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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 490-496

VIII. Otto Heinrich Graf von Loeben und die Brüder von Eichendorff.


Für die Litteraturgeschichte fließen ein paar Jugendjahre des sächsischen Grafen Loeben und der schlesischen Barone Eichendorff zusammen. Sie lernten sich 1807 in Heidelberg kennen, reisten gemeinsam als Freunde durch die schönsten Gegenden Süddeutschlands, und fanden sich noch einmal, zu Anfang des Jahres 1810, in Berlin zusammen, um von da ab Jeder seinen eigenen Weg zu gehen.
Die Trennung, die eintrat, war nothwendig, weil die ursprüngliche Verschiedenheit, über die jugendliche Freundschaft sie hinwegtäuschen konnte, nunmehr durchzubrechen begonnen hatte. Graf Loeben kam aus der Schule Ludwig Tieck’s und Novalis’, deren kunstreligiöser und mystischer Gefühlserfassung des höheren Lebens er es gleich zu thun versuchte. Sein Roman Guido, 1808, steht auf dem Höhepunkt dieser <491:> schwärmerischen Nachahmung erwählter Vorbilder. Die Entwickelung des Romans durchläuft drei Stufen: Sehnsucht, Reich der Minne, Verklärung. Im Isistempel des Orients erfolgen die wunderbaren Aufschlüsse. Isidorus Orientalis hat sich darum Graf Loeben auf dem Titel seines Werkes genannt.
Die Voß-Parthei witterte sofort den Wind, der aus dem Guido wehte. Dem Isidorus Orientalis trat ein Appolodorus Occidentalis – ein westlicher Lichtfreund, ein „Aufgeklärter“ also – in den Spalten des Morgenblattes entgegen. Geschah dies auch, der Bedeutung des Romanes angemessen, mehr mit lässiger Ironie als mit der bösartigen Polemik, die sonst das Morgenblatt für die Heidelberger Romantik bereit hielt, so war Graf Loeben doch von nun an als Anhänger der neuen mystischen Schule abgestempelt. Trotzdem gewann er zu Arnim, Brentano, Görres damals kein inneres Verhältniß. Die Einsiedlerzeitung und das Wunderhorn sind ohne Spur von ihm. Das wußten die Heidelberger „Classiker“; und während sie sonst ihr Morgenblatt vor der gefährlichsten Ansteckung, die sie kannten, rein hielten, ließen sie Graf Loeben noch im selben Jahrgang mit einer Novelle zu. Dies hinderte ihn nicht, gleichzeitig bei Kleist die Aufnahme einer Romanze Kunz von Kauffungen und zweier Mariengedichte in den Phöbus nachzusuchen (Schlußheft 1808). Wir empfangen von Graf Loeben den Eindruck, daß er innerlich nicht fertig war.
Ganz anders stehen Wilhelm und Joseph von Eichendorff für uns da. Sie hatten, als die Sprossen einer grundbesitzenden Familie, das Agrarische wie Arnim und das katholisch-Volksmäßige wie Brentano. Zu ihnen als den Freunden ihres Lehrers Görres, dem sie mit studentischer Ehrfurcht ergeben waren, fühlten sie sich auch poetisch hingezogen. Sie nahmen an den litterarischen Bestrebungen der drei Freunde Theil. Joseph von Eichendorff steht Brentano, <492:> ohne dessen Nachahmer zu sein, von allen Jüngeren am nächsten; in seiner Lyrik ist die Poesie des Wunderhorns wieder aufgeblüht. Eichendorff hat das selber freudig anerkannt.
Als nun die Brüder Eichendorff bei ihrem Freunde Loeben in Berlin erschienen, stellte sich sehr bald aus inneren und gesellschaftlichen Gründen der Anschluß an die vornehme Patriotengruppe her. Sie wurden Theilnehmer der gemeinsamen Mittagstafel, die Arnim und Kleist und Brentano und andere Freunde hielten. In der Mauerstraße bei Arnim und Brentano, wohin sie öfters kamen, schien die Heidelberger Zeit wie neu erstanden. Auf den Abendgesellschaften Adam Müller’s lernten sie seine die Nationalökonomie gründlich erregenden Ideen kennen. Mit Fouqué befreundeten sie sich auch. Mag immerhin in Joseph’s Tagebüchern, die Herrmann von Eichendorff benutzte, Kleist’s Name nicht verzeichnet stehen: wie könnte denkbar sein, daß ihnen in dieser gesellschaftlichen Umgebung Kleist persönlich unbekannt geblieben wäre? Alle drei haben sich beim Abschiede von Berlin, am 3. März 1810, in Arnim’s Stammbuch eingetragen, Graf Loeben mit den Worten: „Das Lebewohl gleicht einem Menschen, der im April am Fenster steht, zwischen Schnee und Südluft schwankend – wenn Ahndung des Wiedersehens Ahndung wärmerer Näherung ist.“ Man empfindet, die frühere zerfließende Gestaltlosigkeit war von Loeben noch nicht gewichen. So mag es sich erklären, daß in der ausgelassenen Carricatur der Berliner Zustände, die Brentano damals seinem Freunde Görres brieflich machte, Graf Loeben am allerübelsten fortkam, während für die Brüder Eichendorff die freundlichen Accente vorherrschen.
