unterweisung ihrer Freunde, welche diese Syrene entführt, und anständigeren Wirkungskreisen abwendig gemacht hat. Da werden wir Deutsche nun der großen Welt und den Franzosen vorgestellt, vielleicht gar empfohlen werden; man wird zeigen, wie wir den idéalisme repräsentirten, während Frankreich den réalisme; wir werden behandelt werden, wie es einem jungen, gesunden, mitunter etwas schwärmerischen, oder störrigen, oder stummen, oder ungeschickten Liebhaber gebührt, den eine solche Dame in die Welt einzuführen würdigt; kurz, wie der Bär im Park der Madame Stael. Deutschland mit seinen Schicksalen eignet sich unvergleichlich für die douce melancolie seiner Beschützerinn, und wenn sich die Empfindung auf Reisen begiebt, so findet sie bei uns viel zu schaffen. Was wären wir Deutsche auch, wenn es keinen Villers und keine Stael gäbe? – Nur das Eine hoffen wir, daß diesmal endlich der Geoffroy bekehrt werde, denn so lange wir den nicht haben, hat auch der Deutsche Geist den Rhein nicht überschritten.

Ein höchst merkwürdiger Artikel, voll des exquisitesten Spottes, der selbst goethische Anspielung zu Hülfe nimmt. Schon unterscheidet Adam Müller, mit Geringschätzung zwischen dem eignen Wissen der Frau von Staël und der häuslichen Unterweisung ihrer „Freunde“. Er meint damit hauptsächlich, neben Sismondi, Wilhelm Schlegel, den – absichtlich zweideutig gesagt – die Sirene „entführt“ und „anständigeren Wirkungskreisen“ abwendig gemacht habe. „Anständigeren“, das konnte und sollte auch bedeuten: solchen, die Schlegel mehr anstehen würden – und das, worauf Müller zielte, war die Shakespeare-Uebersetzung, die Schlegel durch seine Verbindung mit der Frau von Staël hinauszögerte. Schlegel kannte diese Stimmung gegen sich und sah sich veranlaßt, <500:> in der Jenaischen Litteratur-Zeitung (in Intelligenzblatt vom 10. October 1810) die beschwichtigende Erklärung abzugeben, daß Richard III. unter der Presse sei. Und einmal im Zuge, geht Adam Müller auch auf Villers los, gegen den er mit schadenfroher Ironie Geoffroy ausspielt. Kein Zweifel, daß, wie die Grimm’s in Cassel, wo Villers’ Mitarbeit am Moniteur Westphalien unliebsam hervortrat, so auch die Berliner Freunde sich von der Wahrnehmung deutscher Interessen durch die „Deutschfranzosen“ nicht sehr viel versprachen.
Warum aber mischte Müller Villers und Geoffroy ein? Ich antworte: weil ihm eine ältere Fehde mit Villers und neuerdings das Vaterländische Museum in Hamburg den Anlaß dazu gab.
Wir erinnern uns (oben S. 53), daß Adam Müller 1808 im Phöbus Villers unter den Gegnern Burke’s mitbenannte. Aus welchem Anlaß, wird durch eine „Erklärung“ in der Jenaischen Litteratur-Zeitung 1809 (Intell. Bl. Nr. 26) dargethan. Villers verwahrt sich dort dagegen, ein Werk unter dem Titel „Le plan de Napoléon et de la Providence“ verfaßt zu haben, wie eine vielgelesene Zeitschrift ungenau verbreite, und bemerkt: „Diese unrichtige Angabe ist vielleicht mit Schuld an dem bäuerlich-tückischen O s t r a k o n , das neulich, im Phöbus, von einer unedlen teutschen Hand, mit meinem Namen bezeichnet ward“. Das vergalt ihm Müller jetzt.
Damals beschäftigte eine Abhandlung sur la manière essentiellement différente dont les poètes français et les allemands traitent l’amour von Villers in die Presse. Er führte die Verschiedenheit der erotischen Poesie auf die Verschiedenheit der Volkscharaktere zurück; in der französischen Liebesdichtung spreche sich die Lustigkeit, oft die Frivolität der Race aus; in der deutschen lebe das Gemüth und die Empfindung – wofür Beispiele beider Litteraturen den Beweis erbringen sollen. Villers <501:> hing mit den Göttinger Gelehrten, deren College an der Universität er 1811 wurde, zusammen, und deshalb gab Heeren in einem Aufsatze „über die Mittel zur Erhaltung der Nationalität besiegter Völker“ (Vaterländ. Museum S. 147) geflissentlich den Inhalt der Schrift Villers’ an; ein Hamburger Gelehrter, Friedrich Gottlieb Zimmermann, rückte sogar in das Octoberheft von 1810 eine autorisirte Uebersetzung ein, mit ziemlich hohlen, gutgemeinten Einleitungsworten.
In diesem Octoberheft übten die Hamburger eine Art von Antikritik gegen den einflußreichen Redacteur des dem Journal de l’Empire zugehörigen Feuilletons: Geoffroy. Geoffroy und der preußenhassende Däne Malte-Brun leiteten das Feuilleton in durchaus antideutschem Sinne. Ihre Methode war weniger, deutsche Werke (was ihrem Wissen schwer geworden wäre) schlecht zu kritisiren, sondern sie gänzlich todt zu schweigen. Die ganze abhängige Continentalpresse nahm natürlich dieselbe Methode an. Nur wenige Blätter damals, voran Wiener Journale, gingen polemisch gegen Geoffroy vor. Als was für eine Macht das Journal de l’Empire in geistigen Dingen empfunden wurde, ahnt man daraus, daß selbst ein so unbefangener Mann, wie der junge Jacob Grimm, in Paris den Maltebrun nicht aufzusuchen vergaß. Geoffroy aber hätte sein Feuilleton nicht in diesem Geiste geleitet, wenn er sich nicht in Einklang mit der französischen Regierung befunden hätte. Er erklärt sich nun gegen Villers’ Abhandlung: was auf die „Deutschfranzosen“ einen verblüffenden, auf die Kriegsgesinnten einen recht befriedigenden Eindruck machte. Die Hamburger versuchten zwar den Gegenschlag. Sie fanden heraus, daß Geoffroy (im Feuilleton vom 12. Février 1810) selber ein Pariser Gedichtchen auf die Hungersnoth als mit sehr leichtfertigen Gedanken beschmutzt getadelt hatte. Aber was half dies Monitum? Der Beweis stand da, schwarz auf weiß, im <502:> Journal de l’Empire, daß die maßgebenden französischen Kreise gar nicht daran dachten, in eine Vermittelungspolitik einzulenken. Es ist beißende Ironie, wenn Adam Müller in den Abendblättern wünscht, daß diesmal endlich das Werk der Frau von Staël den Geoffroy bekehren möge. So hat das Octoberheft des Vaterländischen Museums den unmittelbaren Anstoß zu Adam Müller’s Abendblatt-Artikel vom 5. October 1810 geliefert.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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