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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 488-490

6. Die Heilung.


Bei Der Heilung dagegen ist kein Vermuthen nöthig, da sprechen die Thatsachen. Von der Erzählung der Abendblätter aber ist die Heilung, wie sie in Fouqué’s Kleinen Romanen 1814 (3, 225) wieder erscheint, grell verschieden. Rein äußerlich angesehen, nimmt sie hier 28 Seiten ein, dort ist sie auf drittehalb Seiten eingeschnitten! Kleist war, was seine Zeitung und seine Idee von Stil anging, den Autoren gegenüber rücksichtslos.
Die Heilung ist, obschon von tieferem Gehalt als das Grab der Väter, doch auch keine ausgezeichnete Erzählung. Sie spielt zu Ludwig’s XIV. Zeit. Ein Edelmann berückt die wunderschöne Frau eines Bürgermannes, so daß sie zu ihm in den Palast zieht. Von seiner Laune wieder aufgegeben, <489:> verfällt sie in Wahnsinn. Auf einem entlegenen Gute der Provence lebt sie ihre traurigen Jahre hin. Eines Tages erscheint der Ritter mit Gästen dort zur Jagd. Auf schwindelndem Pfade tritt fliegenden Haares die arme Kranke ihm entgegen. Seine Sinne verwirren sich vor Schreck. Sie trägt ihn, wie durch ein Wunder wieder klar und ihrer Pflicht sich neu bewußt geworden, zum Schlosse, und während die Aerzte an seiner Heilung verzweifeln, harrt sie in Hoffnung und Pflege bei ihm aus. Sie gaukelt ihm, in stetem Fortschritt, die Phasen seines Kriegerlebens vor, sein Sinn entwirrt sich, und endlich gelingt die Heilung. Der nun bejahrte Edelmann und die alternde Frau reichen sich jetzt, zum Segen ihrer Gutseingesessenen, am Altar zum Ehebund die Hände.
So Fouqué in der Sammlung seiner Kleinen Romane: breit, zerfließend und behaglich. Kleist dagegen hat die Hauptmotive, durch Aufgeben der Nebenscenen, schärfer herausgekehrt, als Fouqué. Den ersten Satz behielt Kleist unverändert bei. Dann aber machte er die Parthien, in denen die Verführungskünste des Edelmanns geschildert werden, schnellstens mit ein paar Worten ab. Einzelne Worte (z. B. Juwel, phrenetische Ausbrüche) dienten ihm als Stützpunkte für die Zusammenziehung. Die Jagdgesellschaft ließ er ganz verschwinden. Ebenso schnitt er die etwas raffinirte Gaukelei mit dem früheren Kriegerleben gänzlich fort. Er verlegte die Heilung rein in das Innere, Gemüthstiefe, Wunderbare der schönen, leidgeprüften Frau. Die kleistisirte Erzählung sieht ganz anders aus, als Fouqué’s Original. Der Unterschied ist so groß, daß es – abgesehen vom ersten Satze – unmöglich wäre, beide Fassungen neben einander hinzudrucken. Gedenken wir der Art, wie Kleist mit dem Kunstgespräch über Friedrich’s Seelandschaft verfuhr. So verfuhr er mit der Heilung Fouqué’s. In beiden Fällen ist später aus den Originalmanuscrip- <490:> ten die ursprüngliche Gestalt hervorgetreten\*\. Die Schriften Kleist’s würden sowohl Die Heilung als Das Grab der Väter als Parerga aufzunehmen haben.
Niemals hat Fouqué über diese litterarischen Differenzen zwischen sich und Kleist ein Wort gesagt. Er ist vielmehr einer von den Wenigen gewesen, die öffentlich sich für Kleist erklärten und durch Nachlaß-Publicationen die Erinnerung an ihn lebendig hielten. Fouqué hatte Respekt vor Kleist. Er beugte sich vor Kleist’s Ueberlegenheit. Das darf ihm nicht vergessen werden.

\*\ Bei Fouqué (3, 251) heißt es: „Die Stellen waren gewechselt unter den Beiden.“ Es muß heißen: die Rollen. So haben richtig auch die Abendblätter.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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