So würde Graf Loeben’s und Joseph’s von Eichendorff Mitarbeit an den Abendblättern, träte sie hervor, etwas ganz Natürliches für uns haben. Werden doch auch die <493:> Berliner Eindrücke, die sie empfingen, im Sinne der Patriotengruppe noch in ihren nächsten Arbeiten sichtbar. Joseph von Eichendorff schrieb um die Zeit seinen Roman „Ahnung und Gegenwart“, der erst später unter Fouqué’s Gönnerschaft herauskam. Der Roman verfolgt die Tendenz, die damalige Gegenwart mit der Ahnung eines höheren Lebens zu erfüllen. Das Niedrige wird, wo es sich findet, satirisch abgethan. Ebenso wie Adam Müller in den Abendblättern, bespöttelt sein Roman das flache Schönthun auf den Berliner Theegesellschaften und das ästhetische Geschwätze in den unerträglichen Salons. Wie erscheint uns der Enthusiasmus für die Gräfin Dolores als der schöne Niederschlag beglückter Stunden, in denen Eichendorff von dem Vorschreiten des Romanes aus Arnim’s eignem Munde Kenntniß erhielt! Eichendorff hat für Arnim die reinste Verehrung mit ins Leben genommen.
Nicht in dem gleichen Maße war dies beim Grafen Loeben der Fall. „Loeben läßt einen ungeheuren Band Lyrika bei Sander drucken, er hat aller Mystik entsagt, schimpft alle seine früheren Arbeiten, erkärt sie für Nachahmerei und macht nun Spottgedichte darüber; er ist ein sehr guter, weicher, garstiger Graf und sieht jetzt, da er sich einen ungeheuren Backen- und Schnurrbart hat wachsen lassen, einem schimmlichten Käse gleich,“ schrieb Brentano lästerlich an Görres. Die Dicke des Bandes und die Unzahl der Gedichte steht nun freilich in keinem glücklichen Verhältnisse zu dem poetischen Werthe des Geleisteten. Aber darin geht Brentano zu weit, daß Graf Loeben von sich selber abgefallen sei. Er bekennt sich doch (S. 419) auch jetzt noch denjenigen gegenüber, die ihm, er sei ein Glöckner der romantischen Minne, entgegenkrächzten, als zu der neuesten Schule gehörig. Zwei Sonette richtete er an den „Dichter des Sigurd“ (S. 303), ihm gestehend: <494:>
Uns beiden will das Laub der Eiche grünen,
Der deutschen, deren Aest’ im Sturm sich breiten;
So halt ich dich, den Biederen, den Guten.
Auch die drei Gedichte aus Kleist’s Phöbus nahm er wieder auf. Die Romanze von der Weißen Rose (S. 360), wiewohl herderisch gefärbt, ahmt die Romanzen vom Rosenkranze nach, an denen Brentano damals dichtete. Und wenn es in der schönen Jägerin (S. 363) heißt:
Wollt ihr lauschen dem Gesange?
Meine Laute tönt und klagt …
so fühlt man sich an die schmerzlich gebrochenen Töne erinnert, die aus Brentano’s lustigen Musikanten uns entgegen klingen. Auch in Loeben’s Schäfer- und Ritterroman von 1811 und 1812 hat man den Einfluß der Gräfin Dolores erkennen wollen: eine Beobachtung, die dadurch nicht hinfällig wird, daß Loeben noch 1822 Tieck erklärte, von der ganzen Dolores ein paar Seiten erst zu kennen.
Ich gestehe also, daß ich gespannt Goedeke’s Angabe in seinem Grundriß erster Auflage (1881. 3, 294) las, es seien von Eichendorff’s Liedern diejenigen, die nicht in Ahnung und Gegenwart übergingen, in Kleist’s Abendblättern veröffentlicht worden. Mit Enttäuschung habe ich jedoch zu constatiren, daß sich kein einziges Gedicht, kein einziger Beitrag überhaupt von Eichendorff in den Abendblättern findet. Goedeke’s so bestimmt gefaßter Angabe liegt also nur die unsichere Bekundung Hermann’s von Eichendorff (4, 461) zu Grunde, daß verschiedene Lieder seines Vaters damals in Ast’s Zeitschrift, im „Abendblatt“ und in anderen periodischen Blättern veröffentlicht worden seien.
