BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]


S

Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 482-487

4. Ueber Eylert.


Aber auch gegen die rationalistischen Geistlichen, die das Christenthum, wenn der unbeirrte Glaube fehle, auch nicht mit Wahrhaftigkeit predigen könnten, erklärte sich Fouqué in Kleist’s Abendblättern, vom 26. October 1810:
„Bei den unendlich mannigfachen Strebungen unsres vielseitig und fein gebildeten Zeitalters giebt es unter andern Erscheinungen im Reiche der Geister auch noch Christen, ernste Christen, die es mit ihrem Glauben ohne alle Umschreibung treuherzig so halten, wie es die Bibel als Urquell des Christenthums gebeut. Solche Leute verlangen von Christlichen Predigern ein Gleiches, weil ihnen sonst alles Vertrauen auf Lehrer ausgehen müßte, welche evangelische Prediger hießen, ohne es nach vollster, unbedingtester Ueberzeugung zu sein.
„Der Zweifler, oder der Indifferentist, der unser positives Christenthum nur negativ gelten läßt, müsse – meinen die oberwähnten Leute, – schon nach dem pflichtmäßigen Sinne des ehrlichen Mannes abtreten, sprechend: „Ihr mögt nicht Unrecht haben, Ihr Christen, aber überzeugt bin ich nicht, und lehren also kann ich nicht in Euern Kirchen.
„Also einen Christen, nach dem strengsten Begriffe des Wortes, wollen sie zu ihrem Prediger, und das soll er vor allen andern Dingen voraus unbedingt und unerläßlich sein.“
Diesen positiven Forderungen entsprach der Königlich Preußische Hofprediger und Kurmärkische Consistorialrath R. Eylert in Potsdam, an dessen Predigten in der Garnisonkirche der König und die holdselige Königin sich so häufig erbaut hatten. Fouqué kannte ihn sehr gut. Fouqué’s <483:> Lebensgeschichte berichtet, wie die 1813 nach Schlesien abgehende Schaar an Friedrich’s des Großen Grabgewölbe die Einsegnung durch den „Gottbegnadeten Bischof“ (damals noch Hofprediger) Eylert empfing. Seit Frühjahr 1810 lag ein neuer Band seiner Predigten, die „weise Benutzung des Unglücks“ betitelt, vor. Ohne die politischen Begebenheiten als solche zur Sprache zu bringen, bemüht er sich, die tiefen und schmerzhaften Eindrücke, welche sie in ihrer angreifenden Härte und in ihrer zerstörenden Gewalt überall ohne Ausnahme machten, religiös zu benutzen, und sie mit dem Glauben an Gott und Jesum, mit den Aussprüchen der heiligen Schrift und den Erinnerungen des Gewissens in eine ernsthafte Verbindung zu bringen.
Den Namen dieses Mannes, als eines Predigers wie er sein müsse, nannte Fouqué nun den Leser der Abendblätter: „Nicht, als könnte ein Mann von Eylert’s Herz und Geist, und der eine solche Stelle bekleidet, in den Preussischen Hauptstädten unbekannt sein; aber es geschieht, weil ihm doch wohl Einzelne nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt haben möchten, und weil die Abendblätter ja doch auch durch die Provinzen des Reiches gehen.“ Fouqué empfiehlt Eylert’s Predigten den Lesern der Abendblätter. Die Verbindung des politisch-Patriotischen mit dem religiös-Christlichen darin war nach seinem und seiner Freunde Sinn. Wer jedoch diesen „Freund des Himmels“ selbst höre, thue noch um Vieles besser. Gestalt, Stimme, Kraft des Geistes und Ausdrucks erinnere an Luther, Weichheit und Milde des Gemüthes an den Jünger, welchen Jesus lieb hatte. Als königstreuer Mann dankt Fouqué es dem König, daß er Eylert an die rechte Stelle berufen habe.
Ich finde nirgends in Fouqué’s Schriften – soweit sie mir, bei dem Mangel einer Gesammtausgabe, die doch auch <484:> einmal unsre Pflicht wird, zugänglich waren – den Aufsatz über Eylert wiederholt\*\. Unerkannt bisher, spielt der Abendblatt-Artikel in der Correspondenz Fouqué’s mit Jung-Stilling eine Rolle. Fouqué knüpfte 1810 mit Jung in Karlsruhe an. Wir kennen nur Jung’s Briefe, die mit prompter Regelmäßigkeit auf Fouqué’s Anfragen zurückliefen, und die dann, nach der Sitte damaliger Zeit, in Berlin von Hand zu Hand umgingen. Fouqué’s Briefe, wenn sie aus Jung’s Nachlasse auftauchen würden, müßten uns Aufschlüsse über die geistigen Kämpfe jener Tage und die Abendblätter erbringen. Einiges versuche ich zu erschließen.
In seiner Antwort vom 12. November 1810 geht Jung die ihm vorher von Fouqué unterbreiteten Dinge durch. Unter ihnen muß sich Fouqué’s Abendblatt-Artikel über Eylert befunden haben. Nur unter dieser Voraussetzung, glaube ich, wird verständlich, daß Jung schrieb: „Den trefflichen Pastor Eylert kenne ich nur per renommée, sein Vater, der Herr Professor Rulemann-Eylert zu Hamm in Westphalen, hat lang als intimer Freund mit mir correspondirt, der war auch ein Kanzelredner ohne Gleichen, und zugleich im reinsten Sinn des Wortes ein Christ.“ Diese Bemerkungen Jung’s werden gleichsam zu Complementen unsres Abendblatt-Artikels. Und wie sich Kleist in Jung’s Schriften hineingelesen hat (unten S. 524), so ist auch Kleist’s Abendblatt Jung-Stilling vor die Augen gekommen.
Nicht jedoch war dies das einzige und letzte Abendblatt. Fouqué ließ nicht nach, dem unverdrossen Bescheid gebenden Greise immer von Neuem zu schreiben und zu schicken. Um Neujahr 1811 muß er ihm „die Ankündigung eines zu er- <485:> richtenden Denkmals zum Andenken der verklärten Königin Luise in Predigten von dem ehrwürdigen Herrn Consistorialrath Eylert“ vorgelegt haben: worauf Jung am 21. Januar 1811 zurückäußerte, daß er, wiewohl er für die Sache sei, in seiner Gegend nicht für sie wirken könne. Es handelt sich um die Ankündigung Eylert’s, die damals durch die öffentlichen Blätter ging, und im 74. Abendblatt vom 27. December 1810, einen empfehlenden Artikel, unmittelbar hinter Arnim’s Aufsatz über die Jubelfeier des greisen Pastors Schmidt, hervorrief\*\. Eylert lud zur Subscription auf einen neuen Band Predigten ein, die er vor der Königin gehalten hatte; aus den Erträgen wollte er ein Capital bilden, dessen Zinsen alljährlich einer tugendhaften Braut an ihrem Trautage, dem Todestage der Königin, überreicht werden sollten; 1812 erschien das Werk. Etwas davon Verschiedenes ist die Gründung des Luisenstiftes in Potsdam, zu der damals hohe Beamte eine Aufruf erließen: Kleist hoffte 1811 seiner Schwester Ulrike (S. 158) hier einen Wirkungskreis erschließen zu können.
So war dies 74. Abendblatt ein recht religiöses Blatt und wohl geeignet, von Fouqué als Zeichen der neuen Berliner Bewegung Jung vorgelegt zu werden. Gerade diese <486:> Religiosität wurde in der Umgebung des Staatskanzlers als gefährliches Symptom vermerkt. Schrieb doch der Kriegsrath von Cölln im Interesse der Staatskanzlei, vor Neujahr 1811\*\: „Eine auffallende Erscheinung ist auch die hohe Religiosität, welche man hier affektirt und der die Tagesblätter unausgesetzt huldigen. Ja ich hörte sogar neulich den Redakteur der sich zur Ruhe neigenden Abendblätter behaupten: der tiefe Sinn der Apokalypse scheine dem Zeitgeist zu entsprechen. Adam Müller, der berühmte Gesetzgeber, setzt die Kirche über die Regierung, und unser Erbadel ist ihm schon von Gott selbst eingesetztes religiöses Institut. Alles lebt in der Idee, von Fichte bis auf Heinrich von Kleist, den cidevant „Prometheus“\**\, und nur der „Beobachter an der Spree“ befaßt sich noch mit der gemeinen Wirklichkeit. Wehe der Religion, wo Religiosität Mode wird.“ Wie höhnisch werden Adam Müller und Heinrich von Kleist behandelt, und wie merkwürdig auch, daß sie beide und Fichte der Staatskanzlei als gemeinschaftliche Gegner erschienen! Man könnte glauben, daß die Sätze niedergeschrieben seien, um dem Redacteur einer staatskanzlerfreundlichen Zeitung als Material für eine „Correspondenznachricht aus Berlin“ zu dienen; der Wortwitz von den „sich zur Ruhe neigenden Abendblättern“ spielt wirklich in officiöse Auslassungen hinein. Aus alledem folgt, daß die hochkirchlichen Artikel der Abendblätter auf ein großes Publicum wirkten, <487:> und daß man in der Staatskanzlei diese Wirkung fürchtete und abzuschwächen suchte. Fouqué grollte man freilich nicht: das Odium ließ man auf Kleist und Müller fallen.