Graf Loeben dagegen erscheint wirklich mit einem Beitrag in den Abendblättern: ganz zuletzt, als es fast mit ihnen zu Ende war, in der 69. Nummer des zweiten Quar- <495:> tals, vom 22. März 1811. Es ist eine novellenartige Erzählung mit der Ueberschrift „Die furchtbare Einladung“. Ein junger Lebemann, ein Graf, kommt auf seinem Heimweg von einer reizenden Tänzerin über den einsamen, mondbeschienenen Platz einer Kirche. Ein Unbekannter lädt ihn zu folgen ein. Er wird endlich in ein dämmeriges Gemach geführt, in dem ihm eine verschleierte Erscheinung entgegenrauscht. Sie spricht leidenschaftliche Worte zu ihm, und er macht die schreckliche Entdeckung, daß es seine eigene Mutter ist. Durch Zufall und Irrthum war er für einen Anderen verkannt worden. Sohn und Mutter sind der Verzweiflung nahe: „Seit dem Vorfall suchte der Graf nichts auf, als die Wälder und Einsamkeiten seiner Schlösser; er glaubte die Stirn nicht und niemals frei, das heißt adlich, tragen zu können an dem Orte, wo die eigene Mutter ihm Veranlassung ward, die angeborne und gesetzmäßige Scheu und Heiligkeit zu verhöhnen: alle Verstohlenheiten und Oeffentlichkeiten verliebter Abentheuer waren ihm Gift, und nur in der Liebe einer sehr reinen und höchst zärtlichen Gräfinn hat er im Laufe der Tage Beruhigung erreicht, und wahres Leben gefunden\*\.“
Die Erzählung, nicht viel mehr als zwei Octavseiten lang, trägt die volle Namensunterschrift: O. H. Graf von Loeben. Fehlte diese, so würde niemand durch Conjectur auf Loeben als den Autor kommen können. Nehmen wir beispielsweise seine Novelle Julius und Blanka zum Vergleiche: auch eine Liebesgeschichte, in deren Verlaufe zwei edle junge Leute, durch Irrthum getrennt, sich schließlich doch zusammenfinden. Eine breite, umständliche Ausführung des Stoffes, ohne Beschränkung auf das Wesentliche. Man wird an Fouqués Art erinnert. Fouqué brachte gleichzeitig im Preußischen <496:> Vaterlandsfreunde (1811, Nr. 16) Loeben’s compositionslose Erzählung „Der Schlüssel am Brunnen“, die in einem Anklang an Kleist’s Bettelweib endet. Durchschnittsmäßig in Wortauswahl und Wortgebrauch. Wie ist dies alles anders in der Novelle der Abendblätter! Die Erzählung kurz, die Motive zusammengepreßt, die Sprache gut, die Sätze kunstabsichtlich periodisirt. So hat Loeben niemals geschrieben. So arbeitete aber – Kleist.
Der Stoff der Novelle gehört nicht zu denen, die erfreulich sind. Um den fatalen Eindruck abzuschwächen, sind ein paar Sätze vorgeschoben, die „die furchtbare Einladung“ als Einzelbeispiel einer allgemeineren Zeiterscheinung hinstellen sollen. „Man weiß (lauten sie) viel Beispiele aufzuführen von leichtfertigen Dienern der Liebe, welche bei späten Jahren nichts gethan und gedacht, als Rosenkränze abzählen und die weißen Scheitel mit Pönitenzasche bestreuen. Hier sei einer Bekehrung erwähnt, welche früher und gewaltsamer vor sich ging.“ Dies sind nach meinem Gefühle Sätze aus Kleist’s Feder. Ich betone das Wort Bekehrung. Es macht mir den Eindruck, als stelle Kleist die furchtbare Einladung Loeben’s als Pendant neben Die Heilung Fouqué’s; als hätten beide Dichter in Einer Anregung ihre Heilung und Bekehrung niedergeschrieben. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Kleist vor Loeben nicht mehr Respect als vor Fouqué gehegt haben. Er hat gewiß auch die furchtbare Einladung in seinem Sinne durch- und umgearbeitet. Ich würde als Herausgeber die Erzählung sogar unter Kleist’s Parerga aufnehmen.

\*\ „nicht und niemals“: wohl Druckfehler oder Vermengung verschiedener Randcorrecturen durch den Setzer; vgl. unten S. 529.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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