\*\ Die Göritz-Lübeck-Stiftung in Berlin enthält für Fouqué und unsre vaterländische Litteratur überhaupt ein reiches Material, dessen Benutzung ich dem Stifter, Herrn Otto Göritz, danke.
\*\ Ich habe mir z. B. die Königsbergische Staats-, Krieges- und Friedens-Zeitung Nro. 23, vom 23. Februar 1811, notirt, wo die Ankündigung Eylert’s und die Cabinets-Ordre des Königs abgedruckt ist. – Der Abendblatt-Artikel ist W gezeichnet und stammt aus Potsdam. Derselbe W hatte an Kleist unter dem 12. December ein Schreiben gerichtet, in dem er den Besuch des Königs im großen Waisenhause schilderte. Aus diesem Schreiben hat Kleist das Wesentlichste in sein 66. Abendblatt, vom 15. December 1810, aufgenommen. Meine Versuche, den W zu eruiren, blieben ohne Erfolg: dagegen ließ die Direction des Militair-Waisenhauses das „Schreiben“, das ich ihr mittheilte, im „Jugendfreund“, dem Correspondenzblatt für ehemalige Zöglinge des K. Gr. Militair-Waisenhauses zu Potsdam und Schloß Pretzsch, 1899 Nr. 190 wieder abdrucken.
\*\ Der Brief, ohne Angabe des Adressaten, ist abgedruckt in Gubitz’ Erlebnissen (1868), 1, 177. Gubitz setzt irrthümlich Frühjahr 1811 für den Brief an. Indessen die darin enthaltene Bezugnahme auf den Streit wegen der Schweizerfamilie (oben S. 225), der „ganz kürzlich“ Statt gefunden, und der noch nicht vom Könige entschieden sei, lassen nur Ende December 1810 oder Neujahr 1811 als Datum des Briefes zu.
\**\ Soll natürlich heißen „Phöbus“ und ist Verwechslung mit dem Prometheus, den Seckendorff und Stoll herausgaben. Von der Apokalypse ist (oben S. 295) in den Abendblättern die Rede.

[ S ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]